Die Transformation wird die Anforderungen an die Belegschaften drastisch verändern
Um Schritt zu halten, reichen die üblichen Qualifizierungsinstrumente nicht mehr
"Herr Hofmann, was kommt mit dem Umstieg der Automobilindustrie auf den Elektroantrieb und durch die Digitalisierung auf uns zu?
Hofmann: Der Wandel ist in der Tat dramatisch. Ein großer Teil der Belegschaften wird in ein paar Jahren ganz andere Tätigkeiten ausführen als heute. Das zeigen etwa Zahlen für die Beschäftigung am Antriebsstrang, dort, wo Motoren und Getriebe gefertigt werden. Die Tätigkeiten von rund 150 000 Beschäftigten werden innerhalb der nächsten zehn Jahre in ihrer bisherigen Form nicht mehr gebraucht. Auch im Engineering und in der Forschung werden weniger Beschäftigte in der Motorentwicklung benötigt. Dagegen steigt der Bedarf an Softwareentwicklern [...]
Ist Weiterbildung die Antwort?
Hofmann: Weiterbildung ist ein Teil der Antwort [...]
In welche Richtung sollten sich die Beschäftigten, die Motoren oder Getriebe bauen, im Bereich Antriebsstrang denn qualifizieren?
Hofmann: Zunächst einmal ist es Aufgabe der Arbeitgeber, Strategien für ihre Betriebe zu entwickeln und in Geschäftsmodelle für zukünftige Wertschöpfung zu investieren [...] Es wird Unternehmen geben, insbesondere bei Zulieferern der zweiten oder dritten Reihe, die nicht die Ideen und die wirtschaftliche Kraft haben, sich anzupassen. Auch das wird sich auf die Beschäftigung auswirken. Da sind die Arbeitsmarktpolitik und die präventive Strukturpolitik gefordert [...]
Müsste die Bundesregierung aktiver werden?
Hofmann: Wir benötigen für den Arbeitsmarkt eine Bedarfsprognose, ein vorausschauendes Monitoring der zukünftig notwendigen Qualifikationen. [...] Das Bundesarbeitsministerium hat mit dem Kompetenzkompass einen wichtigen Anstoß gegeben, wenn auch bisher nur für einige Branchen, darunter den Maschinenbau. Er müsste nur in größerem Maßstab vorangebracht werden. Wir haben vor ein paar Monaten eine Potenzialanalyse gemacht und unter anderem erfragt, was die Erwartung der Beschäftigten in unseren Branchen an die IG Metall und an die Betriebsräte ist. Sehr viel wichtiger als früher war ihnen, eine Beratung für ihre berufliche Entwicklung zu bekommen [...]
Hat sich die Tarifvereinbarung zur Bildungsteilzeit bewährt? Die IG Metall hatte 2015 nicht all ihre Vorstellungen durchsetzen können, beispielsweise den Teillohnausgleich. Wer Bildungsteilzeit nimmt, muss Entgelteinbußen hinnehmen.
Hofmann: Die Bilanz ist gemischt. Die Bildungsteilzeit wird rege in Anspruch genommen von jungen Beschäftigten, die nach der Ausbildung ein Hochschulstudium dranhängen, oder von Hochschulabsolventen, die nach dem Bachelor einen Masterstudiengang draufsetzen wollen. Da läuft es richtig gut. Weil die jungen, qualifizierten Leute dann wieder zurückkommen können, stärkt die Bildungsteilzeit auch die Bindung ans Unternehmen, insofern profitieren die Arbeitgeber davon. Bei Beschäftigten im mittleren Lebensalter sieht es leider anders aus. Die haben in der Regel größere finanzielle Verpflichtungen und sind stärker darauf angewiesen, ihr Einkommen stabil zu halten. Erschwerend kommt hier der Mangel an strategischer Personalplanung in den Betrieben hinzu. Wer sich als Industriemechaniker zum Techniker qualifizieren will, fragt sich ja, welche Perspektiven er in dem Betrieb hat. Wenn Arbeitgeber darauf keine Antwort haben, ist das eine hohe Hürde für die Bildungsteilzeit.
Was bleibt tarifpolitisch auf der Agenda?
Hofmann: Wir wollen die Bezuschussung der Bildungsteilzeit durch die Arbeitgeber durchsetzen, soweit die Voraussetzungen für eine öffentliche Förderung nicht gegeben sind. Außerdem wollen wir die Arbeitgeber tarifvertraglich zu einer strategischen Personalplanung verpflichten. Über das Qualifizierungschancengesetz hinaus, das eine individuelle Bezuschussung der Weiterbildung ermöglicht, sind verbindliche kollektive Instrumente nötig. Damit sind wir beim Transformationskurzarbeitergeld. Dieses neue Instrument brauchen wir, um die Beschäftigten für die Herstellung neuer Produkte zu qualifizieren. Die Beschäftigten können damit in diesen Umbruchphasen ihren Arbeitsplatz behalten. Wir müssen solche Brücken bauen. Hierzu ist es für die IG Metall auch wichtig, dass Betriebsräte ein Initiativrecht bekommen, um Weiterbildung einzufordern. Einiges davon muss und kann man auf dem Wege der Gesetzgebung regeln, manches wird man nur tarifpolitisch lösen können oder zumindest flankieren müssen.
Betriebsräte haben ja Möglichkeiten, betriebliche Regelungen zur Weiterbildung anzuschieben.
Hofmann: Ja, natürlich. Wenn etwa in den Betrieben, in denen es einen Mangel an Softwareexpertise gibt, Konzepte entwickelt werden, Facharbeiter zu Softwaretechnikern zu qualifizieren. Bei Volkswagen wurden klassische Fahrzeugingenieure angesprochen, ob sie sich zum Software-Ingenieur weiterbilden wollen, dazu wurde sogar ein eigener Studiengang entwickelt. Bei Conti in Regensburg hat die IG Metall zusammen mit dem Arbeitgeber ein Programm angeschoben, um aus Un- oder Angelernten Mechatroniker zu machen.
Also muss man einfach nur gute Angebote entwickeln - und dann läuft es?
Hofmann: Nein, das hat auch viel mit Unternehmenskultur, Führungsstil und Betriebsklima zu tun. Es muss ein lernfreundliches Klima am Arbeitsplatz entwickelt werden. Wir haben viele Beschäftigte, die systematisch lernentwöhnt wurden, weil sie jahrelang monotone, repetitive Arbeiten ausführen mussten. Für die individuelle Bereitschaft ist es wichtig, positive Lernerfahrungen zu machen. Gerade für diejenigen, die wenig Entscheidungsspielräume haben und deren Anstrengungen, sich etwas anzueignen, nie belohnt, sondern eher als störend empfunden wurden. Die Überzeugungsarbeit, dass Qualifikation nottut, ist da ein mühsamer Prozess, daher müssen wir früher ansetzen.
Wie kann man das aufbrechen?
Hofmann: Der Schlüssel ist Beteiligung. Wir brauchen keine Appelle für lebenslanges Lernen, sondern eine lernorientierte Arbeitswelt, in der Lernen zur Alltagspraxis gehört und Menschen die Möglichkeit haben, zu partizipieren. Das geht aber nicht mit dieser alten, tayloristisch-hierarchischen Struktur, die zumindest die Fabrikhallen noch prägt. Lernen hat unmittelbar mit Demokratie im Betrieb und Mitbestimmung über die Arbeitsbedingungen zu tun [...]"
(Quelle: HBS | Jörn Boewe)