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Brofessio-Projekt legt Ergebnisse vor

Die Chancen arbeitsprozessorientierter Weiterbildung im Betrieb

13.11.2017 Ι Mikrolernen, Agiles Lernen, Lernbegleitung - dies sind die Bausteine, die im Brofessio-Verbund entwickelt wurden und nun als Bausteine für eine arbeitsprozessorientierte Weiterbildung zur Verfügung stehen.

Die IG Metall war neben anderen an einem vom BMBF geförderten Verbundprojekt beteiligt, in dem in Zusammenarbeit mit Betrieben nach neuen Möglichkeiten der betrieblichen Weiterbildung gesucht wurde. Neben der IG Metall arbeiteten das Institut Technik und Bildung der Universität Bremen, das auch die Projektleitung innehatte, die Beuth-Hochschule sowie Sustainum in Berlin gemeinsam mit den Projektbetrieben an den gemeinsamen Fragestellungen.

Zwei große Entwicklungen fordern auch die betriebliche Weiterbildung heraus. Dies sind die Digitalisierung und der demografische Wandel. Beide Prozesse sind für die Betriebe nur zu bewältigen, wenn sie mit den bestehenden und älter werdenden Belegschaften in Angriff genommen werden. Im Kern geht es hierbei um die Sicherung und die Weiterentwicklung von Facharbeit auf der Basis der Erfahrungen der Beschäftigten. Gerade in Anbetracht der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitsprozesse erwarten Experten eine Zunahme an "Komplexitäts-, Abstraktions- und Problemlösungsanforderungen"  (Acatech/Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft-Wissenschaft 2012:51).  Diese Entwicklung an die vorhandenen Erfahrungen zu binden, Facharbeiter, Techniker und Meister zu befähigen, in diesen Prozessen auch künftig qualifiziert zu arbeiten und auch Weiterbildungskonzepte für automatisierte Arbeitsprozesse anbieten zu können, die gemeinhin als lernfeindlich gelten - das waren die Aufgaben, die in dem Projekt formuliert wurden.

Brofessio setzt damit an zwei Problemkreisen an. Erstens: Die fortschreitende Digitalisierung lässt Produktions- und Fertigungsprozesse immer weniger sinnlich und haptisch erfahrbar werden. Hier droht insbesondere für Fachkräfte die Gefahr einer "Dequalifizierung" in dem Sinne, dass sie zu bloßen "Knöpfedrückern" werden, ohne die dahinterliegenden, verborgenen Prozesse verstehen zu können. "Brofessio", so die Projektleiterin Dr. Daniela Ahrens vom Institut Technik und Bildung, "setzt hier an und erprobt neue mediengestützte didaktische Konzepte, um ,gekapselte' Prozesse zu visualisieren und damit für Lernprozesse zugänglich zu machen."

Zweitens geht es um Angebote für Fach- und Führungskräfte insbesondere unterhalb der spezifischen Ingenieurtätigkeiten, mit anderen Worten um Entwicklungsperspektiven durch betriebliche Weiterbildung für Beschäftigte aus der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Damit diese Beschäftigtengruppen gewonnen werden können, muss betriebliche Weiterbildung zielgruppengerecht konzipiert werden. Das bedarf es eines anderen Verständnisses betrieblicher Weiterbildung. Über allem steht die Idee des Lernens im bzw. nahe am Arbeitsprozess und die Orientierung betrieblicher Weiterbildung an der Sicherung und Weiterentwicklung beruflicher Handlungskompetenzen. Dazu müssen Methoden entwickelt und Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Die gemeinsam mit den beteiligten Betrieben entwickelten Bausteine sind:

  • Microlearning durch mediengestützte Arbeits- und Lernaufgaben (Medi-ALP) im Fertigungsprozess
  • Agiles Lernen am Beispiel von Projektmanagement
  • Lernbegleiter

In dem konkreten Beispiel wurde das Konzept des Mikrolernens für die MitarbeiterInnen an einer weitgehend vollautomatisierten Anlage entwickelt. Die in diesem Bereich beschäftigten FacharbeiterInnen sollten befähigt werden, Störungen zu identifizieren und - soweit dies unmittelbar möglich ist - zu diagnostizieren und zu beheben. Damit sollte der Stellenwert von Facharbeit an dieser Anlage gestärkt und damit auch ein Beitrag zur Beschäftigungssicherung geleistet werden.

In Betrieben hält sich oft und hartnäckig die Vorstellung, dass Weiterbildung seminaristisch zu erfolgen habe. Standardisierte Weiterbildungsveranstaltungen sind in der Regel in starre zeitliche Korsetts eingebunden. Oft ist auch eine Mindesteilnehmerzahl zu erreichen. Das Konzept des Mikrolernens hingegen stellt Lerninhalte zur Verfügung, wann und wo sie benötigt werden. Durch die zunehmende Verbreiterung von mobilen Endgeräte gewinnt das Mobile Learning - das Lernen mit portablen Endgeräten - an Bedeutung. Wichtig war in dem Projekt, dass die neuen Technologien nicht nur zur Informationsvermittlung oder als Anpassqualifizierung genutzt, sondern das sie eingebettet in ein Konzept des Lernens am Arbeitsplatz die berufliche Handlungskompetenz der beteiligten FacharbeiterInnen erweitern.

Dieser Ansatz bedeutet, die Arbeits- und Lernaufgaben durch betriebliche Arbeitsaufgaben zu erweitern und Lernschritte zu ermöglichen, die an den Erfahrungen der Lernenden ansetzend ihr Verständnis für die konkrete Problemstellung erweitern und die neuen Kenntnisse in ihren beruflichen Handlungskontext integrieren.

"Mikrolernen" - so Daniela Ahrens vom ITB - "reagiert auf die Begrenztheit eines Lernens auf Vorrat zugunsten eines situationsabhängigen Lernens. Der Lernbedarf resultiert aus den konkreten Arbeitsprozessen. Lernen muss nicht ausgelagert werden."

Agile Lernprojekte wurden für das Lernen am Arbeitsplatz entwickelt und richten sich insbesondere an Fach- und Führungskräfte. Nach ersten Erfahrungen im Projekt erhöht das Agile Lernen deutlich den Wirkungsgrad von berufsbegleitender Weiterbildung. Die Teilnehmer/innen lernen an realen Aufgaben in der betrieblichen Umgebung und setzen die Erkenntnisse direkt ein. So steigen die Motivation und die Anwendbarkeit des Gelernten. Transferverluste von komplexen Inhalten werden minimiert.

Die Merkmale des agilen Lernens sind

  • Die Erschließung eigener, arbeitsplatznahe Lernziele mit einem Wechsel von Lern- und Arbeitsphasen;
  • Eine Kombination aus Selbstorganisation und sozialem Lernen in Teams;
  • Inkrementelle Etappen des Kompetenzerwerbs unter Nutzung der vorhandenen medientechnischen Infrastruktur sowie bedarf- und zielgruppenspezifischer Ergänzungen.

Die Bereitschaft sich auf ein agiles Lernprojekt einzulassen, welches nicht vorgefertigte Inhalte thematisch erschöpfend vermittelt, sondern diese individuell auf die Zielgruppe anpasst und über einen größeren Zeitraum im Unternehmen begleitet, ist nach den Projekterfahrungen sehr groß. "Dies", so Dr. Benjamin Höhne von der Beuth-Hochschule in Berlin, "erfordert vor allem ein Verständnis von wirkungsvoller Weiterbildung, welches nicht mit der Vermittlung von Inhalten beginnt, sondern mit der Analyse von Bedarfen und geeigneten realen Anwendungsfällen, anhand derer das Lernprojekt organisiert werden kann."

Auch das Konzept des agilen Lernens verfolgt einen Ansatz von Lernen im Arbeitsprozess. Es nimmt damit eine wesentliche Kritik an betrieblicher Weiterbildung auf. Denn oft ist es so, dass die klassischen, theoriegeprägten Weiterbildungsformate mit einem fehlenden Transfer von Weiterbildungsinhalten auf die eigene Arbeitspraxis einhergehen und von den vielen Mitarbeiter/innen deshalb als Zeitverschwendung  wahrgenommen werden. "Das Agile Lernen verfolgt einen begleitenden Ansatz, der die Mitarbeiter  durch kollegiale Beratung und gezieltes Expertencoaching direkt in ihrer Arbeitspraxis unterstützt und problemorientiert Kompetenzen aufbaut.", so Jörg Longmuß vom Berliner Sustainum-Institut.

Dennoch: arbeitsprozessorientierte Weiterbildung geht nur durch die Unterstützung von LernbegleiterInnen. Die Lernbegleitung stellt die Rahmenbedingungen sicher. Dabei lassen sich organisatorische, pädagogische und beratende Funktionen voneinander unterscheiden. Der bzw. die "OrganisatorIn" stellt Zeit- und Lernräume, Freistellungen und notwendige Ressourcen bereit. Der bzw. die "TutorIn" überführt die im Dialog zwischen MitarbeiterInnen und Vorgesetzten ermittelten Kompetenzbedarfe in arbeitsplatznahe Lernprojekte. Der bzw. die  "Coach(in)" lenkt den Blick auf die individuelle Entwicklung der Lernenden und unterstützt diese beratend.

Holger Heinze, der für die Projektlaufzeit bei der IG Metall angestellt war, kommt insbesondere mit Blick auf die Möglichkeiten in kleinen und mittleren Betrieben zu dem Ergebnis: "Nicht jeder Betrieb wird die Aufgaben der Lernbegleitung in einer Person bündeln können, sondern die Aufgaben auf verschiedene Personen bzw. Funktionen aufteilen. So erhält Lernen im Arbeitsprozess auch eine realistische Perspektive für mittelständische Betriebe."

Auf jeden Fall - und da knüpft das Projekt an andere Initiativen der IG Metall an - sollten auch Betriebsräte oder Vertrauensleute Teile der Aufgaben der Lernbegleitung übernehmen.

Auch wenn die Ermittlung der Aufgaben der Interessenvertretung in diesem Projekt nicht im Fokus stand, ist klar, dass Lernen im Arbeitsprozess auch lernförderliche Rahmenbedingungen braucht. Dazu gehören sicherlich die Definition ausreichender Lernzeiten, die Bereitstellung von Lernräumen und notwendiger Medientechnik sowie der Schutz vor weiterer Arbeitsverdichtung. Für die projektbeteiligten Betriebe und Institute jedenfalls hat sich die Arbeit gelohnt. Es wurden sowohl für die Betriebe wie für die Wissenschaft interessante Konzepte entwickelt, erprobt, evaluiert und in die Praxis eingeführt.

Fragen an und weitere Hinweise zu dem Projekt über http://www.brofessio.uni-bremen.de/.

Hinweisen möchten wir auch auf die angefügte Handreichung sowie auf einen an Bildungspersonal, Personalleute, Berater und Wissenschaftler gerichteten Sammelband, der auch Beiträge zu diesem Projekt enthält (Daniela Ahrens, Gabriele Molzberger (Hrsg.) Kompetenzentwicklung in analogen und digitalisierten Arbeitswelten,  Berlin 2017).

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