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Gesellenstück: Eigentum am Gesellenstück
Zur Frage der Eigentumsverhältnisse an dem vom Auszubildenden für die Gesellenprüfung angefertigten Gesellenstück (hier: Sideboard in einer Tischlerei/Schreinerei) und zur Frage der Kostentragung.
Fundstellen
Bibliothek BAG (Leitsatz 1 und Gründe)
EzB-VjA BGB § 950 Nr 1 (Leitsatz 1 und Gründe)
weitere Fundstellen
MDR 2002, 1016 (red. Leitsatz 1)
EzB-VjA BBiG § 6 Abs 1 Nr 3 Nr 12 (Leitsatz 1)
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Aachen, 19. Dezember 2000, Az: 1 Ca 3790/00, Urteil
Diese Entscheidung wird zitiert / Kommentare
Vieweg in: jurisPK-BGB, 3. Aufl 2006, § 950 BGB
Vieweg in: jurisPK-BGB, 3. Aufl 2006, § 951 BGB
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 19.12.2000 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Aachen - 1 Ca 3790/00 h - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Herausgabe eines Gesellenstücks.
Der Kläger war in der Schreinerei/Tischlerei des Beklagten als Auszubildender beschäftigt. Im Juni 2000 legte er die Gesellenprüfung ab. Der Kläger beabsichtigte zunächst, einen Sessel als Gesellenstück zu erstellen. Damit war der Beklagte nicht einverstanden. Die Parteien verständigten sich sodann auf ein Sideboard. Der Kläger fertigte das Gesellenstück nach eigenen Entwürfen in 120 Arbeitsstunden mit den Werkstoffen und Materialien des Beklagten. Die verbrauchten Materialien haben einen Gesamtwert von 2.019,20 DM (ohne Mehrwertsteuer). Das Sideboard hat einen Schätzwert von 7.000,00 DM.
Kurz vor Ablegung der Gesellenprüfung legte der Beklagte dem Kläger am 03.05.2000 ein Schriftstück vor, in dem sich der Kläger verpflichten sollte, wegen der verbrauchten Materialien und Nebenkosten einen Pauschalbetrag in Höhe von 1.500,00 DM zu zahlen. Hierfür sollte dem Kläger das Gesellenstück überlassen werden. Der Kläger lehnte die Kostenübernahme ab. Mit seiner Klage beansprucht der Kläger die Herausgabe des Gesellenstücks.
Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn das Gesellenstück, ein Sideboard aus Kirschbaumfurnier mit einer Länge von 140 cm, einer Höhe von 120 cm und einer Tiefe von 50 cm herauszugeben.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, dass ihm das Eigentum am Gesellenstück zustehe, da er als Hersteller im Sinne des § 950 BGB anzusehen sei. Hilfsweise hat sich der Beklagte auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen der ihm entstandenen Kosten berufen. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der, nachdem er das Gesellenstück aufgrund der erstinstanzlichen Entscheidung an den Kläger herausgegeben hat, die Rückgabe verlangt, hilfsweise Zahlung in Höhe der entstandenen Materialkosten.
Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags beantragt der Beklagte, das angefochtene Urteil abzuändern und den Kläger zu verurteilen, dass Gesellenstück, ein Sideboard aus Kirschbaumfurnier mit einer Länge von 140 cm, einer Höhe von 120 cm und einer Tiefe von 50 cm herauszugeben, hilfsweise, den Kläger zu verurteilen, an den Beklagten 2.019,20 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 des DiskontsatzÜberleitungs- Gesetzes vom 09.06.1998 seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er macht geltend, das Gesellenstück sei "sein Werk", das er allein entworfen und hergestellt habe. Er sei daher Hersteller im Sinne des § 950 BGB . Eine Kostenerstattung scheide wegen der Kostenübernahmeverpflichtung des Ausbilders nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) aus.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf das angefochtene Urteil, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Herausgabeanspruch des Klägers folgt aus § 985 BGB . Nachdem der Beklagte das Gesellenstück zur Abwendung der Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil vorläufig an den Kläger herausgegeben hat, was keine Erfüllung im Sinne des § 362 BGB darstellt und nicht zu einer Hauptsacheerledigung geführt hat (vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 1998, 1068 ; Becker-Eberhard, JuS 1998, 884 ff.), steht damit in der Sache fest, dass der Kläger sein Gesellenstück behalten darf.
Der Kläger hat das Eigentum an dem Gesellenstück nach § 950 Abs. 1 S. 1 BGB erworben. Er ist Hersteller im Sinne dieser Vorschrift, die folgenden Wortlaut hat: Wer durch Verarbeitung oder Umbildung eines oder mehrerer Stoffe eine neue bewegliche Sache herstellt, erwirbt das Eigentum einer neuen Sache, sofern nicht der Wert der Verarbeitung oder der Umbildung erheblich geringer ist als der Wert des Stoffes. Hersteller eines Gesellenstücks kann der Ausbildende, der Auszubildende oder ein Dritter (Besteller/Kunde) sein. Welcher dieser drei Fälle jeweils zutrifft, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Dabei sind die Art des Handwerks, das Verhältnis von Werkstoffaufwand zum Wert des Gesellenstücks, die Üblichkeit und etwaige Vereinbarungen der Parteien zu berücksichtigen ( BAG, Urteil vom 03.03.1960 - 5 AZR 352/58 - AP Nr. 2 zu § 23 HandwO).
Im vorliegenden Fall war der Kläger Hersteller des Gesellenstücks im Sinne des § 950 BGB . Ein Dritter (Kunde/Besteller) scheidet als Eigentümer von vornherein schon deshalb aus, weil die Prüfungsleistungen nicht im Zusammenhang mit der Durchführung eines Kundenauftrags erbracht wurden. Bei der Frage, ob der Ausbildende oder der Auszubildende Eigentum erworben hat, ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Herstellung eines Gesellenstücks nicht durch weisungsgebundene Arbeit geprägt ist, wie es etwa bei anderen in der Ausbildung gefertigten Arbeitsergebnissen bzw. Gegenständen der Fall ist, deren Verwertung vorrangig im Interesse des Ausbildenden liegt. Die Anfertigung eines Gesellenstücks setzt vielmehr voraus, dass die Arbeitsabläufe selbstständig geplant und die Arbeitsergebnisse selbstständig kontrolliert werden. Für die künftige Berufsausbildung als Gesellin oder als Geselle ist vom Prüfling in besonderer Weise der Nachweis zu erbringen, dass nach eigenen Ideen (oder auch nach Kundenaufträgen) in einem ganzheitlichen Prozess ein anspruchsvolles Erzeugnis gestaltet, konstruiert, gezeichnet, in allen Einzelheiten geplant und mit den geeigneten Fertigungsverfahren hergestellt werden kann (vgl. Erläuterung zur einschlägigen Verordnung über die Berufsausbildung zum Tischler/zur Tischlerin vom 31.01.1997, S. 22, 80). Selbstständiges Planen, Durchführen und Kontrollieren werden vom Prüfling gemäß § 3 Abs. 2 der Verordnung ausdrücklich gefordert. Dementsprechend ist es Aufgabe des Schaumeisters, im Betrieb zu überwachen, dass der Prüfling bei der Herstellung des Gesellenstücks gerade nicht nach Weisung, sondern selbstständig arbeitet. Dementsprechend wurde in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass der Beklagte keinen Einfluss auf die Herstellung des Gesellenstücks genommen hatte und sogar von den vom Schaumeister genehmigten Abänderungen des Werkstücks keine Kenntnis hatte, so dass es insoweit auch keiner Vernehmung des Schaumeisters mehr bedurfte.
Bei der Herstellung des Gesellenstücks steht die eigene geistige Leistung des Prüflings im Vordergrund. Die Anfertigung des Prüfungsstücks dient vorrangig den Interessen des Auszubildenden und nicht den wirtschaftlichen Interessen des Ausbildenden. Dies lässt es gerechtfertigt erscheinen, den Auszubildenden als Hersteller des Gesellenstücks anzusehen (Gedon/Spiertz, Berufsbildungsrecht, Loseblattsammlung, Stand November 2000, § 6 BBiG, Rd.-Nr. 24; Götz, Berufsbildungsrecht, 1992, Rd.-Nr. 240; Wohlgemuth, BBiG, 2. Auflage, 1995, § 6 Rn.-Nr. 25; Natzel, Berufsbildungsrecht, 3. Auflage, 1982, S. 183; derselbe in DB 1970, S. 1323; Monjau, DB 1969, S. 1845).
Die Materialkosten für das Gesellenstück rechtfertigen es nicht, den Beklagten als Hersteller im Sinne des § 950 Abs. 1 S. 1 BGB anzusehen. Ist der Materialwert eines Prüfungsstücks deutlich höher als der Wert der Leistungen des Prüflings durch Verarbeitung oder Umbildung (z. B. bei Goldschmiede- oder Kürschnerarbeiten), bleibt der Ausbildende Eigentümer. Im Streitfall dagegen übersteigt der Wert der Verarbeitung den Materialwert.
2. Der Beklagte hat keinen Anspruch auf Erstattung der Materialkosten. Mit dem Eigentumserwerb durch den Kläger am Sideboard sind zwar die Eigentumsrechte des Beklagten an den Materialien nach § 950 Abs. 2 BGB erloschen. Eine Entschädigung für diesen Rechtsverlust kann der Beklagte jedoch nicht mit Erfolg auf § 951 Abs. 1 S. 1 BGB stützen.
Nach dieser Bestimmung kann derjenige, der infolge der Vorschriften der §§ 946 bis 950 BGB einen Rechtsverlust erleidet, von demjenigen, zu dessen Gunsten die Rechtsänderung eintritt, Vergütung in Geld nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern. § 951 BGB will den ohne Rechtsgrund erlittenen Rechtsverlust ausgleichen. Im vorliegenden Fall enthält aber die spezielle Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 3 BBiG den Rechtsgrund, weshalb dem Ausbildenden der Verlust des Eigentums an den verwendeten Werkstoffen zugemutet werden kann. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 BBiG hat der Ausbildende dem Auszubildenden kostenlos insbesondere Werkzeuge und Werkstoffe zur Verfügung zu stellen, die zur Berufsausbildung und zum Ablegen von Zwischen- und Abschlussprüfungen erforderlich sind. Dem Auszubildenden dürfen keine Kosten auferlegt werden, die dem Ausbildenden bei der Ausbildung entstehen ( BAG, Urteil vom 25.04.2001 - 5 AZR 509/99 - I 3 der Gründe). Dieses gesetzgeberische Ziel würde nicht erreicht werden, wenn nur die Hingabe der Werkstoffe zur Arbeit ohne Kosten erfolgte, der daraus folgende Eigentumserwerb aber doch mit einer Ausgleichszahlung belastet wäre (so zutreffend Schnorr von Carolsfeld in Anmerkung zu BAG AP 2 zu § 23 HandwO).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO .
4. Für eine Zulassung der Revision fehlt es am gesetzlichen Grund. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird verwiesen.
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