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Beruflichkeit und Fachlichkeit im Studium

Wie werden berufliche und fachliche Kriterien in den Akkreditierungsverfahren berücksichtigt?

31.10.2013 Ι Regina Görner, die die Arbeitsgruppe "Beruflichkeit und Fachlichkeit" des Akkreditierungsrates leitet, zieht eine erste Bilanz der Arbeit und stellt ihre Überlegungen den WAP-Lesern zur Diskussion.

 
Regina Görner, ehemaliges Vorstandsmitglied der IG Metall, wurde als mehrjähriges Mitglied des Akkreditierungsrat gebeten, die vom Akkreditierungsrat eingerichtete Arbeitsgruppe "Beruflichkeit und Fachlichkeit" zu leiten. Diese Gruppe wurde auf Verlangen von Studierenden, Arbeitgebervertretern und Gewerkschaftern eingerichtet. Ihre Aufgabe ist es, zu prüfen, wie berufliche und fachliche Kriterien in den Akkreditierungsverfahren berücksichtigt werden und wie deren Stellenwert in den Verfahren verbessert werden kann. Regina Görner hat dieses Amt nach Abstimmung mit Hans-Jürgen Urban angenommen, der die IG Metall aktuell im Akkreditierungsrat vertritt. Nach einer Veranstaltung des Gewerkschaftlichen Gutachternetzwerkes zu diesem Thema hat Regina Görner eine erste Bilanz ihrer Arbeit gezogen:

 


Mit der sog. Sorbonne-Erklärung wurden 1998 die Bologna-Reformen auf den Weg gebracht wurden. Sie hatten zum Ziel, europäische Studienabschlüsse transparent und vergleichbar zu machen. Eines ihrer wesentlichen Ziele sollte sein, die Studiengänge stärker in Bezug zu setzen zur Arbeitswelt, auf die hin die jungen Menschen ausgebildet werden, um auf diese Weise die berufliche Verwertbarkeit des Studiums zu stärken bzw. überhaupt zu ermöglichen.

 

Zu den Reformen gehörte auch eine Veränderung bei der Anerkennung und Qualitätssicherung von Studien-gängen. Auch wenn die Wurzeln einer externen Quali-tätssicherung schon vor die Bologna-Reformen reichen: Was bisher in der Hand von Regierungsbehörden lag, sollte nun in Akkreditierungsverfahren durch unabhängige Agenturen zur Entschlackung der Prozeduren führen, mehr Transparenz ermöglichen und die Verantwortung stärker den Hochschulen selbst übertragen.

 

Zur Sicherung allgemeiner Leitlinien für diese Akkreditierungsverfahren wurde in Deutschland in Stiftungsform ein  Akkreditierungsrat für die Studiengänge im Hochschulwesen geschaffen, der auch die Arbeit der Agenturen zu beaufsichtigen hat. Die Stiftung wird von den Ländern finanziert.

 

Mit dieser Veränderung wurde erstmals real den Sozial-parteien als Vertretern der Berufspraxis die Möglichkeit eingeräumt, über die Mitgestaltung der Qualitätskriterien Einfluss zu nehmen auf die Entwicklung der Studiengänge - ein Erfolg, für den nicht zuletzt die IG Metall lange gekämpft hatte. Arbeitgeber und Gewerkschaften haben nun Sitz und Stimme im Akkreditierungsrat, ebenso Vertreter der Studierenden, und beide Gruppen sind ebenfalls an den Begutachtungen der Studiengänge unmittelbar beteiligt. In den Agenturen sind ArbeitnehmervertreterInnen in den sog. Akkreditierungskommissionen vertreten. Als VertreterInnen der "Berufspraxis" sind sie in vielen Akkreditierungsverfahren dabei.

 

Die DGB-Gewerkschaften werden derzeit von Hans-Jürgen Urban (IGM) und Petra Gerstenkorn (ver.di) im Akkreditierungsrat vertreten. Für die von uns benannten GutachterInnen in den Verfahren betreiben DGB, IG BCE, IG Metall, Ver.di und die HBS ein Gutachternetz-werk, das unsere VertreterInnen qualifiziert, regelmäßi-gen Erfahrungsaustausch sichert und die Akkreditierungsratsmitglieder der Arbeitnehmer- und Studierendenseite berät. Das Gewerkschaftliche Gutachternetzwerk ist der Ort, an dem sich die Gewerkschaften über ihre Positionen zur Akkreditierung und zur Studienreform austauschen.

 

Auch wenn inzwischen in Deutschland ca. 50 Prozent der Studiengänge an Universitäten und ca. 70 Prozent der  Studiengänge an Fachhochschulen nach diesem Verfahren akkreditiert wurden, bleibt fraglich, ob die Bolognareform und mit ihr die Studiengangakkreditierung die ursprünglichen Ziele einer besseren Qualität von Studium und Lehre erreichen konnten. Hochschulen und ProfessorInnen stöhnen über Bürokratie, bestreiten das System als Ganzes oder bekritteln die Berechtigung der Hochschulexternen, überhaupt auf die Studiengänge Einfluss zu nehmen. Studierende stöhnen unter der sog. Verschulung des Studiums und unter dem enormen Zeitdruck. Immer dringlicher stellt sich die Frage, ob das Akkreditierungssystem nicht mehr Aufwand als Ertrag mit sich bringt.

 

Vor allem die Vertreter der Berufspraxis haben bereits seit langer Zeit moniert, dass die inhaltliche Neuausrichtung auf ein Studium, das stärker auf die beruflichen Perspektiven der Studierenden einerseits, aber auch die Fachkräftebedarfe in der Wirtschaft andererseits Rücksicht nimmt, nicht wirklich vorankommt. Zwar gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Einzelinitiativen für mehr "Praxis" im Studium, aber sie haben weder Flächendeckung erreicht, noch liefern sie im Allgemeinen die Ergebnisse, die die Sozialparteien für erforderlich halten.

 

Alle deutschen Hochschulgesetze verlangen mittlerweile, dass die Studiengänge die Studierenden nicht nur gemäß fachlicher Standards ausbilden, sondern auch auf die Ausübung akademischer Berufstätigkeiten vorbereiten. Dies muss selbstverständlich auch im Akkreditierungsprozess seinen Niederschlag finden. Formal wird dies durchaus "abgeprüft". Eine wirkliche Überprüfung dessen, was Studiengänge für Fachlichkeit/Beruflichkeit leisten, liegt in dem derzeitigen Ermessen der Peers und dürfte allerdings nach den Erfahrungen der ehrenamtlichen GutachterInnen häufig bestenfalls zufällig erfolgen.

 

Seit Jahren gab es von gewerkschaftlicher Seite Versu-che im Akkreditierungsrat, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Für dies lange Zeit fehlten die Mehrhei-ten. Die Thematik erfuhr eine Zuspitzung durch zwei Entscheidungen des Akkreditierungsrates. Erstens wurden - auch mit Zustimmung der Berufspraxis - die Verfahren zur Vergabe des Siegels des Akkreditierungsrates eindeutig getrennt von der Vergabe sog. agentureigener Siegel. Zweitens wurde in einem Verfahren der Überprüfung einer Agentur dieser untersagt, sog. "fachspezifische ergänzende Hinweise" zu den Beratungen hinzuzuziehen. So notwendig diese Entscheidungen in Bezug auf die Klärung gegenüber den Agenturen waren, so deutlich trat nun der Mangel einer Klärung der beruflich-fachlichen Kriterien zutage.

 

Auf Initiative von Studierenden, Arbeitgebern und Gewerkschaften im Akkreditierungsrat gelang es im Winter 2012, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die den Auftrag hat, die Akkreditierungspraxis mit Blick auf die zentralen Aspekte "Beruflichkeit/Fachlichkeit" zu hinterfragen und mögliche Vorschläge zur besseren Verankerung dieser Kriterien in den Verfahren zu unterbreiten.

 

Dabei wurden folgende Fragen für die AG aufgeworfen:

# Wie kann der Akkreditierungsrat die Kritik an der Qualität akkreditierter Studiengänge aufnehmen, insbesondere die Sorge, dass die Verfahren zu sehr auf Formalien abheben und zu wenig Raum für inhaltliche Diskussionen lassen?
# Wie kann sichergestellt werden, dass die Akkreditierung als Instrument der externen Qualitätssicherung an den deutschen Hochschulen regelmäßig und für alle Bachelor- und Masterstudiengänge angewandt wird?
# Wie kann in allen Fächergruppen ein breites und dauerhaftes Engagement von Wissenschaft und Berufspraxis, insbesondere von Fachbereichs- und Fakultätentagen, Fachgesellschaften, Berufs- und Wirtschaftsverbänden, Sozialpartnern und Studierendenorganisationen, hergestellt werden?
# Wie können damit auch ausreichende Ressourcen, ins-besondere engagierte und anerkannte Gutachterinnen und Gutachter sowie Gremienmitglieder, gewonnen werden, die in allen Disziplinen die Akzeptanz von Akkreditierungsentscheidungen sichern?
[.]
# In welchem Rahmen lassen sich Diskussionen über fachliche Standards oder Orientierungsrahmen führen, die Transparenz über die in der Akkreditierungspraxis zugrunde gelegten Standards herstellen und eine breite Beteiligung aller relevanten Interessenträger gewährleisten und damit die Legitimation der Akkreditierung stärken könnten?
# Wie kann gewährleistet werden, dass die jeweiligen Scientific und Professional Communities in ihrer Breite in eine solche Diskussion fachlicher Standards einbezogen sind?
 

Alle Gruppierungen im Akkreditierungsrat sind in der Arbeitsgruppe vertreten, neben den Sozialparteien und den Studierenden auch die Hochschulseite sowie Vertreter der Ministerialbürokratie.

 

Die Arbeitsgruppe hat bis heute viermal getagt und bisher vor allem Grundfragen geklärt. Eine wichtige Frage ist die nach den rechtlichen und verfassungsrechtlichen Möglichkeiten für "Eingriffe" in die Freiheit von Lehre und Forschung. Dabei spielten die notwendige Balance zwischen den Artikeln 5 (Freiheit von Forschung Lehre) und 12 (Freiheit der Berufswahl) die entscheidende Rolle. Diese Balance - so ein wesentliches Ergebnis des Fachgesprächs zu diesem Punkt - kann auf keinen Fall dahingehend gedeutet werden, als dürften bei der beruflichen und fachlichen Ausgestaltung des Studiums ausschliesslich "wissenschaftliche" Kriterien heranzuführen. Eine Synopse der Landeshochschulgesetze, die der Akkreditierungsrat mittlerweile auch veröffentlicht hat, kommt zu dem Ergebnis, dass alle Landeshochschulgesetze die Hochschulen auffordern, das Studium berufsqualifiziert und/oder berufsbefähigend zu gestalten.

 

Zudem wurde ein Fragebogen entwickelt, der die Erfah-rungen der Betroffenen (Fakultäten, Hochschulen, Studierende, und ihre Verbände, aber auch Kammern  und Fachverbände) nach ihren Erfahrungen und Erwartungen zum Thema "Beruflichkeit/Fachlichkeit) in den Verfahren der externen Qualitätssicherung befragen soll und dessen Ergebnisse im Frühjahr 2013 vorliegen werden.

 

Konsense zu erzielen, ist schwierig, denn die unterschiedlichen Interessenlagen, die das Thema im Akkreditierungsrat selbst so lange "unter der Decke" gehalten haben, sind selbstverständlich nicht verschwunden. Dennoch hat sich das Arbeitsklima in der AG erkennbar verbessert. Unnötige Befürchtungen und Vorurteile konnte abgebaut, die tatsächlichen Fragen klar herausgearbeitet werden.

 

Die Arbeitsgruppe hat sich vorgenommen, dem Akkreditierungsrat Empfehlungen für die künftige Ausgestaltung der Akkreditierung zu "Beruflichkeit/Fachlichkeit" vorzulegen. Die Arbeitsgruppe selbst ist bis Mitte 2014 terminiert.

 

Bislang hat sich gezeigt, dass je nach Studiengang und Studienfach sehr unterschiedliche "Kulturen" der Umsetzung von Fachlichkeit/Beruflichkeit existieren, die sich sowohl aus der Ausrichtung der Studiengänge als auch aus fachlichen Kontexten ergeben. Fachhochschulen verfahren anders als Universitäten, Ingenieurwissenschaften anders als Geisteswissenschaften, und auch innerhalb der Gruppen selbst gibt es reichlich unterschiedliche Sichtweisen und Praktiken. Da mittlerweile in den Verfahren der sog. Systemakkreditierung aber immer mehr Akkreditierungen praktisch ganz in die Hand der Hoch-schulen übergehen (bei der mittlerweile von vielen Hochschulen vorgezogenen Systemakkreditierung wird lediglich bescheinigt, ob die Hochschule selbst ein stim-miges Akkreditierungssystem für ihre Studiengänge vorhält), ist die Sicherung von Standards nicht einfacher, aber letztlich noch dringlicher geworden. Anhand welcher Kriterien lässt sich wenigstens annähernd beurteilen, ob die Hochschulen bzw. Fakultäten den Gesichtspunkten Fachlichkeit und Beruflichkeit tatsächlich Rechnung tragen? Genau darum wird es im weiteren Verlauf der Arbeitsgruppe gehen.

 

Die Arbeitsgruppe hält es auch für erforderlich, ausländische Erfahrungen in die Beratungen einzubeziehen. Vor allem das System der "subject benchmarks" aus Großbritannien sollen genauer auf seine Verwertbarkeit für das deutsche Akkreditierungswesen hinterfragt werden. Daneben muss dringend die Rolle der Fachsiegel geklärt werden, die sich in zunehmender Zahl im nationalen wie internationalen Raum etablieren.

 

Zuvor hatte der Akkreditierungsrat bereits einstimmig festgestellt, dass fachliche Siegel die allgemeine Akkreditierung von Studiengängen nicht ersetzen können, da sie aus der Natur der Sache heraus mehr entweder berufsständische Interessen bzw. Wettbewerbsbedürfnisse von Hochschulen repräsentieren. Gerade aus Arbeitnehmersicht muss darauf bestanden werden, dass die Belange der Studierenden sowie der Gesellschaft bzw. des Steuerzahlers in die Akkreditierungsverfahren einfließen und dass Akkreditierung nicht zu einem an ökonomischen Interessen ausgerichteten Instrument werden darf.

 

Beide Fragen sollen Gegenstand einer Fachtagung sein, die am 18. Februar 2014 in der Verantwortung von der Geschäftsstelle des Akkreditierungsrates, IGM, Gutachternetzwerk und BDA in Frankfurt durchgeführt wird. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt, aber alle Arbeitsunterlagen und Ergebnisse der Arbeitsgruppe werden nicht nur auf der Website des Akkreditierungsrates verfügbar sein, sondern auch hier in wap.

 

Alle wap-LeserInnen sind aufgefordert, sich an den Diskussionen zu beteiligen.


 

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