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Bellmann

Interview mit dem IAB-Forscher Lutz Bellmann

Alternde Belegschaften: Wie steht es um die berufliche Weiterbildung für alle Altersgruppen?

02.04.2019 Ι Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Über die Herausforderungen, insbesondere für ältere Beschäftigte und die Bedeutung von beruflicher Weiterbildung, hat sich unser Bonner WAP-Korrespondent Ulrich Degen mit Prof. Lutz Bellmann, Forscher beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) unterhalten. Bellmann stellt dabei fest: "Ich bin mir nicht sicher, dass die vorhandenen Weiterbildungsangebote ausreichen, um die durch die Digitalisierung entstehenden Herausforderungen zu meistern." Und weiter: "Die Beschäftigten benötigen bei der Einführung neuer Technik und neuer Programme nicht nur entsprechende Fortbildungen, sondern auch während der laufenden Arbeit Zeit und Raum für Einarbeitung, Erprobung und Rückmeldungen."

'Altersgerechte Arbeitsbedingungen' ist ganz offenbar ein dynamisches Begriffspaar zur Kenntlichmachung eines Prozesses, der das Arbeitsalter den steigenden Anforderungen durch die technische Entwicklung gegenüberstellt: Was den Beschäftigten in jungen Jahren an der Arbeit leichtfällt, lastet älter gewordenen Beschäftigten dann stärker 'auf der Schulter'. M.a.W. haben sich die Arbeitsbedingungen im Laufe der Zeit und des Erwerbslebens geändert und sind aus subjektiver Sicht anspruchsvoller geworden. Ist das der Hintergrund von Gestaltungsproblemen 'altersgerechter Arbeitsbedingungen'?

 

Lutz Bellmann: Ja. Ergänzen möchte ich aber die zunehmende Komplexität der Arbeit und die durch die Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien gestiegenen Kompetenzanforderungen.

 

Sie stellen auf Grund vorliegender Untersuchungen fest, dass sich bei den Menschen die Erkenntnis durchsetzt, dass auf sie ständig und weiterhin berufliche Veränderungen zukommen, die durch lebenslanges Lernen gemeistert werden können. Muss man das als aus der dritten und vierten industriellen Revolution und der Digitalisierung und Globalisierung resultierende Zwänge ansehen oder als positive Reaktion der Menschen auf den Veränderungsdruck?

 

Lutz Bellmann: Ich bin mir nicht sicher, dass die vorhandenen Weiterbildungsangebote ausreichen, um die durch die Digitalisierung entstehenden Herausforderungen zu meistern. Aber: unsere empirischen Ergebnisse zeigen zumindest, dass die Weiterbildungsbeteiligung aller Altersgruppen im Zeitraum 2013 bis 2015 zugenommen hat!

 

Die Situation, in der sich derzeit insbes. die Industriebeschäftigten befinden, kann man so charakterisieren: Die weitere Digitalisierung der Arbeitsprozesse, ihre zunehmende Einbindung in globalisierte Produktionsketten erhöht die Komplexität ihrer Arbeit, mit der Folge, dass von ihnen mehr Flexibilität und meist auch höhere Leistungen verlangt werden. Sehen Sie das auch so?

 

Lutz Bellmann: Laut DGB-Index Gute Arbeit berichten 30 % der Beschäftigten in einfachen Tätigkeiten, 37 % der Fachkräfte und sogar 49 % der ExpertInnen, dass durch die Digitalisierung ihre Arbeitsbelastung zugenommen hat.

 

Dem 'komplexen Viereck' aus Digitalisierung, Globalisierung, Komplexität und Flexibilität verbunden mit Veränderungen der Produkte und Arbeitsprozesse können sich nach allgemeinem Eindruck die Industriebeschäftigten offenbar nur durch eine gezielte (betriebliche) Weiterbildung entziehen; was wiederum gerade ältere Beschäftigte zusätzlich belasten dürfte bis hin zu Belastungen gesundheitlicher Art. Sind diese Annahmen berechtigt?

 

Lutz Bellmann: Es kommt darauf an. In der Regel geht es nicht nur um die isolierte Einführung neuer Techniken und Programme, sondern um die Umstellung und Umorganisation von Abläufen. Daher ist es wesentlich, alle Beschäftigten, deren Arbeit in irgendeiner Art und Weise davon berührt wird, einzubeziehen und die Neustrukturierungen mitwirkend zu gestalten. Die Beschäftigten benötigen bei der Einführung neuer Technik und neuer Programme nicht nur entsprechende Fortbildungen, sondern auch während der laufenden Arbeit Zeit und Raum für Einarbeitung, Erprobung und Rückmeldungen.

 

Überalterung und insbes. Personalengpässe bei Fachkräften sind, wie Sie mit den Daten des IAB-Betriebspanels herausgefunden haben, für die Betriebe der Metall- und Elektroindustrie und im Maschinenbau in den kommenden Jahren besondere Herausforderungen; bei alledem ist aber in beiden Branchen mit einem hohen Weiterbildungs- und Qualifikationsbedarf zu rechnen.

 

Lutz Bellmann: Immerhin 74 % der Maschinenbaubetriebe bzw. 69 % der Metall- und Elektrobetriebe geben an, dass für sie die Rekrutierung der benötigten Fachkräfte in den beiden nächsten Jahren eine Herausforderung darstellt. An dritter Stelle steht der Bedarf an Weiterbildung/Qualifizierung mit 28 % bzw. 30 % der Nennungen der Betriebe.

 

Die Fachkräftesicherung bleibt in beiden Branchen, sicher aber auch darüber hinaus, ein zentrales Problem für die Betriebe. Und die Instrumente dazu sind in erster Linie neben einer systematischen Personalentwicklung eine intelligente Personalrekrutierung, eine gute und angemessene Entlohnung, eine niveauvolle Unternehmenskultur und sicher auch ein gezieltes Gesundheitsmanagement. Gibt es weitere wichtige Faktoren, die zu einer zukunftsfähigen Fachkräftesicherung beitragen?

 

Lutz Bellmann: Wichtig erscheint mir auch die individuelle Vereinbarkeit von Lebensbereichen und die Gestaltung von Lebensphasen. In diesem Zusammenhang sollte sich Personalarbeit nicht mehr allein auf den beruflichen Kontext der Mitarbeiter konzentrieren.

 

Die genannten Industriebereiche, sicher auch vergleichbar andere, müssen sich alle mit den verschiedensten Problemlagen der Altersstruktur und ihren Folgen auseinandersetzen, um ihrer Herr zu werden. Eine ganze Palette von möglichen Maßnahmen zur Bewältigung von Problemen durch zunehmende Alterung der Belegschaft steht den Betrieben im Prinzip zur Verfügung. Welchen Maßnahmen zur erfolgreichen Bewältigung negativer Folgen einer alternden Belegschaft geben Sie die meisten Chancen zu deren Beherrschung?

 

Lutz Bellmann: Es geht dabei um die Gewinnung jüngerer Nachwuchskräfte, nicht nur im Hinblick auf das von mir eben Gesagte ist das oftmals schwieriger als erwartet. Weiterhin sind die Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit Älterer sowie die Organisation und die Durchführung des Wissenstransfers bei (altersbedingtem) Ausscheiden von Mitarbeitern zu nennen.

 

Bei den spezifischen betrieblichen Maßnahmen für ältere Beschäftigte fanden Sie durch eine Branchenbefragung in 2016 heraus, dass an erster Stelle eine altersgemischte Besetzung von Arbeitsgruppen steht, dicht gefolgt von dem Angebot, nach Eintritt in die Rente weiter für den Betrieb tätig zu bleiben. Können Sie etwas zu weiteren betrieblichen Maßnahmen und ggf. deren Umsetzung sagen?

 

Lutz Bellmann: Die Einbeziehung Älterer in Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und betriebliche Weiterbildungsaktivitäten sowie die altersgerechte Ausstattung der Arbeitsplätze sind an dieser Stelle hervorzuheben.

 

Wenn man die Weiterbildungsangebote des Maschinenbaus und der Metall- und Elektroindustrie 2016 und 2017 auf Basis der IAB-Betriebspanel-Daten anschaut, dann scheint klar zu werden, dass diese Betriebe damit auf die von den Beschäftigten ins Feld geführte Notwendigkeit zur ständigen Weiterentwicklung ihrer Kompetenzen und Fähigkeiten aufgrund des technologischen Wandels in diesen Branchen reagieren. Ist dem so?

 

Lutz Bellmann: Da kann ich Ihnen zustimmen. Wir müssen aber weiterhin beobachten, ob alle Beschäftigtengruppen für die z.B. nach Geschlecht, Alter, Nationalität, Qualifikation, Leiharbeitsstatus Unterschiede bestehen, gleichermaßen berücksichtigt werden und noch bestehende Defizite abgebaut werden.

 

Betriebliche Weiterbildung bleibt weiterhin auf der aktuellen Agenda von Betrieben und Beschäftigten, und zwar wohl für alle Altersgruppen im Betrieb. Dabei könnte man auf den Gedanken kommen, zu fragen, ob man nicht schon proaktiv durch alters- und generationenen'gerechte' Arbeits- und Produktionsbedingungen im Arbeitsprozess selbst viel von beruflichen Weiterbildungsnotwendigkeiten auffangen und kompensieren könnte?

 

Lutz Bellmann: Ich meine, es wird größere Unterschiede zwischen verschiedenen Arbeitsplätzen in unterschiedlichen Betrieben geben. Außerdem ist es schwierig, die technologische Entwicklung zu prognostizieren.

 

Über die Rolle künstlicher Intelligenz (KI) in der betrieblichen Weiterbildung soll in einem nächsten Interview gesprochen werden. In der betrieblichen Weiterbildung kommt sie bereits zum Einsatz etwa im Maschinen- oder Anlagenbau, wo Mitarbeiter unmittelbar an ihrem Arbeitsplatz neue Tätigkeiten durch Anweisungen eines KI-basierten Programms erlernen. So können bisherige Arbeits- und Prozessinhalte und neue Qualifizierungen gleichzeitig parallel erlernt werden.

 

 

..zum Weiterlesen:    Lutz Bellmann: Altersgerechte Gestaltung von Arbeitsbedingungen. Vortrag beim Forum 1 'Eine zukunftsweisende Personalstrategie gestalten'  auf der IGM-Maschinenbaukonferenz am 27. September 2018 in Berlin.

 

Wer ist Lutz Bellmann:    Prof. Dr. Lutz Bellmann ist Lehrstuhlinhaber für Volkswirtschaftslehre, insbes. Arbeitsökonomie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Leiter des Forschungsbereichs 'Betriebe und Beschäftigung' und Leiter des IAB-Betriebspanels am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Regensburger Str. 104, 90478 Nürnberg, Telefon 0911 179-3046; mail: lutz.bellmann@iab.de.

Sein Forschungsfeld ist die Arbeitsökonomik, insbesondere Fragen der Lohnstruktur und Beschäftigungsdynamik, der betrieblichen Aus- und Weiterbildung sowie die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer.

 

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