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Duale_Kompetenzpruefung_Kurzfassung

Zukunft der Prüfung: Hans Borch und Gerd Labusch im Gespräch

"Duale Kompetenzprüfung" - ein mehr als fälliger Diskussionsaufschlag für die Zukunft von beruflichen Prüfungen?

31.05.2019 Ι Die Abschlussprüfungen in der dualen Berufsausbildung stehen unter einem Modernisierungsdruck. Die Digitalisierung verändert Kompetenzanforderungen an Fachkräfte, die beim Feststellen der beruflichen Handlungskompetenz berücksichtig werden müssen. Gleichzeitig schaffen digitale Medien neue Möglichkeiten auch für das Prüfungswesen. Um einen Diskussionsprozess anzustoßen, hat der Prüferberaterkreis der IG Metall mit dem Diskussionspapier zur "Dualen Kompetenzprüfung" einen Vorschlag zur Zukunft der Prüfung vorgelegt. Unser WAP-Korrespondent Ulrich Degen hat darüber mit den beiden Mitgliedern der Beraterkreises Hans Borch und Gerd Labusch gesprochen.

Abschlussprüfungen in der Berufsbildung erschließen sich dem unbeteiligten Beobachter nicht automatisch. Was macht die Komplexität des Prüfungsgeschehens aus und wer ist mit welchen Rechten im Prüfungsprozess beteiligt? Könnt ihr das am Beispiel der industri­ellen E-Berufe beschreiben?

Hans Borch: Grundlage für das Prüfungsgeschehen ist die jeweilige Ausbildungsordnung, also in unserem Beispiel die "Veror­dnung über die Berufsausbildung in den industriellen Elektroberufen".  

 

Die Prüfungsanforderungen in der Ausbildungsordnung bestimmen die Strukturen der Ab­schlussprüfung. Hier ist geregelt, ob eine Zwischenprüfung und eine Abschlussprüfung oder eine Ab­schlussprüfung in zwei Teilen durchgeführt wird. Bei den industriellen ME-Berufen ist eine soge­nannte "gestreckte Prüfung" verordnet, d. h. der Teil 1 der Abschlussprüfung wird etwa in der Mitte, Teil 2 am Ende der Ausbildungszeit durchgeführt. Des Weiteren sind die Prüfungsbereiche festgelegt, d. h. welche Abschnitte es im Prü­fungsablauf gibt, welche Anforderungen der Prüfling nachweisen soll und welche Prüfungsin­strumente einzusetzen sind.

 

Bei den industriellen ME-Berufen ist auch geregelt, dass es in einem Prüfungsbereich eine "Variantenlösung" gibt - weil es sonst keinen Konsens mit dem DIHK gegeben hätte. Nach dieser Variantenlö­sung kann der Ausbildungsbetrieb auswählen, ob er einen "Betrieblichen Auftrag" wünscht oder eine "Praktische Aufgabe". Die zu prüfen­den Inhalte ergeben sich aus dem Ausbildungsrahmen­plan der Ausbildungsord­nung und dem zugehörigen Rahmenlehrplan der Kultusministerkonferenz (KMK).

 

Gerd Labusch: Für die Abnahme der Prüfungen errichten die IHKen Prüfungsausschüsse, die wiederum paritätisch besetzt sind. Die Anzahl der Mitglieder wird von der Kammergeschäftsführung bestimmt - meistens sind es drei Mitglieder. Der Prüfungsausschuss ist für die gesamte Abnahme der Prüfung zuständig. In den Prüfungsordnungen der Kammern ist geregelt, dass jede Prüfungsleistung von jedem Mitglied des Prüfungsausschusses selbstständig zu bewerten ist. Beschlüsse über die Bewertung einzelner Prüfungsleistungen, der Prüfung insgesamt sowie über das Bestehen und Nichtbestehen der Abschlussprüfung werden vom gesamten Prüfungsausschuss gefasst. Bei der gemeinsamen Feststellung der Ergebnisse dienen die Einzelbewertungen der Prüfungsausschussmitglieder als Grundlage. Wichtig ist hierbei, dass die zuständigen Stellen nach dem Berufsbildungsgesetz für die Organisation und Durchführung der Prüfung zuständig sind, über die Struktur und Inhalte der Prüfung entscheiden aber allein und eigenständig die paritätisch zusammengesetzten Prüfungsausschüsse. Das wird von den zuständigen Stellen immer wieder in Frage gestellt.

 

Als Fazit kann festgestellt werden, dass es zwischen den Intentionen der Ausbildungsordnung und der Umsetzung in Prüfungen einen Bruch gibt. Die Ausbildungsordnung wird von den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften verantwortet, die Prüfungen von den Kammerorganisationen - die Interessen dieser Organisationen sind nicht identisch. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften wollen betriebliche Probleme durch Ausbildung lösen und Auszubildende zu selbständig denkenden und handelnden Fachkräften qualifizieren. Prüfungen sind dabei ein wichtiger Schritt bei der Personalentwicklung. Für die Kammern sind Prüfungen ein schwieriges Massengeschäft, das ohne Probleme abgewickelt werden soll. D. h. aus der Sicht der Kammerorganisation sollen die Prüfungen "wirtschaftlich" und "rechtssicher" sein sowie möglichst bundeseinheitlich.

 

Offenbar sind viele Akteure des Prüfungsgeschehens unzufrieden. Was sind aus Eurer Sicht die wich­tigsten Gründe für die zunehmende Unzufriedenheit?

Gerd Labusch: Es wird vielfach beanstandet, dass die Prüfungsaufgaben nur sehr entfernt oder gar nichts mit der Praxis zu tun haben. Auch die Behauptung, dass die zuständigen Stellen die Hoheit über den Inhalt und die Struktur der Prüfungen haben, führt zu Konflikten. Es wird nach einer Neuordnung immer wieder deutlich, dass die Prüfungsaufgaben häufig nicht mit den im Neu­ordnungsverfahren erarbeiteten Zielen übereinstimmen. Das hat u. a. seine Ursache auch darin, dass die am Neuordnungsverfahren beteiligten Sachverständigen nur selten auch bei der Prüfungserstellung beteiligt sind. Es gibt meistens auch keine Kommunikation zwischen den Beteiligten, leider auch nicht auf Seiten der Gewerkschaften.

 

Hans Borch: Es ist auch zu beobachten, dass die Unzufriedenheit bei den Prüfungserstellern häufig nicht so groß ist, wie bei denjenigen, die konkret die Ausbildung durchführen und verantworten müssen. Die häufigste Kritik ist, dass man sechs bis acht Wochen vor der Prüfung nur noch auf die Prüfung vorbereiten muss und damit die Auszubildenden aus dem Arbeitsprozess her­ausreißen muss.

 

Auch hat das reine Schulwissen, das häufig den Schwerpunkt in der schriftlichen Prüfung hat, mit der konkreten Arbeit nichts zu tun. Das gilt insbesondere für die Auswahlaufgaben, bei denen eine richtige Antwort 1 aus 5 oder 2 aus 6 angekreuzt werden muss. Auch sog. Reihenfolge Aufgaben sind nur in den seltensten Fällen an der praktischen Arbeit orientiert, da es oftmals gar keine feste Reihenfolge beim Arbeitsprozess gibt.

 

Nach dem BBiG § 38 ist durch "die Abschlussprüfung festzustellen, ob der Prüfling die beruf­liche Handlungsfähigkeit erworben hat". Was ist mit der beruflichen Handlungsfä­higkeit in den industriellen ME-Berufen gemeint?

Hans Borch: Berufliche Handlungskompetenz bedeutet, dass komplexe berufliche Probleme im jeweiligen Kontext des Arbeits- und Geschäftsprozesses angemessen und kompetent bearbeitet und gelöst werden können. Dabei sind unterschiedliche Herangehensweisen zur Lösung möglich und müssen jeweils reflektiert werden. Durch die schnelle Veränderung der Arbeitswelt und gesellschaftlichen Umfeld Bedingungen, gehört zur beruflichen Handlungskompetenz auch die Befähigung zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und der Gesellschaft. Auch ist die interdiszi­plinäre und multiprofessionelle Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil der beruflichen Handlungskom­petenz.

 

Gerd Labusch: Durch die Novelle der M+E-Berufe 2018 hat sich grundsätzlich nichts an der Definition der Handlungsfähig­keit geändert, es wurden aber von den Auszubildenden zu erwerbende Kompetenzen bezüg­lich der Digitalisierung im Ausbildungsrahmenplan und den KMK-Rahmenlehrplänen explizit ausgewiesen.

 

Ein wunder Punkt beim bisherigen Prüfungsgeschehen ist der auch Eures Erachtens nach für alle Beteiligten hohe Aufwand, der für die Prüfungsvorbereitung und -durchführung not­wendig ist. Hinzu kommt die von Euch festgestellte Realitätsferne der praktischen und schriftlichen Aufgabenstellungen, die das Problem noch weiter verschärft. Könntet Ihr bei­de Aspekte vielleicht an Beispielen deutlich machen?

Gerd Labusch: Der Aufwand wird durch die zu Beginn dargestellte Organisation und den Ablauf der Prü­fungsdurchführung und der Prüfungsaufgabenerstellung deutlich. Die Erarbeitung der Einheitsaufgaben durch die PAL erfordert einen erheblichen Zeitaufwand. Der fällt nicht nur durch die Sitzungen im Fachausschuss an, sondern die Arbeiten müssen auch Zuhause durchgeführt und für die Sit­zung vorbereitet werden. Auch die Durchsicht der jeweils schriftlichen Arbeiten erfordert einen sehr hohen Zeitaufwand, jedenfalls dann, wenn man das alles ordnungsgemäß erledi­gen und durchführen möchte. Das wird heute häufig auch nur noch dadurch in Griff bekom­men, dass man gesetzeswidrig arbeitet. So wird die Korrektur eines Lehrers unkritisch ein­fach übernommen, da diese oftmals theorielastigen Aufgabenstellungen nur mit sehr großem Aufwand selbst kontrolliert und bewertet werden könnten.

 

Hans Borch: Dass die besonderen Vorbereitun­gen auf die Prüfungen sehr aufwändig sind, wird dadurch notwendig, da die Aufgaben immer wieder geübt und vorbereitet werden müssen. Wie schon gesagt führt das dazu, dass der Auszubildende gerade dann aus dem Arbeitsprozess herausgerissen wird, wo er schon größtenteils produktiv arbeitet. Er steht ja kurz davor in den Beruf als vollwertige Fach­kraft einzusteigen. Insofern stellt die Prüfung auch keine Berufseinstiegsprüfung dar, was sie eigentlich sein müsste. Sie ist tatsächlich eine Abschlussprüfung, nämlich eines Abschlusses ohne richtigen Praxisbezug.

 

Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass Prüferinnen und Prüfer ehrenamtlich tätig sind, ihre Belastung weiter steigt und die Re­krutierung von Prüfern immer schwieriger wird. Was könnte Eures Erachtens hier künftig verbessert und zur Behebung des Engpasses unternommen werden?

Hans Borch: Wenn die Prüfung mehr mit der beruflichen und Ausbildungsrealität zu tun hätte, wäre es auch für das betriebliche Ausbildungspersonal eine Herausforderung sich an der Abnahme von Prüfungen zu beteiligen. Sie könnten ihre Kompetenzen in die Abnahme der Prüfung einbringen und würden auch wieder Impulse für die Ausbildung gewinnen. Auch wäre es für die Betriebe ein notwendiger Aufwand sich an der Prüfung zu beteiligen.

 

Gerd Labusch: Eine große Bedeu­tung hat dabei aber auch die Qualifizierung des Ausbildungspersonals. Nur gut qualifiziertes Ausbildungspersonal ist auch in der Lage angemessen und gut zu prüfen. Wenn ein Prüfer nicht davon ausgeht, dass er nur das prüfen kann, was er auch selbst absolut beherrscht, wird jede Prüfung auch für den Prüfer ein Impulsgeber für neues Lernen. Lernen Lernen gilt eben nicht nur für den der geprüft wird, sondern auch für den, der prüft. Mit unserem Kon­zept von Prüfung kommen wir diesem Anspruch etwas näher.

 

Hans Borch: Durch den Wegfall der bisherigen schriftlichen Prüfungen werden die Prüfer entlastet.

 

Ein weiterer heikler Punkt beim derzeitigen Prüfungsgeschehen ist, dass es keine Anrech­nung berufsschulischer Leistungen in der Abschlussprüfung gibt. Es fehlt Eures Erachtens nach an einer Einheitlichkeit, um dies tun zu können. Weil sich die berufsschulische Zeug­nisnote bundesweit auf unterschiedliche Beurteilungsgegenstände bezieht ist das auch nur schwer zu berücksichtige. Wie wollt ihr das lösen?

Hans Borch: Das kann nur dadurch funktionieren, dass sich die Berufsschule erheblich weiterentwickelt. Sie muss auch berufliche Handlungskompetenz in den Mittelpunkt ihrer Lehre stellen. Bisher werden häufig genug noch die Lernfelder als neue Fächer interpretiert, die man abschlie­ßend bewerten und damit auch als gesonderten Bereich betrachten kann. Sie werden nicht übergreifend begriffen und als "Hilfsmittel" zu Vermittlung von Handlungskompetenz. Auch gibt es keine bundeseinheitlichen Anforderungen. Erst wenn das erreicht wird, kann man tat­sächlich von einer dualen Kompetenzfeststellung sprechen. Wir haben dazu Ideen darge­stellt, diese müssten jetzt konkret umgesetzt werden.

 

Gerd Labusch: Die reine Willenserklärung, wie im Vor­spann zum Rahmenlehrplan formuliert, reicht da nicht aus. Es braucht verbindliche Kompetenzstandards, die beispielsweise mit einem Staatsvertrag abgesichert sind.

 

Nach Eurer bisherigen Kritik ist die gängige Prüfungspraxis weder zeitgemäß noch kann sie Handlungskompetenz abprüfen, weil sie nicht auf Prozessen des Ausbildungsbetriebs ba­siert, nach wie vor papierbasiert ist, digitale Werkzeuge nur sehr eingeschränkt nutzt und durch häufig vorkommende programmierte und maschinenauswertbare Multiple-Choice-Aufgaben charakterisiert ist. Warum nicht?

Gerd Labusch: Die berufliche Realität ist nicht von schriftlichen Einheitsaufgaben geprägt, sondern von einer Vielfalt von unterschiedlichen Problemstellungen. Auch lassen sich viele Dinge, wie z.B. in­terdisziplinäre und multiprofessionelle Kommunikation nicht in ein schriftliches Korsett zwängen. Ein Fachgespräch bietet dabei die Möglichkeit über unterschiedliche Vorgehensweisen tatsächlich im Sinne des Wortes ins Gespräch zu kommen. Der Prüfling kann und wird dabei vorstellen, wie und mit wem er das Gespräch kommen wird. Er kann auch darstellen, wie der versucht sich ver­ständlich zu machen, da ich als Prüfer ja auch ein Gesprächspartner bin, dem er etwas nachvollziehbar darstellen muss. Zu den sog. Multiple-Choice-Aufgaben habe ich ja schon etwas gesagt.

 

Hans Borch: In welchen beruflichen Situationen gibt es nur einen einzigen richtigen Weg? Die kann man mit der Lupe suchen und sie sind daher auch nicht berufsrelevant. Das gilt für die gewerblich-technischen Berufe wie auch für die kaufmännischen Berufe.

 

Gerd Labusch:  Das bestätigen so­gar diejenigen, die sich heute für diese Aufgabenstellungen einsetzen. So nannte der Ge­schäftsführer der Aufgabenstelle für kaufmännische Abschluss- und Zwischenprüfungen (AKA) - das Pendant zur PAL für die kaufmännischen Berufe - folgende Schritte für eine zu prüfende Handlung:
Problemdefinition, Zielformulierung, Analyse, Suche nach Lösungsalternativen und deren Be­wertung, Entscheidung, Planung, Durchführung, Kontrolle. Dem kann man nur zustimmen. Es kann nicht die Frage geben: Welche Aussage ist richtig? Also auch keine Muliple-Choice-Aufgaben, in welcher Form auch immer.

 

Was nun das Konzept der ,dualen Kompetenzprüfung' angeht, so schlagt Ihr zu­nächst zwei Anpassungen vor, zum einen, dass der Prüfungsgegenstand nach § 38 BBiG ange­passt und eine Empfehlung des Hauptausschusses des Bundesin­stituts für Berufsbildung ergänzt wird. Was genau soll geändert werden?

Hans Borch: Im Berufsbildungsgesetz 1969 wurde der Prüfungsgegenstand wie folgt beschrieben: Durch die Abschlussprüfung ist festzustellen, ob der Prüfling die erforderlichen Fertigkeiten beherrscht, die notwendigen praktischen und theoretischen Kenntnisse besitzt und mit dem ihm im Berufsschulunterricht vermittelten, für die Berufsausbildung wesentlichen Lehrstoff vertraut ist.

 

Entsprechend dieser Formulierung wurden Fertigkeits- und Kenntnisprüfungen durchgeführt, die Kenntnisprüfung war in die Prüfungsfächer Technologie, Technische Mathematik, Techni­sches Zeichnen sowie Wirtschafts- und Sozialkunde gegliedert. Die KMK-Rahmenlehrpläne waren in Lerngebiete gegliedert, oft orientiert an der entsprechenden Fachwissenschaft. Die Lerngebiete entsprachen dem Stoff der Berufsschule. Es war selbstverständlich, dass die Kenntnisse mit programmierten Aufgaben geprüft wurden.

 

Die Berufsbildungswelt hat sich aber gewandelt. Die Prüfungen sind in Prüfungsbereiche gegliedert, wobei sich Prüfungsbereiche sich an Tätigkeitsfeldern der Berufspraxis orientie­ren. In jedem Prüfungsbereich wird die Anforderung beschrieben, mit der die Prüflinge ihre berufliche Handlungsfähigkeit nachweisen sollen. Die KMK-Rahmenlehrpläne sind in Lernfel­der gegliedert. In den Lernfeldern wird von beruflichen Aufgaben- oder Problemstellungen ausgegangen, die aus dem beruflichen Handlungsfeld entwickelt und didaktisch aufbereitet werden. Das für die berufliche Handlungsfähigkeit erforderliche Wissen wird auf dieser Grundlage generiert.

 

Die Berufsbildungsgesetz-Novelle 2005 hat diese Veränderungen nur unzureichend nach­vollzogen. Zwar wird in dem Paragrafen "Prüfungsgegenstand" vorgeschrieben, dass durch die Abschlussprüfung festzustellen ist, ob der Prüfling die berufliche Handlungsfähigkeit er­worben hat. Danach folgt aber - nur mit geringen Änderungen - der alte Text.

 

Gerd Labusch: Aus dieser Formulierung schließen die Prüfungsaufgabenersteller, dass sie berechtigt sind, reine Kenntnisfragen zu stellen, die im schlechtesten Fall nicht das Mindeste mit beruflicher Handlungsfähigkeit zu tun haben und auch nicht den Vorgaben der Ausbildungsordnung ent­sprechen.

 

Der Gesetzgeber sollte bei der anstehenden Berufsbildungsgesetznovelle klarstellen, dass die be­rufliche Handlungsfähigkeit zu prüfen ist und durch Streichen des Begriffs "Kenntnisse" verdeutlichen, dass die Zeiten von Kenntnisprüfungen endgültig vorbei sind.

 

Nun zur Gestaltung von Ausbildungsordnungen. In der Elektroausbildungsordnung ist geregelt, dass die berufliche Handlungsfähigkeit "pro­zessbezogen" vermittelt werden soll. Dabei sollen zu einer qualifizierten Tätigkeit befähigt werden, die das Handeln im betrieblichen bzw. beruflichen Zusammenhang einschließt. Zudem ist nach der Ausbildungsordnung die berufliche Handlungskompetenz so zu erweitern und zu vertiefen, dass die Auszubildenden im jeweiligen Geschäftsprozess zur ganzheitlichen Durchführung komplexer Aufgaben befähigt werden. Aus diesen Formulierungen wird deutlich, dass die berufstypischen be­trieblichen Prozesse die Grundlage für die Qualifizierung sein sollen. Der Hauptausschuss sollte sich in einer Empfehlung zu dem prozessbezogenen Erwerb der Handlungskompetenz bekennen, weil genau das die Stärke einer betrieblichen Berufsausbildung ist.

 

Aus Eurer Gesamtargumentation heraus für das Konzept der ,dualen Kompetenz­prüfung' ist einleuchtend, dass beide Lernorte, der Ausbildungsbetrieb und die Berufsschu­le für den Nachweis der beruflichen Handlungsfähigkeit herangezogen werden sollen. Wie soll das im Detail geschehen?

Hans Borch: Der Grundgedanke ist, dass nichts doppelt geprüft werden soll. Die Bundesländer haben in ihren Berufsschulordnungen vorgegeben, dass die Berufsschüler Leistungsnachweise erbringen müssen. Das, was dort an Kompetenzen nachgewiesen wird, braucht nicht noch einmal in ei­ner Abschlussprüfung geprüft werden.

 

Für die Abschlussprüfung bleibt das, was nach unserer Auffassung die betriebliche aus­macht: das Handeln in betrieblichen Prozessen. Was hier geprüft wird, braucht natürlich nicht mehr in der Berufsschule geprüft werden.

 

Damit ein zutreffendes Gesamtbild der von einem Auszubildenden erworbenen Kompeten­zen entsteht, müssen die jeweiligen Prüfungsanforderungen Teil des Abstimmungsverfahrens werden. Das bedeutet auch, dass die Bundesländer bei ihren Kompetenznachweissystemen ein gewisses Maß an bundeseinheitlicher Gleichwertigkeit einhalten. Eine komplette Gleich­heit ist aber nicht gefordert. In einem föderalen System sind unterschiedliche Lösungen für eine Problemstellung möglich. Wie das auf der schulischen Seite genau aussehen soll, muss mit den Ländern verabredet und in einem Staatsvertrag geregelt werden.

 

Zur Ausgestaltung der Abschlussprüfung schlagt ihr zum einen vor, dass sich diese in zwei Prüfungsteile gliedert und dass die Auszubildenden zu den in der Ausbildungsord­nung vor­geschriebenen Handlungsfeldern Reporte schreiben und ggf. aus berufsspezifischen Grün­den noch weitere Prüfungsinstrumente nötig sein können. Könntet Ihr das bitte kurz erläu­tern und auch noch etwas zur Bildung der Gesamtnote sagen.

Gerd Labusch: In der Tat, die Reporte sind ein wichtiges Instrument. Die Älteren kennen noch das Berichts­heft, in dem wöchentlich ein Bericht über die durchgeführten Arbeiten angefertigt werden musste. Die Reporte sind eine Weiterentwicklung. In der Ausbildungsordnung sind die Hand­lungsfelder angegeben, in denen die Auszubildenden handeln müssen. Über diese Handlun­gen ist für jedes Handlungsfeld jeweils ein Report anzufertigen. Der Prüfungsausschuss wählt einen oder mehrere Reporte aus und führt darüber ein Fachgespräch mit dem Prüfling.

 

Für die Qualifikationen, die sich über einen Report nicht erfassen lassen, können zusätzliche Instrumente eingesetzt werden. So können Prüfungsprodukte/Prüfungsstücke gefordert wer­den, beispielsweise ein erstelltes Medium, einen Datensatz, eine schriftliche Ausarbeitung, eine Zeichnung. Diese Prüfungsstücke werden im Betrieb angefertigt, und zwar mit den Me­thoden und Hilfsmitteln, die heutzutage üblich sind, wie Computer, Internetrecherche, virtuel­le Konferenzen. Diese Produkte sind - wie der Report auch Grundlage und Ausgangspunkt für das Fachgespräch. Falls das Verhalten eines Prüflings bei den Handlungen - beispiels­weise sicherheitsgerechtes Verhalten - in das Fachgespräch einfließen soll, wird das Instru­ment der gutachterlichen Stellungnahme eingesetzt. Ein (stellvertretendes) Prüfungsaus­schussmitglied beobachtet das Verhalten des Prüflings hinsichtlich der Punkte, die der Prü­fungsausschuss dem Gutachter vorgegeben hat. Zum Prüfen der kommunikativen Qualifika­tionen kann eine Gesprächssimulation während der Prüfung durchgeführt werden.

 

Die Reporte müssen in einem angemessenen Zeitraum vor der Prüfung bei der Kammer ein­gereicht werden. Der Prüfungsausschuss kann Nachbesserungen verlangen, wenn die An­forderungen der Ausbildungsordnung hinsichtlich der durchgeführten Arbeiten oder des Re­ports nicht erfüllt werden. Außerdem können die Kammern die Reporte nutzen, um ihrer ge­setzlichen Aufgabe nach § 76 BBiG nachzukommen, d. h. Überwachung und Beratung der Ausbildungsbetriebe.

 

Hans Borch: Die Gesamtnote der Abschlussprüfung wird nach den Kriterien der Ausbildungsordnung ge­bildet, wie bisher auch. Eine Gesamtnote, die aus der Abschlussprüfung und den schuli­schen Kompetenznachweis gebildet wird, soll es nach unseren Vorstellungen nicht geben. Die Ergebnisse der Abschlussprüfung und die Ergebnisse der schulischen Kompetenznach­weise stehen auf dem Zeugnis nebeneinander und geben dadurch ein möglichst vollständi­ges Bild der Kompetenzen der Ausgebildeten.

 

Die Duale Kompetenzprüfung. Konzept zur Weiterentwicklung der Abschlussprüfung zu einem Kompetenznachweis für die Lernorte Schule und Betrieb.
Diskussionspapier des Prüferberaterkreises der IG Metall. Frankfurt 2019.

 

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Wer sind Hans Borch und Gerd Labusch?

Hans Borch ist gelernter Feinmechaniker und Ingenieur für Elektrotechnik. Er war 30 Jahre im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit der Entwick­lung von Aus- und Fortbildungsordnungen befasst.

 

Gerd Labusch hat den Beruf des Elektroinstallateurs im Handwerk gelernt und ist Berufsschullehrer. Er war über 35 Jahre Ausbilder für Theorie und Praxis für unterschiedli­che Berufe, u.a. für die Elektroberufe, für kaufmännische Berufe sowie für den Mediengestal­ter für Digital und Print beim Berufsförderungswerk Hamburg. Er ist Sachverständiger in un­terschiedlichen Neuordnungsverfahren bei der IG Metall und Verdi, ist Prüfer und Prüfungs­aufgabenersteller.

 

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