Bildungsurlaub zum Erfolg machen
DGB-Forderungen für eine bessere Bildungsfreistellung
Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften fordern, dass auch die beiden letzten noch fehlenden Bundesländer, Bayern und Sachsen, gesetzliche Regelungen zur Bildungsfreistellung einführen. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, wurden im Rahmen des Volksantrags "5 Tage Bildungszeit für Sachsen" über 55.000 Unterschriften an den Präsidenten des Landtages übergeben.
Die Landesgesetze unterscheiden sich stark in ihren Regelungen, zum Beispiel zu Anspruch, Umfang und Antragsverfahren. Notwendig sind Bildungsfreistellungsgesetze in allen Bundesländern mit länderübergreifenden, einheitlichen Standards.
Der rasante Wandel unserer Gesellschaft stellt die Menschen in ihrem beruflichen, sozialen und privaten Umfeld vor immer neue Herausforderungen. Die Bildungsfreistellung dient maßgeblich auch der beruflichen Weiterbildung, der politischen Bildung oder der Bildung für ein Ehrenamt und fördert insbesondere die Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Fragen. Veranstaltungen im Rahmen der Bildungsfreistellung fördern das Verständnis für gesellschaftliche, soziale, politische und kulturelle Zusammenhänge und damit die Teilhabe und Mitverantwortung der Menschen. Ziel einer demokratischen Gesellschaft ist es, berechtigte Interessen gegeneinander abzuwägen und die Menschen zu befähigen, Veränderungen aktiv zu gestalten.
In einer lebendigen Demokratie fördert lebensbegleitendes Lernen die Urteils- und Handlungsfähigkeit der Menschen durch Information und Meinungsaustausch, durch Wissens- und Erfahrungsaustausch, durch Engagement und Lernen im Team. Bildungsfreistellung nimmt im Prozess des lebensbegleitenden Lernens eine bedeutende Rolle ein und ist ein wesentliches Instrument zur Förderung der beruflichen, politischen und allgemeinen Weiterbildung. Gute Rahmenbedingungen für Bildungsfreistellung tragen dazu bei, die Beteiligung am lebensbegleiteten Lernen zu erhöhen und die Demokratie zu stärken. Daraus erwachsen bürgerschaftliches Engagement und gesellschaftliche Partizipation.
Politische Bildung wird in Deutschland in erster Linie als schulische Bildungsmaßnahme für Kinder und Jugendliche verstanden. Die zunehmende Komplexität politischer Prozesse zeigt jedoch, dass eine eingehendere Erklärung der parlamentarischen Vorgänge wichtig ist, um die Unterstützung des demokratischen Systems in der Bevölkerung zu erhalten. Daher sollte gerade die Förderung der politischen Erwachsenenbildung vorangetrieben werden. Als Beispiele können hier Nordrhein-Westfalen mit der Förderung von Bildungsmaßnahmen oder auch die Bundeszentrale für politische Bildung für internationale Bildungsmaßnahmen genannt werden.
Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften fordern eine stärkere finanzielle und institutionelle Unterstützung von Angeboten der politischen Bildungsfreistellung zur Förderung des demokratischen Verständnisses und der aktiven Beteiligung an der Demokratie.
* Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nahm 1974 das ILO-Übereinkommen 140 über bezahlten Bildungsurlaub an. Das Übereinkommen ist am 23.09.1976 in Kraft getreten und wurde am 30.11.1976 von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert.
** sprachliche Varianten in den Landesgesetzen: Bildungsfreistellungsgesetz, Bildungszeitgesetz, Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz, Bildungsurlaubsgesetz; Bildungsfreistellung wird in diesem Papier synonym genutzt.
Die Bildungsfreistellungsgesetze der Bundesländer legen fest, für welche Lernbereiche Bildungsfreistellung gewährt werden kann. Diese sind sehr vielfältig und unterschiedlich definiert. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel sieht das Gesetz eine Freistellung nur für berufsspezifische Weiterbildungen vor, in anderen Bundesländern kommt noch politische und kulturelle Weiterbildung hinzu. In einigen Bundesländern (z. B. Baden-Württemberg oder Hamburg) kann Bildungsfreistellung auch für Weiterbildungen zur Qualifizierung für ehrenamtliche Tätigkeiten beansprucht werden, in Nordrhein-Westfalen wird dies derzeit diskutiert.
Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften fordern Bildungsfreistellung entsprechend Artikel 2 der ILO-Richtlinie und damit auch für allgemeine Bildung, politische Bildung, (inter-)kulturelle Bildung, für zivilgesellschaftliches Engagement und für die Aufgaben des Ehrenamts.
Die ILO-Richtlinie 140 von 1974 schreibt in Artikel 1, dass "bezahlter Bildungsurlaub" bedeutet, dass "Arbeitnehmer*innen Urlaub zu Bildungszwecken für eine bestimmte Dauer während der Arbeitszeit und bei Zahlung angemessener finanzieller Leistungen gewährt wird." Bildungsfreistellung ist also das Recht auf eine befristete Freistellung von der (Erwerbs-)Tätigkeit zum Zwecke der Weiterbildung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Eventuell anfallende Kosten der Bildungsmaßnahme sind von den Teilnehmenden selbst zu tragen.
Hinsichtlich des anspruchsberechtigten Personenkreises unterscheiden sich die Bildungsfreistellungsgesetze der Bundesländer erheblich. So spricht das Bremische Bildungszeitgesetz allgemein davon, dass jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer Anspruch auf die Gewährung von bezahlter Bildungszeit hat. Andere Bildungsfreistellungsgesetze definieren sehr unterschiedlich, wer Arbeitnehmer*in im Sinne des Gesetzes ist.
Der Anspruch von Beamt*innen auf eine Bildungsfreistellung muss dem Anspruch anderer Beschäftigter entsprechen. Dies ist im Bund und in einigen Bundesländern der Fall (geregelt im jeweiligen Bildungsfreistellungsgesetz bzw. in der geltenden [Sonder-]Urlaubsverordnung). In anderen Bundesländern fehlen entsprechende Regelungen. Hier besteht Handlungsbedarf.
Auszubildende haben nicht immer Zugang zu allen Lernbereichen der Bildungsfreistellungsgesetze und auch nicht im gleichen zeitlichen Umfang Anspruch auf Bildungsfreistellung. So können Auszubildende zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen keine Freistellung für berufliche Weiterbildung in Anspruch nehmen.
Regelungen für Solo-Selbstständige sind bisher gar nicht in den Bildungsfreistellungsgesetzen enthalten und sollten aufgenommen werden. Sofern keine andere Option der Finanzierung, wie zum Beispiel über Bildungschecks/ Bildungsprämien möglich ist, sollte ein Bildungsfonds auf Landesebene eingerichtet werden, um den Verdienstausfall von Solo-Selbstständigen auszugleichen.
Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften fordern eine bundesweit einheitliche Regelung, die allen Menschen in allen Bundesländern gleiche Chancen und Bedingungen für Bildungsfreistellung bietet und die einheitlich festlegt, dass alle Menschen einen Anspruch auf Bildungsfreistellung für alle Lernbereiche haben.
Der Anspruch auf Bildungsfreistellung entsteht in Baden-Württemberg erstmals zwölf Monate nach Beginn des Beschäftigungsverhältnisses. Der Anspruch muss, so ist es in allen anderen Bundesländern mit Bildungsfreistellungsgesetzen, nach sechsmonatiger Betriebszugehörigkeit genommen werden können.
Klein- und Kleinstbetriebe sind häufig von den gesetzlichen Regelungen zur Bildungsfreistellung ausgeschlossen. So können Betriebe in Baden-Württemberg die Bildungsfreistellung ablehnen, wenn sie zu Beginn eines Jahres weniger als zehn Beschäftigte haben. In Sachsen-Anhalt sind Betriebe mit weniger als fünf Beschäftigten gesetzlich nicht verpflichtet, Bildungsfreistellung zu gewähren. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften setzen sich dafür ein, dass der Anspruch auf Bildungsfreistellung unabhängig von der Betriebsgröße zu gewähren ist.
In den meisten Bundesländern mit Bildungsfreistellungsgesetzen besteht ein Anspruch von bis zu fünf Arbeitstagen pro Kalenderjahr bzw. zehn Arbeitstagen innerhalb von zwei Kalenderjahren. Die Ausgestaltung im Einzelnen ist in den Ländergesetzen jedoch sehr unterschiedlich.
So können zum Beispiel Auszubildende in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern Bildungsfreistellung während der gesamten Ausbildungszeit nur fünf Arbeitstage Bildungsfreistellung in Anspruch nehmen. Auch die Übertragung der Bildungsfreistellung auf das Folgejahr oder die zeitliche Stückelung ist ein einigen Bundesländern möglich, in anderen nicht.
Alle Personen, die regelmäßig an fünf Tagen in der Woche arbeiten, sollten fünf Arbeitstage Bildungsfreistellung pro Kalenderjahr in Anspruch nehmen können, unabhängig von den Lernbereichen. Wird regelmäßig mehr oder weniger als fünf Tage gearbeitet, erhöht oder verringert sich der Anspruch entsprechend. Dieser Freistellungsanspruch sollte immer kumulierbar sein, so dass innerhalb von zwei aufeinander folgenden Kalenderjahren zehn Tage Bildungsfreistellung in Anspruch genommen werden können.
Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sprechen sich auch hier für eine einheitliche Regelung in allen Landesgesetzen aus. Für alle Arbeitnehmer*innen und Auszubildenden sollten fünf Tage pro Jahr Bildungsfreistellung gelten, die auch gestückelt genommenen werden können und kumulierbar sind.
In den Bildungsfreistellungsgesetzen der Bundesländer sind die Regelungen zur Antragsfrist der Arbeitnehmer*innen und zur Genehmigungsfrist durch den Arbeitgeber ebenso wie die Ablehnungsgründe des Arbeitgebers sehr unterschiedlich geregelt. Die Spanne reicht hier von spätestens neun Wochen vor Beginn der Bildungsmaßnahme (z. B. Baden-Württemberg) bis zu vier Wochen vor Inanspruchnahme (z. B. Bremen, Niedersachsen).
Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sprechen sich für länderübergreifende, einheitliche Regelungen aus:
- Die Beantragung durch die Arbeitnehmer*innen sollte bis zu sechs Wochen vor Beginn der Bildungsmaßnahme möglich sein.
- Die Entscheidung des Arbeitgebers sollte dann innerhalb von 14 Tagen erfolgen.
- Erhält die*der Arbeitnehmer*in innerhalb dieser Frist keine Rückmeldung, gilt der Antrag als genehmigt.
- Die Arbeitnehmer*innen entscheiden selbst über die Inhalte der Bildungsmaßnahme und sind frei in der Wahl der Träger/Einrichtungen.
Aus Sicht des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften kann der Arbeitgeber den Antrag nur ablehnen, wenn dringende betriebliche Gründe der Bildungsfreistellung entgegenstehen. Die Ablehnung und die genauen Gründe muss der Arbeitgeber der*dem Arbeitnehmer*in innerhalb der Frist schriftlich mitteilen.
Vereine und Organisationen der Zivilgesellschaft sind ein wichtiger Teil unserer Demokratie und aktives Engagement ist entscheidend für die Aufrechterhaltung demokratischer Funktionsfähigkeit und Teilhabe. Ehrenämter werden jedoch bisher in den meisten Bildungsfreistellungsgesetzen nicht als Aufgaben in Betrieb und Gesellschaft angesehen. Darüber hinaus sollte es möglich sein, dass Bildungsfreistellungsangebote im Ausland in Anspruch genommen werden können ? Sprachkurse zum Beispiel sind viel effektiver und nachhaltiger, wenn sie im Land der Muttersprache stattfinden.
Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften halten die Aus- und Weiterbildung für Ehrenämter und für Mandate in Vereinen und Organisationen für den Erhalt unserer Zivilgesellschaft für notwendig und fordern die explizite Nennung dieser Tätigkeiten in den Durchführungsverordnungen der Länder zu Bildungsfreistellungen. Bildungsfreistellung soll ortsunabhängig sein, damit auch Maßnahmen innerhalb Europas und darüber hinaus zur Völkerverständigung und Erhöhung der interkulturellen und sprachlichen Kompetenzen möglich sind.
Im Bereich der Anerkennung wird zwischen Einzel- und Trägeranerkennungen unterschieden. In den meisten Bundesländern gibt es nur Einzelanerkennungen, das heißt seminarbezogene Anerkennungen. Bei Trägeranerkennungen wird eine Einrichtung als Träger nach dem jeweiligen Bildungsfreistellungsgesetz anerkannt - dies ist derzeit zum Beispiel in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen möglich. Bei der Trägeranerkennung muss nicht für jedes einzelne Seminar eine Anerkennung beantragt werden.
Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sprechen sich dafür aus, dass alle Bundesländer die Möglichkeit schaffen, Einrichtungen als Träger von Bildungsveranstaltungen anzuerkennen.
Verwaltungsgebühren für die Antragssteller von Bildungsmaßnahmen müssen entfallen.
Die Gesetze bzw. Ausführungsvorschriften der Bundesländer regeln auch die Mindestdauer der täglichen Veranstaltungszeit. Diese reichen von mindestens sechs Unterrichtsstunden pro Tag (z. B. Berlin) über sechs Zeitstunden (z. B. Hessen, Hamburg) bis zu in der Regel acht Unterrichtsstunden (z. B. Sachsen-Anhalt). Auch hinsichtlich des zeitlichen Gesamtumfangs einer Bildungsmaßnahme und des zeitlichen Zusammenhangs gibt es in den Ländergesetzen eine große Bandbreite. So müssen zum Beispiel in Thüringen Bildungsveranstaltungen in Blockform an mindestens zwei Tagen, in Hessen in der Regel an fünf aufeinander folgenden Tagen durchgeführt werden. In einigen Bundesländern gibt es diesbezüglich keine Einschränkungen.
Aus Sicht des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften sollte ein "Bildungstag" in der Regel durchschnittlich sechs Unterrichtsstunden umfassen und ab der Durchführung eines halben Bildungstages anerkannt werden. Je nach Bildungsziel sollte die Form der Durchführung der Bildungsveranstaltung offen sein und in Präsenz, hybrid, digital, als Block- oder Intervallveranstaltung oder in entsprechenden Kombinationen durchgeführt werden können. Dabei sollte die Möglichkeit bestehen, geringere Unterrichtszeiten an einem Veranstaltungstag durch höhere Unterrichtszeiten an anderen Tagen auszugleichen.
Die Antragsfristen für die Anerkennung von Bildungsveranstaltungen variieren je nach Bundesland zwischen sechs bis zu zwölf Wochen vor Seminarbeginn. Auch die Form, der Umfang und die Tiefe der einzureichenden Unterlagen für die Anerkennung einer Bildungsveranstaltung sind je nach Bundesland sehr unterschiedlich. Beispielsweise verlangt Mecklenburg-Vorpommern detaillierte Angaben zum Seminarablauf, die bei einer größeren Anzahl angebotener Seminartermine schwer zu erbringen sind.
Sofern ein Landesgesetz keine Trägeranerkennung vorsieht, sprechen sich der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften dafür aus, die Anerkennung einzelner Seminare im Hinblick auf Antragsfristen und -unterlagen länderübergreifend einheitlich zu regeln.
Es gibt keine bundesweite Datenbank, aus der hervorgeht, wer in welchem Bundesland für welche Lernbereiche Bildungsfreistellung anbietet. Ebenso fehlen Statistiken darüber, welche Bildungsmaßnahmen tatsächlich stattgefunden haben und welche Personen, aus welchen Branchen, wie lange Bildungsfreistellung in Anspruch genommen haben.
Entsprechende Daten werden nicht flächendeckend in allen Bundesländern erhoben.
Teilweise besteht eine Auskunftspflicht der Anbieter von Bildungsmaßnahmen gegenüber der anerkennenden Behörde. Auch hier sind die abgefragten Teilnehmer*innendaten sehr unterschiedlich. Der weitere Umgang mit diesen Informationen ist in den Bildungsfreistellungsgesetzen bzw. Ausführungsvorschriften der einzelnen Bundesländer nicht oder meist nur unzureichend geregelt.
Die außerschulische Fort- und Weiterbildung im Erwachsenenbereich bedarf einer stärkeren statistischen Fokussierung. Wir brauchen bundesweit einheitliche Datengrundlagen die unter anderem Daten zu den Trägern erhalten, zu den anerkannten und durchgeführten Veranstaltungen und zu den Teilnehmenden. Eine valide Datengrundlage könnte die Möglichkeit eröffnen Bildungsangebote zu verbreiten und mehr Inanspruchnahme zu generieren.
Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sprechen sich dafür aus, statistische Daten zur Bildungsfreistellung in die nationale Bildungsberichterstattung aufzunehmen.
Weiterbildung
In den meisten Bundesländern wird ArbeitnehmerInnen die Möglichkeit geboten, sich für eine bestimmte Zeit von ihrer Berufstätigkeit freistellen zu lassen, um Gelegenheiten zur Weiterbildung wahrzunehmen. Dies wird als "Bildungsurlaub" bzw. "Bildungsfreistellung" bezeichnet.