Fristlose Kündigung in der Ausbildung: Ein Fall zur groben Fahrlässigkeit und zur pädagogischen Verantwortung
Die fristlose Kündigung eines Auszubildenden durch ein Stahlunternehmen wegen eines gesundheitsgefährdenden „Scherzes“ mit einem Lösungsmittel hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf beschäftigt. Der Fall wirft zentrale Fragen zur Reichweite des Kündigungsschutzes im Ausbildungsverhältnis auf und eignet sich besonders zur Schulung von Ausbilder:innen und Betriebsrät:innen.
Der Auszubildende hatte wenige Wochen nach einer Sicherheitsunterweisung ein starkes Reinigungsmittel in die Trinkflasche eines Kollegen gefüllt. Ein dritter Kollege nahm einen Schluck, spuckte die Flüssigkeit jedoch sofort aus. Der Vorfall blieb ohne gesundheitliche Folgen. Dennoch kündigte das Unternehmen dem Auszubildenden fristlos. Das Arbeitsgericht Duisburg bestätigte die Kündigung. In der Berufung vor dem LAG Düsseldorf wurde der Fall erneut verhandelt.
Die rechtliche Bewertung stützt sich auf § 22 Berufsbildungsgesetz und § 626 Bürgerliches Gesetzbuch. Beide Normen setzen für eine fristlose Kündigung einen wichtigen Grund voraus. Im Ausbildungsverhältnis ist dieser Maßstab besonders streng, da junge Menschen sich noch in der charakterlichen Entwicklung befinden. Der sogenannte Erziehungsgedanke spielt eine zentrale Rolle. Das Gericht betonte, dass Auszubildende keine Arbeitnehmer:innen im klassischen Sinne sind. Ihnen soll auch bei Fehlverhalten die Chance zur Weiterentwicklung gegeben werden.
Gleichzeitig stellte das Gericht klar, dass die Handlung des Auszubildenden eine grob fahrlässige Pflichtverletzung darstellt. Die bewusste Kontaminierung einer Trinkflasche mit einem gefährlichen Stoff ist kein harmloser Scherz, sondern ein ernstzunehmender Verstoß gegen betriebliche Sicherheitsregeln. Die Tatsache, dass der Auszubildende nicht mit Schädigungsabsicht handelte, wurde berücksichtigt, änderte aber nichts an der Gefährdungslage.
Die Kammer des LAG Düsseldorf zeigte sich in der mündlichen Verhandlung uneindeutig. Der Auszubildende war trotz Ladung nicht erschienen. Letztlich einigten sich die Parteien auf einen widerruflichen Vergleich. Das Ausbildungsverhältnis wurde beendet, der Auszubildende erhielt eine Abfindung. Für die Praxis bleibt festzuhalten: Auch in der Ausbildung können grobe Pflichtverletzungen eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Dennoch muss stets geprüft werden, ob pädagogische Mittel nicht vorrangig zur Anwendung kommen sollten.
Der Fall zeigt exemplarisch, wie wichtig eine sorgfältige Interessenabwägung ist. Ausbilder:innen und Betriebsrät:innen sollten bei vergleichbaren Vorfällen nicht vorschnell handeln, sondern die Besonderheiten des Ausbildungsverhältnisses berücksichtigen. Die rechtliche Bewertung muss immer auch die pädagogische Verantwortung einbeziehen.
Quelle: Legal Tribune Online, Tanja Podolski, 19.11.2025, https://www.lto.de/persistent/a_id/58659 (abgerufen am: 19.11.2025)
§ 22 BBiG: Kündigung nur aus wichtigem Grund nach der Probezeit
§ 626 BGB: Fristlose Kündigung bei schwerwiegender Pflichtverletzung
Erziehungsgedanke: Vorrang pädagogischer Maßnahmen vor Sanktionen
Gespräch mit dem Azubi führen
Betriebsrat anhören
Schwere der Pflichtverletzung prüfen
Pädagogische Alternativen erwägen
Regelmäßige Unterweisungen zu Gefahrstoffen
Fallbeispiele zur Sensibilisierung nutzen
Verantwortungsbewusstsein fördern
Verhaltensregeln im Betrieb klar kommunizieren