Ausbildung von Menschen mit Behinderung
Gelungene Inklusion: Erfolgreicher Berufsabschluss trotz Einschränkung beim Hören
Wer mit dem 24-jährigen Jawid Gasimov reden will, der muss ihn direkt anschauen, laut sprechen und möglichst dicht ran rücken. Der aus Baku in Aserbaidschan stammende junge Mann hat seit seiner Geburt einen schweren Hörschaden. Ausgestattet mit zwei hochsensiblen Hörgeräten, die getrost mit einem Computer im Ohr zu vergleichen sind, ist es ihm möglich, wenigstens Teile der Unterhaltung zu verfolgen. Besser wäre es wenn seine Gesprächspartner die Gebärdensprache könnten. Aber bei Nichtbehinderten ist diese Qualifikation eher selten anzutreffen. Alltagstauglicher sind da schon mobile Nachrichten-Apps, die den Austausch in Echtzeit zulassen. Was für manche eine Plage, die ständige Erreichbarkeit, ist für Jawid Gasimov ein Segen. Sie bringen ihm eine deutliche Erweiterung seiner Möglichkeiten, sich mit Menschen zu verständigen.
Der sportliche junge Mann arbeitet bei Opel in Eisenach. Er ist dabei, wenn Adam, der trendige Lifestyle-Stadtflitzer oder der coole Kleinwagen Corsa, gefertigt werden. Er arbeitet seit 18 Monaten am Band in der Endmontage und zwar genau dort, wo die Karosse mit dem Motor oder dem kompletten Antriebsstrang ,verheiratet' werden. Die Arbeit am Ort der ,Hochzeit', wie es in der Sprache der Auto-Werker heißt, ist für den gelernten Fertigungsmechaniker spannend. Mit seinen Kollegen hat er keine Schwierigkeiten: "Ich brauche drei Monate, um die Stimmen und die Körpersprache der Anderen, mit denen ich arbeite, aufzunehmen. Danach ist die Kommunikation relativ problemlos", berichtet Gasimov. Die anderen Werker haben gelernt, dass es besser ist, laut und in unmittelbarer Nähe mit Jawid zu sprechen.
Seine Ausbildung machte der aktive Fußball-Spieler auch bei Opel, zusammen mit neun anderen. Alle ohne Behinderung. Gasimov erinnert sich, lernen fiel ihm nicht besonders schwer. Obwohl er immer viel Eigeninitiative entwickeln musste. In der Berufsschule hätte er ohne den Gebärdendolmetscher, der immer unmittelbar neben ihm saß, keine Chance gehabt dem Unterricht zu folgen.
Der Aserbaidschaner hatte Glück überhaupt einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu ergattern. Auf 70 Bewerbungen erhielt er nur Absagen. Vom Integrationsamt des Landes Thüringen bekam er schließlich den Tipp, sich bei Opel zu bewerben. Eine betriebliche Berufsausbildung ist nicht der Regelfall für behinderte Jugendliche. Fast alle absolvieren eine Ausbildung in besonders dafür eingerichteten Werkstätten, weit weg vom betrieblichen Alltag. Oft auch noch in speziellen Fachpraktiker-Berufen, die in der Arbeitswelt wenig bekannt oder außerdem auch noch schief angesehen sind.
Dabei sind das Berufsbildungsgesetz und die Handwerksordnung Regelungen, die ausdrücklich die Idee der Inklusion einfordern. Wenn möglich, sollen Menschen mit Behinderung eine ganz normale Ausbildung durchlaufen, so wird es im Paragrafen-Werk formuliert. Behinderte erhalten sogar einen ,Bonus': So haben sie mehr Zeit für die Prüfungsaufgaben oder können Hilfsmittel verwenden. Das wird mit dem Begriff ,Nachteilsausgleich' umschrieben.
Was sich im Gesetz gut anhört, findet in der Praxis allerdings eher nicht statt. Bislang schaffen nur wenige Jugendliche mit Behinderung den Sprung in eine betriebliche Ausbildung. So hat die Bertelsmann-Stiftung ermittelt, dass von den jährlich rund 50.000 Schulabgängern mit sonderpädagogischem Förderbedarf nur rund 3.500 einen Ausbildungsplatz in einem Betrieb finden. Die Werkstätten nehmen rund 11.000 Jugendliche auf. Und was passiert mit den übrigen 35.500? Das ist letztlich ungeklärt. Allzu viele von ihnen landen in berufsvorbereitenden Maßnahmen, die für sie häufig Sackgassen bleiben.
In den letzten fünf Jahren hat nur jede vierte Firma Erfahrungen mit behinderten Jugendlichen gemacht. Immerhin: Die Hälfte der Firmen legt eine positive Bilanz vor. Ein rundum schlechtes Fazit zieht nur jedes zehnte Unternehmen. Unter denen, die sich auf eine Ausbildung von Menschen mit Behinderung eingelassen haben, loben die meisten die höhere Motivation im Vergleich zu anderen Azubis. Also in Summe, so die Bertelsmänner, geht viel mehr als vermutet.
Für Jawid Gasimov ist bei Opel bislang alles gut gelaufen. Seine Ausbildung absolvierte er als einer der Jahrgangsbesten. Und vor einigen Monaten ist er erneut, mit einem guten Ergebnis, in die Jugend- und Auszubildendenvertretung gewählt worden. Im dreiköpfigen JAV-Team hat er keine Probleme. "Wenn ich die Stimmen kenne, dann geht das eigentlich ganz gut. Viele Worte lese ich vom Mund ab. Deshalb ist der Augenkontakt so wichtig." Unterstützend wird eine digitale Kommunikationstechnik genutzt. Dabei wird das gesprochene Wort direkt an das Hörgerät übertragen. Eine kostspielige Technik, die aber Opel für die JAV-Arbeit investiert hat.
Fertigungsmechaniker und Jugendvertreter, damit ist Jawid Gasimov´s Karriere noch nicht beendet. Bald will er eine Technikerausbildung anfangen. Berufsbegleitend. Die Arbeit beim Automobilhersteller wird er nicht aufgeben. Er weiß genau wie schwer es ist, als Mensch mit Behinderung einen guten Arbeitsplatz zu finden.