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Vizepräsident der Handwerkskam-mer Potsdam: Thomas Erdmann

Gezerre um Mitbestimmungsrechte in der Handwerkskammer Potsdam

Schwächelnde Innungen verlieren Mandat für Gesellenprüfungen

30.09.2014 Ι Die Arbeitnehmer in den Berufsbildungsausschüssen (BBA) der Kammern müssen permanent um ihre Mitbestimmungsrechte kämpfen. Das zeigt das Beispiel der Handwerkskammer Potsdam. Diesmal ging es um die Prüfungen im Handwerk. Wie vielerorts üblich und für die Kammern sehr bequem, sollte diese Aufgabe an die Innungen gehen. Eine jahrelang geübte Praxis, auch in Brandenburg.

Diesmal war es etwas anders: Für den BBA sollte es nur eine Information geben, eine Entscheidung in der Sache war nicht vorgesehen. Ist dieser Verstoß gegen die Mitbestimmungsrechte gelungen? Wie haben die Arbeitnehmer auf das Handeln der Verwaltung reagiert? Wie steht es um die Mitbestimmung bei den Gesellenprüfungen? Wie sieht die Zukunft der an vielen Orten angeschlagenen Innungen aus? Darum geht es im Interview von prüfen-aktuell mit dem Vizepräsidenten der Kammer Potsdam und IG Metall Mitglied Thomas Erdmann.

 

 

Der DGB Landesbezirk in Berlin-Brandenburg kritisiert in einem Brief an das Wirtschaftsministerium in Brandenburg, das die Beteiligungsrechte des BBA in der Kammer Potsdam beschnitten werden sollen. Es sei zu einem "schwerwiegenden Konflikt" gekommen. Was ist los, worum geht es?

Es geht um die Prüfungen im Handwerk. Aus unserer Sicht ist das gesamte Prüfungswesen mitbestimmungspflichtig. Es ist eine wichtige Angelegenheit der beruflichen Bildung. Deshalb ist der BBA zu unterrichten und zu hören. So steht das in der Handwerksordnung (HwO) und auch in der Geschäftsordnung der Kammer. Angekündigt war, dass die Verwaltung dieses Recht nicht sonderlich interessieren würde.

 

Um welche Fragen des Prüfungswesens ging es konkret?

Wie bei fast allen Handwerkskammern so üblich und wenig hinterfragt, wird die Durchführung von Zwischen- und Abschlussprüfungen in der Erstausbildung zu großen Teilen den Innungen übertragen. Das hat für die Kammern viele handfeste Vorteile. Der dramatische Rückgang der Zahl der Auszubildenden im Kammbezirk Potsdam, von knapp 10.000 im Jahr 2000 auf 3.000 im Jahr 2013, lässt aber ein ,weiter so' nicht zu. Wir haben eine deutlich geringere Zahl von Zwischen- und Abschlussprüfungen. Deshalb bestand die Aufgabe, für die 2015 beginnende neue Periode der Übertragung von Prüfungsaufgaben an Innungen, das bisherige Verfahren zu überdenken. Auch die Kriterien, um die "erforderlichen Leistungsfähigkeit" von Innungen beurteilen zu können, mussten wir verändern.

 

Und was hatte die Geschäftsführung der Kammer geplant?

Die Verwaltung der Kammer wollte den BBA zwar informieren, ihm aber in der Sache keine Entscheidungskompetenz zugestehen. Darüber haben wir uns geärgert! Der Ausschuss hat deshalb, auf Initiative der Arbeitnehmerbank, den Bericht in einen Entscheidungspunkt umgewandelt. Damit war die Mitbestimmungsfrage für uns geklärt. Der BBA hat dann auch beraten und entschieden. Der "leichte Druck" im Vorfeld hat also das gewünschte Ergebnis erbracht.

 

Aber der BBA ist doch immer nur "anzuhören"?

Was heißt hier nur. Umfang und Art des Beteiligungsrechts des BBA ergeben sich aus der rechtlichen Kommentierung zum Wort "anzuhören". Nach übereinstimmender Auffassung der Juristen ist das in der Berufsbildung weit auszulegen. Die Kammer muss den BBA umfassend über die beabsichtigte Übertragung von Prüfungsaufgaben unterrichten und dem Ausschuss eine Entscheidungsmöglichkeit geben.

 

Ist das Wort wirklich so weitreichend?

Die Kommentatoren sagen ja. Der BBA soll durch die Unterrichtung der Kammer in die Lage versetzt werden, sich selbst Gedanken zu machen und diese der Kammer mitzuteilen. Dabei geht es nicht um die konkrete Ermächtigung, also das Verwaltungshandeln, zur Errichtung von Gesellenprüfungsausschüssen. Diese Aufgabe bleibt natürlich der Kammer vorbehalten.

 

Was passiert, wenn das die Kammer nicht macht?
Nun, dann kann man der Verwaltung nur viel Erfolg vor dem Verwaltungsgericht wünschen. Denn: Die ordnungsgemäße Durchführung des Anhörungsverfahrens ist Voraussetzung für die Wirksamkeit der ausgesprochenen Übertragung. Bei nicht durchgeführter oder mangelhafter Anhörung ist die Übertragung in der Regel unwirksam.

 

Es muss sichergestellt sein, dass die Innung die Aufgabe auch wirklich erledigen kann. Sie muss, wie es im Gesetz heißt, ,leistungsfähig' sein?
Ja, genau. Eine Übertragung ist nur möglich, wenn die ,erforderliche Leistungsfähigkeit' der Innung vorher auch durch die Kammer festgestellt worden ist.

 
Sind nicht alle Innungen leistungsfähig?
Nicht alle Innungen erfüllen die Leistungskriterien. In den sieben Landkreisen des Kammerbezirks gibt es rund 100 Innungen. Viele sind schwach und haben nur eine geringe Substanz. Solchen Innungen kann man keine hoheitlichen Aufgaben, wie die Abnahme von Gesellenprüfungen, übertragen.

 

Und was passiert dann?

Genauso wie mehrere Kammern gemeinsam einen Prüfungsausschuss bilden können, ist das auch bei Innungen möglich. Ein Gesellenprüfungsausschuss knüpft sich dann eben alle Prüflinge von mehreren Innungen vor. Wir sprechen dann von einem Innungsverbund. Und wenn alles nicht funktioniert, dann muss eben die Kammer den Job machen.

 

Wie sieht das Ergebnis nun konkret aus?

Die Kammerverwaltung hat einen Vorschlag zur Übertragung der Prüfungsaufgaben erarbeitet. Er sieht eine moderate Konzentration der Aufgaben auf weniger Innungen vor. Anstatt 58 Innungen werden jetzt nur noch 36 hoheitliche Prüfungsaufgaben übertragen. Natürlich gelten für die Innungen alle Qualitätsanforderungen von Prüfungen. Da gibt es keine Abstriche.

 

Klingt doch ganz vernünftig?

Deshalb unterstützen ja auch alle Bänke im BBA dieses Vorhaben. Die Arbeitnehmer sehen darin einen ersten Schritt, um das Prüfungswesen in der Kammer zukunftsfester zu machen.

 

Ist das der Prototyp für die Zukunft?

Die jetzt vorgenommen Anpassungen in der Handwerkskammer Potsdam sind nach Auffassung der Arbeitnehmer im BBA langfristig nicht ausreichend, um Prüfungen auf hohem Niveau und mit ordnungsgemäßer professioneller Durchführungen zu ermöglichen. Die jetzige Lösung ist vermutlich nur ein Provisorium.

 

Was muss denn noch passieren?

Um das Prüfungswesen zukunftsfest zu machen, gibt es nach unserer Auffassung zwei Optionen: Entweder übernimmt die Handwerkskammer komplett die Gesellenprüfungen und verzichtet auf die Übertragung an Innungen. Bei der Weiterbildung ist das ja schon jetzt der Fall. Oder aber die rund 100 Innungen im Kammerbezirk fokussieren ihre Arbeit, fusionieren und erhöhen so ihre Leistungsfähigkeit. Wir werden genau hinschauen, ob die Verbundmodelle wirklich funktionieren.

 

Kann die Kammer das denn überwachen?

Sie kann nicht nur, sie muss es sogar. Nach § 91, Absatz 5 der HwO und der Satzung der Handwerkskammer Potsdam hat sie die ordnungsgemäße Durchführung der Gesellenprüfungen bei Innungen zu überwachen. Das ist aktive Qualitätssicherung bei den Innungen. Im BBA soll jetzt jährlich berichtet werden. Wir wollen die Erfahrungen, die mit der Übertragung von Prüfungsaufgaben gemacht  werden, auswerten. Notfalls ziehen wir das Thema wieder an uns. Die Kammer ist da voll handlungsfähig. Wir bleiben also am Ball.

 

Aber die Innungen haben doch noch ganz andere Probleme?

Ja, das stimmt. Dazu drei Punkte: Die Innungen sind der Regel zu klein und zu zersplittert, um wirklich überlebensfähig zu sein. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. Im Osten sind nur 25 Prozent oder weniger der Handwerksbetrieb Mitglied in einer Innung. Und mein dritter Punkt: Ihre Aufgaben in der Tarifpolitik erfüllen die Innungen wirklich sehr unzureichend.

 

Also: Weg mit den Innungen?

Könnte man fordern. Besser ist es aber das Innungswesen grundlegend zu reformieren. Insbesondere müssen sie ihre Aufgaben beim Abschluss von Tarifverträgen wahrnehmen.

 

Können die Kammern da was machen?

Sie sagen immer nein. Das stimmt aber nicht. Die Arbeitnehmervertreter in der Kammer in Potsdam setzen sich dafür ein, dass der Kriterienkatalog, der über die Leistungsfähigkeit einer Innung entscheidet, um einen Punkt erweitert wird.

 

Was heißt das konkret?

Zukünftig soll die Ermächtigung zur Errichtung von Gesellenprüfungsausschüssen bei Innungen in der Handwerkskammer Potsdam mit einer weiteren Auflage erfolgen. Den Abschluss von Tarifverträgen mit den zuständigen Mitgliedsgewerkschaften des DGB müssen die Innungen aktiv betreiben und nachweisen.

 

Gibt es dafür bei den Kammern ein Mandat?

Ja. Diese Auflage ist die Umsetzung des Beschlusses der Vollversammlung der Handwerkskammer Potsdam vom Juni 2013. Darin halten wir fest, dass eine gelebte und starke Tarifpartnerschaft angesichts aktueller Herausforderungen im Handwerk sinnvoll und zukunftsweisen ist.

 

Welche Schritte müssen jetzt konkret folgen?

Nach unseren Vorstellungen soll die Verwaltung der Handwerkskammer jährlich, erstmals Endes 2015, einen Bericht über die Arbeit der Innungen zum Abschluss von Tarifverträgen vorlegen. Und, wie gesagt, wir wollen den Kriterienkatalog zur Feststellung der Leistungsfähigkeit in der Satzung der Handwerkskammer um den Punkt Tarif erweitern. Das übrigens hat das Parlament der Arbeit, der DGB-Kongress in Mai 2014, genau so beschlossen.

 

Lieber Kollege Erdmann, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Klaus Heimann, freier Journalist in Berlin

 

 

 

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Links und Zusatzinformationen
Was sind Innungen?

In Innungen können sich Handwerksbetriebe auf lokaler bzw. regionaler Ebene zusammenschließen. Die Betriebe gehören dem gleichen oder ähnlichen Handwerk an. Die Mitgliedschaft in einer Innung ist für Handwerksbetriebe freiwillig (im Gegensatz zur Mitgliedschaft in der Handwerkskammer).

 

Die Rechtsform der Innungen ist die einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie stehen unter der Rechtsaufsicht der regional zuständigen Handwerkskammer. Häufig haben die Innungen gemeinsame Geschäftsstellen mit den Kreishandwerkerschaften.

 

Die wesentlichen Aufgaben der Innung nach der HwO sind:

  • Regelung und Überwachung der Ausbildung im Rahmen der dualen Ausbildung,
  • Abnahme von Gesellenprüfungen
  • Förderung des handwerklichen Könnens der Meister und Gesellen (z.B. durch Fachschulen oder Lehrgänge)
  • Pflege des Gemeingeistes und der Berufsehre sowie Förderung eines guten Verhältnisses zwischen Meistern, Gesellen und Lehrlingen.

Die Innungen und der Gesellenprüfungsausschuss

Die Handwerkskammer kann eine Innung ermächtigen, Prüfungsausschüsse zur Ab-nahme von Gesellenprüfungen zu errichten. Voraussetzung ist, dass die Innung ihre Leistungsfähig nachweist.

 

Gesellenprüfungsausschüsse bestehen aus mindestens drei für die Prüfungsgebiete sachkundigen und geeigneten Mitgliedern. Von diesen müssen wenigstens zwei Drittel selbständige Handwerker und Arbeitnehmer sein. Arbeitnehmer und Betriebsinhaber sind im Gesellenprüfungsausschuss in gleicher Zahl vertreten. Mindestens ein Mitglied muss Lehrer einer berufsbildenden Schule sein.

 

Die Gesellen werden vom Gesellenaus-schuss gewählt. Sie brauchen nicht in einem Betrieb eines Innungsmitglieds beschäftigt sein. Sie müssen aber die Gesellenprüfung in dem Handwerk, für das der Prüfungsaus-schuss errichtet ist, bestanden haben und handwerklich tätig sein. Die Vertreter der Arbeitgeber werden in der Innungsver-sammlung gewählt. Die Lehrer werden von der zuständigen Behörde benannt.

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