Prof. Bosch stellte jetzt im NRW-Landtag eine Sonderauswertung vor, die belegt, dass die Abschlüsse bei den Fliesenlegern in diesem Zeitraum besonders drastisch einbrachen: um 77 Prozent bundesweit, in NRW um 69 Prozent. 1998 machten 3.600 Fliesenleger in Deutschland ihren Abschluss (NRW: 408), 2014 waren es gerade noch 588 (NRW: 114).
Hintergrund ist, dass die Meisterpflicht in der 2004 geänderten Handwerksordnung in 53 Berufen abgeschafft wurde. Nur noch 41 Gewerke brauchen den "großen Befähigungsnachweis", um einen Betrieb gründen zu können. So stieg zwar die Zahl der Existenzgründungen, aber meist handelte es sich dabei um kurzlebige Ein-Mann-Unternehmen, die kaum ausbildeten.
Prof. Bosch: "Die Meisterpflicht ist ein Qualifikationsanreiz, sie aber bildet kein Monopol aus. Der Zugang zur Meisterausbildung bleibt offen und das MeisterBAFöG fördert die Weiterbildung." Es zeige sich deutlich, dass in Arbeitsmärkten ohne regulierte Aus- und Fortbildung chronischer Fachkräftemangel herrscht und auch qualifizierte Gründer fehlen.
http://www.iaq.uni-due.de/aktuell/presse/2015/151218.php
Thomas Ressel Ι 05.01.2016
Antwort von Gerhard Bosch
Liebe Kollegen Krogoll und Drewes,
der Rückgang der Ausbildung im Handwerk hat mehrere Ursachen. Erstens ist die Beschäftigung insgesamt zurückgegangen. Zweitens haben Handwerksbetriebe in einigen, aber keinesfalls allen Regionen Deutschlands Schwierigkeiten, geeignete Auszubildende zu finden, weil Jugendliche eine Ausbildung in Großbetrieben oder ein Studium vorziehen. Drittens haben Handwerksbetriebe, die vielfach unter wachsendem Wettbewerbsdruck stehen, die Ausbildung zurückgefahren.
Schließlich ist - und das ausschließlich ist der Punkt meiner Kurzanalyse - ist der Wert einer Ausbildung in den seit 2004 zulassungsfreien 53 Handwerksberufen gesunken. Jeder kann ohne einen Qualifikationsnachweis einen Betrieb eröffnen, was insbesondere bei den Fliesenlegern zu einer drastischen Verschärfung der Konkurrenz und sinkenden Verrechnungspreisen geführt hat. Eine Ausbildung ist dort sowohl für die Unternehmen wegen unsicherer Marktchancen als auch für die jungen Leute wegen sinkender Löhne und wachsender Arbeitsplatzsicherheit wenig attraktiv. Ein einfacher Vergleich der Ausbildung in den seit 2004 zulassungsfreien Berufen und den Berufen, in denen die Meisterpflicht weiter gilt, zeigt den relativ deutlich stärkeren Einbruch der Ausbildung in den deregulierten Berufen.
Der drastische Anstieg der Gewerbeanmeldungen bei den Fliesenlegern hat noch einen weiteren Grund. Hier werden viele ausländische Scheinselbständige angemeldet mit dem Ziel, die Branchenmindestlöhne in anderen Bauberufen (Dachdecker, Bauhauptgewerbe, Maler, Elektrohandwerk) und neuerdings den Mindestlohn zu umgehen. Wenn man auf jede Abschottung von qualifizierten Tätigkeiten verzichtet, dann leidet nicht nur die Berufsausbildung, sondern auch die Durchsetzung von Lohnstandards wird immer schwieriger. Die Inländerdiskrimminierung - falls sie wirklich relevant war - ist durch die Modifizierung der Meisterpflicht in den weiterhin nicht zulassungsfreien Berufen beseitigt worden. Gesellen mit sechsjähriger Berufserfahrung dürfen danach ein eigenes Gewerbe betreiben.
Mit besten Grüßen
Gerhard Bosch
Tilmann Krogoll Ι 21.12.2015
keine Ausbildung beim Handwerk - warum?
Lieber Koll. Bosch, die Meisterkollegen in meiner Kleinstadt bei Stuttgart, mit denen ich quasi im Dauergespräch über Ausbildung bin, haben ein einfaches aber brutales Problem: Sie bekommen keine Auszubildenden, weil die kleine und große Industrie in der engeren und weiteren Region die Menschen "wegsaugt". Und wenn sie dann doch eine/n Facharbeiter/in zum Abschluss und auf gutes Niveau bringen durften, geht er "zum Bosch" oder "zum Daimler" oder "zum Trumpf". In der Praxis hier sieht es so aus, dass die Handwerker ausbilden wollen aber durch den "Markt" daran gehindert werden. Ich glaube nicht, dass die Zahlen der Meisterpflicht hier wirklich eine Ursache sind.
Claus Drewes Ι 18.12.2015
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Lieber Gerhard Bosch, dass der Meisterbrief/pflicht die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe fördert, bzw. mehr absichert als in so genannte zulassungsfreie Gewerke, halte ich für ein großes Gerücht. Der Einbruch z. B. beim Fliesenlegerhandwerk hat viele andere Gründe. Im übrigen leistet der "Inhabermeister" in den seltesten Fällen eigene Ausbilderleistungen, zu über 95% erledigen das die so genannten "Altgesellen". Ohne Zweifel ist der Meisterbrief, der Technikerabschluss oder Ing. - Abschluss auch für das Handwerk ein Gütesiegel. Leider wird im Handwerk/ Gewerbe der Meisterbrief in vielen Fällen als ein Zwang im Sinne eines Abschottungsinstument mißbraucht. Die damalige HWO-Reform von 2004 war ein Schritt in die richtige Richtung um die "Inländerdiskriminierung" gegenüber anderen europäischen Ländern ein wenig aufzuheben.
Liebe Grüße
Claus Drewes