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Auf der Suche nach Transparenz in der Europäischen Berufsbildung

Was ist ECVET und wie gehen wir damit um?

10.03.2005 Ι ECVET ist die Abkürzung für European Credit System for Vocational Education and Training, was wörtlich übersetzt bedeutet: Europäisches Kreditsystem für die Berufsbildung. Weniger missverständlich ist es allerdings, vom System der Leistungspunktezu sprechen.

Die Idee von ECVET geht zurück auf die Erklärung von Kopenhagen im November 2002. Dort wurde von den Bildungsministern Europas und der Europäischen Kommission der sogenannte Kopenhagen Prozess eingeleitet*.

Die Erklärung von Kopenhagen soll dazu beitragen einen europäischen Bildungsraum herzustellen, um die Zielsetzung des Europäischen Rates von Lissabon aus dem Jahr 2000 voranzubringen: Europa zum dynamischsten und wettbewerbsfähigsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu entwickeln.


Der Weg dahin soll durch verstärkte Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in der beruflichen Bildung und der Entwicklung folgender Instrumente geebnet werden:

  • Entwicklung eines Europäischen Qualifikationsrahmens (EQF)
  • Gemeinsamen Kriterien für die Sicherung der Qualität von Berufsbildung.
  • Anerkennung von Fähigkeiten und Qualifikationen durch die Entwicklung eines Credit Transfer Systems in der beruflichen Bildung (ECVET).

Bereits Ende 2002 wurden bei der EU-Kommission drei Technische Arbeitsgruppen eingerichtet, in denen Vertreter der Mitgliedstaaten und der europäischen "Sozialparteien" bei der Entwicklung dieser Instrumente zusammenarbeiten.

 

* Vorbereitet wurde diese Erklärung auf einer Konferenz der europäischen Generaldirektion für Berufsbildung im Juni 2002 in Brügge - deshalb spricht man in der Berufsbildung auch vom Brügge-Kopenhagen Prozess

 

 

Im Selbstverständnis der EU-Kommission ist die politisch-programmatische Zielsetzung von ECVET, berufliche Qualifikationen europaweit "wie eine gemeinsame Währung" zu handeln. Ziel ist:

  • Mobilität innerhalb der Bildungssysteme zu fördern,
  • lebensbegleitendes Lernen zu ermöglichen,
  • Durchlässigkeit zwischen den Bildungssystemen zu verbessern.

 

Für alle an Bildungsprozessen beteiligten Individuen soll ECVET dazu beitragen:

  • Sich im eigenen oder den Bildungssystemen anderer europäischer Länder innerhalb und zwischen verschiedenen Lernorten und Bildungseinrichtungen frei zu bewegen und das jeweils Erlernte - sei es formal, nicht-formal oder informell in Programmen, Kursen oder Modulen in Schule, Betrieb, überbetrieblicher Einrichtung oder durch Berufserfahrung erworben - von der einen zur anderen Situation zu übertragen.
  • Es jedem Individuum möglich zu machen, einzelne Lern- und Qualifikationsabschnitte, Module und Erfahrungen im Verlauf des eigenen (lebenslangen) Bildungsweges zu einer Teil- oder Vollqualifikation aufzusummieren und auch anerkannt zu bekommen, unabhängig davon, wo und wie gelernt wurde.

 
Für die in den einzelnen Nationen an Bildungs- und Berufsbildungsprozessen beteiligten Einrichtungen und Organisationen soll ECVET dazu beitragen:

  • Vertrauen zwischen den Akteuren der beruflichen Bildung zu entwickeln und
  • die Kooperation sowohl innerhalb als zwischen den unterschiedlichen Systemebenen (zuständige Stellen, Trägereinrichtungen usw.) als auch innerhalb und zwischen den am Bildungsprozess beteiligten Personen (LehrerInnen, AusbilderInnen, TeilnehmerInnen) herzustellen und zu verstärken.

 

Credit Points - Leistungspunkte

Der Gedanke eines europäischen Leistungspunktesystems in der beruflichen Bildung orientiert sich an dem bereits bestehenden ECTS System (European Credit Transfer System) im Hochschulbereich. Grundgedanke ist es, Ausbildungsgänge, Ausbildungsabschnitte


und informelle Lernprozesse transparent, vergleichbar und verwertbar zu machen, indem für jedes Lernergebnis (outcome) Leistungspunkte (Credit Points) vergeben werden bzw. erworben werden können. Bei den "outcomes" kann es sich wahlweise um einzelne Qualifikationen, Lernabschnitte, Berufsabschlüsse oder auch Erfahrungen handeln.

 

Zugrundegelegt werden dem System der Leistungspunkte (ECVET) folgende Prinzipien:

 

Die Bildungsziele der Ausbildung, des Ausbildungsabschnittes, der Qualifizierungsbestandteile usw.
  • werden als Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten (Knowledge, Skills and Competences) formuliert.
  • Sie bewegen sich auf unterschiedlichen Referenzniveaus. 
  • Sie werden als Einheiten (UNITS) zusammengefasst und organisiert.
Ein vollständiger Bildungsgang setzt sich zusammen aus
  • Units (kleinste Qualifikationselemente) und Modulen (kleinste Einheiten von Ausbildungsgängen) und informellen Lernprozessen. Ihnen werden jeweils bestimmte Leistungspunkte (Credits) zugeordnet. Wie viele Credit Points für einen vollständigen Bildungsgang benötigt werden, wird auf europäischer Ebene vereinbart.
Zwischen Ausbildungsstätten und Bildungseinrichtungen werden Vereinbarungen getroffen, um wechselseitige Anerkennung und Austausch sicherzustellen. Inhalte der Vereinbarung betreffen z.B.
  • die Anzahl der Einheiten, die jeweils mit einem Ausbildungsgang verbunden werden.
  • die Beschreibung der Lernmodule, Programme, Praktika usw., an denen der Lernende sich beteiligen wird.
In Verbindung mit anderen Dokumenten (Europass, Zertifikats- oder Diploma-Supplement etc.) wird über die Vereinbarung für die Bildungsteilnehmer sowohl
  • Transparenz als auch Erwerb der zugesicherten Bildungsziele garantiert - und gleichzeitig das gegenseitige Vertrauen zwischen den Bildungsanbietern bestätigt.

 

Die Leistungspunkte (CREDITS) bewerten Lernergebnisse (outcome-Orientierung), die in den einzelnen UNITS oder MODULEN (s.o.) vermittelt werden. Die Gesamtzahl der für einen "vollständigen Ausbildungsgang" benötigten Leistungspunkte wird noch verhandelt. Momentan wird in den Arbeitsgruppen von einer Zahl zwischen 120 und 180 Leistungspunkten ausgegangen. Bei der Festlegung der jeweiligen Punktezahl sollen auch Lernzeit (time), Leistung (workload) und die erworbene Kompetenz (outcome) in irgendeiner Form berücksichtigt werden.

 

 

EQF - Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Qualifikationsrahmens (European Qualification Framework)

Die Entwicklung und vor allem Umsetzung von ECVET steht in engem Zusammenhang mit der Absicht der EU-Kommission, (bis zum Jahr 2010) einen gemeinsamen europäischen Qualifikationsrahmen - EQF - zu entwickeln. Ein solcher Qualifikations- oder auch Referenzrahmen soll alle nationalen Qualifikationen und, soweit vorhanden, Qualifikations(referenz)rahmen umfassen.

 

Ziele von EQF sind u.a.:

  • Vergleichsbasis für Qualifikationen und Kompetenzen
  • Zuordnung von Qualifikationen, Nachweis von Weiterbildung und vorhandenen Erfahrungen auf unterschiedlichen Ebenen
  • Einordnung von Leistungspunkten und Ermöglichung des Transfers
  • Verständnis der unterschiedlichen nationalen Berufsbildungssysteme innerhalb der Europäischen Gemeinschaft
  • Erleichterung von Kooperation und Austausch unterschiedlicher Bildungsanbieter innerhalb Europas


Um Leistungspunkte vergleichen und übertragen zu können, müssen sie auf eine gemeinsame Messlatte für das Niveau der Qualifikationen bezogen werden können. Entsprechend basiert jedes Rahmenwerk auf einem Schema unterschiedlicher hierarchischer Stufen (levels), in die schulische, berufliche und akademische Qualifikationen eingeordnet werden.

 

Bei der Entwicklung eines solchen Rahmenwerkes sollen bereits bestehende Klassifikationen (ISCED) weiterentwickelt und den neuen Zielsetzungen angepasst werden. Dabei geht es vor allem darum, auch Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten einzuordnen, die informell (z.B. über Berufserfahrung) oder in staatlich nicht anerkannten Bildungsformen (nicht formal), zum Beispiel auch über Praktika, erworben wurden.

 

Nach Auffassung der mit der Entwicklung eines solchen Rahmenwerkes befassten Technischen Arbeitsgruppe, soll ein EQF eine Typologie von Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten umfassen, die flexibel und entwicklungsfähig ist. Er soll dazu beitragen, neue Bedarfe und Anforderungen in den einzelnen Mitgliedstaaten, Regionen, Sektoren oder auch für spezifische Beschäftigungen und Berufe kontinuierlich zu erfassen.

 

Wichtigste Zielsetzung für die Einführung von EQF ist es "Hindernisse bei der gegenseitigen Anerkennung von Qualifikationen und Kompetenzen in Angriff zu nehmen, um einen echten europäischen Arbeitsmarkt zu erreichen".

 

Am 14. Dezember 2004 diskutierten die für Berufsbildung zuständigen Minister Europas den Stand der Umsetzung der Kopenhagener Erklärung und legten im Kommunique von Maastricht die zukünftigen Prioritäten europäischer Berufsbildungspolitik fest. Das Kommunique gibt der Fortführung der Entwicklungsarbeiten am europäischen Leistungspunktesystem für die berufliche Bildung (ECVET) und einem Europäischen Qualifikationsrahmen (EQF) ein klares Mandat. Das BMBF betont in einer Presseerklärung zu den Ergebnissen von Maastricht, dass Deutschland den Kopenhagen Prozess von Anfang an aktiv mitgesteuert hat und in allen Arbeitsgruppen vertreten ist.

  • Die Arbeitsgruppe Transparenz hat mit dem EUROPASS ein "einheitliches Rahmenkonzept der Transparenz bei Qualifikationen und Kompetenzen" vorgelegt. Dieses Konzept fasst vorhandene Dokumente und Bescheinigungen zusammen. Bestandteile des EUROPASS sind:
      • EUROPASS-Lebenslauf
      • EUROPASS-Zeugniserläuterungen
      • EUROPASS-Mobilität (bisheriger Europass-Berufsbildung)
      • EUROPASS-Diplomzusatz (für Hochschulabschlüsse)
      • EUROPASS-Sprachenportfolio

 

Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union hat das neue Europass-Rahmenkonzept am 15.12.2004 verabschiedet. Die Umsetzung in Deutschland wird durch die InWEnt gGmbH koordiniert. Der Europass ist ein freiwillig zu nutzendes Instrument mit dem erklärten Ziel, europaweit die Transparenz und damit auch die Vergleichbarkeit und Akzeptanz von Qualifikationen und Kompetenzen zu verbessern und die Mobilität zu fördern.

Der EUROPASS Transparenzrahmen soll sowohl einzelne Personen als auch Betriebe bzw. Aus- und Weiterbildungseinrichtungen in den europäischen Mitgliedstaaten bei der Einschätzung und Bewertung vorhandener Qualifikationen der Bewerber unterstützen.

Eine Anerkennung der erworbenen Qualifikationen ist mit Hilfe des Europasses nicht möglich.

Die nationale Begleitgruppe zum EUROPASS, angesiedelt beim BMBF ist übereinstimmend der Meinung, dass bei der praktischen Anwendung und Umsetzung des neuen EUROPASSES noch erheblicher Klärungsbedarf besteht.

  • Die Arbeitsgruppe Qualitätssicherung hat einen einheitlichen Bezugsrahmen erarbeitet, der politischen Entscheidungsträgern und Bildungsanbietern ermöglichen soll, besser zu verstehen, wie die in den einzelnen Mitgliedstaaten angewendeten Qualitätsinstrumente funktionieren. Auf dieser Basis hat der Europäische Rat der Bildungsminister im Mai 2004 Schlussfolgerungen zur Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung verabschiedet.
  • Der Zwischenbericht der Arbeitsgruppe ECVET (s. Anlage) beschreibt Funktion und Reichweite des Leitpunktesystems und nennt den Bezugsrahmen für die Umsetzung des ECVET-Systems. Auf dieser, in Maastricht von allen Ministern akzeptierten Grundlage wird die Arbeitsgruppe bis Mitte 2005 einen ECVET PROTOTYP entwickeln, der outcome orientiert und auf Kompetenzen basierend sein wird. Der Prototyp wird sich in einem ersten Schritt auf formale Bildungsgänge konzentrieren und perspektivisch auch informelle Lernergebnisse einbeziehen.

 

Vereinbart ist folgender Zeitplan:

  • Vorlage des ECVET-Prototyps bis Juni2005
  • Sommer 2005: Abschluss der Diskussion und Kommunikation innerhalb der Kommission zu ECTS (Bologna Prozess - Hochschulen) und ECVET (Kopenhagen-Prozess - Berufsbildung).
  • Bis Ende 2005: Test des Prototypes von ECVET unter Einbeziehung der Akteure der Berufsbildung und Erprobung von ECVET mit Schwerpunkt auf dem formalen System.
  • Anfang 2006: Vorlage der Endversion des ECVET Modells
  • Frühjahr 2006: Entscheidung des Parlamentes und des Rates der EU über ECVET und Verabschiedung einer Empfehlung zur technischen Handhabung von ECVET
  • 2006: Beginn der endgültigen Probephase.

 

EQF - Referenzrahmen für ECVET und ECTS:

Im Laufe der bisherigen ECVET-Arbeiten wurde ein Vorschlag zur Abbildung beruflicher Qualifikationen entwickelt, der acht Niveaus unterscheidet, die jeweils wiederum in drei Unterebenen unterteilt werden können. Die Arbeiten daran werden auf der Grundlage einer umfassenden CEDEFOP-Studie fortgesetzt. 

  • Der Zentralverband des deutschen Handwerks hat Ende Januar 2005 "Überlegungen für die Konstruktion eines integrierten NQF-ECVETModells" vorgelegt. Es geht von dringendem Handlungsbedarf bei der Entwicklung eines europäischen Qualifikationsrahmens und eines europäischen Leistungspunktesystems aus. Vorgeschlagen wird ein nationaler Qualifikationsrahmen (NQF) verbunden mit einem Leistungspunktesystem für Deutschland. Das Modell zielt auf die Verzahnung von Berufsbildungs-, Schul- und Hochschulsystem. Es orientiert sich an einem "Qualifikationsrahmen mit dessen Hilfe formell und informell aufgebaute Kompetenzprofile einer Person nach ihrem Anforderungsgrad bzw. Leistungspotential bewertet werden können". Als Kriterien für die Bewertung von Handlungssituationen werden vorgeschlagen: Komplexität, Intransparenz, Vernetztheit und Dynamik. Davon abhängig werden sechs Bewertungsstufen vorgeschlagen - wobei Stufe eins der Berufsausbildungsvorbereitung sowie 2jährigen dualen Ausbildungsphasen zugeordnet wird; Stufe 2 entspricht der Berufsausbildung und Stufe 6 einem Professor. Die Vergabe von Leistungspunkten soll abhängig von Kompetenzstufen und der Dauer der Ausbildung erfolgen. Gegen die Auflösung des Berufsprinzips durch Modularisierung grenzt sich der ZDH ausdrücklich ab.

 

Das ZDH-Papier liegt den Arbeitgeberverbänden zur Stellungnahme vor. Die Gewerkschaften sind eingeladen, sich am Diskussionsprozess zu beteiligen.

 

Bei der Umsetzung der Kopenhagener Erklärung ist zu unterscheiden zwischen 1. mehr technisch-praktischen Problemen z.B. bei der Erstellung eines gemeinsamen Qualifikationsrahmens und 2. grundsätzlich politischen Problemen bezogen auf den künftigen Stellenwert beruflicher Bildung in Deutschland und Europa.


1. Zur ersten Problemgruppe gehören eine Reihe ungelöster Fragen, wie sie das Bundesinstitut für Berufsbildung - bei grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Entwicklung der Instrumente EQF und ECVET - den Vertretern des Hauptausschusses im Dezember 2004 vorlegte. 

  • Wie werden Qualifikationen und Kompetenzen erfasst, die in informellen Lernund Arbeitsprozessen erworben wurden?
  • Wie und mit welchen Instrumentarien werden Qualifikationen und Kompetenzen im Rahmenwerk EQF beschrieben?
  • Welche Bemessungsgrundlagen sind für die Zuweisung der Leistungspunkte praktikabel? Wer bewertet? Wer prüft? usw.
  • ......


Dieser Fragenkomplex kann ohne weiteres ergänzt werden (wie in einem Papier der Hans-Böckler-Stiftung zum Kopenhagen-Brügge-Prozess geschehen):

  • Was sind "Einheiten" (UNITS) in deutschen Berufsbildern?
  • Wie können Positionen der Ausbildungsberufsbilder und der Rahmenlehrpläne so reformuliert werden, dass sie Einheiten und Kreditpunkte für das ECVET Kreditsystem darstellen?
  • Welche Anzahl von Qualifikationsniveaus sollen für das EQF angestrebt werden? 
  • Ist die Vorgabe einer Gesamtzahl von Kreditpunkten für eine vollständige Qualifikation oder die Summierung der Punkte für die einzelnen Einheiten eines Ausbildungsganges sinnvoller?

Das ZDH Papier weitet diese Fragestellungen grundsätzlicher aus auf das "rechtliche Verhältnis des existierenden, an formalen Abschlüssen orientierten Berufssystem und einem System, das domänenspezifische Kompetenzen beschreibt und kategorisiert sowie Handlungskompetenzen mit Leistungspunkten belegt". Es konkretisiert dies durch die Frage nach Rechtsansprüchen durch Leistungspunkte und eine Reihe von prüfungsrechtlichen Fragestellungen. (ZDH-Papier S.11/12)

 


2. Die berufsbildungspolitische Diskussion zur Umsetzung der Kopenhagener Erklärung in Deutschland spitzt sich auf die Frage nach der Vereinbarkeit des Berufsprinzips mit der Entwicklung und Einführung von ECVET und EQF in Europa zu.

 

Anders ausgedrückt "oszilliert die zu diesem Themenkomplex in Deutschland seit Jahren geführte Diskussion zwischen der Antipoden Modularisierung und Beruflichkeit". (Protokoll BiBB Brügge-Arbeitsgruppe v. 8.03.04)

 

Befürchtet wird darüber hinaus die absehbare Fortschreibung einer systematischen Unterbewertung deutscher Berufsabschlüsse bei der Entwicklung eines einheitlichen Europäischen Qualifikationsrahmens.

 

In Stellungnahmen von Vertretern des Bundesinstitutes für Berufsbildung und des Bildungsministeriums werden diese Gefahren weitgehend in Abrede gestellt. Ohne dass allerdings hinreichend deutlich wird, mit welchen Konzepten und Ansätzen im europäischen Prozess den befürchteten negativen Auswirkungen auf duale Berufsstrukturen entgegengesteuert werden soll.

 

Berufsbildungsexperten und Wissenschaftler* mit langjährigem Praxisbezug weisen auf folgende Gefahren und Risiken einer dem bürokratischen Selbstlauf überlassenen
Mitarbeit bei der Umsetzung der Kopenhagener Erklärung hin: 

  • Die Einführung von Leistungspunkten in der beruflichen Bildung mit einer europäischen Währung gleichzusetzen, verkennt den Charakter beruflicher Bildungsinhalte. Diese sind ja gerade nicht beliebig, sondern an konkrete Inhalte gebunden und werden über individuelle Lernprozesse vermittelt.
  • "Für Länder mit entwickelten Berufsbildungssystemen stellt sich die Frage, ob das Konzept der vollständigen Berufsausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen zugunsten des Erwerbs von zertifizierbaren Qualifikationen aufgegeben werden soll. Negative Auswirkungen werden vor allem für eine geregelte berufliche Erstausbildung erwartet, da unterhalb der gesetzlich geregelten Ausbildungszeit für eine vollständige Berufsausbildung ein System von Teilqualifikationen eingeführt würde. Das Konzept der Beruflichkeit würde seine für die berufliche Bildung (in Deutschland) konstituierende Bedeutung verlieren."
  • "Ziel der Kopenhagener Erklärung ist die europaweite Schaffung eines nachfrageorientierten, marktförmig orientierten Qualifizierungssystems. Innerhalb dieses Systems soll jeder Einzelne die Chance haben, sich ein eigenes Kompetenzprofil à la carte zusammenzustellen. Dies gilt auch für Kompetenzen, die "informell", d.h. außerhalb geregelter Bildungsangebote und Ausbildungsgänge erworben werden. Tendenziell werden damit geregelte Berufsbildungssysteme abgelöst, die Verantwortung für Qualifizierung wird zunehmend dem Einzelnen übertragen."
  • ECVET setzt modulförmig definierte Fertigkeiten in einem System europäischer Qualifikationsmodule voraus. Die Module müssen sich in einen Referenzrahmen einfügen. Bei der Umsetzung von ECVET kommt es also darauf an, ob es im Rahmen eines modularisierten Systems eingeführt wird oder innerhalb des dualen Systems Beruflicher Bildung. Wird ECVET innerhalb bzw. in Verbindung mit dem dualen System eingeführt, dann würden dessen Qualifikationen im Kern erhalten bleiben und durch Credit Points könnten jeweils Zusatzqualifikationen angelagert werden. Dadurch würden zusätzliche Aufstiegswege im dualen System geschaffen.
  • "Auf der Basis eines modularisierten Konzeptes unterstützen Credit Points die Taylorisierung des Qualifikationserwerbs junger Arbeitnehmer. Lernprozesse und Erfahrungserwerb werden tendenziell unter dem Gesichtspunkt des Erwerbs von Leistungspunkten instrumentalisiert.


Für gewerkschaftliche Politik ist dabei grundsätzlich von Bedeutung:

  • Mit der Hinwendung zur (überwiegenden) Eigenverantwortung verliert das von den Gewerkschaften geforderte "Recht auf eine qualifizierte Ausbildung für alle" seinen Realitätsbezug.
  • ECVET kann bestehende Systeme der Bewertung und Entlohnung von Qualifikationen weitreichend verändern. Wenn europäische Bewertungsmaßstäbe vereinbart sind, müssen sie sich irgendwann auch in den nationalen Tarifverträgen abbilden.

 

* Ingrid Drexel, Das duale System und Europa (unv. Manuskript) Felix Rauner, Europäische Berufsbildung - eine Voraussetzung für die im EU-Recht verbriefte Freizügigkeit von Beschäftigten 2004

 

 

Die Stimme der Gewerkschaften bei der Umsetzung des Brügge-Kopenhagen-Prozesses und der damit verbundenen Auseinandersetzung um Leistungspunkte und eines gemeinsamen Qualifizierungsrahmens scheint - bislang jedenfalls - relativ schwach.

 

Die Aufgabe der Mitgestaltung des "europäischen Berufsbildungsraumes im Interesse von Arbeitnehmern" wird aufgrund schwerwiegender Fehlentwicklungen der beruflichen Bildung in Deutschland behindert. Durch den Abwehrkampf gegen die Einführung zweijähriger Berufe, gegen ein neues Berufsbildungsgesetz, das die Reformerwartungen und -notwendigkeiten nicht aufgreift und gegen einen Ausbildungsmarkt, der die Zukunftsaussichten junger Menschen zutiefst enttäuscht sind viele Kräfte gebunden.

 

Andererseits sind es gerade solche Fehlentwicklungen, die - auch innerhalb der Gewerkschaften - den Umsetzungsprozess der europäischen Vorgaben und Verlautbarungen mit Hoffnungen auf notwendige Veränderungen und auf Auswege aus der Stagnation deutscher Berufsbildung (Wege aus der Sackgasse) verbinden. Bezogen auf ECVET und EQF sind die Reformerwartungen z.B.

  • Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung,
  • Durchlässigkeit innerhalb und zwischen unterschiedlichen Bildungsstufen
  • Anerkennung von Berufserfahrung
  • Lebenslanges Lernen u.a. mehr.

An diese Erwartungen können Gewerkschaften bei der europäischen Berufsbildungspolitik anknüpfen.

 

Das Festhalten am Berufsprinzip erfordert den Ausbau der Stärken des dualen Systems und setzt eine deutliche Orientierung am Ziel einer positiven Weiterentwicklung des dualen Systems voraus. "Die Fixierung der dualen Berufsausbildung auf das Hauptschulniveau", wie es ein Vertreter der KMK bei der EU in Vorbereitung des Maastricht Kommuniques ausdrückte, "wird im europäischen Kontext dazu führen, dass deutsche Berufsabschlüsse im unteren Bereich angesiedelt bleiben."

 

Angesichts des stetigen Trends bei Jugendlichen und ihren Eltern zu höherwertigen Schulabschlüssen muss die Durchlässigkeit zwischen Berufsausbildung und Fachhochschul- bzw. Hochschulabschluss endlich verwirklicht werden. Dieses Ziel ist beim Umsetzungsprozess der Kopenhagener Erklärung und der Entwicklung eines nationalen Referenzrahmens vorrangig zu berücksichtigen.

 

Ebenso wichtig scheint es, vorhandene Initiativen, zum Beispiel bei der Umsetzung des European Credit Transfer Systems für den Hochschulbereich (ECTS) im ITBereich mit den Entwicklungsarbeiten an ECVET zu koordinieren.

 

Zur weiteren Positionsabklärung hat der DGB mittlerweile eine Arbeitsgruppe einberufen, in der wir die Diskussionsergebnisse des Berufsbildungsausschusses der IG Metall einbringen werden.

 

Gleichzeitig kommt es darauf an, auf die deutsche Regierung einzuwirken, um im europäischen Aushandlungsprozess den oben beschriebenen Risiken gegenzusteuern.

 

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