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Beruflichkeit und Kollaboration

FACHWISSEN BLEIBT UNVERZICHTBAR

04.05.2022 Ι "Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Wird die traditionelle Berufsausbildung damit überflüssig? Nein, zeigt eine Studie.

Die Jobs der einen werden durch Maschinen ersetzt, die Jobs der anderen verändern sich so schnell, dass die Beschäftigten mit Fähigkeiten, die sie vor Jahren erworben haben, ohnehin nichts mehr anfangen können. In diesem von manchen vertretenen Extremszenario von wirtschaftlicher Transformation ist wenig Raum für die klassische Berufsausbildung. Doch die Realität sieht anders aus. Das macht eine empirische Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung deutlich. Gerade in der digitalisierten Arbeitswelt mit ihren gestiegenen Anforderungen an die Zusammenarbeit von Beschäftigten bietet "Beruflichkeit" eine unverzichtbare Basis. Die Autorinnen und Autoren Judith Neumer, Sarah Nies, Tobias Ritter und Sabine Pfeiffer vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung in München stützen diese These auf die Auswertung von insgesamt 55 Interviews mit Beschäftigten in Produktionsbetrieben. 

 

Digitalisierung bedeutet häufig Vernetzung und damit eine intensivierte Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Arbeitsbereichen. Dazu ist es nötig, Experte oder Expertin für das eigene Arbeitsfeld zu sein und gleichzeitig die Fähigkeit zu besitzen, sich mit Fachleuten für andere Fragen auseinanderzusetzen. Doch "Dequalifizierung konterkariert die Grundlagen hierfür", wie die Forschenden in einem Betrieb beobachtet haben, der eher darauf setzt, fachliche Kompetenzen durch digitale Steuerung überflüssig zu machen.

 

Abläufe sind permanenter Veränderung unterworfen. Daraus folgen neue Anforderungen an die beruflichen Kompetenzen, etwa "die Fähigkeit, über den eigenen Arbeitsbereich hinaus in Prozessen und Systemen zu denken". Beschäftigte müssen in der Lage sein, "Sichtweisen, Handlungslogiken und Bedarfe anderer Arbeits- und Fachbereiche bei der eigenen Arbeit zu berücksichtigen". Das erfordert ständige Weiterbildung - die aber eine Grundqualifikation als Fundament braucht.

 

Beruflichkeit schafft Orientierung und Erwartungssicherheit, so die Studie. Sie ermögliche "produktive Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Expertinnen unterschiedlicher Fächer und Qualifikationen, die einander wechselseitig als Expertinnen anerkennen". Wo die berufliche Basis fehle, komme es im Arbeitsprozess öfter zu Friktionen.

 

Beruflichkeit ist häufig die Quelle von Anerkennung und Legitimation - und auch von Widerstand gegen Anweisungen und Arbeitsorganisationen, die Beschäftigten nicht als fachgerecht erscheinen. Kolleginnen und Vorgesetzte werden gerade wegen ihrer spezifischen Ausbildung respektiert. Vorgaben, die fachlich unprofessionell erscheinen, werden abgelehnt. Beides kommt dem Betriebsfrieden und der Produktqualität zugute.

 

Weil die Unternehmen um die Vorteile beruflich strukturierter Arbeitsorganisation wissen, "simulieren" sie gelegentlich "Beruflichkeit, um produktive Potenziale ohne entsprechende Entlohnung und Qualifizierung zu schöpfen", setzen dabei aber un- und angelerntes Personal ein. Diese Strategie stößt nach den Erkenntnissen der Forschenden schnell an Grenzen. Gerade wenn unvorhergesehene Ereignisse die Abläufe ins Stocken bringen, zeigt sich, dass Beschäftigte ohne berufliche Basis und die in der Ausbildung erworbene "informelle Handlungskompetenz" schnell hilflos dastehen. 

 

Die Forschenden halten es für sinnvoll, das Ausbildungssystem so weiterzuentwickeln, dass die Inhalte nicht hinter den betrieblichen Erfordernissen zurückbleiben. Sie warnen jedoch davor, "das Kind mit dem Bade auszuschütten" und künftig "weniger auf vordefinierte Ausbildungs- und Berufsprofile zu setzen und stattdessen Spielarten von und Strukturen für training on the job zu stärken". Denn die vorhandenen Ausbildungsberufe im dualen System profitieren gerade von ihrer zukunftsoffenen Ausgestaltung. Sie liefern die solide Grundlage, um darauf aufbauend auf betriebsspezifische Anforderungen zu reagieren."

(Quelle: HBS)

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