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DENK-doch-MAL Ausgabe 3_17

Die Berufsschule muss raus aus der Abseitsfalle

29.06.2017 Ι Das war eine gute Woche im Mai für die berufsbildenden Schulen. Die Elisabeth-Selbert-Berufsschule in Hameln ist Deutschlands beste Schule 2017. In Stuttgart, auf dem Bildungskongress "Berufliche Bildung - Analysen, Trends und Perspektiven" der Kultusministerkonferenz, legten die KMK, BDA und DGB ihre gemeinsame Erklärung für starke Berufsschulen in der digitalen Welt vor. Und das soll so weitergehen: Für das Ende der Präsidentschaft 2017 strebt die KMK einen Beschluss "Bilanz und Perspektiven zur beruflichen Orientierung an Schulen" an. Auf einmal reden alle über die Aschenputtel-Schule. Und warum ist die Berufsschule in Hameln was Besonderes? In der Elisabeth-Selbert-Schule muss keiner Angst haben, niemand wird aufgegeben, es gibt beste Beratung auch außerhalb des Unterrichts. Und: Keiner wird zurückgelassen. Die Schuljury lobte insbesondere die exzellente Betreuung von minderjährigen Müttern, Flüchtlingen und straffällig gewordenen Jugendlichen. Die Leiterin der Berufsschule, Gisela Grimme, jubelt: "Wir haben das tollste Kollegium und die tollsten Schüler. Vielen Dank an alle, die uns immer unterstützt haben." Besonders freue es sie, dass es auch einmal eine Berufsschule ins Rampenlicht geschafft habe. DENK-doch-MAL.de gratuliert und holt in ihrer neuen Ausgabe die beruflichen Schulen aus der Abseitsfalle. Also: Spot an!

DENK-doch-MAL.de startet mit Professor Georg Spöttl, ein langjähriger, kritischer wissenschaftlicher Begleiter der Berufsschulen. Er legt den Fokus auf die Herausforderungen, mit der sich die Schule konfrontiert sieht. Er entwickelt fünf Reformziele, die jetzt anstehen. Spöttl macht deutlich, dass es mit kleinen Kurskorrekturen nicht getan ist. "Waren es in den vergangenen 25 Jahren vor allem punktuelle Veränderungen, die die berufsbildenden Schulen immer mehr in eine komplexere und unübersichtlicher werdende Struktur führten, so geht es jetzt darum, klare und überzeugende Profile zu schaffen, die zum einen ein qualitativ hohes Niveau in den berufsbildenden Schulen schaffen und zum anderen transparent gestaltete Bildungswege sicherstellen", so seine Überlegung. Und dann ist da noch was: "Berufliche Schulen dürfen nicht mehr als Notlösung für Schüler gesehen werden, die in allgemeinbildenden Schulen gescheitert sind. Vor allem: Die Berufsschule darf nicht mehr nur als Anhängsel des dualen Systems gesehen werden."

 

German Denneborg, Chef der berufsbildenden Schulen im bayerischen Staatsministerium für Bildung, gibt es wenig Gründe zu klagen: "Ich sehe es nicht als Nachteil an, dass wir nicht sta?ndig in der Zeitung stehen." Im Interview mit DENK-doch-MAL Redakteur Gerhard Endres gibt er zu Protokoll: "Die Fachoberschulen und die Berufsoberschulen verleihen mittlerweile nahezu die Ha?lfte aller Hochschulberechtigungen in Bayern. Sie sind fu?r die Eltern und Schu?ler ein stabiler Faktor in der Bildungsplanung. Fu?r viele Schu?ler und Eltern ist es ein erfolgreicher, planbarer Weg u?ber die Realschule oder andere mittlere Schulangebote zur Hochschule fu?r angewandte Wissenschaften oder zur Universita?t zu gelangen. U?ber die beruflichen Oberschulen verleihen wir mittlerweile sowohl das fachgebundene Abitur, wie auch die allgemeine Hochschulreife."

 

Die Position der Berufsschulgewerkschaft GEW erläutert die dortige Führungs-Crew: Ansgar Klinger, Leiter des Vorstandsbereichs Berufliche Bildung und Weiterbildung, Ralf Becker, Vorsitzender des Bundesfachgruppenausschusses Gewerbliche Schulen und Christina Kunze, Mitglied des Vorstandsteams des Bundesfachgruppenausschusses Kaufmännische Schulen. Sie haben gemeinsam ihren Beitrag verfasst. Ihre Vision: "Die berufsbildenden Schulen wandeln sich zu auskömmlich ausgestatteten Häusern der Bildung im Medium des Berufs." Sie können sich gut vorstellen, dass die berufsbildenden Schulen vom Abstellgleis runterkommen und als Reformlokomotive richtig Fahrt aufnehmen.

 

In seiner Rezension stellt DENK-doch-MAL.de Redakteur Dr. Klaus Heimann ein neues Buch zum Thema vor: Katharina Blaß und Armin Himmelrath, Berufsschulen auf dem Abstellgleis, Wie wir unser Ausbildungssystem retten können. Die zwei Journalisten trauen sich was: Sie sezieren die Berufsschulen. Sie schauen genau hin, was mit der, ihrer Meinung nach, "ausgebremsten Schule" passiert ist. Und sie stellen viele Fragen: Warum ist sie in der schulpolitischen Debatte ohne Stimme? Warum steht sie auf dem Abstellgleis? Und das alles mit dem Interesse: Wie können wir unser berufliches Ausbildungssystem retten? Es geht also nicht nur um die Berufsschule. Geht es den Kollegs gut, ist das System gerettet - so die dahinterstehende Logik der Autoren.

 

Der Bremer Professor Felix Rauner pocht in seinem Beitrag darauf, die Strukturen der berufsbildenden Schulen in Deutschland grundsätzlich zu verändern. "Da sich der Bund das KMK-Lernfeldkonzept nicht zu Eigen gemacht hat, liegt hier eine gravierende Schwäche der Lernortkooperation." Die Ursache ist aber primär nicht dem Lernort Berufsschule zuzurechnen, "sondern der fragmentierten Steuerung der dualen Berufsbildung der deutschen Variante der dualen Berufsbildung." Die neue Idee für eine bessere Steuerung findet der Bremer Rauner in der Schweiz. Folgt Deutschland diesem Vorbild, dann gibt es keinen Grund, "warum aus dem Juniorpartner ein Partner in der dualen Berufsausbildung werden sollte." Verfechter einer föderalen Bildungsverantwortung sollten diesen Beitrag mit besonderer Aufmerksamkeit lesen.

 

"Die Digitalisierung hält Einzug im Bildungsbereich und die Änderungen werden vermutlich ebenso gravierend sein wie im Bereich der Wirtschaft", das schreibt Hans-J. Schmüser, Bereichsleiter Technik und Entwicklung, an der VIBOS in seinem Beitrag. Schon seit 2000 gehört die Virtuelle Berufsoberschule (VIBOS) zu den digitalen Bildungsangeboten in Bayern, seit 2012 ist sie als zum Fachabitur führender staatlicher Lehrgang an der Berufsoberschule Erlangen eingerichtet. Mit einem umfangreichen Angebot an interaktiven Lernmaterialien, einer digitalen Bibliothek für drei Ausbildungsrichtungen, qualifiziert die VIBOS ihre Teilnehmer für das Fachabitur, ohne dass sie eine reguläre Schule besuchen müssen. Der zweijährige Online-Lehrgang ist so angelegt, dass er neben der Berufstätigkeit abgerufen werden kann.

 

Starke Lehrer gegen braune Gedanken, daran arbeitet ein Modellprojekt in Sachsen. Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit machen um berufsbildende Schulen keinen Bogen. Pädagogen sind mit der Situation oftmals überfordert. 30 Lehrer wollen das jetzt ändern. Über die harte politische Bildungsarbeit von Frank Böhme und Tom Matthes an zwei berufsbildenden Schulen berichtet der Beitrag von DENK-doch-MAL.de Redakteur Dr. Klaus Heimann. Beide Lehrer sagen, ja, es muss den Meinungsaustausch in der Klasse geben, aber es gibt Grenzen. Menschenverachtende Äußerungen, die lassen beide im Unterricht nicht zu.

 

Autor Gerhard Endres hält das duale berufliche Ausbildungssystem mit der Berufsschule als wichtigen Partner nach wie vor für geeignet, um gerade verunsicherten, frustrierten und aktuell dem dualen Ausbildungssystem fernbleibenden jungen Menschen eine Perspektive zu geben. Ein entscheidender Faktor sind Menschen, die Jugendliche schätzen und bereit sind, wirklich Zeit in diese Arbeit zu investieren. Bei aller Verbesserung von Methoden und Konzepten brauchen wir Menschen, die dafür "brennen" Jugendliche zur, in und eventuell auch kurzzeitig nach der Ausbildung zu begleiten. Hier sein Praxisbericht aus der Arbeit einer Förderberufsschule.

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