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Optimierte Prüfungstexte

Von guten Prüfungen profitieren alle

07.04.2016 Ι "Gute Aufgaben selber machen? Das kann man lernen", sagt Dr. Susanne Wagner von der IFTO GmbH. "Davon profitieren vor allem vermeintlich Schwächere."

Welchen Einfluss hat Prüfungssprache auf eine gute Prüfung?

Wenn ein Prüfling nicht genug Deutsch kann, um die grammatikalisch komplexen und inhaltlich stark verdichtete Prüfungsformulierungen zu verstehen, dann wird die Prüfungssprache schnell zur Barriere. Der Prüfling versteht die Aufgabe nicht oder falsch und antwortet verkehrt, obwohl er die richtige Antwort weiß. Das Prüfungsergebnis spiegelt dann nicht die wirkliche fachliche Kompetenz, sondern wird aus sprachlichen Gründen nach unten verzerrt. Das ist faktisch eine Benachteiligung von Prüflingen mit geringer Deutsch-Kompetenz. Dieser sprachliche Nachteil ist nicht unbekannt: so haben Jugendliche mit behinderungsbedingt eingeschränkter Deutsch-Kompetenz einen Anspruch auf Nachteilsausgleich, der oft über Textoptimierte Prüfungen realisiert wird. Aktuell sehe ich die Jugendlichen und Erwachsenen mit Migrations-/Flucht-Hintergrund, die mit der normalen Prüfungssprache in der Regel überfordert sein werden. Sie haben die selben Probleme, wie z.B. hörbehinderte Prüflinge: zu wenig Deutsch gehört, daher ein begrenzter Vokabelschatz, kaum Kenntnis von Prüfungs-Redewendungen, wie z.B. "zur Anwendung kommen" und Schwierigkeiten mit komplexer Grammatik. Auch ihnen würden Textoptimierte Prüfungen helfen, also normal komplizierte Prüfungsinhalte, aber in Einfacher Sprache.

 

Lässt sich der Textoptimierungs-Effekt messen?

Ja, wir haben das in einer Studie wissenschaftlich untersucht. Dabei zeigte sich, dass Azubis mit geringerer Sprachkompetenz rund 20% mehr Zeit zum Lesen und Verstehen der Aufgabentexte brauchten als Azubis mit hoher Sprachkompetenz. Mit Textoptimierten Aufgaben lasen alle schneller und der Unterschied zwischen den Gruppen war viel kleiner. Mehr noch: Mit TOP-Aufgaben antworteten die Azubis mit geringer Sprachkompetenz auch signifikant öfter richtig. Bei Prüflingen mit höhrer Sprachkompetenz wirkte sich die Prüfungssprache nicht direkt auf das Prüfungsergebnis aus. Zusammengefasst: vermeintliche "Leistungsschwächen" in Prüfungen können sprachliche Ursachen haben.

 

Kann es sein, dass Ihre Textoptimierte Aufgaben fachlich schlicht leichter sind?

Nein. Bei der Textoptimierung von Prüfungen werden nur standardsprachliche Barrieren entfernt. Der fachliche Inhalt der Aufgaben und auch die Fachsprache bleiben 100%ig erhalten. 

 

Hilft eine Zeitverlängerung bei der Prüfung nicht genauso (Nachteilsausgleich)?

Kaum. Unbekannte Wörter bleiben unbekannt. Und die Prüflinge haben zwar mehr Zeit, über komplexe Formulierungen nachzudenken, das Verstehen der Aufgabeninhalte bleibt aber unsicher und spekulativ.

 

Wie würden Sie die sprachlichen Anforderungen von Berufs-Abschlussprüfungen beschreiben?

Traditionelles Prüfungsdeutsch ist eine der anspruchsvollsten Stil-Ebenen des Deutschen. Knappe Formel:

"Prüfungsdeutsch = Amtsdeutsch * Fachsprachdeutsch"

Das Sprachniveau von Prüfungen für 2-jährige Metall-Berufe ist natürlich ein anderes als das für 3,5-jährige Kaufleute, aber Sprachbarrieren finden wir hier wie da.

 

Wie sind gute Prüfungen formuliert?

Sie sind so formuliert, dass man schnell und leicht versteht, was die Aufgabe ist. Das klingt jetzt trivial, ist aber ziemlich schwer. Die Aufgaben sollen ja auch eindeutig , justiziabel und am besten auch noch handlungsorientiert sein.  Dies alles in Einfacher Sprache zu realisieren - also mit überschaubarer Grammatik und gängigen Wörtern  - das erfordert einiges an sprach(wissenschaft)lichem Wissen und auch Erfahrung.

 

Was können Prüfungsaufgabenersteller tun, um besser zu werden?

Das wichtigste ist, das Thema ernst zu nehmen. Für viele Menschen - auch für Aufgabenersteller/innen - ist Sprache etwas sehr Selbstverständliches, man verwendet sie mühelos. Die Aufgaben-Erstellenden müssen lernen, sich sprachlich sehr gut zu kontrollieren. Man muss lernen, mit fremden Augen auf den eigenen Text zu sehen. Das Handwerkszeug dafür kann man lernen. Wir bieten Schulungen an, in denen man ganz spezifisch für Prüfungsaufgaben lernt, die sprachlichen Barrieren zu identifizieren und Aufgaben klar und einfach zu formulieren. Unsere Dozentin Susanne Scharff reist dafür bundesweit zu Schulen, Kammern und Aufgabenerstellungs-Institutionen. Im letzten Jahr haben wir eine 2-Tage-Schulung mit den Aufgaben-Erstellenden des ZFA (Prüfungen für Druck-/Medienberufe) durchgeführt, in diesem Jahr geht es zur Aka (kaufmännische Berufe), und auch mit der PAL (industrielle und gewerbliche Berufe) sind wir im Gespräch.

 

Was kann die IG Metall tun?

Ich sehe die Aktivitäten der IG Metall sehr positiv. Sie nehmen Einfluss auf die Aufgabenerstellungsorganisationen, und ihre Schulungsangebote für Prüfende und Aufgabenersteller/innen gefallen mir sehr. Ich würde mich freuen, wenn wir zu dem Thema Prüfungssprache im Gespräch blieben. Und vielleicht können wir ja zukünftig auch gemeinsame Schulungsangebote machen.

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Links und Zusatzinformationen
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Dr. Susanne Wagner

Geschäftsführerin IFTO GmbH

Die Sprache von Prüfungsaufgaben ist oft schwer zu verstehen. Das gehört inDeutschland ein bisschen zur Tradition. Das Problem dabei:
Prüflinge mit geringer Sprachkompetenz, z.B. Hörbehinderte oder Personen mit Migrationshintergrund,haben es schwer(er)!

 

Nicht alle Auszubildenden können ihre gute Ausbildung auch erfolgreich abschließen. Für viele Auszubildende mit eingeschränkter Deutschkompetenz - z.B. Auszubildende mit Hörbehinderung oder Migrationshintergrund - sind die schriftlichen Abschlussprüfungen am Ende der Ausbildung eine hohe Barriere.

 

Das Problem sind die oftmals sehr komplexen Formulierungen der Prüfungsaufgaben und weniger der fachliche Anspruch.

 

Wer eine Aufgabe aufgrund der komplexen Formulierung nicht versteht, kann fachlich nicht korrekt antworten. So führen sprachliche Barrieren innerhalb einer Prüfung trotz guter Fachkenntnisse zu schlechten Fach-noten oder gar zu "nicht bestanden".

 

Potenzial von fachlich guten Auszubildenden wird verschenkt.

Wer gut Deutsch kann, macht die bessere Abschlussprüfung. Das widerspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz!

 

Prüfungen mit textoptimierten Prüfungsaufgaben sind ein bewährter Nachteilsausgleich. Hierbei werden die normalen Prüfungsinhalte in einfache Sprache "übersetzt".

Alle Azubis mit behinderungsbedingt verminderter Sprachkompetenz haben ein gesetzlich verbrieftes Recht auf Nachteilsausgleich, z.B. durch optimierte Prüfungstexte. Ob dies auch für Einschränkungen aufgrund sozialer Benachteiligung gilt, ist für die Prüfungspraxis noch zu klären!

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