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Interview mit Prof. Reinhard Stockmann

Berufsbildung spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklungszusammenarbeit

26.10.2015 Ι Die Berufsbildung spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklungszusammenarbeit. Deren professionelle Evaluierung soll zur Optimierung der Berufsbildungsprojekte beitragen. WAP-Reporter Uli Degen sprach mit den Evaluationsexperten Prof. Dr. Reinhard Stockmann, Direktor des Centrum für Evaluation an der Universität des Saarlandes, über Berufsbildungsprojekte in der Entwicklungszusammenarbeit, deren Evaluation und die daraus gewonnen Erkenntnisse.

Herr Prof. Stockmann, Sie als ausgewiesener und international renommierter Eva­luationsforscher und -experte können uns sicher in wenigen Worten sagen, was Evaluie­rung gesellschaftlicher Aktivitäten und Prozesse heißt; auch für Berufsbildungsprojekte in der Entwicklungszusammenarbeit. Wir wissen z.B., dass die Produktionspro­zesse der Automobilhersteller kontinuierlich evaluiert werden, um Schwachstellen aufzu­decken. Aber in Berufsbildungsprojekten der Entwicklungszusammenarbeit ist das sicher etwas ganz Spezielles?

 

Prof. Stockmann: Evaluation ist ein relativ neues Konzept, das sich von den USA ausgehend in der ganzen Welt verbreitet hat. Mittlerweile ist es so angesagt, dass fast alles, was mit einer Bewer­tung zu tun hat, als Evaluation bezeichnet wird. Umso wichtiger ist es, sich von solchen Alltagsevaluationen, in denen irgendetwas von irgendjemand irgendwie nach irgendwel­chen Kriterien bewertet wird, abzugrenzen. Bei der Evaluation geht es immer um die Be­wertung des Nutzens von Interventionen oder Maßnahmen. Zum Beispiel möchte man wissen, ob ein Projekt oder Programm die geplanten Ziele erreicht hat, wie wirkungsvoll die Maßnahmen waren, ob es auch nicht geplante, positive oder negative Effekte gegeben hat, ob diejenigen, die von einer Maßnahme profitieren sollten auch erreicht wurden. Evaluation unterscheidet sich von Wissenschaft als sie immer eine Be­wertungskomponente enthält, häufig mit Empfehlungen verbunden ist und dazu beitragen soll, Entscheidungen auf einer rationalen Basis zu treffen. Gute Evaluationen zeichnen sich deshalb auch durch ihre Nützlichkeit aus. Wenn ihre Ergebnisse nicht genutzt wer­den, sind sie letztlich nutzlos. Von daher ist die Evaluation von Berufsbildungsmaßnahmen oder -projekten in Deutschland oder im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit nichts Besonderes oder Spezielles. Sie folgt den gleichen, hier skizzierten Regeln.


Sie weisen darauf hin, dass sich die Berufsbildungsförderung der Entwicklungszusammenarbeit innerhalb der letzten Jahrzehnte gewandelt hat. Wo stand sie am Beginn und wohin hat sie sich entwickelt?

 

In der Tat, die Konzepte, die die Grundlage für die Berufsbildungszusammenarbeit (BBZ) bilden, haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Die erste Phase der BBZ stand ganz im Zeichen des sich in Deutschland vollziehenden ,Wirtschaftswunders'. Durch den Aufbau von Sachkapital und durch technische Beratung sollten die Produktivität und Kaufkraft der Entwicklungsländer an das Niveau der Industrieländer herangeführt werden. Die Förderung konzentrierte sich auf Sekundarschüler, die Schlüsselpositionen in Betrie­ben des modernen Sektors einnehmen und damit eine Verbreitung des Know-hows und des entsprechenden Arbeits- und Produktionsverhaltens bewirken sollten. Deshalb wur­den in den 1960er Jahren vor allem Technische Schulen und Gewerbeschulen der Erzie­hungsministerien gefördert. Ziel war es, Modellschulen aufzubauen, die als Prototypen für alle anderen Technischen Schulen eines Landes dienen sollten. Doch die Initialzündung blieb aus, vor allem weil das deutsche Konzept viel zu teuer war.

 

Trotz umfangreicher entwicklungspolitischer und reformpädagogischer Debatten änderte sich die Berufsbildungsprogrammatik bis in die 1980er Jahre kaum. Erst mit dem Sektorkonzept von 1992 konnte eine deutliche programmatische Wende eingeleitet werden. Die berufliche Bildung wurde nicht mehr einseitig als ein Mittel zur Humankapitalbildung und Instrument zur Qualifizierung des Fachkräftebedarfs der Industrie begriffen, sondern auch als ein Instrument zur persönlichen Entfaltung des Menschen. Zudem wurde verlangt, spezifische Ausbildungsangebote für den informellen Sektor zu entwickeln.

 

In der Förderrealität hatte sich schon Mitte der 1980er Jahre ein Wandel vollzogen: Zu­nehmend hatte die berufliche Ausbildungsförderung versucht die Betriebe in die Ausbil­dung zu integrieren. Die deutsche Berufsbildungsförderung besann sich auf ihre histori­schen Wurzeln und fortan wurde die duale Ausbildungsform zum Leitbild ihrer Förder­politik erhoben. In dieser Phase gewann erstmals der ,Systemansatz' an Bedeutung. Die Projekte sollten nicht nur einzelne Modellschulen fördern, sondern auf nationaler Ebene dazu beitragen, ,duale' Ausbildungssysteme zu implementieren.

 

Sie sagen zu Recht, dass die Berufsbildungsförderung zum ,Urgestein' deutscher Entwicklungspolitik gehört. Wie kam es Ihres Erachtens dazu und was waren die staatli­chen und gesellschaftlichen Motive?

Das duale Berufsbildungssystem Deutschlands ist seit Jahrzehnten weltweit anerkannt. Da viele Entwicklungsländer nicht über ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte verfügen und ihre Berufsbildungssysteme zumeist extrem verschult sind, sodass auch die Ausgebil­deten nicht über ausreichende praktische Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen, lag es nahe, sich Deutschland zum Vorbild zu nehmen. Allerdings hat die Übertragung dualer Ausbildungsstrukturen in andere Länder in den wenigsten Fällen geklappt. Dies lag vor allem daran, dass in diesen Ländern die Strukturen fehlen, um ein duales System zu etablieren. Häufig arbeiten Staat und Wirtschaft nicht gerne zusammen. Zudem sehen viele Verbände und Kommunen der Wirtschaft Ausbildung nicht als ein Bestandteil ihres Dienstleistungsangebots. Als ein typisches Beispiel kann hier der Versuch einer Ein­führung des dualen Berufsbildungssystems in der VR China dienen, den wir umfassend evaluiert haben.

 

In der VR China war gezielt ein Mehrebenenansatz eingesetzt worden, um auf "hoher" politischer Ebene die Voraussetzungen zu schaffen, die dann auf operativer Ebene für die Einführung einer dualen Ausbildung genutzt werden sollten. Hierzu fand ein kontinuierli­cher politischer Dialog statt, wurden drei dem Bundesinstitut für Berufsbildung ver­gleichbare Einrichtungen geschaffen und Ausbildungsstätten unterstützt. Obwohl diese Förderung mustergültig auf drei Ebenen, der politisch-strategischen, der Multiplikatoren- und der operativen Ebene geplant wurde, war der Erfolg eher bescheiden. Zwar konnte bei allen Beteiligten auf allen Ebenen die Einsicht in die Bedeutung der praktischen Ausbil­dung gestärkt werden, doch dies setzte sich nicht in Ownership für die Einführung einer dualen Ausbildung um. Die Betriebe konnten sich mit dieser Ausbildungsform nur bedingt anfreunden und die Zertifizierung wurde den "neuen" Berufen von staatlicher Seite verwei­gert. Die Breitenwirksamkeit blieb weitgehend aus.

 

Die Ursachen dafür, dass das duale System nicht flä­chendeckend eingeführt werden konnte, sind vor allem in der fehlenden Ownership für das duale Modell, den nicht systemadäquaten Rahmenbedingungen, aber auch in einer unflexiblen Steuerung zu sehen, die starr an der Einführung des dualen Modells festhielt, auch als schon längst klar war, dass die Voraussetzungen dafür in der VR China nicht gegeben waren.

 

In den 1970er Jahren hat die deutsche Entwicklungspolitik vollschulische Ausbildungsmodelle präferierte und erst später in den 1980er und 1990er Jahren System­reformen durch duale oder kooperative Ausbildungsformen. Was war Ihres Erachtens für den Perspektivwandel maßgeblich?

 

Der Perspektivwechsel wurde vor allem durch die geringe Breitenwirksamkeit des voll­schulischen Modells ausgelöst. Es wurden im Grunde "Inseln der Seligen" produziert. D.h. einzelne "Modellschulen" wurden mit technischer Ausstattung und modernen Curricula so aufgepeppt, dass sie zu Leuchttürmen der beruflichen Bildung in den geförderten Ländern wurden. Die einheimischen Ausbilder wurden umfangreich in Deutschland inhaltlich und didaktisch trainiert und sollten die deutsche Ausbildungsphilosophie in die staatlichen Ausbildungsstätten hineintragen. Da Berufsschullehrer in Entwicklungsländern sehr häufig sehr schlecht bezahlt werden, die Industrie aber hochqualifizierte Fachkräfte händerin­gend benötigt, wurden diese toll in Deutschland ausgebildeten Berufsschullehrer schnell von der privaten Wirtschaft abgeworben.

 

Das zentrale Problem bestand jedoch darin, dass diese Länder aufgrund ihrer geringen fi­nanziellen Mittel gar nicht in der Lage waren und sind, diese als Modellschulen aufgerüs­teten Ausbildungsstätten zu multiplizieren. Das Modell war schlichtweg zu teuer, als dass man es hätte flächendeckend einführen können. Ich habe für meine Evaluationen solche Schulen, die in den 1970er und 1980er Jahren gefördert worden waren, besucht und war erstaunt: In vielen wurde noch immer nach den deutschen Lehrplänen von damals unter­richtet und irgendwie wurden selbst die inzwischen ebenfalls total veralteten Maschinen am Laufen gehalten und noch immer genutzt. Insoweit war diese Förderung extrem nach­haltig. Allerdings nicht in dem Sinne, wie wir uns das gewünscht hätten.

 

Um die Jahrtausendwende wurde die Berufsbildung stärker in den Dienst von Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung gestellt und ihr offenbar eine neue Rolle zugeschrieben. War das aus Ihrer Sicht eher vorteilhaft für die Entwicklungszusammenarbeit?

 

Mit der internationalen Ausrichtung der Entwicklungspolitik an der UN-Millenniumserklä­rung von 2010 kam es auch zu einer Neuorientierung der deutschen Entwicklungszusam­menarbeit (EZ). Die Bundesregierung verabschiedete bereits im Jahr 2001 das "Aktions­programm 2015", um ihre entwicklungspolitischen Ziele an den Millennium Development Goals auszurichten. Die Armutsbekämpfung wird zur "überwölbenden Aufgabe" der deut­schen Entwicklungspolitik erklärt. Hierzu werden zehn Ansatzpunkte formuliert zu denen Bildung oder Berufsbildung nicht (!) zählen. Erst in Unterpunkten wird der Ausbau praxis­bezogener Ausbildungssysteme zur Ankurbelung der wirtschaftlichen Dynamik und aktiven Teilhabe der Armen sowie Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter empfoh­len. Um diese Ziele zu erreichen, stellte das BMZ die deutsche BBZ in den Dienst der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung. Sie konzipierte einen entwicklungspolitischen Schwerpunkt "Wirtschaftsreform und Aufbau der Marktwirtschaft", der sich am Leitbild einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft ausrichten sollte.

 

Mit ihrer Bildungsstrategie 2010-13 "Zehn Ziele für mehr Bildung" rückt das BMZ eher wie­der traditionelle Elemente der BBZ in den Vordergrund: wie die Betonung der Grundprinzi­pien der dualen beruflichen Ausbildung, Einbindung der Privatwirtschaft in die Ausbildung und Stärkung der einheimischen Wettbewerbsfähigkeit. In dem neuen Strategiepapier von 2012 wird anknüpfend an die klassischen bildungsökonomischen Grundaussagen "Bil­dung ist ein strategischer Schlüssel für Entwicklung. Ohne Bildung entsteht keine Entwick­lung und Bildungsarmut zieht Einkommensarmut nach sich"  ein integrierter Ansatz zur Beschäftigungsförderung vorgelegt, der die Berufsbildung zu einer Art Querschnitts­thema weiterentwickelt. Entsprechend der bereits beschriebenen Einbeziehung der beruf­lichen Bildung in die international verabschiedeten Konzepte der nachhaltigen Entwicklung soll Berufsbildung dazu beitragen, die Armut zu bekämpfen, das Umweltbewusstsein zu stärken, den Zugang zum Weltmarkt zu verbessern, die soziale und gesellschaftliche Ent­wicklung zu fördern, die Beschäftigungsfähigkeit der Menschen zu verbessern. In der 2000er-Dekade wurde die eigenständige Rolle der BBZ zunehmend aufgelöst und in den Dienst von Wirtschaftsreformen und gesellschaftspolitischen Systemveränderungsprozes­sen gestellt.

 

Sie haben einen Vergleich beider Evaluierungs­maßnahmen durchgeführt. Wie war Ihr Vergleich angelegt?

 

Für den Vergleich haben wir eine sogenannte Metaevaluation durchgeführt, die es im Evaluationsbereich viel zu selten gibt, obwohl sie ein besonders nützliches Instrument des Er­kenntnisgewinns ist. Metaevaluationen werten systematisch eine Reihe von Evaluationen zu dem gleichen Thema aus, um die methodische Qualität von Evaluierungen zu analysie­ren. Dadurch bekommt man eine Vorstellung davon, mit welchen Designs und Methoden Evaluierungen durchgeführt wurden, um zu bewerten, ob diese der Frage- und Aufgaben­stellung angemessen waren. Sie werden aber auch dazu verwendet, um die Ergebnisse aus einer Serie von Evaluierungen zu aggregieren. In beiden Fällen unterscheiden sich Metaevaluierungen von Querschnittsauswertungen oder der Synthese von Evaluierungs­berichten dadurch, dass nicht nur methodische oder inhaltliche Befunde zusammenfas­send - im Querschnitt oder synthetisch - aufbereitet werden und dadurch kumulatives Wissen erzeugt wird, sondern dass "neue", d.h. andere als den einzelnen Studien zugrun­de liegende Bewertungsaspekte durch die Metaevaluierung eingeführt werden. Dadurch kann nicht nur kumulatives Wissen erzeugt werden, sondern es entstehen auch neue Er­kenntnisse. Während also in einem Synthesebericht die Erkenntnisse aus den verschiede­nen Evaluierungen analytisch aufbereitet und zusammenfassend dargestellt werden, geht eine Metaevaluierung darüber hinaus und schafft durch die nochmalige, im Vergleich an­gestellte Auswertung anhand selbst gewählter Fragestellungen und Kriterien neues Wis­sen.

 

Sie haben unterschiedliche methodische Instrumente eingesetzt, um die jeweiligen Evaluie­rungsergebnisse vergleichbar zu machen. Sie haben die Projekte in ihrem Lebensverlauf betrachtet und verglichen und dazu Dokumente und Akten analysiert. Sie mussten aber für Ihren Vergleich die verschiedenen Durchführungsträger nachträglich befragen. Sie fanden durch diese Arbeiten zu einem spezifischen CEval-Ansatz für Evaluierungen, den Sie uns vielleicht kurz erläutern können.

 

Der CEval-Ansatz ist ein umfassendes Evaluationskonzept mit dem zwei Ziele verfolgt werden: Zum einen die Erfassung möglichst vieler - im Idealfall aller - geplanten wie unge­planten, positiven wie negativen Wirkungen, die aus einer Intervention resultieren. Zum anderen die Aufdeckung der kausalen Zusammenhänge. Dabei geht es um die Frage, ob die beobachteten Wirkungen tatsächlich von der Intervention, also einer Maßnahme, ei­nem Projekt, einem Programm oder einem Gesetz hervorgerufen wurden, oder andere Ur­sachen haben. Zur Lösung dieser Aufgabenstellung werden drei theoretische Überlegun­gen genutzt, um daraus ein Untersuchungsraster zu entwickeln.

 

Ergänzt wird der CEval-Ansatz, der mittlerweile in hunderten von Evaluationsstudien jegli­cher Art und jeglichen Themenfeldes verwendet wurde, durch ein Nachhaltigkeitsmodell, das zwischen der Makroebene - der Gesellschaft - und der Mikroebene - der Projekte und Programme - unterscheidet und das verschiedene Bewertungsdimensionen zur Verfügung stellt. Gerade für die Evaluation von Berufsbildungsprojekten hat sich dieses Evaluie­rungskonzept sehr bewährt. Darüber hinaus wollen wir wissen, ob diese beobachteten Veränderun­gen wirklich auf das Projekt zurückzuführen sind - Ursachenanalyse - und ob sie nachhaltig sind.

 

Was sind die zentralen Ergebnisse aus Ihren Evaluationen zur Berufsbildungsförde­rung in den letzten Jahrzehnten? Wie sieht es generell mit der Evaluation der Berufsbil­dungszusammenarbeit (BBZ) aus?

 

Die BBZ gehört zu den am besten evaluierten Feldern der Entwicklungszusammenarbeit. Es liegen nicht nur hunder­te von Projektfortschrittskontrollen und Projektevaluationen vor, sondern auch eine Reihe von wissenschaftlichen Evaluationsstudien, die Auskunft über die Wirkungen und die Nachhaltigkeit von Programmen und Projekten der BBZ geben. In einer auf die deutsche BBZ bezogenen Metaevaluation von zwölf im Auftrag der GTZ 2010 durchgeführten exter­nen, unabhängigen Evaluationen, ergibt sich ein recht gutes - bei Schlussevaluierungen - bis befriedigendes - bei Ex-post-Evaluierungen - Ergebnis in den Kategorien Zielerreichung - Effektivität -, Impact und Nachhaltigkeit. Dabei zeigten sich tendenziell die Projekte und Programme erfolgreicher, die, gemessen an dem Anspruch­sprofil, weniger Ziele erreichen wollten als die mit einer Vielzahl von Zielen. Projekte der Institutionenförderung z.B. ein Zentrum für moderne Technologien, die Modernisierung einer halbstaatlichen Ausbil­dungsinstitution oder ein Ausbildungszentrum für Drucktechnik, erhielten von den Gutach­tern bessere Noten als Projekte und Programme zur Einführung dualer kooperativer, mehr praxisbezogener Systemelemente, also solche, die auf Breitenwirksamkeit und Sys­temreform ausgelegt waren. Offenbar erfordern solche Entwicklungsmaßnahmen beson­dere Sorgfalt bei der Planung und Durchführung. Kei­nes dieser Projekte konnte eine gute Bewertung der Wirksamkeit oder der Nach­haltigkeit erzielen. Generell sollte die BBZ von der Vielfalt zum Teil überzogener und auch widersprüchlicher Anforderungen und Ansprüche entlastet werden. Eine Fokussierung auf den Markenkern der Berufsbildung sowie die Ausarbeitung von klaren und realistischen Zielsystemen in der Planungsphase wären hierfür empfehlenswert.

 

Welches sind die Erfolgsfaktoren für nachhaltige Projekte? Und gibt es Unterschie­de im Vergleich von heute zu damals?

 

Erstaunlicherweise gibt es kaum gravierende Unterschiede. Die Evaluationsstudien zei­gen, kein Projekt erwies sich als nachhaltig, das nicht systemkompatibel war. Dies heißt, wenn die Projektinterventionen die politischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht beachten, dann wird es keine systemische Verankerung geben und somit auch keine Breitenwirksamkeit. D.h. Projekte, die "nur" die Optimierung oder Umgestaltung einer Institution zum Ziel haben, können auch ohne genaue Kenntnis und Beachtung der systemischen Bedingungen erfolgreich und nachhaltig sein. Projekte, die jedoch auf systemverändernde Innovationen setzen, müssen auf jeden Fall genau prüfen, ob diese systemkompatibel sind, also vereinbar mit oder zumindest anschlussfähig an be­stehende Strukturen. Ist das nicht der Fall, werden diese Systeminnovationen, wie z.B. eine duale Ausbildung, die sich zu sehr am deutschen Vorbild orientiert, als "Fremdkörper" vom System abgestoßen. Und ohne "Ownership" ist ebenfalls keine Nachhaltigkeit zu er­zielen. Deshalb ist es wichtig, dass über die Strategie und die Maßnahmen zu ihrer Um­setzung zwischen den zentralen in- und ausländischen Akteuren Konsens herrscht.

 

Erfolgreiche Projekte zeichnen sich weiterhin durch intelligente Steuerungsstrategien aus, die zwischen Machbarem und Nicht-Machbarem zu unterscheiden wissen. Die Kunst be­steht darin, dort Veränderungen durchzusetzen, wo sie Erfolg versprechen und dort umzu­steuern, d.h. andere Ziele anzustreben oder andere Maßnahmen einzuleiten, wo kein Er­folg zu erwarten ist. Um dies leisten zu können, bedarf es qualifizierten Personals in den Partnerorganisationen auf verschiedenen Ebenen. Auf der Leitungsebene genauso wie auf der fachlichen Ebene. Nur mit engagiertem, qualifiziertem und motiviertem Personal, das von der Programmvision und der Veränderungsstrategie überzeugt ist, werden die Leistungen dauerhaft zu erbringen sein, die für die Zielerreichung, den Impact und die Nachhaltigkeit erforderlich sind.

 

Maßgeblich haben Sie ja für eine kontinuierliche und systematische Evaluierung von Projekten der Berufsbildungsförderung in der Entwicklungszusammenarbeit plädiert und im Prinzip ja auch von ,der Politik' dafür Recht bekommen. Was waren Ihre treibenden und grundlegenden Motive, sich dafür einzusetzen? Und was hat Ihr Engagement entwick­lungspolitisch gefruchtet? Und wäre es nicht auch an der Zeit, auch nationale Berufsbil­dungsprojekte in Bund und Ländern stärker und systematischer zu evaluieren?

 

Sie haben Recht. Ich habe mich in den letzten zwei Jahrzehnten stark für die Nutzung des Instruments Evaluation in Politik und Verwaltung eingesetzt. Nicht nur zur Evaluation der beruflichen Bildungsförderung oder der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ge­nerell. Da wir als Bürger nicht nur wissen wollen, wie viel Geld für etwas ausgegeben wur­de, sondern auch, ob dadurch etwas bewirkt wurde, ob sich dadurch etwas zum Positiven verändert hat, sollte das Instrument der Evaluation viel stärker genutzt werden. In der EZ ist dies häufig der Fall, aber in anderen Politikfeldern kaum. Dies wird auch immer wieder vom Bundesrechnungshof kritisiert, da die Bundeshaushaltsordnung eigentlich Evaluatio­nen, die sie als Erfolgskontrollen tituliert, vorschreibt. Doch häufig haben weder Politik noch Verwaltung ein Interesse daran, die Ergebnisse ihrer Arbeit überprüfen zu lassen. Deshalb liegt es an uns als Bürger, Informationen über den Erfolg von staatlichen Maß­nahmen und Programmen einzufordern. Hierfür wäre die unabhängige Evaluation ein ge­eignetes Instrument, da damit geprüft werden kann, ob die Ziele staatlicher Interventionen, wie geplant, erreicht wurden und welche nicht-geplanten, möglicherweise negativen Effek­te aufgetreten sind. Außerdem lässt sich die Effizienz und die Relevanz von Maßnahmen und Programmen evaluieren, ob sie wirkungsvoll waren und nachhaltig. In anderen Ländern wie z.B. Österreich, der Schweiz oder den Niederlanden und skandinavischen Ländern ist man da schon viel weiter und die Evaluationskultur weiter entwi­ckelt als bei uns, wo der Staat offenbar ein großes Vertrauen genießt, dass er schon alles richtig machen wird. Ein Hoffnungsschimmer stellt die Gründung eines Evaluierungsinstituts für die deutsche EZ, das DEval, dar. Für die Etablierung dieser Einrichtung habe ich zwanzig Jahre ge­kämpft. Die Idee ist, dass es ein unabhängiges Institut geben sollte, das die Wirksamkeit der Politik, in diesem Fall der Entwicklungszusammenarbeit, überprüft. Doch lei-der haben sich die hohen Erwartungen an dieses Institut bisher kaum erfüllt. Nicht nur in der EZ wird ein solches Institut benötigt, sondern auch in anderen Politikfeldern.

 

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..zum Weiterlesen: Stockmann, R.; Silvestrini, S. (Hg.) (2013): Metaevaluierung Berufsbil­dung. Ziele, Wirkungen und Erfolgsfaktoren der deutschen Berufsbildungszusammenarbeit. Sozialwissen­schaftliche Evaluationsforschung, Band 12, 208 Seiten, br., 29,90 €, ISBN 978-3-8309-2795-2; E-Book-Preis: 26,99 €

 

Wer ist Reinhard Stockmann? Prof. Dr. Reinhard Stockmann beschäftigt sich seit fast 30 Jahren mit Theorien und Methoden der Evaluationsforschung, hat über 200 Evaluationsstudien ins­besondere in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, Bildung und Umwelt geleitet oder selbst durch­geführt sowie ein umfangreiches Programm zur Aus- und Weiterbildung entwickelt. Darüber hinaus hat er zahlreiche Monitoring- und Evaluationssysteme für EZ-Projekte in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinameri­ka entwickelt und implementiert sowie eine Vielzahl von Lehrbüchern geschrieben, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden.
Um den Bereich der Evaluation weiter zu professionalisieren, hat er 2002 an der Universität des Saarlandes das Centrum für Evaluation (CEval) gegründet, dem er vorsteht. Er ist Mitbegründer der DeGEval-Gesell­schaft für Evaluation (1997) und war zehn Jahre lang Leiter des DeGEval-Arbeitskreises "Evaluation von Entwicklungspolitik". Außerdem ist er Initiator und geschäftsführender Herausgeber der "Zeitschrift für Eva­luation" sowie der Reihe "Sozialwissenschaftliche Evaluationsforschung" im Waxmann Verlag. Neben Fortbil­dungsprogrammen im Bereich der Evaluation hat Prof. Stockmann in Kooperation mit weiteren Hochschulen des Saarlandes den Studiengang "Master of Evaluation" entwickelt, der im WS 2004/05 an der Universität des Saarlandes als erster Evaluationsstudiengang in Deutschland eingeführt wurde.

 

 

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