BIBB-Expertenbefragung zu betrieblichen Ausbildungspartnerschaften
Ausbildungspartnerschaften ermöglichen attraktive Ausbildung für Jugendliche
Sie haben zum Thema ,Betriebliche Ausbildungspartnerschaften kleiner und mittlerer Betriebe' kürzlich eine Expertenbefragung durchgeführt. Wir wollen zwar nicht in alle Einzelheiten der Methoden Ihrer Expertenbefragung bzw. dem BIBB-Expertenmonitor Berufliche Bildung gehen, doch für unsere Leser die wichtigsten Eckpunkte festhalten. Können Sie diese kurz umreißen?
Ebbinghaus: Gern. Wie Sie sagten, haben wir das Thema ,Betriebliche Ausbildungspartnerschaften von KMU' Ende letzten Jahres im BIBB-Expertenmonitor aufgegriffen. Der BIBB-Expertenmonitor ist ein etabliertes Online-Befragungsinstrument des BIBB. Das vorrangige Ziel besteht darin, bei Berufsbildungsfachleuten Einschätzungen und Beurteilungen zu aktuellen bildungspolitischen Fragestellungen einzuholen und in die bildungspolitische Diskussion einzubringen. Dazu befragen wir ein Panel von derzeit rund 2.100 Personen, die in unterschiedlichen institutionellen Kontexten der Praxis, Politik und Wissenschaft professionell mit Fragen der Berufsbildung befasst sind. So können wir mit dem Expertenmonitor unterschiedliche Perspektiven auf eine Fragestellung abholen und sichtbar machen. Darin liegt die besondere Stärke des Expertenmonitors, aufdecken zu können, inwieweit unter Berufsbildungsfachleuten zu aktuellen Fragen, Themen oder Entwicklungen Dissens oder Konsens besteht.
Ein inhaltlicher Auslöser für Ihre Befragung waren Überlegungen zu möglichen Potenzialen von Ausbildungspartnerschaften, den Einschränkungen, die die Nischen- und Spezialisierungsstrategien vieler kleiner und mittlerer Betriebe für die berufliche Qualifizierung Jugendlicher mit sich bringen, entgegenzutreten. Worin bestehen diese Einschränkungen und wie sehen das die von Ihnen befragten Experten und Expertinnen?
Bahl: Genau, das war ein Ausgangspunkt unserer Expertenbefragung. KMU stehen ja, wie Sie bereits sagten, oft vor einem Dilemma. Auf der einen Seite müssten sie ausbilden, um den benötigten Fachkräftenachwuchs sicherzustellen. Auf der anderen Seite sind sie aufgrund ihrer Spezialisierung oft nicht in der Lage, die Berufsbilder selbst vollständig vermitteln zu können, so dass ihnen die alleinige Eignung als Ausbildungsbetrieb fehlt. Diese Konfliktsituation wird auch von den meisten der von uns befragten Experten und Expertinnen gesehen. Entsprechend sieht ein Großteil von ihnen in Ausbildungspartnerschaften, also dem Zusammenschluss mehrerer KMU zu Ausbildungsallianzen, einen Ansatz, es KMU trotz Spezialisierung zu ermöglichen, ihre Nachwuchsfachkräfte selbst auszubilden. Die Berufsbildungsfachleute werten dies zugleich als das zentrale Motiv für die Beteiligung an Ausbildungspartnerschaften. Fachleute aus Betrieben stellen dies sogar noch etwas stärker heraus als Experten aus anderen Berufsbildungskontexten.
Wenn Sie sagen, dass das der wesentliche Grund ist, welche Gründe gibt es darüber hinaus noch dafür, dass sich Betriebe an Ausbildungspartnerschaften beteiligen?
Gruber: Ein weiteres Moment ist aus Expertensicht, dass junge Menschen durch den Wechsel zwischen Betrieben bereits während der Ausbildung die Möglichkeit zum Transfer ihrer Kompetenzen erhalten. Sie können das, was sie in den Arbeitszusammenhängen des Herkunftsbetriebes gelernt haben, auf die Arbeitszusammenhänge der Partnerbetriebe übertragen und dadurch zugleich festigen. Auch dieses Moment betonen Experten aus Betrieben noch etwas deutlicher als die in anderen Zusammenhängen mit Berufsbildungsfragen befassten Fachleute.
Für die Auszubildenden dürfte es sicherlich auch attraktiv sein, betriebsübergreifende Arbeitszusammenhänge kennenzulernen und so vielfältige Qualifikationen erwerben zu können. Wie beurteilen das die Berufsbildungsexperten und -expertinnen?
Gruber: Sicherlich ist es für die Jugendlichen attraktiv, mal über den Tellerrand hinausblicken zu können und zu sehen, wie die Prozesse und Arbeitsabläufe in anderen Betrieben gestaltet sind. Dass das mit der Gefahr einhergeht, dass Betriebsinterna bekannt werden, wird von den Experten und Expertinnen zwar nicht völlig von der Hand gewiesen, vor allem aber von den Berufsbildungsfachleuten aus Betrieben selbst eher als unproblematisch eingestuft.
Bahl: Vielmehr sollte man hier an einen anderen Vorteil denken, den der Wechsel zwischen Betrieben mit sich bringt: Aus der Distanz kann man die Ausbildung, die man im Herkunftsbetrieb erhält, oft erst richtig würdigen, und lernt die vertrauten Abläufe und Vorgehensweisen zu schätzen. Was aber jetzt nicht so verstanden werden soll, dass die Partnerbetriebe nicht auch gute Arbeit und Ausbildung leisten.
Ebbinghaus: Genau, Zweifel an der Arbeits- und Ausbildungsqualität anderer Betriebe werden von den Experten und Expertinnen als ein vergleichsweise schwaches Argument gegen die Beteiligung an Ausbildungspartnerschaften gesehen. Eher das Gegenteil ist der Fall. Der Wechsel zwischen Betrieben kann zwar durchaus die Wertschätzung des Herkunftsbetriebes fördern. Es kann aber auch sein, dass es einem jungen Menschen in einem Partnerbetrieb noch besser gefällt als im Herkunftsbetrieb. Die Gefahr, den jungen Menschen noch während oder aber nach der Ausbildung an einen Partnerbetrieb zu verlieren, wird von den Berufsbildungsfachleuten nicht für ausgeschlossen gehalten und entsprechend als eine nicht unerhebliche Überlegung eingestuft, die Betriebe davon abhalten kann, sich an solchen Ausbildungsmodellen zu beteiligen.
Interessant im Zusammenhang mit Ausbildungspartnerschaften ist ja, dass neben KMU auch Großbetriebe, aber auch weitere Akteure wie Berufsschulen, überbetriebliche Berufsbildungsstätten oder Bildungsträger als Kooperationspartner in Frage kommen. In welchen Kombinationen sehen nach Ihrer Erhebung die Berufsbildungsfachleute die gewinnbringendsten?
Ebbinghaus: Interessant ist, dass sich die Experten und Experten am deutlichsten für eine Kooperation zwischen mehreren kleinen und mittleren Betrieben und am seltensten für eine Zusammenarbeit von KMU mit Großbetrieben aussprechen. Dahinter kann die zuvor erwähnte ,Absprungproblematik' stehen, denn verschiedenen Studien zufolge favorisieren ausbildungsinteressierte Jugendliche zumeist eine Ausbildung in einem größeren Betrieb, weil sie sich von diesen eine umfassendere Ausbildung, vor allem aber bessere Übernahme und Entwicklungschancen erwarten. Ein weiterer Grund kann darin vermutet werden, dass kleinere und mittlere Betriebe mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind und eine Zusammenarbeit zwischen ihnen auf ,Augenhöhe' erfolgt.
Bahl: Zudem hat sich gezeigt, dass die Ansichten darüber, welche Konstellationen mehr oder weniger sinnvoll sind, je nach institutioneller Herkunft der befragten Berufsbildungsfachleute anders ausfallen. Experten und Expertinnen aus Betrieben stehen Kooperationen zwischen KMU und Großbetrieben beispielsweise weitaus weniger skeptisch gegenüber als alle anderen Berufsbildungsfachleute. Umgekehrt sehen Fachleute aus überbetrieblichen Berufsbildungsstätten in ihrer Institution öfter einen geeigneten Kooperationspartner als andere Fachleute.
Gruber: Dass zeigt dann schließlich, dass es die ideale Konstellation nicht gibt. Vielmehr wird deutlich: Was eine tragfähige Konstellation ist, hängt von den jeweiligen Partnern und ihrem Interesse an der Sache ab. Das haben auch viele der offen eingebrachten Kommentare der Befragten unterstrichen. Letztendlich kommt es auf die einzelnen Personen und ihr Engagement an, ob eine Zusammenarbeit funktioniert oder nicht.
Ich möchte noch einmal auf die für mich erstaunlichen Vorbehalte der Expertinnen und Experten, teilweise auch bei denen aus Betrieben, gegenüber Ausbildungspartnerschaft von kleinen und mittleren Betrieben mit Großbetrieben zurückkommen. Eigentlich sollte man doch meinen, dass für kleine und mittlere Betriebe die meist weit professionalisierte Berufsbildung der Großbetriebe einen besonderen Mehrwert haben könnte und sie mehr als von anderen Partnerschaften profitieren. Sollte das nicht die von ihnen bereits erwähnten Bedenken aufwiegen?
Bahl: Das ist eine interessante Frage, auf die wir aber allein auf Basis der Expertenbefragung keine abschließende Antwort geben können. Da wir die Positionen der Experten und Expertinnen zu den unterschiedlichen Konstellationen im Vorfeld nicht kannten, konnten wir auch nicht nach Begründungen fragen. Für uns ist dieses Ergebnis vielmehr ein wichtiger Punkt, dem wir in den weiteren Forschungsarbeiten zu betrieblichen Ausbildungspartnerschaften nachgehen werden.
Sie haben noch auf ergänzend von den befragten Expertinnen und Experten eingebrachte Kommentare hingewiesen. Was wurde darin über das zweifellos notwendige Engagement der beteiligten Partner noch angesprochen?
Gruber: Mehrere Befragte brachten weitere potenzielle Kooperationspartner ins Spiel, darunter Technologiezentren, Hersteller-, Zulieferer- und Abnehmerbetriebe, womit angesprochen wurde, Partnerschaften entlang von Wertschöpfungsketten auszurichten. Auch das sind Punkte, denen wir weiter nachgehen wollen und die zeigen, wie vielfältig die Möglichkeiten sind, Potenziale von, ggf. aber auch Bedarfe und Erfordernisse nach Partnerschaften in und für die Ausbildung zu erschließen.
Ebbinghaus: Darüber hinaus wurden noch Konstellationen mit Berufsförderungswerken sowie anderen Bildungsträgern erwähnt, die darauf abstellen, partnerschaftliche Ausbildungsmodelle auch als ein Instrument für die Integration Schwächerer Jugendlicher in die duale Berufsausbildung nutzbar zu machen und insgesamt die Bestrebungen um Inklusion in der Berufsbildung voranzubringen. Diese Dimension zu vertiefen, bedarf aber eigenständiger Forschungsarbeiten. Im aktuellen Projekt wollen wir primär das Potenzial von Ausbildungspartnerschaften untersuchen, KMU in ihrem Ausbildungsengagement zu festigen.
Sie weisen an einer Stelle explizit auf die zeitliche und regionale Dimension von Ausbildungspartnerschaften hin und insbesondere auch auf die Dimension einer entsprechenden vertraglichen Regelung, die wohl von den meisten Experten und Expertinnen für wichtig gehalten wird. Wie sehen die geäußerten Prioritäten im Einzelnen aus?
Ebbinghaus: Richtig, wir haben die Experten und Expertinnen auch dazu befragt, wie betriebliche Ausbildungspartnerschaften über die Frage der beteiligten Partner hinaus ausgestaltet werden sollten. Auch hier sprechen die Ergebnisse - ähnlich wie in Bezug auf die Kooperationspartner - dafür, dass viele Wege möglich und zielführend sein können, wenngleich sich gewisse Präferenzen erkennen lassen. Das betrifft, wie Sie bereits erwähnten, allem voran die vertragliche Grundlage. Das ist naheliegend, um nicht während des Ausbildungsverlaufes immer wieder neu abstimmen zu müssen, wer wofür zuständig ist. Eine klare vertragliche Regelung schafft hier für alle Beteiligten Sicherheit und einen verlässlichen Rahmen. Damit ist dann auch gut vereinbar, dass zeitlich klar strukturierte Modellen gegenüber solchen, die diesbezüglich flexibel gehandhabt werden, der Vorzug gegeben wird. Dass sich mehr Berufsbildungsfachleute für Ausbildungspartnerschaften ausgesprochen haben, die sich auf eine Region konzentrieren als über Regionen hinweg angelegt zu sein, erklärt sich ein gutes Stück mit der Erreichbarkeit.
Es gibt noch weitere Gestaltungsaspekte, über die Sie die Voten der Experten und Expertinnen eingeholt haben, nämlich ob eine eher auf Berufe und Branchen bezogene oder eher eine übergreifende Strategie verfolgt werden sollte. Welche Auffassung haben die betrieblichen Berufsbildungsfachleute und die in anderen Kontexten mit Fragen der Berufsbildung befassten Experten und Expertinnen hierzu?
Bahl: In diesen Punkten sind die Auffassungen noch etwas durchmischter als zu den zuvor angesprochenen Aspekten, wobei die Positionen der betrieblichen Fachleute nicht sonderlich von denen der anderen abweichen. Es ist zwar eine gewisse Tendenz in Richtung berufs- bzw. branchenbezogener Partnerschaften zu erkennen. Jeweils um die Hälfte der Befragten plädiert hierfür. Gut ein Fünftel der Befragten spricht sich hingegen für übergreifende Modelle aus. Alle anderen können sich beide Varianten vorstellen. Das heißt, auch in dieser Frage gibt es nicht das eine optimale Konzept, sondern man muss immer die jeweiligen Rahmenbedingungen mit berücksichtigen, um das im Einzelfall beste Modell zu finden.
Als einen besonders kontroversen Punkt haben Sie die Frage der Steuerung bzw. Koordination betrieblicher Ausbildungspartnerschaften ausgemacht. Sehen Sie in dieser Frage einen Hinderungsgrund für Ausbildungspartnerschaften oder liegen diese eher woanders? Und was genau steckt hinter Ihrer Feststellung, dass 'solche Modelle kein Selbstläufer sind' mit Blick auf die Ausgangsfrage, ob KMU durch Ausbildungspartnerschaften für ausbildungsinteressierten Jugendliche attraktiver werden?
Ebbinghaus: Die Ergebnisse zur Steuerung oder Koordination betrieblicher Ausbildungspartnerschaften sind in mehrfacher Hinsicht interessant. Denn zum einen zeigt sich, dass weder unter den Experten und Expertinnen insgesamt noch innerhalb der einzelnen institutionellen Gruppen Konsens darüber besteht, ob die Koordination von den Beteiligten selbst oder einer anderen Stelle übernommen werden sollte. Auf der anderen Seite besteht aber recht hohe Übereinstimmung darüber, dass - sollte die Koordination extern erfolgen - hierfür die Kammern die am ehesten infrage kommende Stellen sind. Inwieweit eine externe Koordination ein Hinderungsgrund für die Beteiligung an Ausbildungspartnerschaften darstellt, könnte damit möglicherweise weniger davon abhängen, ob sondern von wem die Koordination wahrgenommen wird.
Gruber: Das größte Hemmnis ist den Befragungsergebnissen zufolge vielmehr im Abstimmungsaufwand zwischen den beteiligten Partner zu sehen. Und auch das macht die Positionen zur externen Koordination so interessant, weil ja gerade in diesem Bereich eine externe Stelle entlastend wirken könnte.
Bahl: Und genau solche Widersprüchlichkeiten sind es, die Ausbildungspartnerschaften aus unserer Sicht zu keinem Selbstläufer machen. Es gibt kein Patentrezept dafür, wie sich alle Vorteile von Ausbildungspartnerschaften erschließen und alle mit solchen Modellen einhergehenden Herausforderungen umgehen lassen. Das muss jeweils individuell ausgehandelt und ausprobiert werden. Hierfür Hinweise und Bespiele geben zu können, ist ein wichtiges Ziel unserer weiteren Forschungsarbeiten.
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..zum Weiterlesen: Margit Ebbinghaus, Anke Bahl, Thomai Svenja Gruber, Christine Schwerin, Eva-Maria Soja: Betriebliche Ausbildungspartnerschaften kleiner und mittlerer Betriebe. Ergebnisse aus dem BIBB-Expertenmonitor Berufliche Bildung, Fachbeiträge im Internet, Bonn 2017 (https://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/show/8553)
Wer sind Anke Bahl, Margit Ebbinghaus und Thomai Svenja Gruber? Anke Bahl und Dr.Margit Ebbinghaus sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Abteilung 'Sozialwissenschaftliche Grundlagen der Berufsbildung', Thomai Svenja Gruber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung ,Förderung und Gestaltung der Berufsbildung' des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in Bonn. Zusammen bearbeiten sie das aktuelle BIBB-Forschungsprojekt "Betriebliche Ausbildungspartnerschaften - Strukturen, Potentiale und Risiken für KMU".