Porsche
Ausbildung statt Warteschleifen: Porsche setzt als erstes Unternehmen Tarifvertrag Förderjahr um
Hofmann bemängelte die Praxis des Übergangs von der Schule zum Beruf. Zu viele Jugendliche würden derzeit statt in einer Berufsausbildung im so genannten Übergangssystem landen. "Wenn jeder fünfte Jugendliche nach der Schule nicht in Ausbildung oder Studium, sondern in den Warteschleifen des Übergangssystems landet, dann stimmt da was nicht. Das ist ineffizient, teuer und wenig zielgenau."
Mit dem im Mai abgeschlossenen Tarifvertrag Förderjahr, sowie der Sozialpartnervereinbarung "Vom Einstieg zum Aufstieg" wollen die Tarifparteien der Metall- und Elektroindustrie dieser Entwicklung offensiv begegnen. Unter dem Motto "Chance M+E" soll eine Schwäche des heutigen Übergangssystems durch ein duales Vorbereitungsjahr in den Betrieben mit gezielter, auch sozialpädagogischer Unterstützung der Jugendlichen, die die Voraussetzungen für eine Berufsausbildung noch nicht erfüllen, beseitigt werden. "Alle Erfahrungen zeigen, dass die Erfolgskriterien der dualen Berufsausbildung, die enge Anbindung an den Betrieb und damit verbunden die hohe Übernahmequote in den Beruf, auch für solche Vorbereitungsjahre gelten."
Deswegen will die Gewerkschaft benachteiligte Jugendliche über ein Förderjahr an die Betriebe heranführen. Zum Start im Oktober sind bisher die Autobauer Porsche und Audi mit im Boot. Für Hofmann ist das Förderjahr auch ein Modell für andere Bundesländer. Arbeitgeber und Gewerkschaft im Südwesten hatten das Förderjahr beim Tarifabschluss im Mai vereinbart, jetzt geht es an die Umsetzung. Förderbedürftige Jugendliche sollen unterstützt werden, um ihnen 'neue Ausbildungs- und Beschäftigungsperspektiven' zu bieten, heißt es im Tarifvertrag.
Die Jugendlichen erhalten nach erfolgreichem Durchlauf des Förderjahrs Anspruch auf ein Bewerbungsgespräch und sind bei gleicher Eignung mit anderen Bewerbern bevorzugt zu berücksichtigen.
Der Stuttgarter Sportwagenhersteller Porsche geht bei der Umsetzung dieser Vereinbarung mit gutem Beispiel voran. Mindestens fünf Jugendliche sollen in den kommenden Monaten so vorbereitet werden, dass sie im Anschluss an das Förderjahr eine Ausbildung in Zuffenhausen beginnen können. Uwe Hück, Konzernbetriebsratsvorsitzender der Porsche AG: "Es ist gesellschaftliche Verantwortung und Pflicht des Unternehmers, sich auch um die jungen Menschen zu kümmern, die sonst keine Chance haben. Wir bei Porsche haben das immer getan. Wir bauen nicht nur schnelle Autos, sondern wollen auch mit der zügigen Umsetzung der neuen Vereinbarungen ein Zeichen setzen und andere Betriebe der Branche animieren es uns nach zumachen."
Für Uwe Hück, Betriebsratsvorsitzender bei Porsche, ist das eine wichtige Initiative. 'Junge Menschen müssen erkennen: Sie sind Diamanten, sie waren nur verstaubt, und keiner hat es gesehen.'
In dem Jahr bei Porsche sollen die Jugendlichen einen Tag in der Woche in die Berufsschule gehen, einen Tag ein sozialpädagogisches Programm absolvieren und drei Tage im Betrieb arbeiten. Zum Start will Porsche mindestens fünf junge Menschen auf die Art integrieren, langfristig sollen es laut Hück 20 werden. Geschenkt wird ihnen nichts: 'Sie müssen klare Spielregeln haben, sonst funktioniert es nicht', sagte Hück. Es gehe darum, ihnen Disziplin beizubringen. 'Sie müssen sich in das Arbeitsleben hineinarbeiten.' Porsche will die Jugendlichen an Stuttgarter Brennpunktschulen rekrutieren.
In ganz Baden-Württemberg erwartet Hofmann zum Start etwa 60 Jugendliche.Neben Porsche gebe es von Audi eine Zusage. 'Ich bin fest davon überzeugt, dass das ein erfolgreicher Weg ist', sagte Hofmann.
Bei Porsche wurde in den vergangenen Monaten nicht nur die Zahl der Ausbildungsplätze um 50 Prozent aufgestockt, es sind zudem 40 Prozent der 150 Ausbildungsplätze speziell für Jugendliche mit Hauptschulabschluss reserviert.
Hück: "Porsche wird in den kommenden Jahren kräftig wachsen. Das können wir nur stemmen, wenn wir ausreichend gut ausgebildete Fachkräfte haben. Beim Förderjahr steht aber nicht die Personalgewinnung im Vordergrund, sondern die gesellschaftliche Verantwortung als großes Unternehmen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass unsere Kinder und Jugendliche einfach als nicht ausbildungsreif abgestempelt werden. Sondern wir alle müssen den Mut haben, unseren Kindern die besten Voraussetzungen zu bieten. Dann entsteht erst gar kein Fachkräftemangel. Der Tarifvertrag "Förderjahr" ist ein sehr guter Anfang. Bei Porsche schaffen wir damit Perspektiven. Aus Schwachen wollen wir Starke machen."
Eine aktuelle Studie der Universität Hohenheim im Auftrag der IG Metall bestätigt die Aussagen: Insgesamt landen fast 60 Prozent der Hauptschulabsolventen und sogar 73 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund eines Jahrgangs nach der Schule im Übergangssystem. "Dadurch werden ganze gesellschaftliche Gruppen benachteiligt", kritisiert Hofmann.
Er erkennt darin nicht nur einen Verstoß gegen das Prinzip der Chancengleichheit, sondern ist sich sicher, dass dieser Weg auch unter ökonomischen Gesichtspunkten in eine Sackgasse führt. "Das System produziert einen hohen Anteil an Jugendlichen ohne Ausbildungsabschluss." Im Ergebnis bedeutet das viele persönliche Katastrophen, die nicht selten in völliger Perspektivlosigkeit enden, sowie hohe Kosten für die Allgemeinheit. Hofmann: "Ich halte das für einen Zustand, den wir uns in Zeiten der Wissensgesellschaft definitiv nicht leisten können. Wenn wir es nicht schaffen die brachliegenden Potentiale zu nutzen, wird die Wirtschaft vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und einer steigenden Nachfrage nach Fachkräften eine schmerzhafte Bauchlandung erleben."