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Bildung aktuell: Das Interview

Die Betriebe haben den Schuss gehört

12.08.2015 Ι Die Handwerksbetriebe in Deutschland bangen um den Nachwuchs. Meister haben Angst Aufträge nicht mehr annehmen zu können. Andere geraten komplett unter die Räder, weil sie kein qualifiziertes Personal einsetzen können. Müssen Handwerker bald massenweise ihre Türen zusperren? Einer der genau weiß, wie es um das Handwerk steht, ist Rainer Mangler van Klev. Der gelernte Elektromaschinenbauer ist Betriebsratsvorsitzender Region Mitte bei der Firma Imtech und Vizepräsident der Handwerksammer Rhein Main. Die Kammer gehört zu den Top-Ten in Deutschland: 32.000 Betriebe, 320.000 Beschäftigte und noch 9.500 Azubis. Die aktuelle Ausgabe des Infodienst Bildungs aktuell bringt neben dem Interview weitere Hintergrundinformationen, was künftigen Azubis wichtig ist.

Wie viele Auszubildende lernen bei Imtech?

Bundesweit sind das rund 300 Auszubildende. Imtech hat eine Ausbildungsquote von acht Prozent Wir waren schon mal bei 10 Prozent. Dennoch: Unsere Ausbildungsleistung kann sich sehen lassen. Insgesamt hat Imtech in Deutschland derzeit ca. 3.900 Beschäftigte.

 

Welche Berufe werden ausgebildet?

Das sind sechs Profile: Elektroniker (für Energie- und Gebäudetechnik), Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, Mechatroniker Kältetechnik, Technische Systemplaner, Kaufmann für Büromanagement.

 

Ihr bildet den Anlagenmechaniker SHK aus. Gibt es für diesen Beruf genügend Bewerber?

Im gewerblichen Bereich, bei den ,Blaumann-Berufen' da haben wir generell Probleme ausreichend Bewerber zu bekommen. Beim Elektroniker ist es etwas besser als beim Anlagenmechaniker, aber derzeit auch schwierig. Für den Anlagenmechaniker ist ganz, ganz schwierig Jugendliche zu interessieren. Wenn wir den Ausbildungsplatz nur über die Medien anbieten, dann meldet sich so gut wie niemand.

 

Wird zu wenig informiert?

Wir gehen auf Ausbildungsmessen, reden mit Schulklassen, wir bieten Schülerpraktika an. Aber jedes Mal wenn der Beruf Anlagenmechaniker aufgerufen wird, dann heißt es ganz schnell: In diesem Beruf wollen wir nicht lernen. Manchmal haben wir Glück: Wenn im Praktikum auf einer ,angenehmen' Baustelle gearbeitet wird, interessante Technik zum Einsatz kommt und die Gesellen mit den Schülern vernünftig umgehen, dann dreht sich die Einschätzung der Jugendlichen. Es ist ja auch nicht so, dass der Anlagenmechaniker stupide und anspruchslose Arbeiten macht. Der Beruf ist anspruchsvoll und geht mit Technik um, die vom Feinsten ist. Wenn in den 14 Tagen Praktikum alles stimmt, dann steht am Ende die Bewerbung.

 

Also kann Imtech nicht alle Ausbildungsplätze besetzen?

Ja, das ist so. Wir haben in diesem Bereich noch unbesetzte Lehrstellen. In Frankfurter Raum bieten wir pro Jahr ca. fünf Lehrstellen an, davon bleiben zwei unbesetzt.

 

Und was schreckt die jungen Menschen ab?

Arbeiten auf Baustellen ist nicht immer ein Vergnügen: Im Sommer 40 Grad Wärme und im Winter 10 Grad Minus. Schwer heben, Material bewegen. Hinzu kommt das ,alte Bild': Der Lehrling auf dem Bau ist doch nur derjenige, der den Dreck weg macht und für ungeliebte arbeiten eingesetzt wird.

 

Ist das zu verändern?

Sicherlich, das ist möglich. Ich sage: Es muss sich dringend was verändern. Sonst stirbt der Beruf aus. Die Betriebe haben inzwischen den Schuss gehört: Sie haben Angst am Ende keine Fachkräfte mehr finden und letztendlich zu machen zu müssen. Der zum Teil dramatische Rückgang, der tut richtig weh. Wenn da nichts mehr kommt, dann wird über kurz oder lang die Tür zugeschlossen. Das ist einfach so.

 

Liegt das auch an der Größe der Betriebe?

Ja, das spielt eine Rolle. In kleinen Handwerksbetrieben ist es um die Ausbildung oft besser bestellt als in den großen, auf den Großbaustellen.

 

Wie wichtig ist für die Berufswahl die Höhe der Ausbildungsvergütung?

Das ist wichtig. Schüler, die sich über den Beruf informieren, fragen nach der Höhe der Ausbildungsvergütungen und was man später als Geselle verdienen kann.

 

Imtech vergibt den jump-Azubi-Award. Lockt das gute Azubis an?

Nein, so bekannt ist der Azubi-Preis nicht. Aber in der Ausbildung zeigt er schon Wirkung. 2.000 Euro, als erster Preis, das ist durchaus ein Anreiz für Azubis Leistung zu bringen. Außerdem hilft das jump-Stip bei einer beruflichen Weiterbildung.

 

Es gibt Betriebe, die stellen den besten Lehrlingen eines Jahrgangs ein Jahr lang einen Smart zur Verfügung. Firmen werben damit, ihren Lehrlingen die Abo-Karte für's Fitnessstudio zu zahlen. Oder der Azubi erhält ein iPhone zum Ausbildungsvertrag dazu. Ist das der richtige Weg?

Ich finde es gut, wenn gute Ausbildungsleistungen besonders honoriert werden. Warum sollten wir bei Imtech nicht folgendes machen: Jede Woche küren wir den besten Azubi und der darf dann mit einem Smart mit Imtech-Aufdruck und Tankkarte ins Wochenende starten. Und wenn der Anlagenmechaniker dann mit dem Imtech-Auto vor die Disco fährt, dann ist das eine klassische Win-Win-Situation: Der Azubi ist zufrieden, die Kollegen sind neugierig und wollen genau wissen, warum es den Firmenwagen in der Freizeit gibt. Und Image-Werbung für Imtech wird auch noch gemacht. 

 

Karriere im Handwerk - geht das?

Es stimmt definitiv nicht, dass man in Handwerk keine Karriere machen kann. Man kann auch Geld verdienen. Dazu ein Vergleich: Bei der enorm gewachsenen Studierenden-Quote ist so, dass wir am Ende des Tages zu viele Akademiker haben, die nicht alle ausbildungsadäquat beschäftigt werden können. Dann passiert es schnell, dass ein fertiger Jurist mit einem Anfangsgehalt von 1.800 Euro einsteigt. Da kann ein Anlagenmechaniker locker mithalten. Vielleicht hat er am Monatsende sogar mehr auf seinem Konto als der Junganwalt.

 

"Bitte nicht anschreien, wenn mal was nicht klappt. Gemeinsam nach einer Lösung suchen", das wünschen sich Azubis. Kann handwerkliche Ausbildung, die ja oft auf der Baustelle stattfindet, sich so aufstellen?

Wir sagen unseren Ausbildern, den ausbildenden Gesellen und Bauleitern dass Azubis nicht für den Erfolg oder Misserfolg eines Projekts verantwortlich sind. Bei uns stehen die Ausbildungsaufgaben im Vordergrund. Wir fordern auch einen respektvollen Umgang. Aber machen wir uns nichts vor: Es herrscht schon ein rauer Ton auf den Baustellen.

 

Ist denn auf der Baustelle eine gute Ausbildung möglich?

Sie muss möglich sein und sie ist es auch. Aber wir sind bei weitem noch nicht am Ziel: In der Handwerkskammer haben wir beim Anlagenmechaniker eine Durchfallquote in den Gesellenprüfungen von 40 bis 60 Prozent. Diese Zahlen haben hohe Wellen geschlagen.

 

Was wird konkret getan?
Wir haben einen Qualitätsausschuss in Ergänzung zum Berufsbildungsausschuss eingesetzt, der die Gründe für dieses Desaster herausfinden soll. Erste Ergebnisse liegen jetzt auf dem Tisch. Werden die Ausbildungsinhalte während der drei Jahre nicht kontinuierlich vermittelt, ist der Stoff nicht zu schaffen. Es gibt immer Gründe, warum auf der Baustelle oder in der Berufsschule die Inhalte nicht vermittelt werden. Nur, wenn am Ende des Tages die Qualifikationen fehlen, dann haben wir Durchfallquoten in den Prüfungen, die jenseits von Gut und Böse sind.

 

Muss noch mehr passieren?

Ja, die Lernortkooperation wird ausgebaut. Was auf der Baustelle, im Bildungszentrum der Kammer und in der Berufsschule passiert, dass soll zukünftig besser abgestimmt sein. Auch bei der Prüfungsvorbereitung und Durchführung schauen wir jetzt genauer hin. Was können die Prüfungsausschüsse tun? Werden überhaupt die richtigen Aufgaben und Fragen gestellt?

 

Für Lehrlinge sind ein gutes Betriebsklima und ein familiärer Umgang ganz wichtig. Schon in der Ausbildung wollen sie als Person ernst genommen werden. Können Handwerksbetriebe diese Anforderungen erfüllen?

Dort wo die Handwerksbetriebe aufgrund ihrer Struktur und Größe das sicherstellen können, ist es wirklich ein starker Punkt. Es ist ein gutes Argument für die Ausbildung im Handwerk.

 

Helfen die Bildungszentren?

Unbedingt. Wenn ein Azubi seine Prüfung gut abgeschlossen hat, wenn er sein Metier beherrscht, dann hat der Jung-Geselle oft mehr Wissen als sein Chef. Er beherrscht die neuen Techniken, das ist sein riesen Vorteil. Das schaffen wir, weil in den Bildungszentren der Kammer neueste Techniken zum Einsatz kommen. Darauf achten wir sehr. Die Betriebe honorieren durchaus diese Aktivitäten.

 

Du bist Vizepräsident der Handwerkskammer Rhein-Main. Haben die Handwerksbetriebe in der Region Nachwuchsprobleme?

Das kann man wohl sagen. Wir schätzen, dass im Juli 2015 rund 400 Ausbildungsplätze im Handwerk noch frei sind. Im Kammerbezirk ist die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge von 2014 auf 2015 (Stand Juni) aktuell um 15 Prozent zurückgegangen. Angebote sind aber genügend vorhanden. Die Jugendlichen wenden sich offenbar immer mehr vom Handwerk ab. Sie fragen: Wo habe ich die besseren Zukunftsperspektiven? Wie gestalte ich mein Leben? Ja die jungen Leute fragen mit 18 Jahren schon: Was ist, wenn ich 58 Jahre alt bin? Kann ich dann noch auf der Baustelle arbeiten?

 

Was macht die Kammer?

Es wird schon viel gemacht. Ich erinnere nur an das Instrument Lehrstellenradar. Es bietet einen einfachen Zugang zu freien Lehrstellen in den Handwerksberufen. Aber in Summe: Das alles hat aber nicht den gewünschten Erfolg. Und da hilft die Imagekampagne des Handwerks auch nicht so richtig. Klar, die Berufe werden attraktiv dargestellt. Aber ich frage: Steigt die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge im Handwerk? Das tun sie eben nicht. Ich denke mit der Kampagne hat das Handwerk in der Gesellschaft ein paar Punkte gewonnen. Aber diese Sympathiewerte, die können auch ganz schnell wieder verschwinden.

 

Handwerk kann aber auch attraktiv sein, zeigt das nicht das Beispiel Frankreich?

Wir hatten gerade jetzt einen Lehrlings-Austausch mit Frankreich in Bordeaux. 15 Fleischer, Bäcker und Konditoren-Azubis waren drei Wochen dort im Einsatz. Die Handwerker haben in Frankreich ein ganz anderes Ansehen, gerade im Sektor Lebensmittel. Es werden so viele Baguettes beim Bäcker um die Ecke verkauft, dass auch der deutsche Lehrling den ganzen Tag reichlich zu tun hatte. Der Fleischer hat gelernt, Tiere fachgerecht zu zerlegen und zwar so, dass ein Schnitzel mehr dabei herauskommt als in deutschen Betrieben. Und der Konditor-Lehrling konnte sehen, wie Kuchen mit großer Sorgfalt und Liebe hergestellt werden kann. Ich finde es toll, dass es solche Angebote gibt. Man lernt andere Länder und Menschen in der alltäglichen Berufspraxis kennen.

 

Sind Handwerksberufe nicht ziemlich altmodisch, die Inhalte antiquiert?

Die Inhalte sind keineswegs altmodisch. Nehmen wir den Bäcker. Das Gewerk steht in Deutschland unter massiven Druck. Immer mehr Betriebe schließen. Aber: Was ist am Bäckerhandwerk altmodisch? Nichts. Es wird der überleben, der sein Handwerk tatsächlich gut beherrscht. Wo der Kunde akzeptiert, dass er für das Qualitäts-Brötchen mehr bezahlt als im Supermarkt. Der Handwerker muss Qualität bringen. Wenn er auf die Idee kommt, nur noch aufzubacken, dann wird er der Verlierer sein. Das können die Supermärkte billiger erledigen. Qualität, das ist bei allen Gewerken gefragt, natürlich auch bei Kfz-Mechatronikern oder bei den Anlagenmechanikern. Gerade die technischen Handwerksberufe haben für Qualitätsarbeit alle Voraussetzungen, sie sind wirklich à jour.

 

Das Handwerk setzt auf arbeitslose Jugendliche aus dem Süden Europas und auf Flüchtlinge. Ist das erfolgversprechend?

Wir haben vor zwei Jahren 45 junge Spanier aus Madrid angeworben. Die 25 die noch da sind, haben ihr Lernpensum wunderbar erfüllt. Sie haben ihre Zwischenprüfung gemacht. Sehr erfolgreich. Als neue Gruppe hat das Handwerk jetzt die Asylsuchenden und Flüchtlinge entdeckt. In Frankfurt ist das erste hessische WELCOMECENTER für ausländische Fachkräfte eröffnet worden. Es ist gut, dass wir das machen, aber lösen wir damit das Nachwuchs-Dilemma? Ich glaube, wer das meint, der ist falsch gewickelt.

 

Warum ist das Handwerk nicht bereit, die Jugendlichen die in Warteschleifen sitzen oder arbeitslos sind einzustellen?

Diese Gruppe haben wir schon im Visier. Aber es ist ausgesprochen schwer sie für das Handwerk zu gewinnen. Wir haben 100 Jugendliche angeschrieben, zwei haben sich zurückgemeldet. Klar, da sind Jugendliche dabei, die nicht ganz so einfach sind. Doch was machen wir als Gesellschaft mit dieser Gruppe? Ausgrenzen? Oder versuche ich was Besonderes für die Gruppe zu organisieren: Nehme ich sie an die Hand. Im Handwerk gibt es die Bereitschaft, das zu tun. Gerade in den kleinen, Meister geführten Betrieben.

 

Viele Jugendliche bleiben gerne im geschützten Raum der Schule?

Ja, manchmal ist es leichter die Schule zu verlängern, anstatt in einer Ausbildung zu starten. Man sitzt in der letzten Reihe und spielt mit seinem Handy. Dem Lehrer ist das egal. Auf der Baustelle läuft das so jedenfalls nicht.

 

Welche Punkte siehst Du, um die Ausbildung im Handwerk attraktiver zu machen?

Wir sollten endlich Schluss machen mit den ausbildungsfremden Tätigkeiten. Die gibt es leider immer noch. Die Ausbildungsinhalte müssen von Anfang bis zum Ende im Mittelpunkt stehen. Beim Thema Entgelte in der Ausbildung und später als Geselle muss was getan werden. Und wir brauchen eine Imageverbesserung für die Handwerksausbildung.

 

 

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Wer ist Rainer Mangler van Klev?

Rainer Mangler van Klev (57) ist gelernter Elektromaschinenbauer. Gewerkschaftsarbeit lernte er in der IG Metall. Mangler van Klev war Jugendvertreter. Heute ist er Betriebsratsvorsitzender für die Region Mitte mit Sitz in Frankfurt bei der Firma Imtech. Er ist Ansprechpartner für rund 1.200 Kollegen. Der Metaller hat ausgeprägte handwerkliche Kompetenzen: Er freut sich darüber, dass er zu Hause in Rüsselsheim eher keinen Handwerker braucht, wenn mal was kaputt geht. Außerdem restauriert er ein Fachwerkhaus: "Das ist eine echte Herausforderung", so Mangler van Klev.

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