Wissenschaftlicher Beraterkreis
Wissenschaftlicher Beraterkreis hilft ver.di und IG Metall bei der Bildung
Im Internet finden sich recht wenige Quellen zum wissenschaftlichen Beirat von ver.di. Warum?
Roman Jaich: Der Eindruck täuscht. Möglicherweise liegt das daran, dass der Beirat sich explizit den Fragen der Berufsbildung widmet. Themen wie zum Beispiel Mitbestimmung spielen eine untergeordnete Rolle. Aber es stimmt schon; wir veröffentlichen nicht permanent Statements, sondern publizieren in größeren Abständen unsere Analysen zu Perspektiven in der Berufsbildung.
Also können vom Beirat keine Positionen zu allen Fragen der Arbeits- und Sozialpolitik erwartet werden?
Roman Jaich: Berufliche Bildung berührt durchaus Fragen, die über das engere Verständnis hinausgehen. Beispiel Leiharbeit, die wir in unserer letzten Studie behandelt haben. Wie sehen berufliche Bildung und Qualifikation im Umfeld von Leiharbeit aus? Was brauchen diese Beschäftigten? Fragen, zu denen wir arbeiten.
Seit wann arbeitet der Beirat und wie setzt er sich zusammen?
Roman Jaich: Der Beirat ist etwa zeitgleich mit ver.di-Gründung entstanden. Seit 2004 arbeiten darin vor allem Wissenschaftler. Der Beirat ist im Übrigen keine ver.di-Einrichtung, sondern eine gemeinsame Einrichtung von IG Metall und ver.di. In der Anfangsphase hatte sich die in den beiden Einzelgewerkschaften für berufliche Bildung zuständigen Kolleg/-innen Mechthild Bayer (ver.di) und Dr. Klaus Heimann (IG Metall) darüber verständigt, wen sie aufnehmen wollten. Einzig entscheidend war dabei die Frage, ob diese Personen als ausgewiesene Expert/-innen im Themengebiet Berufsbildungspolitik gelten und gewerkschaftliche Position unterstützen. So kam ein Kreis von etwa 20 Personen zusammen. Inzwischen haben sich immer wieder personelle Veränderungen ergeben - der Beirat entscheidet heute selbst über die Neubesetzung frei werdenden Stellen.
Aus pragmatischen Gründen der Raumkapazitäten hatte man sich damals auch dafür entschieden, die Geschäftsräume des Beirats in der ver.di Hauptverwaltung anzusiedeln.
Wie arbeitet der Beirat konkret - jeweils auf Eigeninitiative oder nach Anfragen aus den Gewerkschaften selbst?
Roman Jaich: Es ist eine Mischung. 2004 erkannte man, dass ein Beratergremium in Fragen der Berufsbildungspolitik notwendig sei. Der Beirat sollte grundlegende Positionen erarbeiten, wie sich Gewerkschaften dazu positionieren sollten. Die erste größere Publikation erschien als "Streitschrift: Bildung ist keine Ware" und wurde gut aufgenommen. Um die Ergebnisse zu verbreiten, gab es eine Konferenz der beiden Gewerkschaften, die das Thema in die Breite getragen hat.
Danach tauchte die Frage auf, ob wir nicht zu anderen Themenfeldern solche Positionen erarbeiten sollten. Seither veröffentlichen wir regelmäßig diese Expertisen - zuletzt eben zum Thema Leiharbeit und berufliche Bildung. Aktuell wird ein gemeinsames Leitbild für das duale System der beruflichen Bildung in Abgrenzung zur Hochschulausbildung erstellt. Hintergrund: Bachelor-Studiengänge und Berufsausbildung überlappen sich in Teilen. Hier muss noch austariert werden, wie diese zueinander stehen.
Der Beirat sucht also manchmal eigene Themen, in anderen Fällen kommt die Gewerkschaft auf uns zu und möchte eine Position, die sie dann später im Gewerkschaftsrat weiterdiskutieren kann.
Wie arbeitet der Beirat - der übrigens ganz korrekt "Wissenschaftlicher Beraterkreis der Gewerkschaften IG Metall und ver.di" heißt - genau?
Roman Jaich: Die Mitglieder treffen sich in der Regel zweimal jährlich. Anfang verständigt man sich darauf, zu welchem Thema und welcher Form der Beirat seinen nächsten Bericht anlegt. Danach werden thematische Einzelaspekte als Arbeitsaufträge an die Beiratsmitglieder vergeben. Währen der folgenden Treffen muss aus den Einzelerkenntnissen ein zentrales Positionspapier entstehen. Dabei verstehen wir uns durchaus als politisch motiviertes Gremium, denn am Ende steht eine politische Handlungsempfehlung an die Gewerk-schaften.
Der Beraterkreis macht also im Sinne eines Agenda Settings auch Probleme erst zu Themen der gewerkschaftlichen Arbeit?
Roman Jaich: Das ist richtig. Im anderen Fall gibt es mitunter eine gewisse "Ratlosigkeit" bei den Gewerkschaften bei bestimmten Fragestellungen. Zum Beispiel in Fragen der Europäisierung der Berufsbildung (Deutscher und Europäischer Qualifikationsrahmen). Eine Positionierung ist aber unbedingt erforderlich.
Was würdest du als Meilenstein in der Arbeit des Beraterkreises ansehen?
Roman Jaich: Die Position zur europäischen Berufsbildungspolitik zählt sicher dazu. Oder auch die Beiträge zur Föderalismusdebatte, in die wir die gewerkschaftliche Sichtweise eingebracht haben. Unser Plädoyer geht hier zu mehr gemeinschaftlicher Verantwortung und weniger Kleinstaaterei.
Wird der Bedarf an (externer) Beratung auch in den Gewerkschaften steigen?
Roman Jaich: Nicht zuletzt die Arbeitswelt wird komplexer. Deshalb sollten solche Beratungsgremien bedeutsamer werden. Nicht nur im Themenbereich berufliche Bildung. Es müsste einen Beraterkreis geben, der alle Perspektiven der gewerkschaftlichen Arbeit begleitet und wissenschaftlich untermauert. In solch einem Kreis müssten dann vielen Personen mit verschiedenen Qualifikationen vertreten sein, die unterschiedliche Themen bedienen könnten. Es gibt in den Gewerkschaften natürlich viele Kompetenzen, zu vielen Fragen eben aber auch nicht. Externe Expertise ist also notwendig. Der Beirat könnte dann in verschiedenen Arbeitsgruppen wirken.
Wie konkret sind eure Handlungsempfehlungen?
Roman Jaich: Alle Publikationen enden mit konkreten Empfehlungen an die Gewerkschaften. Anfangs gab es im Beraterkreis Diskussionen darüber, wie konkret diese sein sollen. Beispiel: Wir hatten empfohlen, dass in Qualifizierungstarifverträge ein Anspruch auf zehn Tage Weiterbildung pro Jahr formuliert sein sollte. Das war dem Beirat schließlich zu konkret, die Formulierung wurde dann allgemeiner abgefasst. Wir geben also keine Arbeitsanleitungen heraus, sondern zeigen die großen Linien auf.
Wie durchdringen eure Empfehlungen beispielsweise die Organisations-Matrix der ver.di?
Roman Jaich: Wir wollen das natürlich nicht dem Zufall überlassen und kümmern uns auch um die Verbreitung der Ergebnisse innerhalb der Gewerkschaften. Wir fordern zu konkreten Rückmeldungen an uns auf, bieten an, die Ergebnisse in Seminare und Veranstaltungen einzubinden. Dabei treten Mitglieder des Kreises auch als Referenten/-innen auf.
Wie wirkungsvoll schätzt du eure Arbeit ein?
Roman Jaich: Grundsätzlich haben wir schon viel bewegen können und zur Positionsbildung beigetragen. Selbstkritisch müssen wir jedoch anmerken, dass uns noch eine Strategie für unsere eigene Öffentlichkeitsarbeit fehlt. Das anfängliche Konzept, nach der Veröffentlichung der Publikation Tagung und Weiterverwertungen anzubieten, wird in neuerer Zeit nicht mehr konsequent genug verfolgt. Aber wir sind sicher auf einem guten Weg.