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Gespräch mit Axel Bolder zur neuesten Veröffentlichung des Wissenschaftlichen Beraterkreises

Auf dem Prüfstand: die bildungspolitischen Positionen der AfD

12.07.2017 Ι Der Wissenschaftliche Beraterkreis der Bildungsbereiche von ver.di und IG Metall hat sich in einer aktuellen Veröffentlichung mit den bildungspolitischen Forderungen im Grundsatzprogramm der AfD auseinandergesetzt. Axel Bolder, Mitglied des Beraterkreises und maßgeblich an der Veröffentlichung beteiligt, stellt sich in dem nachfolgenden Interview den Fragen von WAP. In einem neuen Format, den "Argumenten", stellt er die Ergebnisse seiner Recherchen vor.

WAP: Es gibt mittlerweile so viele Veröffentlichungen zur AfD. Warum hat sich der Wissenschaftliche Beraterkreis mit der Bildungspolitik der AfD beschäftigt?

 

Axel Bolder: Weil die Bildungspolitik die Leute, jedenfalls alle, die Kinder haben oder sich Gedanken machen über die Zukunft der Kinder und der in der Ausbildung stehenden jungen Leute in ihrer Umgebung, mehr oder weniger unmittelbar interessiert. Damit werden Wahlen gewonnen und verloren. Die Programmmacher der AfD wissen das. Es wäre nichts fataler, als dieser neuen Rechten einfach Dummheit zu unterstellen. Ihre grundsätzliche Strategie ist, Themen aufzunehmen, die in der Luft hängen - um sie dann zu skandalisieren, also lautstark, siehe Pegida, als Totalversagen der etablierten Politik zu brandmarken. Dem war sachlich-nüchternes Durchdenken der angesprochenen Themen gegenüberzustellen - was an ihnen wirklich dran ist und was eben nicht. Und zwar ganz nah an den Aussagen und Forderungen der AfD selbst.

 

Eine Aussage des Papieres ist sinngemäß, dass man in der Auseinandersetzung mit der AfD genau hinschauen müsse, ob sich hinter den Themen der AfD nicht auch reale Probleme unserer Gesellschaft verbergen, aus denen dann allerdings oft rechtskonservative und auch völkische Forderungen resultieren.

 

Kannst du bitte sagen, mit welchen Zielen der Wissenschaftliche Beraterkreis die Auseinandersetzung mit dem Programm gesucht hat?

 

Tatsächlich nimmt die AfD in ihrem bildungspolitischen Programm Fragen auf, die in der Gesellschaft durchaus kontrovers diskutiert werden. Und zwar kontroverser oft, als Politikprofis, Meinungsforscher und Meinungsmacher das wahrhaben wollen. Das führt dann dazu, dass mancher schnell mal sein Kreuzchen auf dem Wahlzettel bei einer Partei macht, die Meinungen anspricht, die sonst nirgendwo vertreten zu werden scheinen. Nehmen wir beispielsweise die Themen Inklusion, G8 oder Mobbing in der Schule. In Nordrhein-Westfalen hat Rot-Grün die Wahlen damit verloren, dass darüber nach Auffassung der Landesregierung nicht mehr diskutiert werden durfte. Die AfD dagegen nimmt dazu in ihrem Programm Stellung- und wird dadurch zur festen Größe in den deutschen Parlamenten. Weil sich eben so mancher, auch so manche Kollegin und so mancher Kollege, endlich verstanden fühlt. Unser Anliegen war es, darauf aufmerksam zu machen, was hinter diesen populären Forderungen steht, die die AfD zu vertreten vorgibt. Darauf, was sie wirklich anstrebt.

 

Welchen Stellenwert hat die Bildungspolitik im Grundsatzprogramm der AfD?

 

Gut, dass du das ansprichst! Rein quantitativ bringt es die Bildungspolitik auf ein gutes Dutzend Seiten. Damit rangiert sie deutlich vor allen anderen Abschnitten, selbst vor dem Sammmelsurium-Kapitel über Steuern, Finanzen, Wirtschaft und Arbeit. Man wird also festhalten müssen, dass es für die AfD ein wichtiges Thema ist - kein Wunder im Übrigen, wenn man die Kernforderung der AfD als Interpretationsfolie heranzieht. Im Grunde geht es ihr, ich will das so deutlich sagen, um einen rückwärtsgewandten Ständestaat, in dem die Bestände, die Besitzverteilung, nicht angetastet werden sollen. Dazu braucht es dann natürlich ein streng gegliedertes Bildungssystem. Damit am Ende jeder weiß, wo er hingehört. Wie das mit dem Wirtschaftsliberalismus, der einmal Anlass für die Gründung dieser Partei war, zusammenpassen soll, weiß der Teufel.

 

Kannst du einige Ergebnisse eurer Recherchen zusammenfassen? Was fordert die AfD in der Bildungspolitik?

 

Da wäre einmal das schon erwähnte Beharren auf einem streng gegliederten Bildungssystem zu nennen. Damit stellt sich die AfD ganz klar und ganz bewusst gegen die Bildungsreformen seit den 1960er Jahren, die ja bei allen Unterschieden, die es im Kleingedruckten immer gegeben hat, insofern allgemeiner Konsens waren, als man so genannte Begabungsreserven mobilisieren wollte. Ja, es war einmal gesellschaftlicher Konsens, dass unsinnige Bildungsbarrieren - für die Wirtschaft oder für die Chancen der Einzelnen - abgebaut werden müssten, dass die Quoten besser, schließlich auch akademisch Ausgebildeter erhöht werden sollten. Die AfD predigt stattdessen, wie sie es nennt, "Mut zur Differenzierung", zur Abschottung der Bildungswege gegeneinander - und nennt das dann kurioserweise Leistungsgerechtigkeit. Das duale System ist auch für sie beibehaltenswert - aber bitte schön: "Schuster bleib' bei deinem Leisten"; kein Wort zu horizontaler oder vertikaler Durchlässigkeit zwischen allgemein bildenden und beruflich bildenden Institutionen. Und dann kommen wieder die sattsam bekannten Lieblingsthemen, die skandalisierten Nebenschauplätze der Bildungspolitik: keine Asylanten, keine ideologische Indoktrination, sprich: Politikunterricht, kein Gender Mainstreaming, kein bekenntnisgebundener Islamunterricht- was immer das sein mag - an deutschen Schulen, keine Sonderrechte für Muslime usw.

 

Ihr arbeitet in der Veröffentlichung heraus, dass gerade die ArbeitnehmerInnen und ihre Familien am wenigsten von den bildungspolitischen Forderungen profitieren. Heißt dies im Umkehrschluss, dass die Gewerkschaften ihre bildungspolitischen Forderungen offensiver in ihre Mitgliedschaft tragen sollten?

 

Auf jeden Fall! Insbesondere sollten sie sich nicht auf die berufliche Bildung beschränken. Das Beispiel der AfD-Bildungspolitik lehrt uns ja, dass Bildungspolitik nicht mehr und nicht weniger ist als Gesellschaftspolitik. Über den Hebel der Bildungspolitik wird vorbereitet, wie Gesellschaftsstruktur und Denken über Gerechtigkeit in Bildung und Arbeit der jeweils kommenden Generation aussehen werden. Das kann man einfach nicht oft genug betonen. Insofern ist es mir, wenn ich diesen persönlichen Eindruck einmal einflechten darf, nie nachvollziehbar gewesen, warum gewerkschaftlicher Bildungspolitik lange Zeit lediglich eine Nebenrolle zugestanden wurde.

 

Am Beispiel der Inklusion zeigt ihr, dass eine an sich gute Forderung durch eine mangelhafte Politik zu einem Einfallstor für rechte Propaganda wurde. Was heißt das für die Bildungspolitik der Gewerkschaften?

 

Ich würde eine Forderung, deren politische Umsetzung unter den gegebenen finanzpolitischen Bedingungen (die Schuldenbremse, Steuersenkungsversprechen) von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist, nicht eine gute Forderung nennen. Zum einen ist nämlich zwischen den verschiedenen Zielgruppen der Sonderpädagogik zu unterscheiden. Was für so genannte verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler gelten mag, muss für die so genannten geistig Behinderten noch lange nicht gelten. Das heißt, der Förderbedarf ist derart differenziert, dass für ein Inklusionsprogramm, das diesen Namen verdient, sehr viel Geld in die Hand genommen werden muss - viel, viel mehr jedenfalls, als man z.B. für das erforderliche pädagogische Personal bereitstellen will oder kann. Gewerkschaftliche Bildungspolitik muss, lässt sich daraus folgern, erstens immer auch aufklären über die Konsequenzen, die mit Forderungen und vor allem auch: mit ihrem Scheitern verbunden sind. Mit den motivierenden Mobilisierungen oder demotivierenden Enttäuschungen, die sie bewirken. Denn gerade Enttäuschungen werden von den Rechten traditionell gerne aufgenommen und gegen das eigentliche Ziel, hier: der Inklusion, gewendet. Die AfD will keine Inklusion, auch wenn sie das so nicht sagt. Die AfD will - und das ist ihr heimliches bildungspolitisches Ziel -, dass der sprichwörtliche Schuster bei seinem Leisten bleibt. Gewerkschaftliche Bildungspolitik muss deshalb zweitens sowohl lang- als auch mittelfristige Strategien aufzeigen. Also heute gangbare Schritte einfordern, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren.

 

Was folgt daraus aus eurer Sicht für die Gewerkschaften? Gibt es Hinweise, wie sie die Ergebnisse eurer Recherchen in der Gewerkschaftsarbeit einsetzen sollte?

 

Der Wissenschaftliche Beraterkreis kann und will seinem Selbstverständnis nach die Gewerkschaften nicht mit Forderungen nerven. Strategien, Wege der Umsetzung sind ebenso wie die Formulierung der Ziele selbst allein Sache offener Diskussion in den Organisationen. Dies zu bewerkstelligen, haben die Gewerkschaften gute Instrumente entwickelt und Gelegenheiten geschaffen, die Seminararbeit in ihren Bildungsstätten etwa. Mir persönlich fehlt ein periodisches Diskussionsorgan, wie es seinerzeit die "Gewerkschaftliche Bildungspolitik" oder die "Monatshefte" darstellten.

Der Beraterkreis kann allerdings, wie Du treffend formulierst, Hinweise geben. Im Falle der AfD-Bildungspolitik scheint mir die Aussage von besonderer Bedeutung, dass man den wohlfeilen Populismus-Vorwürfen ebenso wenig auf den Leim gehen sollte wie den Parolen der Rechten - und übrigens auch aller anderen Populisten, von denen es in der etablierten Politik, darauf hat jüngst einmal jemand nicht so ganz zu Unrecht hingewiesen, genauso viele gibt wir dort. Es geht immer wieder um Hinhören. Was wollen die Menschen? Wo drückt sie der Schuh, was wollen sie nicht? Und um Aufklärung. Heiße Herzen sind gut für die politische, auch für die bildungspolitische Diskussion. Aber sie brauchen kühle Köpfe.

 

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