Das IAB stemmt sich mit Fakten gegen Populismus
Fünf populäre Irrtümer zur Integration von Geflüchteten
"In emotional aufgeladenen Debatten geraten nüchterne Fakten und Zahlen mitunter aus dem Blick. Das IAB hat fünf verbreitete Behauptungen zur Integration von Geflüchteten aufgegriffen und anhand der IAB-Studie "Netzwerke der Integration" auf ihren Faktengehalt hin überprüft. Die persönlichen Gespräche mit den Geflüchteten lassen keinen Zweifel daran, wie irreführend die angesprochenen Aussagen sind und wie sehr sie das Bild derer verzerren, die aus Not gekommen sind und in Dankbarkeit bleiben. Unter dem nüchternen Blick der Wissenschaft geht es den Befürchtungen wie dem Scheinriesen bei Jim Knopf: Je näher man ihnen kommt, desto kleiner werden sie."
(Quelle: IAB-Forum)
"Geflüchtete wollen sich nicht integrieren!"
"Die (muslimischen) Geflüchteten teilen unsere Werte nicht!"
"Die wollen doch gar kein Deutsch lernen!"
"Denen wird alles hinterhergeworfen!"
"Ein weiteres Vorurteil unterstellt den Geflüchteten mangelnde Arbeitsbereitschaft. Wer dies behauptet, beruft sich unter anderem darauf, dass Geflüchtete später in den Arbeitsmarkt einmünden als andere Migrantengruppen wie Heirats-, Bildungs- oder Erwerbsmigranten.
Dieser Vergleich verkennt allerdings grundlegende Besonderheiten der unfreiwilligen Fluchtmigration: Anders als etwa arbeitsuchende EU-Binnenmigranten haben Geflüchtete sehr viel weniger Spielraum, wenn es darum geht, in das Land ihrer Wahl zu ziehen (zum Beispiel dorthin, wo sie in ihrem erlernten Beruf die besten Verdienstchancen haben) und sich vorab arbeitsmarktrelevantes Wissen oder notwendige Sprachkenntnisse anzueignen.
Viele Geflüchtete verfügen zudem nicht über Bildungszertifikate oder vergleichbare Dokumente, mit denen sie ihre beruflichen Fähigkeiten hierzulande nachweisen könnten. Dies kann daran liegen, dass solche Dokumente in ihren Herkunftsländern nicht üblich sind, dass sie im Krieg oder auf der Flucht verloren gegangen sind oder nach überstürztem Aufbruch nicht nachträglich beschafft werden können. So hat sich einer der Befragten nach langem Zögern dagegen entschieden, eine Kopie seines Abschlusszeugnisses in Syrien anzufordern, weil er Repressalien des Assad-Regimes gegen seine Familie in Syrien fürchtet.
Bei all dem darf man nicht vergessen, dass eine Flucht mit fürchterlichen Erlebnissen verbunden sein kann: Die Befragten berichten von Krieg, Leid, Folter und Verfolgung. Eine Normalisierung ihres Lebens im Ankunftsland - oder gar ein Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt - dauert insbesondere bei den Personen länger, die erlittene Traumata verarbeiten müssen.
In dieser Situation legt der Asylprozess den Geflüchteten noch weitere Steine in den Weg. Wie eine Studie von Herbert Brücker und anderen aus dem vergangenen Jahr zeigt (siehe IAB-Kurzbericht 3/2020), mindert die Wohnsitzauflage die Erwerbsaussichten der Geflüchteten. Während laufender Asylverfahren wird die Unsicherheit über die Aufenthaltsperspektive zu einem Einstellungshindernis für die Arbeitgeber. Wer investiert schon gerne in eine Arbeitskraft, die vielleicht schon bald auf einer Ausreiseliste steht? Und auch die befragten Geflüchteten konnten ihre mittel- und langfristige Lebensplanung in Deutschland erst angehen, nachdem ihnen zumindest subsidiärer Schutz zugesprochen wurde.
Allen Widrigkeiten zum Trotz schmieden die Geflüchteten Pläne für ihre berufliche Zukunft, sobald sie eine realistische Bleibeperspektive haben - selbst wenn dies nur ein Anliegen unter vielen ist. Nach einer im IAB-Forschungsbericht 13/2020 publizierten Analyse befinden sich die Geflüchteten nach einem erfolgreichen abgeschlossenen Asylverfahren an einem entscheidenden Punkt im Integrationsprozess: Endlich steht ihnen der Weg zu einer vollen gesellschaftlichen Teilhabe offen.
Allerdings sehen sich die Neuangekommenen nun auch gleichzeitig Weichenstellungen in verschiedenen, miteinander verbundenen Lebensbereichen gegenüber: Neben Fragen der beruflichen Orientierung und Jobsuche geht es dabei um die Neuordnung des familiären Zusammenlebens, die Wohnungssuche, die Verbesserung des psychischen Wohlbefindens, den Aufbau von neuen Sozialkontakten oder das Sprachlernen. Angesichts dieser Umstände erscheint es wenig überraschend, dass die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten schleppender verläuft als bei anderen Migrantengruppen."
Bildungspolitik
ist die Teilhabe am Arbeitsleben zentral. Hier müssen Hürden abgebaut werden, zugleich braucht es Kontrollen, die vor Lohndumping schützen. Ziel muss sein, Perspektiven und Sicherheit für alle zu schaffen."
HANS-JÜRGEN URBAN
geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall