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Gewerkschaftliches Gutachternetzwerk macht die Praxisvertreter fit

Akkreditierung: Wenn Professoren-Knie zittern

18.11.2014 Ι Mit der Bologna-Reform entwickelte sich ein neuer Hochschul-TÜV. Nicht mehr die Ministerien der Länder prüfen die Studiengänge, zehn Akkreditierungs-Agenturen machen das jetzt. Der Hannoveraner Dipl.-Ing. Detlef Stawarz (63) ist gleich bei vier Agenturen im Einsatz: ASIIN, AQAS, ACQIUN und ZEvA. Wie die Arbeit abläuft, warum vielen Professoren die Knie zittern und was ihm die Arbeit als Gutachter bringt, darüber sprach unser Reporter Klaus Heimann mit ihm in der niedersächsischen Landeshauptstadt.

Ansbach, eine beschauliche Kleinstadt in Mittelfranken. In einem Mittelklassehotel treffen sich an einem kalten Wintertag fünf Männer. Es ist schon dunkel, Spätnachmittag. Drei Professoren aus Leipzig, Fulda und Furtwangen. Ein Student aus Stuttgart. Und: Detlef Stawarz aus Hannover. Es geht förmlich zu, die Gruppe, kennt sich nicht. Sie treffen sich im Sitzungsraum des Hotels. Kaffee, Wasserfläschchen, Keksmischung auf Papierservietten stehen auf dem Tisch. Das Team kommt erstmals zusammen. Das erste Gespräch beginnt: Begrüßt wird die Runde von einem Mitarbeiter des Akkreditierungs-, Certifizierungs- und Qualitätssicherungs-Institut (ACQUIN) mit Sitz in Bayreuth.

 

Die fünf Männer sind Akkreditierer und haben am nächsten Tag einen Job zu erledigen. Sie begutachten an der Hochschule Ansbach den Studiengang Wirtschaftsinformatik. Genauer gesagt: Der Studiengang Wirtschaftsinformatik will sich akkreditieren lassen. Die Gesetze der 16 Bundesländer sehen das für alle 17.545 Studiengänge an den 399 Hochschulen vor. Die Erwartungen, die sich mit der Akkreditierung verknüpfen, sind groß. Sie soll gleich drei Aufgaben erfüllen: Qualitätssicherung des Studiums, der internationalen Vergleichbarkeit von Studiengängen und -abschlüssen und einer besseren Transparenz. Sie ist auf fünf Jahre begrenzt, dann kommt die Re-Akkreditierung.

 

Der Treff am Vortag ist angesetzt, damit die Gutachter sich kennenlernen, ihren Sprecher bestimmen, die Arbeit für den nächsten Tag besprechen. Die Beratungen gilt es gezielt anzupacken, vermutete Schwachstellen aufspüren. "Meistens können wir schon im Vorfeld absehen, ob es eine kritische Akkreditierung wird oder ob alles glatt durchgeht", so die Erfahrung von Stawarz, der im Team die Berufspraxis vertritt. Vorab galt es die zentimeterdicken Papierberge zu sichten, zu bewerten und eine erste Einschätzung aufzuschreiben. Da kommt dann immer einiges zusammen, auf dem Schreibtisch von Gutachter Stawarz, der schon seit fünf Jahre in Sachen Qualität der Hochschullehre unterwegs ist.

 

Die Hochschule hat für das Verfahren einiges vorzubereiten. Sie muss ihre Studienziele und Lernergebnisse auflisten; eine Darstellung des Curriculums und das Modulhandbuch sind vorzulegen. Außerdem: Ordnungen, die das Studium strukturieren und die die Rechte und Pflichten der Studierenden regeln; Muster des Abschlusszeugnis und Diploma Supplement; den Nachweis über eine ausreichende Lehrkapazität; Personalhandbuch (Profilbeschreibungen der Lehrenden); studentische Stellungnahme zum Studiengang; Daten zum Studienerfolg (Prüfungs- und Klausurergebnisse, Absolventenbefragungen, Befragungen der Studenten, Verbleibstudien) und Auswertungen der Studierendenzahlen, Abbrecherquoten, die Zahl der Erstsemester und ausländische Studierende. "Die Papierberge sind gewaltig, wenn der Antrag auf Akkreditierung gestellt wird", berichtet Stawarz.

 

Der Tag der Begehung beginnt um acht Uhr. "Da wird ein straffes Programm abgearbeitet. Das ist schon heftig", kommentiert der IT-Spezialist den frühen Start. Es steht als erstes das Eröffnungsgespräch mit dem Präsidenten der Hochschule auf dem Programm. Schwerpunkte der Beratung mit der Uni-Leitung sind die Ressourcen, Qualitätsmanagement, Diversity und Chancengleichheit. Das Stawarz als Gutachter mit dabei ist, ist keineswegs selbstverständlich. Ein gesetzlich abgesichertes Recht auf Beteiligung von Gewerkschaftsvertretern gibt es nicht. Bei der Akkreditierung ist nur die Zusammensetzung der Gruppe bestimmt: Im fünfköpfigen Gutachterkreis ist immer ein Platz für den Vertreter oder die Vertreterin der Berufspraxis vorgesehen. Will Detlef Stawarz sich beteiligen, dann muss er sich bei den Agenturen um diese Aufgabe bewerben. "Mein Interesse im Bereich der Informatik-Studiengänge mitzuarbeiten habe ich gegenüber vier Agenturen angemeldet." Und wie macht er sowas? Ganz einfach, er verschickt eine Bewerbung, inklusive Vita. Seine Interessenbekundung ist eine von vielen anderen aus der IT-Praxis. Der Fachausschuss bei der Agentur entscheidet dann, wer im konkreten Fall zum Zuge kommt. Stawarz war in den letzten fünf Jahren, an der Akkreditierung von 45 Studiengängen an 16 Hochschulen beteiligt.

 

Nach dem Eröffnungsgespräch mit dem Hochschul-Chef folgt eine Beratungsrunde mit den Programmverantwortlichen. Stawarz weiß aus vielen Begehungen: Wenn die Akkreditierer nahen, sind die Professoren ganz schön nervös, dann zittern auch schon mal die Professoren-Knie. "Plötzlich sind sie es, die geprüft werden. Das hatten sie eigentlich schon lange abgehakt." Es geht um das inhaltliche Konzept, deren Umsetzung, die Prüfungen, also kurzum all das, was die 231 Studenten im Fach Wirtschaftsinformatik in Ansbach so jeden Tag über sich ergehen lassen. Diesen Teil der Akkreditierung übernehmen die drei Professoren im Gutachter-Team, sie sind vom Fach. Sie machen ein "Peer-Review" wie Stawarz fachkundig formuliert. Die Qualität der Inhalte steht auf dem Prüfstand. "Wichtig ist das Modulhandbuch. Damit tun sich manche Studiengänge ziemlich schwer, aber es wird immer besser", berichtet Stawarz.

 

Sein Part an dieser Stelle ist klar. Er will wissen, wie es um die Vermittlung der überfachlichen, der gesellschaftlichen Inhalte steht. "Es gibt Studiengänge auch im MINT-Bereich, die platzieren in diesem Feld inzwischen ein Drittel der Inhalte. Andere übersehen gerne diesen Punkt." Das über den Tellerrand schauen, das findet er wichtig. "Kommunikation und solche Geschichten gab es bei mir im Studium nicht", erinnert sich der gelernte Technischer Zeichner.

 

Stawarz ist mit sich zufrieden: Wir haben schon was erreicht, berichtet der Gutachter, der einige Jahre als Betriebsrat in einem IT-Betrieb unterwegs war. Der Metaller weiß aus eigener Erfahrung, was neben der Fachkompetenz wichtig ist: "Ich muss im Studium umfassend denken lernen. Das einzufordern, das ist meine Aufgabe bei der Akkreditierung."

 

Um die Rolle, der von den Gewerkschaften ins Rennen geschickten Praxisvertreter immer wieder zu bestimmen, haben IG Metall, ver.di, IG BCE und Hans-Böckler-Stiftung das gewerkschaftliche Gutachternetzwerk (www.gutachternetzwerk.de) geknüpft. Inzwischen ist auch der DGB dabei. In dieser Gruppe findet mehrmals jährlich ein Erfahrungsaustausch statt. Außerdem gibt es Schulungen für die Gutachter. Stawarz: "Das hilft mir sehr und führt nebenbei dazu, dass wir hochschulpolitisch ausgesprochen gut aufgestellt sind."

 

Jetzt, im dritten Gespräch in Ansbach sind die Studierenden verschiedener Ausbildungsphasen und die Fachschaft dran. Die Perspektive verschiebt sich. Im Kern geht es darum, ob das Studium, wie es in der Praxis läuft, auch "studierbar" ist. Ist die Arbeitsbelastung zu hoch? Sind die Studenten adäquat betreut? Wie stark ist der Leistungsdruck? Diese Runde übernimmt der Vertreter der Studentenvertreter in der Gutachtergruppe. Die Abbrecher-Quoten gerade in den MINT-Fächern sind ein kritischer Punkt. Warum werden die Fächer Mathe und Physik als Studenten-Killer angesetzt? "Ich bin der festen Überzeugung, das muss nicht sein", sagt Stawarz zornig.

 

Die Studenten kritisieren immer wieder die vielen Klausuren und die enge Taktung des Studiums. Gerade bei der Leistungsmessung wünscht sich auch der Hannoveraner Gutachter mehr Kreativität: "Projekte, Versuche, Aufträge, auch mal ein Streitgespräch, da ist mehr Phantasie gefragt, die leider oft nicht vorhanden ist", klagt der IT-Fachmann, der selbst einmal Studentenvertreter war.

 

Weil natürlich auch die dualen Studiengänge zu akkreditieren sind, ergibt sich eine neue Aufgabe. "Wir müssen feststellen, ob das Studium nicht die verlängerte Werkbank der Firmen ist." Der ehemalige Siemens-Beschäftigte kann abschätzen, wie groß die Macht von Unternehmen, auch an Hochschulen, sein kann.

 

An der Hochschule in Franken geht es jetzt um Dokumentensichtung. Durchsicht von Klausuren, Projekt- und Abschlussarbeiten. "Solche Dinge schaue ich mir am liebsten direkt vor Ort an." Ein Gespräch mit den Lehrenden des Studiengangs, Professoren und Lehrbeauftragten, folgt. Das Konzept, die Umsetzung des Studiengangs und die personellen Ressourcen, stehen auf dem Prüfstand. "Wir achten sehr darauf, dass insbesondere im Grundstudium die Professoren ihren Job machen. Es kann nicht sein, dass dieser Part dem Mittelbau oder gar Lehrbeauftragten übertragen wird", so Stawarz. Mit der Führung durch das Fakultätsgebäude endet die Bestandsaufnahme.

 

In einer internen Diskussion des Gutachterteams geht es um ein erstes Résumé. Das Abschlussgespräch mit dem Programmverantwortlichen und der Hochschulleitung, in dem die Gutachter ihre Eindrücke zusammenfassen, ist der Schlusspunkt der Akkreditierung an diesem Tag.

 

Die Qualitätskontrolle in der Variante Programm-Akkreditierung kostet den Hochschulen zwischen 10.000 bis 12.000 € pro Studiengang. Verdienen die Gutachter sich eine ,goldene Nase'? "Von wegen. Wir bekommen für alle anfallenden Arbeiten maximal ein Honorar von 500 € plus Reisekosten", stellt Stawarz klar. Dass die Hochschulen bei der System-Akkreditierung, preiswerter wegkommen, glaubt der IT-Spezialist nicht. "Zwar habe ich das noch nicht gemacht. Die Kosten sind aber nicht geringer, sie fallen nur an anderen Stellen an." Und dann ist ihm noch etwas aufgefallen: "Ausländische Hochschulexperten beäugen diese Form der Akkreditierung ziemlich kritisch. Ja, manche sprechen gar von einer Mogelpackung." Wenn die System-Akkreditierung von den Hochschulen im europäischen Raum nicht anerkannt wird, dann hat sie auch keine Zukunft, glaubt Gewerkschafter Stawarz.

 

In Ansbach ist der Akkreditierungs-Tag beendet. Es sieht gut aus für den Studiengang Wirtschaftsinformatik. Der eine oder andere Punkt kommt auf die Agenda, muss nachgearbeitet werden. Dennoch: Das Akkreditierungs-Siegel klebt noch nicht an der Tür. Die Hochschulvertreter brauchen noch einmal etwas Geduld. Die Gutachter vergeben es nicht, sie sprechen eine Empfehlung aus. Den Beschluss trifft dann die Akkreditierungskommission von ACQUIN - und das wird noch einmal ein paar Wochen dauern, bis der Bescheid und Siegel im Briefkasten der Hochschule in Ansbach liegen.

 

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Gerhard Labusch-Schönwandt Ι 29.11.2014
Stammkarte
Lieber Claus, ich kann dir da nur vollumfänglich zustimmen. In unseren Aussagen zur Gestaltung der Abschlussprüfungen gehen wir davon aus, dass diese handlungsorientiert und ganzheitlich die berufliche Handlungsfähigkeit prüfen müssen. Wenn nun in der Ausbildung wieder in Lehrgängen Einzelqualifikationen lehrgangsbezogen vermittelt werden, werden wir eine Veränderung der Prüfung nicht durchsetzen. Auch die Ziele der Verordnung werden damit auf den Kopf gestellt. Sinnvoll wäre es, wenn wir uns kritisch mit solchen Ansätzen auseinandersetzen würden und dazu Position beziehen. Es ist vielfach natürlich leichter so weiter zu arbeiten, wie man früher gearbeitet hat. Unsere Aufgabe ist es aber, die berufliche Handlungsfähigkeit so zu vermitteln, dass sie auch zukunftsfest ist. Die vielfach noch auch von unseren Kollegen vertretene These, man lernt nur für die Prüfung und die richtige Ausbildung beginnt erst, wenn man mit der Ausbildung fertig ist, darf nicht unser Leitsatz sein.
Claus Drewes Ι 20.11.2014
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Im Anhang wird die Ausgabe Bildung Aktuell 04/2014 aufgeführt. Hinten auf der letzten Seite wird das Thema: Ausbildung mit der Ausbildungsstammkarte dargestellt. Beispielhaft wird der Beruf Zerspanungsmechaniker genommen. Ich bin tief erschüttert über die Struktur der Stammkarte. Lehrgangsprinzip der 60er Jahre, einzelne isolierte Module nach dem Kurzprinzip etc. Das hat mit den Ausbildungszielen/Kompetenzen der Kernberufe, neu geordnet 2003, aber auch gar nichts zu tun!! Siehe § 3 Struktur und Zielsetzung der Berufsausbildung. Wo waren die Gewerkschaftsvertreter bei der Entwicklung dieser Stammkarten? Im Dauerschlaf, oder was?

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