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Betriebliches Einstellverhalten Azubis

Hauptschüler ohne Ticket für die Lehre

26.02.2013 Ι Auch wenn das duale Ausbildungssystem formal jedem offensteht: Faktisch stellen Unternehmen bevorzugt Abiturienten und Realschüler ein. Gestiegene Anforderungen oder schlechtere Leistungen können aber allenfalls einen Teil der Schwierigkeiten von Hauptschülern erklären. Die betrieblichen Entscheider darüber, wer für eine Ausbildungsplatz in Frage kommt, haben Hauptschüler kaum noch im Blick und zwar unabhängig davon, ob sie für die zu vergebende Stelle geeignet wären oder nicht, so das Fazit des Böckler-Impulsbeitrag. Ein Thema für den Betriebsrat, als Mitentscheider auf das Einstellverhalten Einfluss zu nehmen, meint WAP.

Obwohl die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland im internationalen Vergleich gering ist, fällt der Einstieg ins Arbeitsleben vielen jungen Leuten schwer. Wer nicht wenigstens über einen mittleren Schulabschluss verfügt, findet meist nicht ohne weiteres eine Ausbildungsstelle. Die ist aber gerade hierzulande von entscheidender Bedeutung. Die Forschung zeigt, "dass in Deutschland die zentrale Scheidelinie auf dem Arbeitsmarkt zwischen Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung und denen ohne Berufsausbildung verläuft", so die Arbeitsmarktexpertinnen Heike Solga und Laura Menze vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Daher hänge der weitere Lebens- und Erwerbsverlauf junger Menschen in der Bundesrepublik stärker vom Zugang zu Ausbildung ab als anderswo. Die Arbeitslosenquoten von Menschen ohne Ausbildung sind den Wissenschaftlerinnen zufolge in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen und liegen um das Drei- bis Vierfache über dem Durchschnitt.


Etwa 15 Prozent aller 20- bis 24-Jährigen haben keine Berufsausbildung abgeschlossen und befinden sich auch in keiner - betrieblichen, schulischen oder universitären - Ausbildung. Dieser Anteil hat sich seit Mitte der 1990er-Jahre kaum verändert. Ohne Abschluss fehlt diesen jungen Leuten die "Eintrittskarte zum beruflich strukturierten Arbeitsmarkt", schreiben die Wissenschaftlerinnen in einem aktuellen Überblick zur Situation im System der Berufsbildung.


Notlösung Übergangsbereich. Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze hängt vom Angebot der Unternehmen ab - und fällt den Expertinnen zufolge regelmäßig geringer aus als die Nachfrage der Jugendlichen. Die entstehende Lücke soll das so genannte Übergangssystem mit unterschiedlichen berufsvorbereitenden und berufsschulischen Angeboten, die zu keinem voll qualifizierenden Abschluss führen, schließen. Gerade Jugendliche, die im allgemeinbildenden Schulsystem Schwierigkeiten hatten, müssen häufig mit Übergangsmaßnahmen Vorlieb nehmen. 2010 traf das auf fast drei Viertel der Schulabgänger ohne Abschluss und beinahe die Hälfte der Hauptschulabsolventen zu.


Zwar vermeidet der Übergangsbereich zumindest Arbeitslosigkeit, aber "der erfolgreiche Abschluss einer Maßnahme stellt", so die WZB-Forscherinnen, "weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für die Verbesserung der Ausbildungschancen dar". Zudem erfüllt der Übergangsbereich nach ihren Untersuchungen nicht den Anspruch, die Gruppe der schulisch schwächeren Jugendlichen insgesamt in eine bessere Startposition zu bringen. Nach Abschluss der Übergangsmaßnahmen seien die Unterschiede in den Abschlüssen der Teilnehmer größer als vorher - soziale Ungleichheiten des allgemeinbildenden Schulsystems würden "eher verstärkt als abgebaut".


Nicht ausbildungsfähig? Arbeitgeber machen für die Schwierigkeiten von Hauptschülern bei der Lehrstellensuche häufig eine "mangelnde Ausbildungsreife" verantwortlich. Zwar schnitten Jugendliche im Übergangsbereich im Schnitt schlechter in Lese-, Mathe- oder Englischtests ab als andere Jugendliche, stellen Solga und Menze fest. Allerdings gebe es hier auch Schüler mit guten Leistungen. Das heißt, diese jungen Menschen mit einem guten Hauptschul- oder einem mittleren Schulabschluss haben teilweise keine betriebliche Lehrstelle gefunden. Dies spricht gegen die pauschale Unterstellung fehlender Ausbildungsreife.


Höhere Anforderungen? Eine andere Erklärung für die Probleme Jugendlicher ohne mittlere Reife oder Abitur könnten gestiegene Anforderungen der Arbeitswelt sein - Stichwort Wissensgesellschaft. Dies müsste sich an veränderten Ausbildungsinhalten ablesen lassen, so die WZB-Wissenschaftlerin Paula Protsch. Sie hat deshalb untersucht, wie sich die Ausbildungsrahmenpläne der bundesweit gültigen Ausbildungsordnungen im dualen System in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben. Ihr Ergebnis: Von "einem allgemeinen Trend kognitiv komplexer werdender Lernanforderungen" könne keine Rede sein. Zwar gibt es durchaus Berufe, in denen heute komplexeres Wissen oder mehr soziale Kompetenzen erforderlich sind als vor 20 oder 30 Jahren; zum Beispiel in den für Hauptschüler heute nur schwer erreichbaren Ausbildungsberufen im Elektro- oder Gesundheitsbereich. Die Ausbildungsordnungen von bürokaufmännischen Berufen haben sich dagegen kaum verändert. Trotzdem stellen Betriebe hier kaum noch Hauptschüler ein. Schließlich gibt es auch den umgekehrten Fall: Trotz erheblich gestiegener Anforderungen haben Hauptschüler immer noch vergleichsweise gute Chancen auf eine Azubi-Stelle, zum Beispiel als Kaufmann im Einzelhandel.

 

Lehrstellenmangel und Bildungsexpansion. Als Hauptgrund für die schlechten Chancen von Hauptschülern sehen die WZB-Forscherinnen den Mangel an Lehrstellen, die für diese Bildungsgruppe erreichbar sind. Der Markt allein gewährleiste offenbar keine "vollständige Integration aller ausbildungssuchenden Jugendlichen". Die wachsende Konkurrenz durch Bewerber mit höheren Schulabschlüssen führt zu verringerten Ausbildungschancen: Wo eine Generation zuvor noch ein Hauptschulabschluss ausgereicht hat, bestehen die "betrieblichen Gatekeeper" heute auf einem höheren Zertifikat. Sie sehen Hauptschüler inzwischen häufig als "normabweichende Minderheit" an - unabhängig davon, ob sie für die zu vergebende Stelle geeignet wären oder nicht.

 

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Quellen

Heike Solga und Laura Menze: Der Zugang zur Ausbildung: Wie integrationsfähig ist das deutsche Berufsbildungssystem?

Paula Protsch: Höhere Anforderungen in der beruflichen Erstausbildung?; beide in: WSI-Mitteilungen 1/2013

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Claus Drewes Ι 26.02.2013
Berufspädagoge
Endlich mal eine Studie, die Klartext redet! Das dümmliche Gerede von Arbeitgebervertretern wird u.a.in bestechender Weise widerlegt. Gut so! Im übrigen: Die konzipierten Berufe stehen nicht nur formal jedem interessierten Menschen offen. Sie sind inhaltlich auch so konzipiert. Den Betriebsräten - wo vorhanden -bitte ich sehr um mehr Aufmerksamkeit für dieses Thema und Durchsetzungsvermögen.Die gesetzlichen Grundlagen sind vorhanden.

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