Die Ausgabe 94 des fluter unter der Lupe Schule ist (k)eine Privatsache

Die Ausgabe 94 des fluter, dem Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung, nimmt das Thema Schule kritisch und engagiert unter die Lupe. Doch wie schneidet die Ausgabe aus Sicht von aktiven Gewerkschafter:innen und Betriebsräten ab?

13. Mai 2025 13. Mai 2025


Schule ist kein Schonraum

Eine gewerkschaftliche Lektüre des fluter Nr. 94

In einer Welt, die sich in Krisen erschöpft, ist Bildung der Hoffnungsträger. Der fluter widmet seine 94. Ausgabe dem Thema Schule – mit vielen Perspektiven, großer Nähe zu Schüler:innen und einer klaren Haltung gegen Bildungsungleichheit. Doch wer genauer hinsieht, merkt: Zwischen Geschichten über Engagement, Erschöpfung und Empowerment fehlt oft der Blick aufs System. Oder besser: auf die strukturellen Kämpfe, die um Bildung geführt werden. Besonders aus Sicht der Gewerkschaften.

Gute Schule braucht mehr als gute Menschen

Die Ausgabe beginnt mit dem Besuch an einer Gesamtschule in Minden (S. 5–7). Lehrkräfte kämpfen um Beteiligung, Empathie und Struktur. Kinder mit Förderbedarf bekommen Raum – so gut es eben geht. Aber was wie ein Leuchtturm wirkt, ist in Wahrheit ein Flickenteppich. Die Inklusion, die hier gezeigt wird, hängt am Engagement Einzelner – nicht an personeller Ausstattung oder verbindlichen Standards.

Das alles steht im Kontrast zu den bildungspolitischen Forderungen der Gewerkschaften. Die IG Metall fordert – wie viele andere – stabile Fachkraft-Schlüssel, verlässliche Strukturen und gesetzlich gesicherte Bildungsqualität. Im fluter dagegen wirkt gute Bildung oft wie ein Kraftakt, nicht wie ein Recht.

Privilegierte Innovation

Gleichzeitig erzählt die Ausgabe von Orten, an denen Schule scheinbar funktioniert – wie im Beispiel der Freiburger Montessori-Schule „Angell“ (S. 16–17). Dort lernen Schüler:innen eigenverantwortlich, ausgestattet mit Tablets, Lounge-Bereichen und individueller Förderung. Klingt nach Vorbild. Ist aber vor allem: exklusiv. Bis zu 430 Euro kostet der Platz pro Monat. Der Zugang ist offen, formal. Real ist er sozial selektiv.

Dass diese Schulen staatlich gefördert werden, aber die soziale Spaltung vertiefen, wird zwar angedeutet – bleibt aber folgenlos. Die Bildungsgewerkschaften fordern eine konsequente Ausstattung öffentlicher Schulen statt einer Subventionierung von Elitenbildung. Hier hätte der fluter deutlicher sein dürfen.

Schule ist Arbeit – auch für die Beschäftigten

Lehrerin sein – das ist in dieser Ausgabe vor allem: viel leisten. Ob als politische Influencerin mit Haltung (S. 15) oder als Klassenlehrkraft, die zwischen ADHS-Diagnosen, Pubertätskrisen und KI-generierten Hausaufgaben navigiert. Die Belastung wird spürbar, auch durch die Perspektive von Mental Health Coaches (S. 23). Was fehlt: ein Blick auf strukturelle Entlastung.

Lehrer:innen werden zu Held:innen stilisiert, statt als Beschäftigte mit Rechten, Interessenvertretungen und Tarifanspruch sichtbar gemacht zu werden. Kein Wort über Personalräte. Kein Blick auf gesundheitsförderliche Arbeitsplätze. Keine Debatte über Arbeitszeitmodelle. Für eine Publikation, die aus der politischen Bildung kommt, ist das eine Leerstelle – und für Gewerkschafter:innen ein Alarmzeichen.

Der blinde Fleck: Berufliche Bildung

„Schule ist Zukunft“, schreibt die Redaktion zu Beginn. Aber welche Zukunft? Die berufliche Bildung taucht in der gesamten Ausgabe kaum auf. Ein einziges Interview mit dem Bildungssoziologen Aladin El-Mafaalani (S. 10–13) streift das Thema: Die duale Ausbildung sei historisch eine Antwort auf sozialen Aufstieg der Arbeiterschicht gewesen – heute schrumpfe sie. Stimmt. Und wäre ein Thema gewesen.

Gerade aus Sicht der IG Metall ist klar: Es braucht dringend eine Debatte darüber, warum berufliche Bildung in Deutschland oft zweite Wahl ist. Warum der Übergang von der Schule in den Beruf für viele Jugendliche scheitert. Und warum es keine*r wissen will.

Trotzdem wichtig

Das soll nicht heißen, dass der fluter keine starken Geschichten erzählt. Die Porträts von Jugendlichen im Ausnahmezustand – sei es auf der Flucht, im Krieg (S. 18–21), als Seiteneinsteiger:innen (S. 24–26) oder Schulabbrecher:innen auf dem zweiten Bildungsweg (S. 34–36) – sind berührend, nah, klug. Und sie machen klar: Schule ist nicht neutral. Schule ist sozialer Brennpunkt, Konfliktort, Brennspiegel.

In diesen Momenten ist das Heft auf der Höhe der Zeit. Was fehlt, ist der systemische Blick.

Was wir daraus machen können

Wer sich in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit engagiert – ob als Betriebsrat, JAV oder Vertrauensperson – kann die fluter-Ausgabe trotzdem gut nutzen. Als Gesprächsanlass. Als Einstieg. Als Ausgangspunkt für wichtige Fragen:

  • Wie steht es um die Inklusion an Schulen in unserer Region?
  • Was bedeutet ein gerechter Übergang von Schule in Ausbildung?
  • Welche Rolle spielen Privatschulen vor Ort – und wie beeinflussen sie die öffentliche Debatte?
  • Wie sehen die Arbeitsbedingungen im Ganztag aus?
  • Wie begegnen wir rechter Einflussnahme auf Schulen?

Der fluter stellt keine Diagnosen. Aber er liefert Symptome. Den politischen Zusammenhang – den müssen wir hinzufügen.

Das wichtigste in Kürze
Nutze den Gesprächsanlass

Kurzzusammenfassung

Die fluter-Ausgabe Nr. 94 beleuchtet viele Probleme im Schulsystem, bleibt aber bei Ursachenanalyse und struktureller Kritik oberflächlich. Aus gewerkschaftlicher Sicht fehlt der Blick auf Bildungsungleichheit, berufliche Bildung und die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten. Chancen: Nutzung als Gesprächsanlass und Einstieg in regionale Bildungsdebatten.
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Zur Ausgabe 94 des fluter
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