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Die anonymisierte Bewerbung

Chancengleichheit im Bewerbungsprozess - Diskriminierung vorbeugen

31.03.2015 Ι Rassismus findet nicht nur dort statt, wo Menschen in der U-Bahn von kahlrasierten Schlägern angepöbelt werden. Auch in vielen Personalbüros werden rassistische Entscheidungen gefällt. Viele Menschen haben keine Chance auf einen Job oder Ausbildungsplatz, weil sie einen ausländisch klingenden Namen oder eine schwarze Hautfarbe haben. Ein Ausweg bieten anonymisierte Bewerbungsverfahren. Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes meint: "Anonymisierte Bewerbungsverfahren sind ein ganz wichtiges Instrument für Chancengleichheit im Bewerbungsprozess. Kein Arbeitgeber kann es sich leisten, in Zeiten des Fachkräftemangels Bewerbende auszuschließen. Ich kann nur jeder Institution raten - ob Unternehmen oder öffentlicher Einrichtung: Probieren sie das anonymisierte Bewerbungsverfahren aus und überzeugen Sie sich von den Vorteilen.

Das anonymisierte Bewerbungsverfahren soll die Chancen von benachteiligten Personengruppen erhöhen, bei einer Bewerbung in die engere Auswahl zu kommen. Es fördert die Gleichstellung der Geschlechter und beugt unbewussten Diskriminierungen vor.

 

Schwieriger Berufseinstieg

Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt ist weiterhin stark verbreitet. Und dies trotz verbesserter Rahmenbedingungen, wie beispielsweise dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Insbesondere für Frauen, Ältere, Behinderte sowie Menschen mit Migrationshintergrund gestaltet sich der Berufseinstieg schwierig. Sie scheitern schon oft an der ersten Hürde - der Einladung zu einem Bewerbungsgespräch. Viele Studien belegen, dass ein ausländischer Name, Alter oder Geschlecht die Auswahl unbewusst beeinflussen. Genau an dieser Stelle kommt es am häufigsten zu Diskriminierungen, im weiteren Bewerbungsprozess nimmt sie dann ab. In persönlichen Gesprächen werden Vorbehalte und Vorurteile abgebaut, die Chancen der Bewerber erhöhen sich.

 

Gute Erfahrungen

In den USA, Großbritannien und Kanada ist die anonymisierte Bewerbung seit Jahrzehnten gängige Praxis. Belgien, Schweden und Frankreich haben für den Öffentlichen Dienst die Anonymisierung ausprobiert oder eingeführt. Auch in Deutschland gibt es Beispiele aus der Praxis: Das erste Pilotprojekt wurde 2010 von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) initiiert. NRW testete das Verfahren 2011/12 im Öffentlichen Dienst. Baden-Württemberg fokussierte 2013 ein Modellprojekt dazu auf Klein-und Mittelbetriebe. Und die Stadtverwaltung Celle hat die anonyme Bewerbung für nahezu alle Stellen eingeführt. Fast immer war das Ergebnis identisch: Durch die anonymisierte Bewerbung wurden mehr Ältere, Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen.

 

Vorteile einer anonymisierten Bewerbung:

·         Der Arbeitgeber signalisiert Offenheit und gelebte Vielfalt ("Employer Branding")

·         Die Bewerberauswahl ist objektiver, das Verfahren transparent

·         Neue Bewerbergruppen werden erschlossen

·         Das Verfahren ist technisch leicht umsetzbar und spart Geld und Zeit durch Standardisierung

·         Das Instrument ist flexibel dort einsetzbar, wo es sinnvoll ist

·         Rechtssicherheit nach dem AGG ist gewährleistet

·         Die Förderung unterrepräsentierter Gruppen nach dem AGG ist weiterhin möglich

 

IG Metall dafür

Die IG Metall befürwortet das anonymisierte Bewerbungsverfahren. Zwar werde dadurch die Diskriminierung von Frauen, Menschen mit Behinderung sowie älteren und ausländischen Arbeitnehmern nicht völlig beseitigt, aber es könne einen Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit leisten.

 

Arbeitgeber sind dagegen

Für die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sind die erhofften positiven Effekte nicht belegbar. Anonyme Bewerbungen brächten Mehraufwand und höhere Kosten. Angesichts des Fachkräftemangels könnten es sich Firmen ohnehin nicht leisten, geeignete Bewerber nach unsachlichen Kriterien auszusortieren.

 

Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: "Anonymisierte Bewerbungsverfahren sind ein ganz wichtiges Instrument für Chancengleichheit im Bewerbungsprozess. Kein Arbeitgeber kann es sich leisten, in Zeiten des Fachkräftemangels Bewerbende auszuschließen. Ich kann nur jeder Institution raten - ob Unternehmen oder öffentlicher Einrichtung: Probieren sie das anonymisierte Bewerbungsverfahren aus und überzeugen Sie sich von den Vorteilen."

 

Betriebsrat kann mitbestimmen

Der Betriebsrat hat in personellen Angelegenheiten Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte. Richtlinien zur Auswahl von Bewerbern bei Einstellungen zum Beispiel bedürfen nach Paragraf 95 Betriebsverfassungsgesetz seiner Zustimmung. Das eröffnet ihm auch die Möglichkeit, mit dem Arbeitgeber über die Einführung des anonymisierten Bewerbungsverfahrens zu verhandeln.

 

Praktischer Ablauf

Die Anonymisierung lässt sich grundsätzlich in allen Beschäftigungsbereichen und in allen Organisationstypen (Großkonzerne, kleine und mittelständische Unternehmen) umsetzen. Das Verfahren kann an die bisherigen Rekrutierungsprozesse angepasst werden. Drei mögliche Wege:

1.    Anonymisierte Online-Bewerbungsbögen

2.    Einheitliche, anonymisierte Bewerbungsformulare, die Bewerbende per Download, E-Mail oder Post erhalten und ausgefüllt zurückschicken

3.    Die nachträgliche Anonymisierung der herkömmlichen Bewerbungsunterlagen

 

Die Bewerbungsunterlagen werden so weit wie möglich auf die Qualifikation beschränkt. In der Regel werden Name, Alter, Geschlecht, Geburtsort und Familienstand anonymisiert, auf das Passfoto wird verzichtet.

 

Nach Eingang des Formulars werden die personenbezogenen von den qualifikationsbezogenen Unterlagen getrennt oder unkenntlich gemacht. Nur letztere werden von einer extra eingerichteten neutralen Stelle an die Personalverantwortlichen weitergereicht.

 

Auf dieser Grundlage, also auf Basis der dargelegten Erfahrungen und Qualifikationen, wird entschieden, wer zum Bewerbungsgespräch eingeladen wird.

 

Es kommt nicht zum "Blind Date". Denn vor dem Bewerbungsgespräch wird die Anonymisierung aufgehoben, damit die Personalverantwortlichen sich effektiv auf das persönliche Gespräch vorbereiten können.

 

Faktenblatt - Die anonymisierte Bewerbung

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