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Hans-Böckler-Stiftung untersucht die Gleichstellung in Ost und West

Deutsche Einheit auch im Job?

30.09.2020 Ι "Frauen in West- wie in Ostdeutschland haben in Puncto Bildung, Erwerbstätigkeit und soziale Absicherung in den vergangenen Jahren gegenüber Männern aufholen können. Trotzdem gibt es beim Thema Gleichstellung weiterhin erhebliche Unterschiede zwischen Ost und West.

Bei zentralen Arbeitsmarkt-Größen wie der Erwerbsbeteiligung, der Arbeitszeit und dem Einkommen sind die Abstände zwischen Männern und Frauen im Osten spürbar kleiner - allerdings beim Einkommen auf insgesamt niedrigerem Niveau als im Westen. Und auch wenn die Gleichstellung in Ost- wie Westdeutschland vielfach vorangekommen ist bleibt die durchschnittliche berufliche, wirtschaftliche und soziale Situation von Frauen in beiden Landesteilen weiterhin oft schlechter als die von Männern. Wo es Fortschritte gegeben hat und wo weniger, beleuchtet anhand von 27 Indikatoren und aktuellster verfügbarer Daten ein neuer Report, den das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung nun vorlegt."

(Quelle: HBS | PM 15.09.2020)

- aber Zunahme vor allem in Teilzeit.

 

Die Auswertung im Vorfeld des 30. Jahrestags der Deutschen Einheit zeigt unter anderem: Bei schulischer und beruflicher Qualifikation haben Frauen in beiden Landesteilen weitgehend mit den Männern gleichgezogen. Bei der Erwerbsbeteiligung zeigen sich dagegen trotz Annäherungen auch heute noch deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern und zwischen Ost- und Westdeutschland. So lag die Erwerbstätigenquote westdeutscher Frauen 2018 um gut acht Prozentpunkte unter der von westdeutschen Männern (71,6% vs. 80 Prozent). 1991 war die Differenz indes noch fast dreimal so groß. Auch die Erwerbstätigenquote von Frauen in Ostdeutschland ist mit aktuell 73,9 Prozent höher als 1991, und der Abstand gegenüber ostdeutschen Männern von knapp 12 auf gut vier Prozentpunkte gesunken.

 

Allerdings beruht diese Entwicklung vor allem auf mehr weiblicher Teilzeitarbeit. In Ostdeutschland ist der Anteil der Teilzeitstellen an allen Beschäftigungsverhältnissen von Frauen zwischen 1991 und 2018 um 17,2 Prozentpunkte gewachsen - sogar etwas stärker als in Westdeutschland (14,3 Prozentpunkte). Dennoch liegt die Teilzeitquote der westdeutschen Frauen mit aktuell 48,6 Prozent weiterhin deutlich über der der Ostdeutschen (34,7 %). Der Anteil der Frauen, die lediglich einen Minijob haben, ist mit 17,1 Prozent im Westen sogar fast doppelt so hoch wie in Ostdeutschland mit 9,9 Prozent.

 

- 5 Stunden im Osten, sogar 9 im Westen.

 

Bei Männern ist Teilzeitarbeit in beiden Landesteilen hingegen eher ein Randphänomen. Das hat auch deutliche Auswirkungen auf die durchschnittlichen Arbeitszeiten, zeigt die WSI-Studie: In Westdeutschland verbringen Frauen nach den neuesten verfügbaren Daten neun Stunden weniger als Männer mit Erwerbsarbeit - der Rückstand ist wegen der höheren Teilzeitquote eine Stunde größer als 1991. In Ostdeutschland liegt die Differenz bei fünf Stunden und somit zwei Stunden höher als noch vor 30 Jahren.

 

Die deutlichen Differenzen beim zeitlichen Umfang der Erwerbsarbeit hängen nach der WSI-Analyse maßgeblich mit dem unterschiedlichen Angebot an institutioneller Kinderbetreuung zusammen: In Ostdeutschland werden 41,4 Prozent der Kinder unter drei Jahren und 74,8 Prozent der 3- bis 6-Jährigen ganztags außer Haus betreut. Dagegen sind es im Westen nur 14,3 bzw. 40,5 Prozent - bei spürbar höherer Nachfrage. Immerhin hat sich das Angebot an Ganztags-Kinderbetreuung in Westdeutschland im letzten Jahrzehnt mehr als verdoppelt, so dass die Abstände zwischen beiden Landesteilen etwas kleiner geworden sind. "Sowohl die Unterschiede zwischen Ost und West als auch die schrittweise Annäherung zeigen, dass Fortschritte bei der Gleichstellung sehr oft von Rahmenbedingungen abhängen, die am besten der Staat gestaltet - durch verbindliche Regeln und Investitionen in Infrastruktur", sagt Dr. Aline Zucco, WSI-Forscherin und Ko-Autorin der Studie. "Einfach auf einen "Kulturwandel" zu vertrauen, reicht nicht. Dann kommt man nur sehr langsam voran und viele - zunehmend sehr gut ausgebildete Frauen - sind gezwungen, unter ihren Möglichkeiten zu bleiben."  

 

- aber auch, weil Männer weniger verdienen.

 

Die Unterschiede bei Kinderbetreuung und Arbeitszeiten tragen, unter anderem wegen geringerer Karrieremöglichkeiten, wesentlich dazu bei, dass die Lohnlücke in Westdeutschland weiterhin deutlich höher ist als in Ostdeutschland: In Westdeutschland liegt der durchschnittliche Stundenlohn von Frauen 21 Prozent unter dem von Männern, der Abstand ist dreimal so groß wie in Ostdeutschland. Allerdings spielt bei den geringeren Unterschieden im Osten ein weiterer Faktor eine erhebliche Rolle: Die Stundenlöhne ostdeutscher Männer sind wesentlich niedriger als die von männlichen Beschäftigten im Westen. Diese Diskrepanz zeigt sich auch bei der Einkommensverteilung: 26 Prozent der vollzeitbeschäftigten westdeutschen Männer haben monatliche Bruttoeinkommen über 5000 Euro - der Anteil ist mehr als doppelt so hoch wie unter westdeutschen Frauen (12,7%), ostdeutschen Männern (12,4%) oder Frauen (9,3%). Mit Niedrigeinkommen unter 2000 Euro monatlich für eine Vollzeitstelle müssen aktuell in Ostdeutschland zwar weniger Menschen auskommen als noch 2011, trotzdem ist der Anteil weiterhin deutlich höher als in den alten Bundesländern: Gut ein Viertel der ostdeutschen vollzeitbeschäftigten Frauen und ein Fünftel der Männer lagen 2018 unter dieser Einkommensgrenze. Im Westen waren es rund 19 Prozent der weiblichen und acht Prozent der männlichen Vollzeitbeschäftigten. "Es lohnt sich also, zusätzlich sehr genau hinzuschauen, auf welchem absoluten Niveau sich geschlechtsspezifische Differenzen darstellen", sagt Forscherin Zucco. Neben den - auch 30 Jahre nach der Vereinigung - erheblichen Unterschieden in der Wirtschaftsstruktur trägt nach WSI-Untersuchungen auch die niedrigere Tarifbindung im Osten zum insgesamt niedrigeren Lohnniveau bei.   

 

In einem weiteren Punkt unterscheiden sich die Geschlechter in Ost und West hingegen heute kaum: In beiden Landesteilen gibt es ähnliche geschlechtsspezifische Präferenzen bei der Berufswahl. Zugleich sind "typisch weibliche" Dienstleistungs-Berufe, etwa in Handel, Erziehung oder im Pflege- und Gesundheitsbereich, zwar spätestens seit der Corona-Krise als "systemrelevant" anerkannt, sie werden aber gleichwohl meist schlechter bezahlt als technische Berufe, in denen Männer dominieren. 

 

Die weiterhin deutlichen Unterschiede in den Erwerbsverläufen ost- und westdeutscher Frauen führen auch zu gravierenden Differenzen bei der Absicherung im Alter: Nimmt man gesetzliche Rente, betriebliche und private Alterssicherung zusammen, beziehen Frauen in Westdeutschland durchschnittlich ein um 58 Prozent niedrigeres Alterseinkommen als Männer. Anfang der 1990er Jahre lag der Gender Pension Gap im Westen sogar bei 73 Prozent. In Ostdeutschland beträgt der Abstand durchschnittlich 28 Prozent, 1992 waren es noch 39 Prozent.

 

Weiterhin Rückstände, die im Osten aber kleiner sind, beobachten WSI-Expertin Zucco und ihre Forscherkollegin und -kollege Svenja Pfahl und Dietmar Hobler schließlich auch bei der Partizipation von Frauen an betrieblichen Führungspositionen - insbesondere auf den obersten Führungsetagen: Hier wird in Ostdeutschland nur eine von drei Stellen von einer Frau besetzt, in Westdeutschland sogar nur eine von vier. Der Anteil ist in den vergangenen 15 Jahren vor allem im Westen nur geringfügig gewachsen. Besser sieht es nach der WSI-Analyse auf der zweiten Führungsebene aus, wo der Frauenanteil in Westdeutschland mit 39 Prozent dem Anteil an allen Beschäftigten (44 Prozent) relativ nahe kommt. In Ostdeutschland sind Frauen auf der zweiten Führungsebene sogar leicht überrepräsentiert (45% vs. 44%).

 

Bessere Kinderbetreuung, Quoten, mehr Vätermonate, ausgeglichenere Arbeitszeiten.

 

Verpflichtende Vorgaben für Geschlechteranteile in Vorständen sind nach Analyse der Forscherinnen und des Forschers ebenso notwendig wie ein erweiterter Geltungsbereich der Geschlechterquote in Aufsichtsräten, die bislang nur greift, wenn Unternehmen börsennotiert und zugleich paritätisch mitbestimmt sind. Um die Gleichstellung von Frauen und Männern auf breiter Linie wirksam zu fördern, empfehlen sie darüber hinaus unter anderem: 

  • Stärkere Anreize für Männer, Sorgearbeit zu übernehmen, etwa durch eine schrittweise Erweiterung der Partnermonate im Elterngeld auf sechs Monate.
  • Einen weiteren quantitativen und qualitativen Ausbau der institutionellen Betreuung von Kleinkindern.
  • Eine finanzielle Aufwertung von frauendominierten Berufen im Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitsbereich, um diese für beide Geschlechter attraktiver zu machen.
  • Gleichbehandlung aller Arbeitsverhältnisse bei Arbeitsbedingungen und sozialer Sicherung; Minijobs sollten möglichst in reguläre Beschäftigung überführt werden.
  • Schaffung von Arbeitsplätzen in kurzer Vollzeit und Abkehr von der Vollzeit- bzw. Überstundenkultur. Voraussetzung dafür seien unter anderem eine ausreichende Personalbemessung, verbindliche Vertretungsregelungen und Beförderungskriterien, die sich nicht an der Präsenz am Arbeitsplatz bzw. Überstunden orientieren.
  • Abschaffung des Ehegattensplittings, das vor allem in Westdeutschland ökonomische Fehlanreize für Ehefrauen nach der Familiengründung setzt, dem Arbeitsmarkt fernzubleiben oder die Arbeitszeit deutlich zu reduzieren.

 

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