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Hannoveraner Erklärung

Die Ausbildung für Berufsschullehrer muss verbessert werden

27.10.2016 Ι Die Arbeitsgemeinschaft Gewerblich-Technische Wissenschaften und ihre Didaktiken (gtw) in der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e. V. hat sich im Rahmen der 19 gtw-Herbstkonferenz 2016 an der Leibniz Universität Hannover mit der Qualität der Ausbildung von BerufsschullehrerInnen befasst und dafür die sogenannte Hannoveraner Erklärung herausgegeben. WAP sprach darüber mit Prof. Dr. Georg Spöttl.

Lieber Herr Spöttl, Sie sehen große Defizite in der Qualität des Unterrichts in den berufsbildenden Schulen. Können Sie Ihre Einschätzung bitte kurz wiedergeben?

 

Aufgrund des Mangels an Lehrkräften, die gezielt für den Unterricht an berufsbildenden Schulen ausgebildet sind, verliert vor allem die pädagogische Komponente im täglichen Unterricht an Gewicht. Diese ist jedoch zentral für die Förderung der Lernprozesse und Kompetenzentwicklung.

 

Aktuell werden vor allem Personen mit einem allein fachspezifischen Profil in den berufsbildenden Schulen eingestellt. Diese sind weder in einem zweiten Fach noch in der Gestaltung der Lernprozesse und der Lehrplanarbeit ausgebildet. Damit stehen den berufsbildenden Schulen immer weniger Lehrpersonen mit einem fachlich in zwei Fächern versierten Profil zur Verfügung, die auch die didaktisch-methodische Gestaltung von Lernprozessen für verschiedenste Zielgruppen beherrschen.

 

 

Warum ist die Situation in den technischen Bereichen besonders drastisch?

 

Seit Jahrzenten liegen die Einschreibungen in den technischen Fachrichtungen für das Lehramt an beruflichen Schulen an den Hochschulen je nach Schwerpunkt nur bei einem Viertel bis einem Drittel gemessen am Bedarf. Die Gründe dafür sind sehr vielfältig.

 

Einerseits spielen bisher die Lehrämter für beruflichen Schulen an den Hochschulen eine untergeordnete Rolle. Nur selten werden diese Studiengänge personell so ausgestattet, dass die notwendige hohe Qualität in der Lehre gesichert ist. Ob sich das mit der Einführung von Lehrerbildungszentren oder den "Schools of Education" verändern wird, ist im Augenblick noch offen.

 

Andererseits leiden die beruflichen Schulen nach wie vor unter schlechtem Ansehen und von Eltern, Betriebsvertretern, politischen Vertreterinnen und Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen wird die Leistungsfähigkeit der beruflichen Schulen und die Vielfalt, die bei diesem Schultyp gegeben ist, in der Regel massiv unterschätzt.

 

Berufliche Schulen werden oft darauf reduziert, dass sich dort nur auf Konfrontation ausgerichtete Schüler und Schülerinnen aufhalten und eine Ausbildung  - ich darf das Bild mal gebrachen - in Judo wichtiger scheint als in einem Lehramt. Leider wird diese Sichtweise in den sozialen Medien oft von Schülerinnen und Schülern und in einzelnen Fällen auch von Lehrkräften unterstützt. Das führt zu einer negativen Werbung, so dass von Interessierten Studiengänge für berufliche Schulen gemieden werden zugunsten der Wahl anderer Studienmöglichkeiten.

 

Nicht gelungen ist bisher die Rekrutierung erfolgreicher Absolventen von Ausbildungsgängen an beruflichen Schulen für ein Studium des Lehramts an berufsbildenden Schulen. Um das zu ändern, sind erheblich Anstrengungen aller Beteiligten angesagt.

 

 

Sie kritisieren in dem "Hannoveraner Aufruf" auch die Hochschulen. Was werfen Sie den Hochschulen vor?

 

An den Hochschulen werden kaum Konzepte zur Ausbildung von Lehrkräften für berufliche Schulen umgesetzt, die aus "einem Guss" sind. Es dominieren nach wie vor sogenannte Mosaikmodelle, bei denen niemand die Gesamtverantwortung für die Ausbildung in einem Lehramtsstudiengang trägt. Vielmehr ist die Verantwortung an den Hochschulen auf viele Schultern verteilt, so dass auch kaum eine Person in der Lage ist, interessierte Studierende zur gesamten Organisation eines Studiengangs zu beraten.

 

In vielen Fällen sind die Studierenden auf sich gestellt und fühlen sich alleine gelassen.

 

Auch die Herausforderungen in der beruflichen Bildung und den beruflichen Schulen werden im besten Falle am Rande in den Studiengangmodellen verankert. Vor allem in den "Beruflichen Fachrichtungen" - also in dem Hauptfächern wie bspw. Metall- oder Elektrotechnik, Informationstechnik oder Fahrzeugtechnik oder andere Fachrichtungen - werden die zu belegenden Lehrveranstaltungen entweder nach den Vorgaben der Ingenieurwissenschaften oder zufällig zusammengestellt ohne Rücksicht darauf, welche Schwerpunkte und Zielgruppen später zu unterrichten sind.

 

Das führt dazu, dass diese Studiengänge oft nicht studierbar sind!

 

 

Welche Maßnahmen schlagen Sie vor?

 

 

Die Organisation und die Vorbereitung von mehreren Lehramtsstudiengängen für die beruflichen Bildung für die Akkreditierung hat mich gelehrt, auf fünf Punkte besonders zu achten:

 

  1. Es ist von großem Vorteil, wenn bei der Modellierung der Studiengänge den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur Einrichtung von Beruflichen Fachrichtungen gefolgt wird.
  2. Es ist alles daran zu setzen, dass es eine Gesamtverantwortung für einen Studiengang gibt und potenzielle Studierende vom ersten bis zum letzten Schritte hinsichtlich der Organisation eines Studiums von den Verantwortungsträgern beraten werden können.
  3. An Hochschulen, in denen in Lehrämtern für berufliche Bildung ausgebildet wird, müssen sich die Hochschulleitungen zu diesen Studiengängen bekennen und diese auch unterstützen im Sinne der Qualitätsstandards für wissenschaftliche Studiengänge der Kultusministerkonferenz.
  4. Es muss eine personelle Ausstattung für die Studiengänge gewährleistet werden, die den Anforderungen an Wissenschaftlichkeit und den Anforderungen der beruflichen Bildung gerecht wird.
  5. Die Hochschulvertreter sind herausgefordert, endlich an der Implementierung homogenisierter Modelle zu arbeiten. Die aktuelle Beliebigkeit der Modelle muss überwunden werden.

 

Wie schätzen Sie die Realisierungschancen Ihrer Maßnahmen ein? Gibt es Bündnispartner in Politik oder Wirtschaft?

 

Bisher sind die Vertreter der beruflichen Bildung bei der Implementierung von Studiengängen weitgehend auf sich alleine gestellt. Nur wenige Hochschulleitungen unterstützen Lehramtsstudiengänge für die berufliche Bildung gezielt und erfolgreich. Von politischer Seite und von der Wirtschaft ist seit wenigen Jahren Unterstützung wahrnehmbar. Allerdings wirkt diese Unterstützung bisher nur wenig, weil Hochschulen versuchen, die Autonomie zu verteidigen. Zudem überzeugen die von der Wirtschaft und Politik vertreten Modellansätze für die Lehramtsausbildung in vielen Fällen nicht, so dass Hochschulvertreter auf die Unterstützung dieser Kräfte nicht unbedingt viel Wert legen.

 

Die Realisierungschancen einer erfolgreichen Ausbildung von Lehrkräften an wissenschaftlich ausgerichteten Hochschulen sehe ich durchaus als gegeben an. Das Belegen zum einen einzelne, erfolgreiche Modelle zur Ausbildung von Lehrkräften und zum anderen verdeutlicht die aktuelle Diskussion, wie wichtig eine qualitätsorientierte Ausbildung dieser Zielgruppe ist. Eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung ist jedoch, dass sich die einzelnen Landesregierungen für eine Lehramtsausbildung an Hochschulen einsetzen und die inzwischen unübersichtlichen Sonderlösungen vorbei an Lehramtsstudiengänge der beruflichen Bildung einstellen.

 

Prof. Dr. Georg Spöttl war viele Jahre im Institut für Technik und Bildung an der Uni Bremen (ITB) beschäftigt und dort auch der Sprecher des Institutes. Nach seiiner Emeritierung arbeitet er heute im Zentrum für Arbeit, Technik und Berufsbildung (ZAB) der Uni Bremen.

 

Informationen zur Hannoveraner Erklärung und zur gtw findet man unter:

 

http://www.gtw-ag.de/?p=911.

 

 

 

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Timo Gayer Ι 07.11.2016
Viele Azubis sind unzufrieden ()
"Zu praxisfern, veralteter Lernstoff, unmotivierte Lehrer" ist das Meinungsbild zu Berufsschulen. Über die Ergebnisse einer Studie der TH Köln berichtet der Deutschlandfunk: http://www.deutschlandfunk.de/berufsschulen-viele-azubis-sind-unzufrieden.680.de.html?dram:article_id=370475

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