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Industrie 4.0

Digitalisierung durchdringt die Aus- und Weiterbildung

24.07.2017 Ι Die Digitalisierung der Arbeitswelt stellt die Aus- und Weiterbildung vor neue Herausforderungen. Was das für Ausbildungspersonal, Auszubildende und Beschäftigte bedeutet hat unser WAP-Korrespondent Ulrich Degen mit dem IAB-Forscher Prof. Dr. Lutz Bellmann besprochen. "Die für die Berufsbildung Verantwortlichen müssen die Rahmenbedingungen zur Aus- und Weiterbildung anpassen, Modernisierungsprozesse anstoßen und Veränderungen in den Qualifikationsbedarfen systematisch beobachten. Ausbilder/-innen müssen sich mit der neuen Technik auseinandersetzen und sich entsprechende Kompetenzen aneignen. Offenheit und Bereitschaft für den Umgang mit digitalen Lern- und Arbeitsmitteln ist bei ihnen unabdingbar," so Bellmann im Gespräch. Er bestätigt damit das verantwortliche Handeln der Metall- und Elektro Sozialpartner, die bereits im Frühjahr 2016 eine Vereinbarung zur Anpassung der relevanten Berufe getroffen haben (https://wap.igmetall.de/handlungsempfehlungen-fuer-aus-und-weiterbildung-in-der-m-e-16811.htm).

Schon heute werden Ausbildungskonzepte für die Digitalisierung, z.B. bei Siemens, prakti­ziert, die nach Meinung von Experten die Zukunft der Arbeit in der Fabrik 4.0 abbilden. Auszubildende arbeiten beispielsweise selbständig in berufeübergreifenden Teams an Lösungen zu Problemen, Ausbilder fungieren dabei als Coaches, die vorbeikommen, nachfragen oder Tipps geben. Dabei geht es darum, die verfügbare Technik sinnvoll einzusetzen, zu vernetzen, um damit Fertigungs- und Geschäftsprozesse zu gestalten vom Eingang eines Auftrags bis zum Vertrieb. Ist das in der Aus- und Weiterbildung im Kern mit Digitalisierung gemeint?

 

Lutz Bellmann: Ja, in der Tat. Es geht aber auch über die neuen Inhalte hinaus, um die zusätzlichen methodischen Möglichkeiten und um neue Bedingungen, z.B. für das Lernen am Arbeitsplatz.

 

 

Sie haben festgestellt, dass sich in den letzten fünf Jahren die technologische Ausstattung der Arbeitsplätze in allen wichtigen Bereich der Wirtschaft z.T. dramatisch verändert hat. Die Bereiche der unternehmensbe­zogenen Dienstleistung, Unternehmensorganisation, Fertigungstechnik, Handel und IT- und naturwissenschaftliche Dienstleistung und das Gesundheitswesen liegen dabei mit Werten von 91 bis 74 Prozent ganz vorne, gefolgt von der Fertigung mit 69%, dem Verkehr und der Logistik, dem Lebensmittel- und Gastgewerbe und schließlich dem Bau- und Aus­baugewerbe mit 31%. Gibt es unterschiedliche Ausprägungen je nach Ausbil­dungslevel der Beschäftigten in den Bereichen?

 

Insgesamt sind 79% aller Beschäftigten von Veränderungen der technologischen Ausstattung ihres Arbeitsplatzes betroffen: 60% der Beschäftigten ohne Ausbildungsabschluss, 73% der Beschäftigten mit Lehre/Berufsfach- oder Handelsschule/sonstigen Abschluss, 86% Meister- oder Technikerschule, Fachschule, Berufs- oder Fachakademie und bei den Akademikern sind es sogar 88%. Wichtig sind aber die relativ großen Unterschiede in den einzelnen Wirtschaftszweigen.

 

 

Die Veränderungen der Arbeitsplätze haben in Ihrer Darstellung wichtige Auswirkungen auf die Arbeit der jeweiligen Fachkräfte. Die körperliche Entlastung wird allerdings gering eingeschätzt und nur wenige haben gesagt, dass bei ihrer Fachtätigkeit weniger Fähigkeiten und Kompetenzen abverlangt werden; das erstaunt doch eigentlich?

 

Das stimmt. In den betroffenen Bereichen erfahren niedrig qualifizierte Beschäftigte sowie Beschäftigte, die eine körperlich belastende Tätigkeit ausführen, in größerem Umfang körperliche Entlastungen als Höherqualifizierte sowie Beschäftigte ohne körperlich belastende Tätigkeiten. Arbeiter erfahren eine stärkere Entlastung als Angestellte.

 

 

Offenbar ist es nach Ihren Ausführungen so, dass die Beschäftigten über die Jahre, insbesondere wegen der technologischen Weiterentwicklung in Produktion und Dienstleis­tung, unterschiedlichen Weiterbildungsmaßnahmen unterziehen, um mit der Entwick­lung der Anforderungen an den Arbeitsplätzen Schritt zu halten. Dabei ist die Weiterbildungsteilnahme von qualifiziert Beschäftigten signifikant höher als die von Beschäftigten in einfachen Tätigkeiten. Wird dieser von Ihnen ausgemachte Trend auch künftig so bleiben?

 

Das ist schwer zu sagen. Der größere Anstieg im Vergleich der Jahre 2015 und 2013 bei den Beschäftigten in einfachen Tätigkeiten und bei Älteren erfolgte auf der Basis eines niedrigeren Niveaus bei den Beschäftigten mit einfachen Tätigkeiten und bei den Älteren. Eine Fortsetzung der Entwicklung dieser Jahre würde bedeutet, dass sich die Weiterbildungsquoten der verschiedenen Beschäftigtengruppen annähern würden.

 

 

Die Unternehmen versprechen sich von der Digitalisierung insbesondere Im Bereich des Digitalen Lernens bestimmte Vorteile, wie aus einer von Ihnen zitier­ten Befragung hervorgeht. Könnten Sie uns diese Vorteile einmal kurz erläutern?

 

Dazu gibt es bislang wenig empirische Studien. Aus einer Befragung von Crossknowledge Féfaur-Haufe Anfang 2015 bei 114 der 1000 größten Unternehmen Europas wissen wir, dass die Optimierung der Trainingskosten, die schnelle Verfügbarkeit von Schulungen und die Möglichkeit, eine große Anzahl von Mitarbeitern zu schulen als die häufigsten Vorteile des digitalen Lernens genannt werden.

 

 

Die Unternehmen setzen Digitales Lernen für sehr unterschiedliche Themengebiete ein und sie messen auch den Einsatz an unterschiedlichen Erfolgsfaktoren. Welches sind aus Ihrer Sicht die für die Unternehmen wichtigsten Themengebiete und woran machen die Unternehmen besonders den Erfolg von Digital Learning fest?

 

Erfolgsfaktoren des digitalen Lernens sind die Relevanz für die Tätigkeit, die Qualität der Trainingskurse, die Einbindung des Managements, effektive Kommunikationsmaßnahmen und die gute Integration in den Arbeitsalltag - in der Reihenfolge der Bedeutung der Faktoren in der soeben erwähnten Befragung.

 

 

Die überbetrieblichen Berufsbildungsstätten (ÜBS) haben Sie in diesem Zusammenhang als 'Innovationslabor' bezeichnet; aus welchen Gründen sehen Sie diese Funktion bei den für die berufliche Bildung wichtigen ÜBS so?
 

Überbetriebliche Ausbildungsstätten sind traditionell der Lernort, um neue Technologien abzubilden. Sie tragen dafür Sorge, dass Ausbildungsinhalte, die vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen zum Teil nicht dargestellt werden können, vermittelt werden.

 

 

Wenn Sie auf Basis Ihrer bisherigen Analysen zur Digitalisierung in der Aus- und Weiterbildung die Ausbildungsinhalte betrachten und sagen sollten, wo und in welchen Be­reichen durch die technologische Entwicklung besonderer Änderungsbedarf bei den Aus­bildungsinhalten besteht, welche Inhalte würden Sie dann in vorderster Linie sehen?
 

An dieser Stelle verbietet sich eine allgemeine Antwort, da die Entwicklungen in den verschiedenen Bereichen sehr unterschiedlich ausfallen. Beispielsweise gibt es für die Berufe in der Metall- und Elektroindustrie eine interessante Studie, die zeigt, dass beim Ausbildungsberuf des Mechatronikers die Vernetzung aller mechatronischen Einrichtungen und die softwarebetriebene Handhabung und Konfiguration sowie die IT-gestützte Fehleranalyse unzureichend im Berufsbild verankert sind. Mechatroniker/innen müssten deutlich stärker als bisher den Umgang mit Cyber-Physischen Systemen in der Produktion erlernen. Insgesamt sollte das Berufsbild konsequent integrativ auf die verschiedenen Techniken hin ausgerichtet und damit prozessbezogener und stärker softwareorientiert angelegt werden.

 

 

Sie haben aus einer interessanten Untersuchung zitiert und am Beispiel des Me­chatronikers dargelegt, wo aufgrund von Industrie 4.0 Änderungsbedarf besteht. Ist der Mechatroniker typisch für die Weiterentwicklung der Berufsprofile für Industrie 4.0 und wo liegt Ihres Erachtens bei der Weiterentwicklung der Berufsprofile der meiste Handlungsbedarf?
 

Die Analysen für die M+E-Berufe haben gezeigt, dass vier Berufe (Mechatroniker, Industriemechaniker, Fachinformatiker und Elektroniker für Automatisierungstechnik) bereits eine große Nähe zu den Anforderung von Industrie 4.0 aufweisen und mit geringem Aufwand darauf ausgerichtet werden können. Fünf weitere Berufe (Elektroniker für Betriebstechnik, Zerspanungsmechaniker, Elektroniker für Geräte und Systeme, IT-Systemelektroniker, Elektroniker für Informations- und Systemtechnik) weisen zwar keine große Nähe zu Industrie 4.0 auf, wären aber mit einem nicht allzu großen Überarbeitungsaufwand auf Industrie 4.0 auszurichten. Berufe wie Produktionstechnologe, Anlagenmechaniker und Werkzeugmechaniker weisen eine geringe Nähe zu den Industrie 4.0-Anforderungen auf, sollten jedoch darauf ausgerichtet werden. Alle anderen M+E-Berufe haben keine besondere Nähe zu Industrie 4.0.

 

 

Sie haben in Ihrer Zusammenfassung Ihrer Expertise zur Digitalisierung nochmals auf die Notwendigkeit der ständigen Weiterentwicklung der Fähigkeiten und Kompetenzen der Fachkräfte hingewiesen  und für die berufliche Bildung gefordert, das sie künftig noch stärker auf analytische, interaktive und manuelle Nicht-Routine-Tätigkeiten fokussiert wer­den soll. Was sind Ihres Erachtens noch weitere zentrale Herausforderungen der Digitali­sierung für die berufliche Bildung?

 

Die für die Berufsbildung Verantwortlichen müssen die Rahmenbedingungen zur Aus- und Weiterbildung anpassen, Modernisierungsprozesse anstoßen und Veränderungen in den Qualifikationsbedarfen systematisch beobachten. Ausbilder/-innen müssen sich mit der neuen Technik auseinandersetzen und sich entsprechende Kompetenzen aneignen. Offenheit und Bereitschaft für den Umgang mit digitalen Lern- und Arbeitsmitteln ist bei ihnen unabdingbar. Überbetriebliche Bildungsstätten sind v.a. für KMU unerlässlich. Auszubildende müssen ihre IT-Kenntnisse verbessern und im Umgang mit digital vernetzten Abläufen versiert sein. Ihre Erfahrungen im Umgang mit Smart Phone und Tablet können dabei positiv in der Ausbildung verwertet werden.

 

 

...zum Weiterlesen:            Digitalisierung und Aus- und Weiterbildung. Vortrag auf der Veranstal­tung 'Wissenschaft trifft Praxis'. - Berufe in der digitalisierten Arbeitswelt. 22. Juni 2017 in Amberg.

https://50jahre.iab.de/wissenschaft-trifft-praxis-tagungsbericht-zur-konferenz-berufe-in-der-digitalisierten-arbeitswelt-am-21-und-22-juni-2017-in-amberg/

 

 

 

 

Wer ist Lutz Bellmann?               Prof. Dr. Lutz Bellmann ist Lehrstuhlinhaber für Volkswirtschaftslehre, insbes. Arbeitsökonomie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Leiter des Forschungsbereichs Betriebe und Beschäftigung, Leiter des IAB-Betriebspanels am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Regensburger Str. 104, 90478 Nürnberg, Telefon 0911 179-3046; mail: lutz.bellmann@iab.de.

Sein Forschungsfeld ist die Arbeitsmarktökonomik, insbesondere Fragen der Lohnstruktur und Beschäftigungsdynamik, der betrieblichen Aus- und Weiterbildung sowie die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer. Er hat gerade ein von der Hans-Böckler-Stiftung gefördertes Forschungsprojekt zum Thema "Einstellung und (Weiter-)Beschäftigung Älterer in der Chemischen Industrie" abgeschlossen. https://50jahre.iab.de/wissenschaft-trifft-praxis-tagungsbericht-zur-konferenz-berufe-in-der-digitalisierten-arbeitswelt-am-21-und-22-juni-2017-in-amberg/

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