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Bundesinstitut für Berufsbildung forscht zu Industrie 4.0

Digitalisierte Arbeitswelt und neue Herausforderungen für die Berufsbildung

25.01.2016 Ι Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) forscht zu den Herausforderungen für die Berufsbildung durch Industrie 4.0. Über aktuelle Erkenntnisse und Anforderungen, die sich durch die Digitalisierung für die Gestaltung von Aus- und Fortbildung ergeben, sprach unser Bonner WAP-Korrespondent Uli Degen mit dem BIBB-Forscher Dr. Gerd Zinke, der derzeit u.a. im gemeinsamen Projekt von BIBB und Volkswagen dazu forscht. Zinke sieht das Ausbildungspersonal gefordert, ".Systemverständnis und Problemlösefähigkeit spielen eben zu Beginn der Ausbildung, da wo erste Handlungsmuster ausgebildet werden, noch ein viel zu geringe Rolle. Hier müssen Ausbilder und Ausbilderinnen selbstkritischer werden und sowohl die methodische Gestaltung als auch die Inhalte ihrer Ausbildung häufiger überdenken und hinterfragen."

Wir sprechen von Industrie 4.0 oder Arbeitswelt 4.0 und meinen damit die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt mit einhergehender Flexibilisierung. In der industriel­len Entwicklung ist dies der aktuelle Stand. Die Entwicklung reicht damit praktisch von In­dustrie 1.0 über 2.0 und 3.0 bis jetzt. Was waren kurz die Charakteristika dieser Epochen?

 

Das sind einfach Meilensteine der Technologieentwicklung, mit der jeweils eine neue Qualität der Industrialisierung begann. Industrie 1.0 steht in enger Verbindung mit der Erfin­dung der Dampfmaschine und dem mechanischen Webstuhl, Industrie 2.0 ist geprägt von der industriellen Massenproduktion und einer durchorganisierten Arbeitsteilung, Stichwort Taylorismus. Bezogen auf Deutschland trugen hier auch Erfindungen in der chemischen Industrie, wie das Haber-Bosch-Verfahren, und das Entstehen einer Elektroindustrie mit Firmen wie Siemens und AEG zu dieser Entwicklung bei. Industrie 3.0 ist verknüpft mit der Computerisierung, der CNC-Technik, der Automatisierung von Teilprozessen. Industrie 4.0 ist die vollständige Durchdringung der Wirtschaft mit Informationstechnik. Im "Kleinen" heißt das embedded systems, im "Großen"  smart factory - beides verknüpft über cyber-physical systems, die Parallelität realer und virtueller Systeme zur Prozesssteuerung.

 

Die Entwicklungsstadien der Industrie hatten ja direkte Folgen für die beruflichen Qualifikationsanforderungen bzw. die berufliche Aus- und Weiterbildung. Welche waren das?

 

Genauso ist das. Industrie 1.0 brachte überhaupt die Herausbildung des Proletariats und einer Industriearbeiterschaft mit sich. Mit Industrie 2.0 bildete sich in Deutschland schrittweise eine Berufsausbildung heraus, die sich von der des Handwerks absetzte. Es kam zunächst zu einer Standardisierung von Lehrgängen, dann von Ausbildungsberufen und schließlich auch der Einrichtung von zunächst Werkberufsschulen und schließlich zur Schaffung einer Berufsschulpflicht. Gleichzeitig entstanden durch Meisterregelungen Möglichkeiten der Aufstiegsfortbildung. Es war im Prinzip das "rollout" des Berufsbildungssys­tems, das nach Kriegsende übrigens in beiden deutschen Staaten stattfand. Mit Industrie 3.0 kann in Deutschland eine qualitative Ausgestaltung des Berufsbildungssystems in Zu­sammenhang gebracht werden. Dafür nur einige Stichworte: Berufsbildungsgesetz 1969/2005, das das Konsensprinzip als Aushandlungsmodell zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gesetzlich verankerte sowie Rechte und Pflichten der Ausbildenden wie auch der Auszubildenden regelt; die Ausbildereignungsverordnung, berufliche Handlungs­fähigkeit als Grundprinzip der Erstausbildung, Schaffung neuer, auch postindustrieller Be­rufe zum Beispiel im Dienstleistungsbereich, Schaffung arbeitsprozessbezogener Prü­fungsinstrumente.

 

Durch die weitere Digitalisierung der Wirtschaft werden auch neue Technologien in der Produktion mit z.T. höherem Automatisierungsgrad eingesetzt, es kommt zu stärker vernetztem und mobilem Arbeiten und diese Entwicklung generiert neue bzw. andere For­men von Arbeitsorganisation. Wie muss man sich das vorstellen?

 

In einigen Branchen, ich denke da z.B. an die chemische, die Papier-, die Druck- oder auch die Nahrungsmittelindustrie, ist diese Entwicklung bereits weit fortgeschritten. Produktionsprozesse werden hier über informationstechnische Hilfsmittel virtuell abgebildet und aus Leitständen heraus gesteuert und überwacht, teilweise auch fernüberwacht. Zu­nächst sind hier deutlich weniger Fachkräfte notwendig. Arbeitsaufgaben konzentrieren sich z.B. auf die Sicherung des Produktionsanlaufs, das Testen, Überwachen, Instandhal­ten von Anlagen und Produktionsprozessen, das Verhindern, Erkennen und schnelle Be­heben von Störungen, auf die Produktionssicherung - und Sicherheit hat dabei eine sehr umfassende Bedeutung - , auf Logistik und Ablauforganisation. Das ist aber nur eine Seite der Veränderung, eine andere betrifft das erfahrungsgeleitete Handeln, das gerade im Kontext von Facharbeit eine sehr große Bedeutung hat. Oft waren es bisher elementare Sinneswahrnehmungen wie Riechen, Hören, Fühlen und ihr erfahrungsgeleitetes Bewer­ten, die an automatisierten Produktionsanlagen nicht mehr ohne weiteres spürbar sind und an deren Stelle digitale Informationen, Zustandsbeschreibungen, Systemmeldungen tre­ten. Auch aus der Interpretation der Parameter entstehen Erfahrungen, doch ganz anderer Art.

 

Die Arbeitswelt wandelt sich im Zuge der Digitalisierung. Fühlen sich Beschäftigte durch die Digitalisierung überfordert?

 

Nein. Die Arbeitsplatzinhaber, die wir bisher kennengelernt und teilweise auch interviewt haben, waren eher die Positivbeispiele dafür, dass Facharbeiter und Facharbeiterinnen in diesen hochkomplexen Systemen arbeiten können und auf Grundlage ihrer Qualifikation flexibel sind. Aber dem vorausgegangen ist in jedem Falle ein Auswahlprozess. Aus Fachabteilungen heraus werden gelegentlich schon Passungsprobleme signalisiert, dass Inha­ber bestimmter Ausbildungsberufe nicht ausreichend für Arbeitsaufgaben im Kontext 4.0 vorbereitet sind. Aus dieser Erfahrung heraus bin ich der Auffassung, dass für diese Ar­beitsaufgaben nicht Höherqualifizierte, möglicherweise sogar Akademiker, sondern Anders­qualifizierte notwendig sind. Es geht immer wieder um Prozesskompetenz, System- und Problemlöseverständnis; da hat die Berufsbildung das Potential, noch besser zu werden.

 

Wie gut ist die betriebliche Ausbildung auf den digitalen Wandel vorbereitet?

 

Ich denke da ist noch Luft nach oben. Ich stelle fest, dass die betriebliche Ausbildung, hier beziehe ich mich auf Erfahrungen im Kontext der industriellen Elektroberufe, vielerorts gerade im ersten Lehrjahr sehr lehrgangsorientiert ist und Lernträger und Projekte an konventionellen, teilweise veralteten Technologien und Techniken ausgerichtet sind. Viel Aus­bildungszeit wird hier für sogenannte Grundlagen genutzt, die dann für Automatisierungs- und Robotertechnik fehlt. Und Systemverständnis und Problemlösefähigkeit spielen eben zu Beginn der Ausbildung, da wo erste Handlungsmuster ausgebildet werden, noch ein viel zu geringe Rolle. Hier müssen Ausbilder und Ausbilderinnen selbstkritischer werden und sowohl die methodische Gestaltung als auch die Inhalte ihrer Ausbildung häufiger überdenken und hinterfragen.

 

Sie weisen darauf hin, dass eine effektive und gleichzeitige Abstimmung zwischen Technologieentwicklung, Arbeitsorganisation und Qualifikationsentwicklung eine Optimie­rungsmöglichkeit für Produktionsprozesse und letztendlich für das Betriebsergebnis be­deutet und dadurch die Berufsausbildung in Zugzwang gerät und hier eine Bringschuld habe. Wie ist das zu verstehen?

 

Ich habe den Eindruck, dass sich in manchen Ausbildungsbetrieben ein hohes Maß an Routine ausgeprägt hat, was die Berufsausbildung betrifft. Die Ausbildungsgestaltung orientiert sich dort zu wenig an den Realitäten in der Produktion. Parallel liegen Einschätzun­gen und Ergebnissen aus arbeitswissenschaftlichen Untersuchungen vor, die zu dem Er­gebnis kommen, dass zwar neue Technologien eingeführt wurden, aber die Arbeitspro­zessgestaltung im Verhältnis dazu nicht optimal umgestaltet wurde. In einem solchen Um­feld entsteht Unzufriedenheit sowohl in den Fachabteilungen als auch bei den Auszubil­denden. Die letzte Neuordnung der Berufe liegt mehr als zehn Jahre zurück, da braucht es schon einmal ein update der Ausbildungsgestaltung. - Ich weiß ich bin durchaus kritisch, aber ich möchte einfach auch Denkanstöße geben.

 

Sie bemängeln in diesem Zusammenhang, dass sich die Berufsausbildung u.a. für die Instandhaltung in Unternehmen an tradierten Strukturen orientiere und sehr viel Zeit mit der metall- und elektrotechnischen Grundbildung verbracht wird. Am Ende fehlt Zeit für die intensive Vermittlung anderer nötiger Qualifikationen wie z.B. Programmierung oder Automatisierungstechnik. Ist es nicht so, dass Grundbildung erst zum richtigen Ver­stehen von Programmierung und Automatisierung im Herstellungsprozess befähigt und damit auch hybride Qualifikationsprofile fundiert ermöglicht?

 

Genau dieses Verhältnis von Grundbildung und Prozesshandeln stellen wir in Frage. Es sollte nicht länger eine Grundbildung am Anfang der Ausbildung stehen, bei der das Beherrschen von Grundfertigkeiten konditioniert wird. Ich denke, es ist Zeit für eine konzep­tionelle Wende, die Prozesskompetenz als Grundbildung versteht. Bereits am Anfang der Ausbildung sollte die Betrachtung des technischen Gesamtsystems stehen, von dem sich einer Problemstellung genähert wird.

 

Sie konstatieren, dass im Zuge der zunehmenden Digitalisierung auch die Berufsbildung einem ständigen und enormen Wandel unterliegt, dadurch u.a. neue Beruf generiert werden, alte obsolet werden. Was schlagen Sie als Konsequenz für Aus- und Fortbildungsberufe vor?

 

Wir müssen uns nicht nur bezogen auf die Metall- und Elektroberufe mit zwei Fragen ernsthaft auseinandersetzen: Erstens - Wie entwickeln wir unser Verständnis von beruflicher Erstausbildung, von Ausbildungsberufen und zum Verhältnis von Aus- und Weiterbil­dung weiter? Zweitens - Wird es notwendig und hilfreich sein, mindestens für eine Über­gangszeit ein Nebeneinander von Industrie 3.0 und Industrie 4.0-Berufen zu realisieren. Bezogen auf die Fortbildung können Hochschulen künftig eine größere Bedeutung erfah­ren: Fernstudiengänge zum Bachelor können ein alternatives Modell sein, wenn sie ar­beitsprozessbezogen gestaltet sind, zur Weiterentwicklung beruflicher Handlungsfähigkeit beitragen und beruflichen Aufstieg unterstützen. Dafür sind aber auch attraktive Organisa­tions- und Finanzierungsmodelle notwendig.

 

Welche zentralen Fragen an die Zukunft des Berufsbildungssystems resultieren dabei für Sie aus der Entwicklung?

 

Hier verweise ich auf die Auffassung von Prof. Esser, dem Präsidenten des Bundesinstituts für Berufsbildung, der sagt, dass wir die Digitalisierung als Chance für das Be­rufsbildungssystem begreifen müssen, um dessen Attraktivität zu verbessern.

 

 

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...zum Weiterlesen:  Padur, Torben/Zinke, Gert: Digitalisierung der Arbeitswelt - Perspektiven und Herausforderungen für eine Berufsbildung 4.0, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP), BWP 6/2015, S. 30 - 32.

 

 

Wer ist Gert Zinke? Dr. Gert Zinke, gelernter Landmaschinenschlosser, Berufsschullehrer für Metalltechnik, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am BIBB seit 1991; Schwerpunkte: Neuordnung der Berufe, Medienentwicklung und Förderung des Ausbildungspersonals; Berater, Coach und Gutachter auch im internationalen Kontext der Berufsbildung.

 

https://www.bibb.de/de/26729.php

 

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Frank Gerdes Ι 28.01.2016
Produktionstechnologe der Industrie 4.0 Beruf?
Am Produktionstechnologen kann man eigentlich fest machen, dass einerseits das Thema Industrie 4.0 ein schleichend-kommendes Thema ist, welches für viele im Moment nicht so richtig greifbar ist (auch bei vielen Betrieben aktuell keine Rolle spielt) und andererseits tun sich alle schwer mit der Umsetzung wie man an den viel zu geringen Ausbildungszahlen des Berufes sieht (in 2014 gab es 48 Azubis deise Zahl ist 2015 noch mal auf 39 Azubis eingebrochen!). Industrie 4.0 wird wohl im Moment noch keinen speziellen Beruf benötigen, Qualifikationsanforderungen von I 4.0 sind eher Querschnittskompetenzen die sich mehr oder weniger in allen Berufen niederschlagen müssen. Allerdings wie Claus auch schreibt, in der betrieblichen Praxis und nicht in den Berufsbeschreibungen. Beste Grüße!
Claus Drewes Ι 25.01.2016
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Wer die Neuordnungsansätze von unseren Kernberufen mit den entsprechenden Ausbildungsrahmenplänen ernsthaft studiert, wird feststellen, dass bereits mit der ersten "Neuordnungswelle von 1987" die von den Unternehmen weiterhin genutzen tradierten Strukturen in der Vermittlung als auch im pädagogischen Ansatz von sogenannten metall- und elektrotechnischen Grundbildungen völlig neben der "Spur" liegen, leider! Das hat sich auch bei der Neuordnung im Jahre 2003/4 in der Umsetzung im vielen Betrieben und Unternehmen nicht geändert. Fest steht: Nicht die neu konzipierten Kernberufe sind daran Schuld, sondern die Ausbildungsgestaltung in den Betrieben. Das hat Dr. Zinke richtig erkannt, es ist aber ein bereits seit jahrzehnten bekanntes Problem. Bezüglich Qualifikationsanforderungen im "Feld" Industrie 4.0 haben Arbeitnehmer - wie Arbeitgeberexperten zusammen mit dem BIBB bereits vor vielen Jahren durch die Neuordnungskonzeption des Produktionstechnologen mit gleichzeitiger Verzahnung in der Fortbildung zum Produktionsmanager berufsbildungspolitische Meilensteine gesetzt. Es ist dringend zu wünschen, dass die Umsetzer bezüglich Ausbildungsgestaltung in die entsprechende "Spur" finden. IG Metall als auch die Arbeitgeberverbände sollten hier zusammen mit dem BIBB immer wieder kräftig Hilfestellungen anbieten.

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