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Lust_auf_Weiter_Bildung

Ein Gastbeitrag von Dr. Michaela Kuhnhenne im Blog der AgenturQ

Wie werden wir zur Weiterbildungsrepublik?

20.09.2021 Ι Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat u. a. in seinem Grußwort zur "Fachtagung 2021 - weiterbilden#weiterdenken" anlässlich 20 Jahre Tarifvertrag Qualifizierung die Entwicklung Deutschlands zur Weiterbildungsrepublik angemahnt. Doch wie werden wir zur Weiterbildungsrepublik? Notwendig sind meines Erachtens zwei Punkte:

Ausbau und Institutionalisierung als 4. Säule des Bildungswesens

Bestrebungen zum Ausbau der Weiterbildung zur 4. Säule des Bildungssystems bestehen spätestens seit der entsprechenden Forderung des Deutschen Bildungsrats im Jahr 1970. Sie sind somit nicht neu, haben jedoch in den letzten Jahren an Aktualität und Dringlichkeit gewonnen. Dies spiegelt sich auch in den Handlungszielen der Nationalen Weiterbildungsstrategie. Über diese hinaus gehen Vorschläge zur Einführung eines Bundesweiterbildungsgesetzes z. B. der Heinrich-Böll-Stiftung (2019), ver.di, der IG Metall und der GEW (2017), Bläsche et al (2017). Sie alle zielen auf eine Systematisierung von Weiterbildung und der Sicherung ihrer Finanzierung ab (zusammenfassend Kuhnhenne 2020: 28). Andere Vorschläge zur Ermöglichung und Finanzierung von Weiterbildung setzen auf den Ausbau bestehender Regelungen und Fördermöglichkeiten. Matthias Knuth hat in seinem jüngst für die Hans-Böckler-Stiftung erstellten Papier "Transformative Arbeitsmarktpolitik" einen Vorschlag zu einem Sonderprogramm "Transformation der Arbeitswelt" entwickelt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen knüpfen an bestehende Instrumente der Förderung von Weiterbildung an und integrieren bestehende Programme. Den Aus- und Umbau bestehender Förder- und Finanzierungsstrukturen schlägt auch Gerhard Bosch (2019) vor. Ferner plädiert er für die Einführung einer geförderten Freistellung zu Bildungszwecken nach österreichischem Vorbild.

 

Die Vorschläge grenzen sich gegen eine eng auf unmittelbar Arbeitsmarktbedarfe bezogene berufliche Weiterbildung ab. Vielmehr gelte es "Möglichkeitsräume" zu eröffnen und dadurch Weiterbildungspotenziale besser auszuschöpfen. Matthias Knuth (2021: 44) konstatiert, dass die bestehenden Regelungen zu sehr von der Sorge geprägt sind, dass "unnötige und unsinnige Weiterbildungsprojekte" verfolgt werden oder Betriebe ihre Weiterbildungskosten auf die Allgemeinheit abwälzen. Ähnliche Bedenken sind auch in Bezug Bildungsurlaub/Bildungsfreistellung ja selbst hinsichtlich betrieblicher Bildung häufiger zu hören.

 

Entwicklung einer Weiterbildungskultur in Betrieb und Gesellschaft, in der lebensbegleitendes Lernen eine Selbstverständlichkeit ist

Durchgesetzt hat sich die Erkenntnis, dass Bildung und Lernen schon lange keine bloße Vorbereitung auf eine bestimmte Tätigkeit oder den Erwerb eines Bildungszertifikats mehr sind, sondern Teil eines unabgeschlossenen lebensbegleitenden Prozesses. Wie kann sich daraus eine selbstverständliche Kultur der Weiterbildung entwickeln? Wie etablieren wir eine Kultur, in der es normal ist im Alter von 40 oder 50 Jahren einen neuen Beruf zu erlernen? Und zwar nicht nur gezwungenermaßen, weil im bisherigen Beruf keine Beschäftigung mehr zu finden ist oder er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausgeübt werden kann, sondern aus Interesse an persönlicher Weiterentwicklung? Denn: Ein noch so gut ausgebautes Weiterbildungssystem ist zwecklos, wenn es nicht genutzt wird. Weiterbildungskultur so Knuth (2021: 45) kann sich nur entwickeln, wenn sie bei den potentiellen Teilnehmenden positiv besetzt ist.

 

Berufliche Weiterbildung ist nicht mehr mit einem Aufstiegsversprechen verbunden. Das Lernen über den gesamten Erwerbslebenslauf hinweg ist auch kein Signal mehr für ein besonderes Engagement, sondern eine normale berufliche Anforderung und Grundlage für den Erhalt der eigenen Beschäftigungsfähigkeit. Auch Aufstiegsfortbildungen führen nicht mehr unbedingt zu einer höheren beruflichen Position. Bisherige mit Weiterbildung verbundene Versprechen sind damit brüchig geworden. Mit der selbstverständlichen Notwendigkeit weiterer berufs- bzw. tätigkeitsbezogener Qualifizierung verliert Weiterbildung den Charakter von Freiwilligkeit. Die Erwartung zum fortwährenden Lernen kann zum Druck werden und überfordern (vgl. Nittel/Tippelt 2018:27).

 

Andererseits eröffnet lebenslanges Lernens Entwicklungsmöglichkeiten und neue Horizonte. Durch Bildung können sich Menschen von Beschränkungen der Vergangenheit, bisheriger Tätigkeiten und Abschlüssen befreien. Lebenslanges Lernen ermöglich es dem/der Einzelnen sich neue persönliche, politische, kulturelle oder berufliche Handlungsoptionen zu erschließen und der Gesellschaft sozialen Wandel.

 

Doch wie muss (Weiter-)bildung gestaltet sein, wenn sie nicht als bloße Notwendigkeit oder im schlimmsten Falle als erwerbslebenslanger Zwang, sondern als Entwicklungsmöglichkeit wahrgenommen wird? Ein Teil der Antwort ist der Weiterbildung vorgelagert und in der persönlichen Bildungsbiografie begründet. Menschen, die positive Lernerfahrungen z. B. in Schule oder Ausbildung gemacht haben, vertrauen ihrer eigenen Bildungsfähigkeit mehr und als Menschen mit negativen Bildungserfahrungen. Dies bedeutet nicht, dass negative Lernerfahrungen nicht überwunden werden können - vielmehr gilt es gerade Menschen mit Schwierigkeiten in der Lernbiografie positive Lernerfahrungen zu ermöglichen und ihnen z. B. durch Lernbegleitung nicht vor Augen zu führen, was sie alles nicht wissen, sondern wo sie erfolgreich sind (vgl. Hiestand/Rempel 2021:32ff.). Viele Jugendliche mit negativen Schulerfahrungen entdecken ihre Bildungsinteressen und Fähigkeiten in der Ausbildung. Die Aneignung von Wissen und Können führt dazu zu erkennen, was noch nicht gewusst und/oder gekonnt wird. Erfolgreiche Bildungsprozesse verstärken sich somit selbst (vgl. Nittel/Tippelt 2018: 185).

(Quelle: AgenturQ)

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Timo Gayer Ι 24.09.2021
"Wir müssen dafür sorgen, dass Deutschland den Weg in die Weiterbildungsrepublik geht"
Das Interview mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gibt es hier: https://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Interviews/2021/2021-07-24-rheinische-post.html

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