Ausbildung von Menschen mit Behinderung
Inklusion leichter machen
Nachteile von Auszubildenden mit Behinderung gilt es auszugleichen: Was bedeutet das konkret? Was ist überhaupt eine Behinderung, was eine Beeinträchtigung? Was ist gesetzlich geregelt und wo finde ich das? Wie wirkt sich eine Behinderung bzw. Beeinträchtigung überhaupt aus und wie kann man darauf reagieren?
Diese Fragen, die sich nicht erst kurz vor der Prüfung, sondern bereits zu Beginn bzw. bei der Auswahl von Auszubildenden stellen, beantwortet eine neue Publikation der Bundesinstituts für Berufsbildung: "Nachteilsausgleich für behinderte Auszubildende - Handbuch für die Ausbildungs- und Prüfungspraxis".
Schon der Titel macht deutlich, dass der Nachteilsausgleich nicht erst mit der Prüfung beginnt. Es wird beschrieben, was unter einer Behinderung bzw. Beeinträchtigung zu verstehen ist und dass es hier verschiedene Auslegungen in unterschiedlichen Gesetzen gibt. Die Beschreibungen und Darstellungen der Behinderungs- und Beeinträchtigungsarten sind praxisorientiert und darauf ausgerichtet, dass man daraus ein konkretes Handeln ableiten kann. Es wird auf die unterschiedlichsten Beeinträchtigungen eingegangen auch auf die Lernbehinderungen, die heute sehr im Brennpunkt der Debatten um die Ausbildungsfähigkeit stehen.
Das Handbuch bietet von daher eine gute Hilfestellung für alle, die an der Ausbildung beteiligt sind. Vom ausbildenden Fachpersonal, den Auszubildenden über den hauptamtlichen Ausbilder bis hin zu den Prüfern und Mitgliedern der Berufsbildungsausschüsse. Wenn sich alle darüber im Klaren sind, was man alles tun kann, um Nachteile auszugleichen, bleibt es kein Lippenbekenntnis, dass auch behinderte Menschen in einem anerkannten Ausbildungsberuf ausgebildet werden können.
Erst wenn diese Nachteilsausgleiche alle ausgeschöpft sind, darf es eine Regelung nach § 66 Berufsbildungsgesetz geben. Hier heißt es nämlich ausdrücklich, dass erst wenn nach Art und Schwere der Behinderung eine Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf nicht mehr möglich ist, es eine gesonderte "Behindertenregelung" geben darf. In den Berufsbildungsausschüssen sollte deshalb immer geprüft werden, ist Inklusion möglich.
Beispiele aus der Praxis für die Praxis
Unabhängig vom Berufsfeld und der Art der Behinderung ist die am häufigsten beantragte und genehmigte Modifikation die Zeitverlängerung. Ebenfalls sehr oft werden Abwandlungen, wie häufigere Pausen, die Durchführung der Prüfung am eigenen Arbeitsplatz oder auch das Mitbringen einer Begleitperson zur psychischen Unterstützung in Anspruch genommen.
Für körperbehinderte Prüfungsteilnehmer/innen sind in der Regel technische Hilfsmittel, wie z.B. in Büroberufen die behindertengerechte Umgestaltung des Arbeitsplatzes (höhenverstellbare Büromöbel, Computer mit spezieller Tastatur) unabdingbar. Ein zulässiger Nachteilsausgleich stellt hier z.B. die Durchführung der Prüfung am eigenen, behindertengerechten Arbeitsplatz im Ausbildungsbetrieb dar.
Erscheinungsbilder von Lernbehinderungen können u.a. eine Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie), eine Rechenschwäche (Dyskalkulie) oder auch eine Grammatikschwäche (Dysgrammatismus) sein. Auch bei diesen Prüfungsteilnehmer/innen kann der behinderungsbedingte Nachteil ausgeglichen werden, indem die Prüfung z.B. in gewohnter Umgebung stattfindet, eine vertraute Person anwesend ist oder die Aufgabenstellung in der Form modifiziert wird, dass statt der schriftlichen eine mündliche Prüfung stattfindet.
Die Gestaltung der Prüfungsbedingungen bei psychisch erkrankten Prüflingen kann sich auf verschiedene Aspekte beziehen wie z.B. die Anwesenheit einer vertrauten Person, welche je nach Bedarf auch die Prüfungsaufgaben stellt. Auch die Verlängerung der Prüfungszeit oder eine Einzelprüfung in einem gesonderten Raum stellt einen zulässigen Nachteilsausgleich dar. Oft wirken sich eingehende Vorgespräche zum gegenseitigen Kennenlernen und damit zur Schaffung eines verbesserten Vertrauensverhältnisses / Prüfungsklimas positiv auf das Wohlbefinden des Prüflings aus.
Je nach Grad der Behinderung brauchen seh- und hörgeschädigte Prüflinge Hilfe, Prüfungen mit ihren komplexen und vielfältigen Anforderungen zu bewältigen. So ist z.B. eine mündliche Prüfungsfrage von hörgeschädigten Prüflingen nicht zu verstehen. Eine zulässige Modifikation stellt hier die Umformulierung der Prüfungsaufgaben in verständliche Schriftsprache evtl. in Verbindung mit einer Zeitverlängerung dar. Auch ist ein schriftlicher Prüfungstext von blinden- bzw. sehbehinderten Prüflingen nicht zu sehen und muss vorgelesen werden.
Die Beispiele zeigen, dass Behinderung nicht gleich Behinderung ist. Nachteilsausgleiche beziehen sich stets auf die individuellen Besonderheiten und Möglichkeiten von Prüflingen und sollen deren Chancengleichheit gegenüber nichtbehinderten Prüflingen wahren. Somit können auch keine allgemeinverbindlichen Angaben über Prüfungsmodifikationen getroffen werden. Generell sollte jedoch der Anspruch gelten, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die spezifischen Bedürfnisse der Prüflinge mit Behinderungen zu berücksichtigen.
Diese Beispiele machen aber auch deutlich, dass der Nachteilsausgleich schon vor der Prüfung beginnt. Die dargestellten Maßnahmen geben Hinweise, was man schon während der Ausbildung alles tun kann um ein gute Ausbildung für alle zu gewährleisten.
Wenn wir diese Dinge angehen und unsere eigenen Barrieren im Kopf überwinden, bleibt der Begriff Inklusion nicht nur ein Lippenbekenntnis sondern wird Realität.
http://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/show/id/7407