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Denk-doch-Mal.de | Ausgabe 01-23

Die Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Bildungspolitik von 1972

09.02.2023 Ι In den siebziger Jahre wurden vom DGB seine "Forderungen zur Bildungspolitik" gebündelt und publizistisch verbreitet. Sie stellen im Nachgang den in der Nachkriegsgeschichte umfassendsten Versuch einer bildungspolitischen Gesamtreform seitens der Gewerkschaften dar. Sie sollen nach etwas mehr als 50 Jahre nach den ersten Beschlüssen Gegenstand dieses Schwerpunktheftes sein.

Wir sind der Meinung, dass diese Forderungen es wert sind, im Bewusstsein einer an der Bildungsreform interessierten Öffentlichkeit in Gewerkschaften, Bildungswissenschaften, Institutionen und Gesellschaft zu bleiben. Zugleich geht es uns um mehr. So wie die Auseinandersetzung mit Geschichte immer auch einen aktuellen Bezug hat, wollen wir auch in Bezug auf die 1972 verabschiedeten Leitsätze und die mit ihnen nachfolgend verbundenen Vorschläge und Forderungen danach befragen, was für die Gegenwart zu lernen ist, eine Gegenwart, die einerseits geprägt ist von einer Reihe von Veränderungen und Reformen in Teilbereichen, die aber - so Klaus Klemm in einer für den DGB erstellten Expertise zur Schulpolitik der letzten Jahre - "mittelmäßig" in ihren Erfolgen und gleichbleibend "unsozial" in der Gewährung von Bildungschancen geblieben ist. 

 

Das ganze Editorial zur Ausgabe von Matthias Anbuhl (Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks (DSW)) und Dr. Bernd Kaßebaum (IG Metall) gibt es HIER.

 

In diesem Beitrag werden die damaligen Beschlüsse des DGB vorzustellen und das sich dahinter verbergende Konzept von Bildungsreform, die zentralen Forderungen, Leitsätze, Prinzipien und Begründungszusammenhänge von Dr. Bernd Kaßebaum (IG Metall) sichtbar gemacht. Dabei geht es einerseits um die Genese der Forderungen, die sich aus der Debatte in den sechziger Jahren ableiten lassen, aber auch um den Verlauf der Reform in den nachfolgenden Jahren. Es werden die Zusammenhänge zur gesellschaftlichen Debatte sichtbar, etwa zu den Vorschlägen des Bildungsrats und zum Bildungsgesamtplan. Ein Ausblick befasst sich mit der Frage, welche Bedeutung die Forderungen für die gegenwärtige Debatte haben könnten.

 

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  • In dem Konzept einer Gesamtreform von Bildung spielt die Schulpolitik eine wichtige Rolle. Hierbei bilden sich Schwerpunkte heraus. Einer richtet sich an allgemeinbildenden Schulen. Im Zentrum steht die Reform der Schule hin zur integrierten Gesamtschule. Mit der Fragestellung, was aus diesen Debatten für die gewerkschaftliche Schulpolitik der Gegenwart zu lernen ist, befasst sich Marianne Demmer (Mitglied im Hochschulrat der Universität Siegen).

     

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  • Die Kollegstufe als umfassender Versuch zur Neugestaltung der Sekundarstufe II unter dem Anspruch von Gleichwertigkeit und Integration ist Gegenstand der Überlegungen von Prof. Dr. em. Günter Kutscha (Emeritierter Professor für Berufspädagogik/Berufsbildungsforschung in der Fakultät für Bildungswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen). Die Neugestaltung der Sekundarstufe II war ein zentraler Ansatz in den Überlegungen des Bildungsrates wie im Bildungsgesamtplan von Bund und Ländern zur Integration von allgemeiner und beruflicher Bildung wie in den gewerkschaftlichen Forderungen. Schulversuche in einigen Ländern folgten. Die Kollegstufenreform in NRW, die als weitreichendster Versuch der Umsetzung gilt, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Der Beitrag skizziert das Konzept, beschreibt zentrale Punkte der Umsetzung und der institutionellen und politischen Schwierigkeiten und wirft die Frage nach der Aktualität dieser Vorstellungen für die gegenwärtige Debatte auf.

     

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  • Das Scheitern wichtiger Reformbemühungen und die damit verbundene Einsicht, dass die Möglichkeiten der Reform über die Gesetzgebung immer enger wird, führten zur Besinnung auf "eigene" Kräfte, sei es in der Tarifpolitik oder in der Neuordnungsarbeit. Zunehmend traten im Verlauf der siebziger Jahre Fragen der ausreichenden Versorgung der Jugendlichen mit Ausbildungsplätzen, die Finanzierung beruflicher Bildung und die Neuordnung der Berufe in den Vordergrund. Eva Kuda (Soziologin, IG Metall) wirft einerseits die Frage auf, welche Auswirkungen der schleichende Abschied öffentlicher Verantwortung aus der beruflichen Bildung für die Ausbildungsverhältnisse der jungen Menschen hatte und hat und befasst sich folgerichtig mit der Frage, wie die Gewerkschaften zur Überwindung der Vereinzelung beitragen können.Zur Mobilisierung von Gegenwehr - so ihre Schlussfolgerung, sind viele Wege denkbar. Entscheidend ist, dass sie aus der Vereinzelung herausführen und immer mehr einzelnen Individuen ermöglichen, sich gemeinsam für ihre Bildungsinteressen und bessere Berufs - und Lebenschancen und damit einhergehend für das Recht aller auf qualifizierte Ausbildung und Arbeit einzusetzen.

     

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  • In dem Beitrag von Prof. Dr. em. Andrä Wolter (Professor ür Hochschulforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin) werden die weitreichenden Forderungen zum Hochschulbereich bilanziert, etwa zur Errichtung von Gesamthochschulen, zur Studienreform, zur Durchlässigkeit zwischen betrieblicher-dualer und hochschulischer Bildung oder zur Finanzierung von Hochschulen und Studium. Die mit dem hochschulpolitischen Programm des DGB von 2012 erreichte Neubestimmung wichtiger gewerkschaftspolitischer Festlegungen ist aufgrund der verschiedenen Entwicklungen etwa in der Hochschullandschaft oder der Einführung der gestuften Bachelor- und Masterstudiengänge und die mit ihnen verbundenen Prozesse der Qualitätssicherung und des internen Hochschulmanagements als notwendiger Schritt der Anpassung zu deuten. Bezogen auf Gegenwart und Zukunft gewerkschaftlicher Bildungspolitik ist insbesondere die Entgegensetzung von Hochschul- und Berufsbildung, gerade wieder in der aktuellen Fachkräfte- und Nachwuchsdebatte zu beobachten, verhindere sie doch ein systemisches, ganzheitliches Verständnis postschulischer Qualifizierung. Eine Gesamtreform des postschulischen Bereichs- so ließe sich schlussfolgern - erscheint angesichts des aktuellen Fachkräftemangels unumgänglich.

     

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  • Ob eine umfassende Bildungsreform überhaupt gedacht werden kann, hängt auch von den Steuerungsmöglichkeiten im Bildungsföderalismus ab. Matthias Anbuhl (Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks (DSW). Dieser Artikel spiegelt seine persönliche Meinung wieder.) setzt sich kritisch mit den Folgen der Föderalismus-Reform des Jahres 2006 auseinander, in deren Rahmen unter der Überschrift des "Wettbewerbsföderalismus" die bildungspolitischen Kompetenzen des Bundes stark beschnitten wurden. Er zeichnet den Prozess nach dem Dresdner Bildungsgipfel aus dem Jahr 2008 nach und zeigt auf, dass diese Form der offenen Koordinierung gescheitert ist, da die zentralen Ziele des Bildungsgipfels verfehlt wurden. Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) habe es zudem seit dem Jahr 2009 nicht geschafft, eine gemeinsame Strategie zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels zu entwickeln. Anbuhl sieht in dem Wettbewerbsföderalismus einen Hemmschuh auf dem Weg zu einer sozialen Bildungsreform. Eine Alternative könne der Blick in die Schweiz bieten.

     

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  • Ein Beitrag Elke Hannack (Stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes):

    Die Beschlüsse von 1972 6und den nachfolgenden Jahren bedeuteten seinerzeit nicht weniger als einen "Systemwechsel" der gewerkschaftlichen Bildungspolitik, den allerdings der DGB und Gewerkschaften nie haben durchsetzen können. Dennoch sind die damals formulierten Ziele und Prinzipien nicht nur in den siebziger oder achtziger Jahren, sondern auch bis in die Gegenwart handlungsleitend, sei es im Betrieb oder in der Tarifpolitik, sei es im politischen Raum. Gleichwohl die gewerkschaftliche Bildungspolitik in den letzten 20 Jahren aufgrund der ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen in die Defensive geraten ist und die neoliberal geprägte Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik die Gewerkschaften in Abwehrkämpfe geführt habe, stellen die aktuellen Herausforderungen, sei es der Wandel der Arbeitswelt, die weitreichende Klimakrise oder die notwendige technische und soziale Transformation, die Bildungspolitik ins Zentrum gewerkschaftlicher Politik. Die Gewerkschaften setzen sich auch für die Zukunft für eine Bildungsoffensive ein, für mehr Bildungsgerechtigkeit, mehr Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit. Dafür müssen die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer in Bildungsfragen erweitert werden, der gescheiterte Konkurrenzföderalismus durch mehr Abstimmung zwischen Bund und Ländern überwinden werden. Allen Jugendlichen ist ein Recht auf Bildung und Ausbildung zu geben, den Beschäftigen in den Bildungsbereichen sind gute Arbeitsbedingungen zu gewähren.

     

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