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Busemeyer

Allianz für Aus- und Weiterbildung

Ein Jahr Allianz unter Beobachtung

27.11.2015 Ι Die Allianz für Aus- und Weiterbildung feiert ihren ersten Geburtstag. Die Gewerkschaften sind erstmals dabei. Der IG Metall geht es um eine echte Problemlösung am Ausbildungsmarkt. Die Schönfärberei der früheren Ausbildungspakte hat vielen Jugendlichen nichts gebracht. Der Wissenschaftler Prof. Marius R. Busemeyer beobachtet im Auftrag der Friderich-Ebert-Stiftung die Allianz. Unser WAP-Korrespondent Uli Degen sprach mit ihm über seine gewonnen Erkenntnisse und worin sich die Allianz von den früheren Ausbildungspakten unterscheidet.

Ziel der neuen Allianz für Aus- und Weiterbildung ist aus Ihrer Sicht die Beseitigung struktureller Schwä­chen des Berufsbildungssystems. Welche sind dies kurz gesagt im Modell der dualen Aus­bildung, die ja national und international häufig als Reformmodell angepriesen wird?

 

Das duale Ausbildungsmodell ist ja nah am Arbeitsmarkt. Das hat viele Vorteile, wie zum Beispiel die Tatsache, dass viele Jugendliche vergleichsweise einfach von der Ausbildung in die Beschäftigung wechseln können. Diese Nähe zum Arbeitsmarkt hat aber auch einen großen Nachteil, denn das Angebot betrieblicher Ausbildungsplätze schwankt erheblich in Abhängigkeit von den wirtschaftlichen Verhältnissen. Aus diesem Grund ist es in der Vergangenheit immer wieder zu Engpässen auf dem Ausbildungsmarkt gekommen, so dass viele ausbildungswillige und -fähige Jugendliche keinen Zugang mehr zur betrieblichen Ausbildung bekamen.

 

Vom Übergangsbereich hört man kaum mehr etwas. Hängt dies mit der Allianz zusammen?

 

Der Übergangsbereich ist in den letzten Jahren aufgrund demographischer und konjunktureller Veränderungen vom Umfang her deutlich geschrumpft. Das löst aber nicht das zentrale Problem der Integration von geringqualifizierten Jugendlichen, denn tendenziell blei­ben in einem kleineren Übergangsbereich die "harten Fälle" zurück. Diese haben oft keine starke Lobby; vielleicht wird auch aus diesem Grund weniger über den Übergangsbereich debattiert. Aus meiner Sicht haben die diversen Ausbildungspakte - und auch die neue Al­lianz - dieses Problem nicht nachhaltig gelöst.

 

Die früheren Ausbildungspakte und die aktuelle Allianz für Aus- und Weiterbildung haben unterschiedliche Herangehensweisen. Könnten Sie in aller Kürze die jeweiligen Problemlagen und angestrebten Ziele kurz erläutern?

 

Beim Ausbildungspakt 2004 ging es vordringlich um die Behebung eines Engpasses auf dem Ausbildungsstellenmarkt. Dieser Aspekt war auch bei den anderen Pakten relevant, wenngleich der Pakt aus dem Jahr 2010 noch stärker den Aspekt der Integration von Ju­gendlichen mit Migrationshintergrund behandelte. Die neue Allianz für Aus- und Weiterbil­dung unterscheidet sich wesentlich von den vorherigen Pakten dadurch, dass die Gewerk­schaften als Paktpartner dabei sind. Auch aus diesem Grund sind die Ziele zur Schaffung von Ausbildungskapazitäten verbindlicher geworden. Ein wichtiges Ziel ist zum Beispiel die Schaffung von 20.000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen jährlich. Trotzdem wird diese Verbindlichkeit dadurch relativiert, dass auch die neue Allianz keinerlei konkrete Sankti­onsmechanismen festlegt, sollte dieses Ziel verfehlt werden. Ob die Arbeitgeberverbände wirklich noch in der Lage sind, ihre Mitglieder auf die Umsetzung dieses Ziel zu verpflich­ten, bleibt abzuwarten.

 

Sie weisen darauf hin, dass in früheren Ausbil­dungspakten die Gewerkschaften nicht vertreten waren. Worin lag das begründet?

Soweit ich dies als Außenstehender beurteilen kann, zögerten die Gewerkschaften, sich bei den vorherigen Ausbildungspakten zu beteiligen, weil eben die Inhalte der Pakte einen relativ geringen Verbindlichkeitsgrad hatten. Am deutlichsten wird dies beim ersten Pakt 2004. Hier war ja eigentlich die Einführung einer gesetzlichen Ausbildungsumlage geplant; stattdessen hat sich die rot-grüne Regierung im Angesicht von Gegenwind aus dem Lager der Arbeitgeber, aber auch aus dem eigenen Lager, dafür entschieden, ein eher "weiches" Politikinstrument einzusetzen. Dies war mit der Hoffnung verbunden, dieser Kompromiss würde das Engagement der Arbeitgeber in der Berufsbildung erhöhen. Ich denke, die ge­werkschaftliche Position hinsichtlich der Beteiligung am Pakt-Instrument bzw. der Allianz hat sich dann deswegen geändert, weil die Ausbildungspakte als Forum des Austausches neben den etablierten Gremien und Institutionen immer wichtiger wurden, so dass eine Fortsetzung der Abstinenz mit der Gefahr verbunden gewesen wäre, weiter an Einfluss zu verlieren.

 

Am 12. Dezember 2014 wurde nun die neue Allianz für Aus- und Weiterbildung ge­schlossen, die sich von den bisherigen Pakten unterscheidet. Was war aus Ihrer Sicht das Motiv für den nunmehrigen Einbe­zug der Gewerkschaften?

 

Die Gewerkschaften haben sicherlich ein Interesse daran, ihren Einfluss auf die Gestal­tung der Berufsbildungspolitik weiter zu wahren und sogar auszubauen. Die Neuauflage des Instruments des Ausbildungspakts in Form der Allianz war sicher ein wichtiges Signal von Seiten der Politik, dass es sich hierbei nicht um ein kurzfristig einzusetzendes Instru­ment handelt, sondern dass Pakte zwischen den verschiedenen Stakeholdern zum festen Bestandteil der Berufsbildungslandschaft werden würden. Insofern ist es nur konsequent, dass die Gewerkschaften sich hier beteiligen wollen.

 

Wie beurteilen sie das Verhältnis Allianz für Aus- und Weiterbil­dung zum Hauptausschuss beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), dem sogenannten 'Parlament der beruflichen Bildung'? Im Hauptausschuss sitzen doch alle Akteure der Allianz bereits. Man könnte dies als Verschleuderung von Ressourcen sehen, wenn man mit dem Hauptausschuss schon sehr lange ein Instrument hat, das Beschlüsse und Empfehlungen zu allen Facetten der Strukturen der Berufsbil­dung und des -systems fasst?

 

Das erstaunt mich auch. Ich denke, die Ressourcenverschwendung ist hier weniger das zentrale Problem, aber die zunehmende Komplexität von Steuerungsstrukturen. Hinzu kommt, dass es sich bei den Pakten um ein "voluntaristisches", d.h. im Wesentlichen frei­williges Instrument handelt, während die Institutionen und Gremien des BIBB natürlich ge­setzlich geregelt sind. Aus der Perspektive der Arbeitgeber könnte es von Vorteil sein, strategische Entscheidungen zur Gestaltung der Berufsbildungspolitik aus den formalen Institutionen wie dem Hauptausschuss zunehmend in die Allianz bzw. den Pakt zu ver­lagern, denn hier ist der Verpflichtungsgrad geringer. Auf der anderen Seite kann man al­lerdings dem Instrument des Paktes zu Gute halten, dass hier auch andere wichtige - und zunehmend wichtiger werdende - Stakeholder vertreten sind, wie zum Beispiel die Beauf­tragte für Migration.

 

Sie weisen bei der Allianz zu Recht darauf hin, dass zentrale allgemeine  Ziele die Stärkung der betrieblichen Ausbildung und die Förderung der Gleichwertigkeit von berufli­cher und akademischer Ausbildung sind und dass durchaus auch konkrete Ziele vereinbart wurden. Vielleicht können Sie diese nochmals kurz zusammenfassen und bewerten auch hinsichtlich der von der Wirtschaft verlangten beruflichen und räumlichen Mobilität der Ju­gendlichen.

 

Die Allianz hat sich einige eher allgemeine Ziele gesetzt, die von den Akteuren der Berufs­bildungspolitik sicherlich weithin geteilt werden, wie zum Beispiel die Stärkung der betrieb­lichen Ausbildung und die Förderung der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademi­scher Bildung. Die Allianz enthält jedoch auch einige konkrete Ziele, wie zum Beispiel die Schaffung von 20.000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen und von 10.000 Plätzen in der as­sistierten Ausbildung. Darüber hinaus sollen 500.000 Praktikumsplätze für Schüler_innen geschaffen werden, und die Wirtschaft verpflichtet sich, jedem "vermittlungsbereiten Ju­gendlichen", der bis zum 30.9. noch keinen Ausbildungsplatz hat, drei Angebote für eine betriebliche Ausbildung zu machen, wobei von den betreffenden Jugendlichen im Gegen­zug eine gewisse räumliche und berufliche Mobilität eingefordert wird. Zur Bewertung die­ser Ziele kann gesagt werden, dass der scheinbar hohe Grad der Konkretisierung dadurch relativiert wird, dass einige Zusagen der Wirtschaft vergleichsweise leicht zu erfüllen sind - so hat die Schaffung von Praktikumsplätzen bei den vorherigen Pakten keine wesentli­chen Probleme bereitet - und eigentlich keine konkreten Sanktionsmechanismen verein­bart werden, sollten die Ziele nicht erfüllt werden. Außerdem wird die letztgenannte Zusa­ge zur Vermittlung von Jugendlichen in betriebliche Ausbildung dadurch eingeschränkt, dass von den Jugendlichen berufliche und räumliche Mobilität verlangt wird. Ob einem Ju­gendlichen aus Mecklenburg-Vorpommern aber geholfen ist, wenn er eine Ausbildungs­stelle in einem Bäckerbetrieb am Bodensee bekommt, ist allerdings nicht einfach zu be­antworten.

 

Sie heben in Ihrem Beitrag als besonders bedeutend das Instrument der 'assistier­ten Ausbildung' hervor für die beruflichen Abschlüsse von Jugendlichen. Vielleicht können Sie etwas zur Anlage und Wirkung dieses Instruments sagen.

 

Dies ist ein neues Instrument, das sich erst noch in der Praxis bewähren muss. Es wird auch insbesondere von gewerkschaftlicher Seite unterstützt, denn im Rahmen der assistierten Ausbildung werden gezielt unterschiedliche Defizite von Jugendlichen im Rahmen einer betrieblichen bzw. betriebsnahen Ausbildung ausgeglichen. Der Vorteil gegenüber bestehenden Maßnahmen im Übergangsbereich ist, dass die Förderung flexibler und indi­vidualisiert ist und gleichzeitig die Förderung im Rahmen einer quasi regulären Ausbildung geschieht.

 

Wenn man einige Passagen zur assistierten Ausbildung liest, dann kommen einem bereits in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts durchgeführte Modellversuche zur so­zialpädagogischen Betreuung von Jugendlichen mit sozialen und bildungsbezogenen Defi­ziten in den Sinn. Hat man eigentlich frühere Erfahrungen reflektiert?

 

Ich habe da einen ähnlichen Eindruck wie Sie. Inwieweit diese früheren Ansätzen bei den Diskussionen um die Allianz eine Rolle gespielt haben, kann ich nicht beurteilen, da dies politische Diskussionen sind, zu denen ich als außenstehender Wissenschaftler keinen Zugang habe.

 

Insgesamt bewerten Sie ja die Ziele und Absichten der Allianz für Aus- und Weiter­bildung zur Bewältigung von strukturellen Defiziten in der Berufsbildung für positiv, auch weil die Allianz breiter als die Ausbildungspakte aufgestellt ist. Ihres Erachtens kann sie aber dennoch nicht die 'notwendigen strukturellen Reformen ersetzen' Wieso nicht?

 

Die Allianz ist ein weiterer Baustein im ohnehin schon komplexen deutschen Berufsbildungssystem. Die in der Allianz angedachten Maßnahmen reichen nicht aus, um das Pro­blem der geringqualifizierten Jugendlichen, die Schwierigkeiten im Zugang zu regulärer Ausbildung haben, nachhaltig zu lösen. Im gegenwärtigen Modell der Berufsbildung nimmt die duale Ausbildung weiterhin die zentrale Position ein, was mit der oben angesprochenen strukturellen Schwäche einhergeht, dass das Ausbildungsplatzangebot von den wirtschaftlichen Konjunkturbedingungen abhängt. Dadurch werden auch die Berufswahlmöglichkeiten der Jugendlichen sowie ihre Karrierechance von Marktbedingungen abhängig gemacht. Es sollte stattdessen ein Recht auf voll qualifizierende Ausbildung eingeführt werden, so dass Jugendliche frei diejenige Ausbildung wählen können, die ihren Talenten und Fähigkeiten entspricht. Ich habe in diesem Zusammenhang wiederholt darauf hingewiesen, dass dies auch bedeuten würde, neben der rein betrieblichen Ausbildung einen zweiten alternativen, aber gleichwertigen außerbetrieblichen, aber betriebsnahen Zweig in den Ausbildungsgängen, die im BBiG und HwO geregelt sind, aufzubauen. Dadurch würde auch den Jugendlichen eine Chance auf einen vollqualifizierenden Abschluss gegeben, die gegenwärtig Schwierigkeiten haben, einen regulären Ausbildungsplatz zu finden. Dänemark hat ein solches Modell mit Erfolg bereits in den 1990er Jahren eingeführt. Auch in Hamburg wird dieses Konzept in Form des "Hamburger Modells" bereits umgesetzt.

 

 

 

...zum Weiterlesen:          Marius R. Busemeyer: Aufbruch oder Stillstand in der Berufsbildungspolitik? Die neue Allianz für Aus- und Weiterbildung, in WISOdirekt. Analysen und Konzepte zur Wirtschafts- und Sozialpolitik. Friedrich-Ebert-Stiftung, Juli 2015.

 

Wer ist Marius R. Busemeyer?     Marius Busemeyer ist seit 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Politik­wissenschaft, insbesondere Policy-Analyse und Politische Theorie. Busemeyer studierte Politik-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an der Universität Heidelberg, wo er 2006 mit einer Arbeit zur vergleichenden Un­tersuchung von Bildungsausgaben promovierte. Von 2003 bis 2005 war er McCloy-Stipendiat der Studienstif­tung des Deutschen Volkes und erwarb einen Master-Abschluss in Verwaltungswissenschaften an der Har­vard Kennedy School. Von 2006 bis 2010 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kölner Max-Planck-Insti­tut für Gesellschaftsforschung. Seine Forschungsschwerpunkte sind die vergleichende politische Ökonomie, Sozial- und Bildungspolitik, insbesondere die Berufsbildungspolitik im internationalen Vergleich sowie die Analyse der öffentlichen Meinung zu sozial- und bildungspolitischen Fragen.

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