Prüfungskultur im Wandel Wenn Schule und Beruf sich annähern: Wie die Bertelsmann-Studie den IG Metall-Ansatz stärkt

Die Bertelsmann-Stiftung fordert eine neue Lern- und Prüfungskultur. Ihre Empfehlungen stützen zentrale Anliegen der IG Metall: Prüfungen sollen Lernprozesse abbilden, Handlungskompetenz fördern und kooperativ gestaltet werden.

Glaser prüft Glasgröße mit Maßband

17. November 2025 17. November 2025


Die Empfehlungen der Bertelsmann-Stiftung zur Veränderung der Lern- und Prüfungskultur greifen zentrale Prinzipien auf, die die IG Metall bereits mit ihrem Konzept der dualen Kompetenzprüfung formuliert hat. Beide Ansätze zielen darauf, Lernen und Prüfen nicht länger getrennt zu betrachten, sondern als zusammenhängenden Prozess, der berufliche, schulische und persönliche Entwicklung miteinander verbindet.

Im Mittelpunkt steht das Verständnis von Kompetenz als Fähigkeit zum selbstständigen, verantwortlichen und kooperativen Handeln. Die Bertelsmann-Stiftung fordert, dass Prüfungen künftig nicht mehr der Kontrolle von Wissen dienen, sondern der Begleitung und Dokumentation individueller Lernverläufe. Genau hier setzt das IG Metall-Modell an: Prüfungen sollen authentische berufliche Handlungssituationen abbilden und die Entwicklung von Problemlösungs-, Urteils- und Gestaltungskompetenz in realen Arbeitszusammenhängen sichtbar machen.

Die Studie betont die Notwendigkeit, Lernprozesse stärker an reale Herausforderungen anzubinden und individuelle wie kollektive Lernleistungen zu würdigen. Damit greift sie indirekt den Grundgedanken der handlungsorientierten Berufsbildung auf, wie ihn die IG Metall in ihren Leitlinien zur beruflichen Handlungskompetenz verankert hat. Während Bertelsmann diese Forderung auf schulische Lernsettings bezieht, bestätigt sie zugleich die generelle Richtung: Eine moderne Prüfungskultur muss Lernprozesse als Teil ganzheitlicher Kompetenzentwicklung verstehen.

Besonders anschlussfähig ist der Ruf nach einer kriterialen und individuellen Bezugsnorm. Die Stiftung fordert, dass Prüfungen weniger dem Vergleich zwischen Lernenden, sondern vielmehr der Reflexion des eigenen Lernfortschritts dienen. Das deckt sich mit der IG Metall-Position, nach der Prüfungen die Entwicklung beruflicher Urteilsfähigkeit fördern und ein dialogisches Verständnis von Leistung etablieren sollen. Auch die Betonung von Feedback, Reflexion und kontinuierlicher Lernbegleitung korrespondiert mit der Idee der dualen Kompetenzprüfung, in der formative Elemente und Rückkopplungsschleifen eine zentrale Rolle spielen.

Ein weiterer Berührungspunkt ist die Forderung nach multiprofessioneller Zusammenarbeit. Die Bertelsmann-Stiftung spricht von Schulen als Orten der Kooperation zwischen pädagogischen und psychologischen Fachkräften. Übertragen auf die duale Ausbildung entspricht dies dem Prinzip der Parität: Prüfungen sind gemeinsames Handeln von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter:innen, Lehrkräften und betrieblichen Expert:innen. Damit rückt die Verantwortungsgemeinschaft aller Beteiligten in den Fokus – ein Kernelement der dualen Prüfungskultur.

Auch im Bereich der Digitalisierung zeigen sich Überschneidungen. Die Stiftung plädiert für den Einsatz digitaler und KI-gestützter Formate, um Lernstände zu erfassen und individuelle Förderung zu ermöglichen. Für die IG Metall kann dies eine Chance sein, digitale Werkzeuge so zu gestalten, dass sie echte Lernunterstützung bieten, ohne die soziale und kollektive Dimension des Lernens zu verdrängen.

Im Ergebnis unterstützt die Bertelsmann-Studie die Grundrichtung der IG Metall: Sie erkennt an, dass Prüfungen nicht von Lernen getrennt werden dürfen, dass Kompetenz mehr ist als Wissen und dass Rückmeldung, Kooperation und Verantwortung zentrale Elemente einer zukunftsfähigen Bildung sind. Während die Stiftung diesen Wandel als pädagogische Reform innerhalb der Schule versteht, fordert die IG Metall, ihn in die gesamte Bildungsarchitektur zu übertragen – vom Betrieb über die Berufsschule bis zur Weiterbildung.

Damit kann die Bertelsmann-Studie als Bestätigung gelten: Der Weg zu einer neuen Lern- und Prüfungskultur führt über die Integration von Lernen, Handeln und Bewerten. Die duale Kompetenzprüfung liefert dafür das bereits erprobte Modell aus der Arbeitswelt. Die Herausforderung besteht nun darin, diese Erfahrungen stärker in die allgemeine Bildung zu übertragen – und zugleich die betriebliche Praxis weiterzuentwickeln, um den Anspruch einer kompetenzorientierten, gerechten und partizipativen Prüfungskultur für alle zu verwirklichen.