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Janczyk_Fluechtlinge_und_Arbeitsmarkt_Soziale_Sicherheit

Flüchtlinge und Arbeitsmarkt

Prekarität verhindern - Perspektiven für alle schaffen

13.01.2016 Ι Millionen Menschen sind auf der Flucht und suchen Schutz - auch in Deutschland. Viele bleiben für längere Zeit oder sogar für immer. Hier sind Humanität, Unterstützung und aktive Integration gefordert. Dazu gehört auch die Verbesserung der Perspektiven am Arbeitsmarkt, denn Arbeit sichert Teilhabe. Doch der Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Arbeitsförderung ist für Flüchtlinge eingeschränkt. Die Regelungen dazu sind komplex. Sie hängen vom aufenthaltsrechtlichen Status und der Bleibeperspektive ab und unterliegen ständigen Veränderungen. WAP veröffentlicht einen Artikel von Dr. Stefanie Janczyk mit einem Überblick, welche Regelungen derzeit gelten.

Über den Umfang der aktuellen Flüchtlingsmigration nach Deutschland gibt es keine belastbaren Zahlen. Laut Bundesinnenministerium (BMI) sind in diesem Jahr bis Oktober bisher etwa 758.000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. (1) Diese Zahl ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Denn im zugrunde liegenden Datensystem (EASY) sind bei weitem nicht alle eingereisten Flüchtlinge erfasst und zugleich können Mehrfachzählungen ebenso enthalten sein wie weiter- und zurückgereiste Personen.

 

Sicher ist jedoch, dass die Flüchtlingszahl in diesem Jahr einen neuen Höchststand erreichen wird und auch zukünftig Flüchtlinge den Weg nach Deutschland suchen werden. Trotz des enormen Engagements von Haupt- und Ehrenamtlichen herrschen derzeit teils inakzeptable und unwürdige Zustände in ganz elementaren Bereichen - etwa bei der Registrierung, Unterbringung, Versorgung sowie der Bearbeitung der Asylanträge. Hier besteht akuter Handlungsbedarf. Aber auch darüber hinaus existieren Herausforderungen. Viele Flüchtlinge bleiben für längere Zeit oder sogar für immer in Deutschland. Für eine erfolgreiche gesellschaftliche Integration ist dabei die Frage der Perspektiven am Arbeitsmarkt von besonderer Bedeutung.

 

Auch bezüglich der Wirkung der Flüchtlingsmigration auf den Arbeitsmarkt gibt es keine gesicherten Daten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht in seiner Prognose davon aus, dass der Anstieg des Arbeitsangebotes von Flüchtlingen im Jahr 2016 insgesamt zu einer Zunahme des Erwerbspersonenpotenzials um 324.000 Personen führt. Zudem rechnet das IAB mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in 2016 um 130.000 Personen. Der größte Teil der betroffenen Personen davon wird in das Hartz-IV-System einmünden. (2)

 

Nach derzeitigen Erkenntnissen ist das Durchschnittsalter der Flüchtlinge vergleichsweise gering. Über 50 % sind unter 25 Jahre alt. Die berufliche Qualifikation wird insgesamt geringer als bei anderen Ausländergruppen eingeschätzt. (3)  Hier werden erhebliche Potenziale für Ausbildung und Beschäftigung gesehen. (4) Entsprechend ist die Debatte über den Arbeitsmarktzugang von Flüchtlingen in vollem Gang. Dabei wird von manchen die Einführung niedrigerer Einstiegslöhne oder gar die Absenkung des Mindestlohns für Flüchtlinge ins Spiel gebracht. (5) Jüngst schlug der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vor, arbeitsuchende Flüchtlinge nach ihrer Anerkennung wie Langzeitarbeitslose zu behandeln, die Ausnahme vom Mindestlohn für Langzeitarbeitslose in einer neuen Beschäftigung solle von derzeit sechs auf zwölf Monate verlängert werden und der Mindestlohn solle vorerst keinesfalls erhöht werden. (6)


Aus gewerkschaftlicher Perspektive ist derartigen Vorschlägen, gesetzliche und tarifliche Standards zu unterschreiten und damit Lohnkonkurrenz zu schüren, eine entschiedene Absage zu erteilen. Leitlinie muss vielmehr sein, Sicherheit und Perspektiven für alle zu schaffen: für Flüchtlinge, Beschäftigte und Arbeitslose. Soll dies gelingen, ist die Verbesserung der Arbeitsmarktperspektiven von Flüchtlingen ein wichtiger Schritt. Nimmt man sich der Frage des Arbeitsmarktzugangs von Flüchtlingen an, stellt man schnell fest, dass es sich um ein umfangreiches Thema mit komplexen Regelungen handelt, die noch dazu derzeit ständiger Veränderung unterliegen. Erst Ende Oktober sind mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (so genanntes Asylpaket) Neuregelungen erfolgt. Dieser Beitrag kann das Thema nicht umfassend behandeln, sondern fokussiert auf zentrale Aspekte.

 

 

1. Arbeitsmarktzugang abhängig von aufenthaltsrechtlichem Status und Bleibeperspektive


In der öffentlichen Debatte wird der Begriff »Flüchtling« zumeist als Sammelbegriff für Personen verwendet, die unter sehr unterschiedlichen aufenthaltsrechtlichen Bedingungen in Deutschland sind (s. Infokasten unten). Der aufenthaltsrechtliche Status von Flüchtlingen entscheidet auch über den Zugang zum Arbeitsmarkt. So haben anerkannte Flüchtlinge - etwa Asylberechtigte oder Flüchtlinge mit internationalem Schutzstatus - gleichrangigen Arbeitsmarktzugang wie Inländer. Asylbewerber und Geduldete benötigen dagegen eine Arbeitserlaubnis und es bestehen für sie weitere Hürden.

 

Rechtsstellung ausgewählter zu unterscheidender Flüchtlingsgruppen

 

  .   Asylbewerber: Personen, über deren Asylantrag noch nicht entschieden ist und die während 

  des Asylverfah­rens eine Aufenthaltsgestattung erhalten.

 

  .  Asylberechtigte: Personen, deren Asylantrag nach Art. 16 a GG anerkannt wurde. Dieser Status 

  wird in der Praxis wegen der Drittstaatenregelung nur noch sehr selten vergeben.

 

  .  Anerkannte Flüchtlinge: Hierzu gehören Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft

  nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zuerkannt wurde. Den GFK-Status erhält 

  die überwiegende Mehrheit der Per­sonen, die eine Anerkennung erhalten.

. Subsidiär geschützte Personen: Personen, die die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllen, denen aber ein ernsthafter Schaden (z. B. Todesstrafe, Folter, Lebensbedrohung infolge eines internationalen oder innerstaatlichen bewaff­neten Konflikts) im Herkunftsland droht und denen deswegen Schutz gewährt wird. Sie sind rechtlich den Asylberechtigen und anerkannten Flüchtlingen weit­gehend gleichgestellt. 

.  Geduldete: Eine Duldung ist kein Aufenthaltstitel, sondern eine befristete Aussetzung der Abschiebung aus tatsächlichen, rechtlichen, humanitären oder per­sönlichen Gründen. Größtenteils handelt es sich um Personen, deren Antrag auf Asyl abgelehnt wurde.

 

Mit dem Asylpaket ist zudem die Unterscheidung in Asylbewerber und Geduldete mit »guter« und mit »geringer« Bleibeperspektive tief in die Gesetzesregelungen eingeschrieben worden, mit weitreichenden Folgen - auch für den Arbeitsmarktzugang. Dabei gelten derzeit insbesondere Flüchtlinge aus so genannten sicheren Herkunftsländern (7) als Personen mit geringer Bleibeperspektive.

  

1.1 Weitgehendes Arbeitsverbot bei »sicherem« Herkunftsstaat


Mit dem Asylpaket sind für Asylbewerber und Geduldete aus so genannten sicheren Herkunftsstaaten erhebliche Verschärfungen für den Arbeitsmarktzugang verabschiedet worden. So dürfen Asylbewerber aus einem »sicheren« Herkunftsland, die nach dem 31. August 2015 einen Asylantrag gestellt haben, während des Asylverfahrens keine Beschäftigung ausüben. (8) Zudem sind Asylbewerber aus einem »sicheren« Herkunftsland nun verpflichtet, bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Antrags als offensichtlich unbegründet oder unzulässig bis zur Ausreise bzw. bis zur Abschiebung in einer Erstaufnahme-Einrichtung zu wohnen. (9) Während der Dauer der Pflicht, in einer Erstaufnahme-Einrichtung zu wohnen, darf allerdings keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden. (10) Ebenso dürfen nach neuer Gesetzeslage Geduldete aus sicheren« Herkunftsstaaten, deren nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt wurde, nicht erwerbstätig sein. (11)

Diese Regelungen stellen faktisch ein dauerhaftes Arbeitsverbot für Flüchtlinge aus »sicheren« Herkunftsstaaten dar. Allerdings werden viele der Betroffenen womöglich länger oder dauerhaft hier leben, weil z. B. Abschiebehemmnisse bestehen. Mit der Neuregelung wird diesen Personen jedoch die Perspektive auf ein eigenständiges Leben verwehrt. Besonders dramatisch ist dies mit Blick auf Jugendliche.

  

 

Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber und Geduldete - vereinfachte Übersicht (Stand: November 2015)

 

 

 

 

Zugang zu Beschäftigung

61 Abs. 2 AsylG; § 32 BeschV*)

Zugang zu beruflicher Ausbildung 61 Abs. 2 AsylG; § 32 BeschV*)

Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumenten (SGB III)

29 ff. SGB III; § 131 SGB III)

Asyl- bewerber

nach 3 Monaten bzw. Aufenthalt in Erst- aufnahme-Einrichtung nachrangiger Arbeits- marktzugang:

.  Arbeitserlaubnis der Ausländerbehörde erforderlich

.  Zustimmung BA** (Vorrangprüfung***, Prüfung der Beschäftigungsbedingungen)

.  Leiharbeit in Bereichen ohne Vorrangprüfung möglich

nach 3 Monaten: Arbeitserlaubnis der Ausländerbehörde erforderlich

unmittelbar:

.  Beratung

 

 

 

 

 

Geduldete

nach 3 Monaten nachrangiger Arbeitsmarkt- zugang:

.  Arbeitserlaubnis der Ausländerbehörde erforderlich

.  Zustimmung BA** (Vorrangprüfung***, Prüfung der Beschäftigungsbedingungen)

.  Leiharbeit in Bereichen ohne Vorrangprüfung möglich

unmittelbar: Arbeitserlaubnis der Ausländerbehörde erforderlich

unmittelbar:

.  Beratung

.  Vermittlung in Ausbildung

 

 

 

 

 

* Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern

** Bundesagentur für Arbeit

*** abweichende Regelungen bestehen für bestimmte Beschäftigungsarten (z. B. Praktika, FSJ, Ausbildungsverhältnisse) und Qualifikationsprofile (z. B. Hochqualifizierte in Mangelberufen)

 

1.2 Nachrangiger Arbeitsmarktzugang bei »guter« Bleibeperspektive


Für andere Asylbewerber und Geduldete besteht eine so genannte Wartefrist, in der sie keine Beschäftigung aufnehmen dürfen (s. Tabelle auf S. 396). Diese Wartefrist ist Ende 2014 für beide Personengruppen auf drei Monate verkürzt worden. Seit dem Asylpaket gilt jedoch, dass Asylbewerber - unabhängig von ihrem Herkunftsland - verpflichtet sind, statt bisher drei nun bis zu sechs Monate in einer Erstaufnahme-Einrichtung zu leben.(12) Da während der Verweildauer in einer Erstaufnahme-Einrichtung keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden darf, bedeutet dies für alle, die von einem längeren Erstaufnahme-Aufenthalt betroffen sind, ein wieder verlängertes Arbeitsverbot.

 

Wenn Asylbewerber und Geduldete dann vom Grundsatz her arbeiten dürfen, besteht jedoch ein nachrangiger Arbeitsmarktzugang. D. h. Asylbewerber und Geduldete müssen für eine konkrete Beschäftigung eine Erlaubnis bei der Ausländerbehörde beantragen. Diese trifft eine Ermessensentscheidung. Im Rahmen dessen muss die Ausländerbehörde die Bundesagentur für Arbeit (BA) um Zustimmung anfragen (s. Infokasten rechts). Die BA führt u. a. grundsätzlich eine Vorrangprüfung durch, in der geprüft wird, ob es »bevorrechtigte« Personen gibt. In jüngerer Zeit sind allerdings die Ausnahmen ausgeweitet worden, in denen die Prüfung entfällt. So ist etwa bei Asylbewerbern und Geduldeten mit ausländischem Hochschulabschluss in einem »Mangelberuf« (z. B. Naturwissenschaftler und Ingenieure), die die erleichterten Voraussetzungen der Blauen Karte EU erfüllen, keine Vorrangprüfung erforderlich. Dies gilt ebenfalls für die meisten Formen von Praktika sowie betriebliche Ausbildung. Die Vorrangprüfung entfällt nach 15 Monaten Aufenthalt.


Mit dem Asylpaket ist zudem das Leiharbeitsverbot für Asylbewerber und Geduldete gelockert worden. War bisher eine Beschäftigung in Leiharbeit in den ersten vier Jahren des Aufenthalts verboten, ist sie nun in Bereichen ohne Vorrangprüfung zulässig. Damit ist Leiharbeit ab dem vierten Monat etwa in Bereichen der »Mangelberufe« und nach 15 Monaten generell möglich.

 

Insgesamt ist der in der jüngeren Vergangenheit vorgenommene Abbau von Hürden beim Arbeitsmarktzugang zu begrüßen. Kritisch ist jedoch die Ausweitung der Verweildauer in einer Erstaufnahme-Einrichtung und die damit verbundene Verlängerung des Arbeitsverbots. Damit wird der eingeschlagene Pfad, eine schnellere Arbeitsmarktintegration zu ermöglichen, konterkariert. Auch die Lockerung des Leiharbeitsverbots geht in die falsche Richtung. Leiharbeit hat sich bisher weitgehend nicht als Sprungbrett in sichere und gute Arbeit erwiesen. Vielmehr bedeutet sie für viele eine dauerhafte Beschäftigung zu schlechteren Arbeits- und Entlohnungsbedingungen als Stammbeschäftigte. (13) Entsprechend birgt die Lockerung in erster Linie die Gefahr, dass sich den Flüchtlingen zwar ein erster Arbeitseinstieg, aber langfristig keine Aufstiegsperspektive bietet, und dass letztlich insgesamt atypische Beschäftigung sowie die Spaltung am Arbeitsmarkt weiter zunimmt.

 

Zustimmungserfordernis der Bundesagentur für Arbeit14

 

Im Rahmen ihrer Entscheidung über eine Arbeitserlaub­nis für Asylbewerber und Geduldete muss die Auslän­derbehörde im behördeninternen Verfahren die Bun­desagentur für Arbeit um Zustimmung anfragen. Die BA hat für die Rückmeldung vierzehn Tage Zeit. Reagiert sie in dieser Zeit nicht, gilt die Zustimmung als erteilt.

 

Die Zustimmung der BA hängt von zwei Prüfungen ab:

Vorrangprüfung: Geprüft wird, ob die Beschäftigung auch von einer »bevorrechtigten Person« aufgenom­men werden kann. Hierzu zählen deutsche Staatsan­gehörige, EU-Bürger und Personen mit gleichrangigem Arbeitsmarktzugang (z. B. Asylberechtigte, Flüchtlinge mit internationalem Schutzstatus).

 

Prüfung der Beschäftigungsbedingungen:

Die BA prüft, ob die Beschäftigungsbedingungen vergleich­bar sind mit denen deutscher Arbeitnehmer. Zu den Beschäftigungsbedingungen gehören u. a. Arbeitszeit, Urlaubsansprüche und Arbeitsschutz. Eine besondere Bedeutung hat die Prüfung der Arbeitsentgelte.

Es existiert eine Reihe von Ausnahmen bei der Vor­rangprüfung. Jenseits dessen entfällt die Vorrangprü­fung generell nach 15 Monaten. Eine Prüfung der Be­schäftigungsbedingungen bleibt jedoch bestehen. Erst nach vier Jahren entfällt die Zustimmung der BA insge­samt. 

 

 

 

2. Sicherer Aufenthalt bei Ausbildung erforderlich


Asylbewerber können ab dem vierten Monat und Geduldete sofort eine Ausbildung aufnehmen, sofern sie nicht aus »sicheren« Herkunftsländern kommen. Notwendig ist aber auch hier eine Erlaubnis der Ausländerbehörde für den konkreten Ausbildungsplatz (s. Tabelle auf S. 396). Zudem kann seit August 2015 einem abgelehnten Asylbewerber, der nicht aus einem »sicheren« Herkunftsland kommt und der vor Vollendung des 21. Lebensjahres eine Ausbildung beginnt, für die Dauer der Ausbildung eine Duldung erteilt werden. Diese gilt zunächst für ein Jahr und soll bei fortdauernder Ausbildung verlängert werden. (15)

 

Diese lediglich etappenweise Verlängerung sowie der Status der Duldung generell ist jedoch mit Unsicherheiten behaftet - für potenzielle Auszubildende wie auch Arbeitgeber. Denn die Duldung ist kein Aufenthaltstitel, die geduldete Person bleibt ausreisepflichtig. Aufgrund dieser Unsicherheit über ein künftiges Bleiberecht kommt das Ausbildungsverhältnis häufig nicht zustande. Dringend erforderlich ist daher eine Regelung, die statt einer Duldung von Anfang an einen Aufenthaltstitel für die gesamte Ausbildungszeit vorsieht. Dieser sollte zudem nach erfolgreichem Abschluss für eine Weile fortbestehen, damit ausgebildete Flüchtlinge die Möglichkeit haben, im Anschluss einen Arbeitsplatz finden zu können.

 


3. Sprachförderung weiter verbesserungswürdig

 

Die Kenntnis der deutschen Sprache ist ein zentraler Schlüssel für gelingende Integration in Deutschland. Asylbewerber und Geduldete hatten bislang jedoch keinen Zugang zu Integrationskursen und den damit verbundenen Grundsprachkursen. Sonstige Einstiegssprachkurse sind rar. Vielerorts bemühen sich Ehrenamtliche Angebote zu schaffen, aber das Sprachkursangebot reicht bei weitem nicht aus. Bei anderen - etwa berufsbezogenen - Sprachkursen besteht zwar ein formaler Zugang, dieser bleibt Flüchtlingen jedoch faktisch häufig versperrt, wenn sie die Voraussetzung »Grundkenntnisse in Deutsch« nicht vorweisen können.

 

Zwar erkennt das Asylpaket in der Begründung an, wie wichtig ein frühzeitiger Spracherwerb für eine erfolgreiche Integration ist. Dies wird im Gesetz allerdings nur halbherzig umgesetzt. So ist nun zum einen die Möglichkeit geschaffen worden, dass Asylbewerber (16) und Geduldete an Integrationskursen teilnehmen können. Das Angebot gilt aber nur im Rahmen verfügbarer Kursplätze. Ein Anspruch auf Integrationskurse wird nicht geschaffen.

 

Zum anderen wurde mit dem Asylpaket der BA die Möglichkeit eröffnet, kurzfristig bis Ende 2015 Sprachkurse für Asylbewerber zu fördern, bei denen ein dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist. Der Verwaltungsrat der BA hat entschieden, dies sofort umzusetzen. (17) Mit dieser Entscheidung springt die Versichertengemeinschaft angesichts des akuten Bedarfs an Sprachkursen in Form einer »Nothilfe« in die Bresche. Eine Sprachförderung aus Beitragsmitteln kann aber keine Dauerlösung sein. Vielmehr ist die Bundesregierung gefordert, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen und finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um ab 2016 ein ausreichendes Sprachkursangebot sicherzustellen.

 


4. Lohndumping verhindern

 

Neben der Vorrangprüfung obliegt der BA im Rahmen ihrer Zustimmung auch die Prüfung der Beschäftigungsbedingungen. Diese erfolgt weitgehend auch in den Fällen, in denen eine Vorrangprüfung entfällt (s. Infokasten S. 397). Schlechte Arbeitsbedingungen, Lohndumping oder gar Ausbeutung sind für viele Flüchtlinge Realität. Die Prüfung der Beschäftigungsbedingungen durch die BA ist daher ein wichtiges Instrument, um Lohndumping und Ausbeutung einzudämmen. Sie dient dem individuellen Schutz der Flüchtlinge und leistet insgesamt einen Beitrag dazu, Verwerfungen am Arbeitsmarkt zu unterbinden.

 

Die Prüfung der Beschäftigungsbedingungen muss daher beibehalten und konsequent angewendet werden. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Flüchtlinge, die eine Beschäftigung suchen, nach und nach erheblich steigen wird, müssen entsprechende personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

 

 

5. Herausforderungen der Arbeitsförderung

 

5.1 Zugang zu Förderinstrumenten geöffnet


 Während der Wartefrist für den Arbeitsmarktzugang konnten, mit Ausnahme der Beratung, bisher keine Leistungen der Arbeitsagenturen erbracht werden. Erst nach der dreimonatigen Wartefrist waren Leistungen der aktiven Arbeitsförderung im Falle der Arbeitslosigkeit zugängig. Mit Verabschiedung des Asylpakets können Asylbewerber - sofern bei ihnen ein dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist (dies gilt etwa nicht für Personen aus »sicheren« Herkunftsstaaten) - nun befristet bis zum 31. Dezember 2018 bereits während der dreimonatigen Wartefrist bzw. Zeit in der Erstaufnahme-Einrichtung bestimmte Förderleistungen der Arbeitsagenturen erhalten. Hierzu zählen die Vermittlung, die Potenzialanalyse sowie die Förderung aus dem Vermittlungsbudget, die Förderung von Maßnahmen der Aktivierung und beruflichen Eingliederung (s. Tabelle S. 396).

 

Es ist absehbar, dass viele Flüchtlinge auf Förderleistungen angewiesen sein werden. Entsprechend ist die erfolgte Öffnung zu begrüßen. Zu bestimmten Leistungen der Ausbildungsförderung (etwa Assistierte Ausbildung, berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, ausbildungsbegleitende Hilfen) haben Asylbewerber bisher aber weiterhin keinen und Geduldete nur einen teilweisen, an bestimmte Bedingungen geknüpften Zugang. Derzeit wird jedoch über eine Öffnung dieser Instrumente zum 1. Januar 2016 diskutiert. Diese Instrumente sind für eine erfolgreiche Berufsausbildung oftmals von hoher Bedeutung. Gerade vor dem Hintergrund des hohen Anteils junger Flüchtlinge ist ein solcher Schritt daher wünschenswert.

 

5.2 Herausforderungen der Arbeitsvermittlung

 

Die Beratung und Vermittlung von Flüchtlingen stellt überdies erhöhte Anforderungen an die Fachkräfte der BA. Neben einer hohen fachlichen Professionalität sind insbesondere Fremdsprachenkenntnisse, interkulturelle Kompetenz und spezifische Rechtskenntnisse (z. B. zum Aufenthaltsrecht) gefragt. Hier bedarf es zum einen entsprechender Fortbildungen des BA-Personals. Zum anderen besteht schlicht auch ein erhöhter Personalbedarf. Für 2016 rechnet die BA mit einem erhöhten Personalbedarf von 700 Jahreskräften im SGB-III-Bereich und 2.800 im Hartz-IV-System.

 

5.3 Rechtskreiswechsel als rechtliche Hürde

 

Eine gravierende rechtliche Hürde bei der Arbeitsmarktintegration ist der so genannte aufenthaltsstatusbedingte Rechtskreiswechsel: Zunächst stehen Flüchtlingen ggf. bestimmte Förderleistungen des SGB-III-System zu (s. oben 5.1). Wenn ein arbeitsloser Asylbewerber in den Status des anerkannten Flüchtlings gelangt, wechselt er aber nach derzeitiger Gesetzeslage vom SGB III ins SGB II (Hartz-IV-System). Damit verbunden verschiebt sich die Zuständigkeit von der Arbeitsagentur auf das Jobcenter. Die betroffene Person ist dadurch nicht nur mit neuen Zuständigen konfrontiert, das Jobcenter ist auch nicht daran gebunden, die bisherige Arbeitsmarktintegrationsstrategie der Arbeitsagentur fortzusetzen. Hier braucht es eine verbindliche rechtskreisübergreifende Vereinbarung, die Kontinuität sicherstellt. Jenseits dessen ist dies ein weiterer Beleg dafür, dass die im Zuge der Hartz-Reformen erfolgte Einführung zweier Rechtskreise mit unterschiedlicher Steuerung, Finanzierung und Administration, der Idee eines einheitlichen Arbeitsmarktes entgegensteht.

 

 

6. Signale für Flüchtlinge und Arbeitslose

 

Im Sinne eines Ansatzes, der auf Perspektiven und Sicherheit am Arbeitsmarkt für alle zielt, sind neben einer Verbesserung der Arbeitsmarktperspektiven von Flüchtlingen zugleich auch Programme erforderlich, die auf eine verbesserte und wirksame Unterstützung hier lebender Arbeitsloser und von Arbeitslosigkeit Bedrohter zielen. Dies gilt insbesondere für junge Menschen, Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte, Berufsrückkehrerinnen und andere Gruppen, die bisher nicht von der Arbeitsmarktlage profitieren konnten. Auf diese Weise kann verhindert werden, dass hiesige Arbeitslose bzw. Beschäftigte und Flüchtlinge gegeneinander ausgespielt werden. Zugleich kann so dem Entstehen von Ressentiments mit vorgebeugt werden.


Vor diesem Hintergrund hat der Verwaltungsrat der BA eine Erklärung verabschiedet, die eine derartige Doppelstrategie beschreibt.18 Zudem hat der Verwaltungsrat bereits im Spätsommer zunächst zusätzlich 50 Mio. Euro aus der Interventionsreserve für die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. So soll sichergestellt werden, dass auf die Herausforderungen reagiert werden kann, ohne dass dies zu Lasten der Arbeitslosen geht. Damit übernimmt die Versichertengemeinschaft Verantwortung. (19)


Das allein reicht aber nicht. Auch die Bundesregierung muss ihrer Verantwortung gerecht werden. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass von den erwarteten Zugängen in Arbeitslosigkeit der Großteil im steuerfinanzierten Hartz-IV-System landen wird. Daher müssen vor allem die Jobcenter, die für die Integration von anerkannten Flüchtlingen zuständig sind, ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen erhalten.

 

 

7. Perspektiven und Sicherheit für alle

 

Der unsichere Aufenthaltsstatus und die bestehenden Hürden am Arbeitsmarkt erschweren für Asylbewerber und Geduldete nicht nur die Aufnahme einer Beschäftigung, sie machen sie auch anfällig für prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Eine Verbesserung ihrer Arbeitsmarktmöglichkeiten kann dazu beitragen, hier Abhilfe zu schaffen. Erfahrungen zeigen, dass die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen (selbst von anerkannten) Zeit braucht. Unzureichende Deutschkenntnisse, eine schwierige Kompetenzfeststellung, lange Verfahren bis zur Anerkennung von Schul-, Ausbildungs- oder Studienabschlüssen, Qualifizierungsbedarfe und anderes spielen hier eine Rolle. Dem stehen teilweise das politische Ziel einer frühzeitigen Integration und auch der Wunsch vieler Flüchtlinge, schnellstmöglich Geld zu verdienen, entgegen. (20) Soll es hier nicht zu einer schnellen Integration in »egal welchen Job« kommen, sondern sollen Wege in Beschäftigung mit Perspektive eröffnet werden, sind integrierte Ansätze notwendig, die Sprachförderung, Qualifizierung und Beschäftigung intelligent miteinander verbinden.


Gefordert ist aber auch eine solidarische Neuordnung am Arbeitsmarkt im Interesse aller: Um Verdrängungen und den Abbau bestehender Standards zu verhindern, ist eine Regulierung des Arbeitsmarktes notwendig, die Lohndumping und die Ausweitung prekärer Beschäftigung insgesamt verhindert. Ebenso bedarf es wirksamer Kontrollen am Arbeitsmarkt durch die zuständigen Institutionen. Und nicht zuletzt braucht es klare Signale für (Langzeit-) Arbeitslose. So können die Schwächsten geschützt und Perspektiven und Sicherheit am Arbeitsmarkt für alle geschaffen werden.

 

Dr. Stefanie Janczyk ist Leiterin des Ressorts Allgemeine Sozial- und Arbeitsmarktpolitik/AGA beim Vorstand der IG Metall und Mitglied im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit
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1 vgl. BMI, Pressemitteilung vom 5.11.2015
2 vgl. IAB: Zuwanderungsmonitor Oktober 2015, S. 4 ff.
3 vgl. IAB 2015: Flüchtlinge und andere Migranten am deutschen Arbeitsmarkt: Der Stand im September 2015. Aktueller Bericht 14/2015, S. 4
4 vgl. dazu auch Hans Nakielski: Sozialleistungen für Flüchtlinge: Investitionen in die Zukunft, S. 389 in diesem Heft
5 vgl. »Ministerpräsident Haseloff fordert Ausnahmen vom Mindestlohn für Flüchtlinge«, dpa-Meldung vom 23.9.2015; »Integration von Flüchtlingen wird auch zu einer Tariffrage«, WAZ vom 14.9. 2015.
6 vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Kurzfassung des Jahresgutachtens 2015/16, S. 2
7 Die Einstufung von Staaten als »sicher« ist sehr umstritten. Als »sichere« Herkunftsländer gelten derzeit Mitgliedstaaten der EU sowie Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal, Serbien; vgl. § 29 a Asylgesetz (AsylG) sowie Anlage II zu §29 a AsylG.
8 vgl. § 61 Abs. 2 AsylG
9 vgl. § 47 Abs. 1 a AsylG; Hans Nakielski: Die schmalen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, S. 391 in diesem Heft
10 vgl. § 61 Abs. 1 AsylG
11 vgl. § 60 a Abs. 6, Nr. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)
12 vgl. § 47 Abs. 1 AsylG; Hans Nakielski, a. a. O., S. 391 in diesem Heft
13 vgl. DGB-Bundesvorstand, Abt. Arbeitsmarktpolitik (Hrsg.): Risiken und Reformbedarf in der Leiharbeit, in: arbeitsmarkt aktuell Nr. 8, Oktober 2015
14 nach § 61 Abs. 2 AsylG; § 32 Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern (BeschV)
15 vgl. § 60 a Abs. 2 AufenthG 16 Hier gilt die Einschränkung, dass ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten sein muss (§ 44 Abs. 4 AufenthG) - d. h. es haben nur Asylbewerber mit »guter« Bleibeperspektive eine Chance auf einen Sprachkurs. 17 vgl. § 421 SGB III; nähere Informationen zur Sprachförderung durch die BA: www.arbeitsagentur.de > Institutionen > Träger > Einstiegskurse
16 Hier gilt die Einschränkung, dass ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten sein muss (§ 44 Abs. 4 AufenthG) - d. h. es haben nur Asylbewerber mit »guter« Bleibeperspektive eine Chance auf einen Sprachkurs.
17 vgl. § 421 SGB III; nähere Informationen zur Sprachförderung durch die BA: www.arbeitsagentur.de > Institutionen > Träger > Einstiegskurse
18 vgl. Pressemitteilung der BA Nr. 54/2015 vom 30. 10. 2015
19 vgl. dazu auch Wilhelm Adamy: Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen verbessern, in: SozSich 5/2012, S. 172
20 vgl. Volker Daumann/Martin Dietz/Barbara Knapp/Karsten Stein: Early Intervention - Modellprojekt zur frühzeitigen Arbeitsmarktintegration von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern. Ergebnisse der qualitativen Begleitforschung,
IAB-Forschungsbericht 3/2015
 
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