Kultur des Arbeitersports
Interview zur Wanderausstellung über die erste Arbeiterolympiade vor 90 Jahren
Interview mit Helga Roos. Sie ist angestellt beim Sportkreis Frankfurt in dessen Gallus-Projektebüro, einem Büro das stadtteilbezogene Jugendarbeit leistet. Sie hat maßgeblich an dem Konzept der Ausstellung mitgewirkt.
Warum beschäftigt sich der Sportkreis Frankfurt mit der Geschichte des Arbeitersports?
Es wissen einfach wenige, dass es eine Sportbewegung mit einem anderen Verständnis gab. Es sind zum einen die Grundelemente, Leistung, Rekorde nicht voranzustellen, wo unser Motto heute Fair Play und Respect ist. Es ist wichtig sich zu erinnern, dass in der Kaiserzeit der Arbeitersport mit Repression konfrontiert war oder dass Frauen sich erst ab 1918 im Sport entfalten konnten. Der Arbeitersport hatte grade in den Stadtteilen wie meinem, dem Gallus in Frankfurt, große Bedeutung. Für die Personen selbst war der Sport mit Erholung und bewusstes Regenerieren verbunden, gegen die Arbeitsbedingungen in den Fabriken, in Nähsäälen, der Heimarbeit oder in engen Privathaushalten. Für den Stadtteil war der Arbeitersport Treffpunkt. Und der Sport war eng verbunden mit den politischen Forderungen und Zielen der Arbeiterschaft. Der Arbeitersport verstand sich immer als eine Säule der Arbeiterbewegung.
Warum erinnert ihr in diesem Jahr an die erste Arbeiterolympiade?
Es war die erste Internationale Arbeiter-Olympiade, eine internationale Begegnung Gleichgesinnter, aus den bitteren Erfahrungen des 1. Weltkriegs, deshalb die Internationale, deshalb als erste Sprache Französisch, deshalb als eine Hautparole "Nieder mit dem imperialistischen Krieg!".
Und schließlich war es DIE Großveranstaltung, der wir Frankfurterinnen und Frankfurter es zu verdanken haben, dass unser Stadion gebaut und 1925 fertig gestellt wurde. 90 Jahre, das sollte man doch würdigen.
Was hat dich am meisten beeindruckt, als du dich in die Quellen eingearbeitet hast?
Es ist viel Puzzlearbeit. Über allem steht eben, dass die Nazis die Vereine und ihre Organisationen 1933 sofort verboten. Die Menschen wurden verfolgt, von vielen Vereinen gibt es keine Dokumente mehr, weil es für sie gefährlich gewesen wäre, sie aufzuheben. Jedes Erinnerungsprojekt heute hat diese Puzzlearbeit vieler Menschen zur Grundlage, die seit Jahrzehnten forschen und mit denen wir z.T. im Austausch stehen, wie dem Paderborner Kreis der Arbeiterfußball-Historiker.
Für mich persönlich hat das alles auch mit einem eigenen Verein zu tun. Der heutigen SG Westend - die nicht in diesem Frankfurter Stadtteil, sondern im Gallus ihr zu Hause hat - und ihrem Sportplatz in der Sondershausenstraße. Eine wunderschöne Anlage. 1933 kam sie komplett in den Besitz des damaligen Postsportvereins, der eng verbunden war mit der lokalen Nazistruktur.
Als im Vorfeld der Olympiade die rigorose Politik gegen die jüdischen Vereine gedämpft werden sollte, konnte Bar Kochba (Bar Kochba war und ist Teil der jüdischen Sportbewegung und hatte auch einen Verein im damaligen Frankfurt, WAP) einen Teil des Sportplatzes nutzen, bis zur Pogromnacht, danach wurden alle jüdischen Vereine verboten.
1943 baute die "Interessengemeinschaft Russenlager" in Regie von T&N hier schließlich ein enorm großes Zwangsarbeiterlager. T&N ging aus einem vormals jüdischen Unternehmen hervor, das nach 1933 enteignet und arisiert wurde und heute noch als Avaya-Tenovis einen Standort in Frankfurt hat. Es ist zu vermuten, dass es neben dem KZ Katzbach in den Adlerwerken, dem damals großen Industriebetrieb im Gallus, eigentlich ein weiteres KZ-Außenlager des KZ Natzweiler werden sollte.
Der Platz in der Sondershausenstraße war bei der Internationalen Arbeiter-Olympiade 1925 auch integriert, hier fanden viele Ausscheidungsspiele im Fußball und anderen Mannschaftswettkämpfen statt.
In welchem Verhältnis standen damals Arbeitersport und Arbeiterkultur?
Das Verständnis vor Sport war ja zuallererst: Sport ist Kultur, also Körperkultur. Diese Herangehensweise schloss an das ganzheitliche Verständnis von Kultur, wie es damals in der Arbeiterbewegung verbreitet war, an: sich politisch mit der eigenen Lage auseinanderzusetzen, Forderungen und Strategien der Veränderung zu entwickeln, Arbeitermusik, Arbeiterchöre, Lese- und Radiozirkel usw. usf. Die 1920er Jahre waren z.B. auch die Zeit der Plakatgrafik. Dieses Kulturverständnis zeigt sich ja auch in der Gesamtkomposition der Arbeiter-Olympiade: ein breites Programm von Theater- und Kulturveranstaltungen, die Großveranstaltungen mit einem beeindruckenden Kulturprogramm - und schließlich der Sonntagabend im Stadion mit der Uraufführung von Auerbachs "Kampf um die Erde", die abschloss durch eine weißgewandete fackeltragende Frau auf dem Stadiondach und 35.000 Menschen im Stadion, die zusammen die "Ode an die Freude" sangen.
Hatte der Arbeitersport auch eine Verbindung zur Bildung?
Da sind sicher am authentischsten die Biografien. Generell, bis in die Funktionärsspitzen kamen die Akteure ja aus proletarischen Milieus, hatten Ausbildungen, haben sich es selbst oder mit Hilfe der Organisationsstrukturen drauf geschafft.
Als Organisation des Arbeitersports legte man auf die Aus- und Fortbildung der Mitglieder großen Wert. Es gab ein sehr umfangreiches Ausbildungssystem im Sport, Entwicklung von Übungsprogrammen, Sportorganisation usw. Dies schließlich auch verbunden mit politischen Schulungen.
Kern waren die Kurse in der Bundesschule in Leipzig, die Angebote wurden dann aber auch runtergebrochen auf die Kreise des Arbeitersports.
Und wenn man sich die monumentalen Choreografien anschaut, z.B. bei den Veranstaltungen im Kulturprogramm der Arbeiter-Olympiade und die breite Integration von Kindern, steht dahinter ja die Beschäftigung mit den Inhalten von z.B. Literatur, Musik, Theater usw.
Was lässt sich für die heutige Zeit aus dem Arbeitersport lernen?
Ich würde als erstes sagen, die Versuche Konkurrenz, Leistung zu bekämpfen. Heute sagen wir oft, der Arbeitersport war der Vorläufer des Breitensports. Dann der Internationalismus. Schließlich solidarisches Eingreifen und Handeln in den jeweiligen gesellschaftlichen Situationen.
Auf der anderen Seite ist es sicher auch wichtig, die Grenzen und das Scheitern der damaligen Organisierung zu erforschen, kritisch Fragen zu stellen zum Organisationsaufbau von oben nach unten, der fast ausschließlichen Männerdominanz in den Entscheidungsstrukturen usw.
Gerne wüsste ich noch viel mehr über die Zeit des Faschismus, über Widerstand, über Verfolgung, über die, die im Spanischen Bürgerkrieg mitkämpften und im Ausland den Widerstand gegen die Nazis mit organisierten.
Nächstes Jahr befassen wir uns in der Reihe "Spuren des Sports in Frankfurt" zum einen mit Frankfurter Sport und die Hitler-Olympiade 1936 wie auch mit den Neuanfängen des regionalen Sports 1945/46. Hier wird ein Thema sein, ob und wie der Arbeitersport die Nachkriegssportentwicklung beeinflussen konnte.
Vielen Dank!
Der Sportkreis Frankfurt am Main e.V. ist die Dachorganisation aller Frankfurter Turn- und Sportvereine und ist dem Landessportbund Hessen angeschlossen. Alle drei Jahre wählen die Vereine einen Sportkreisvorstand. Dieser vertritt die Interessen der rund 430 Frankfurter Turn- und Sportvereine mit rund 190.000 Sportlerinnen und Sportlern. Zu seinen Aufgabenspektrum gehört auch die Schüler-, Jugend- und sportbezogene Stadtteilarbeit. Helga Roos ist im Gallus-Projektebüro des Sportkreises angestellt.
Das Foto wurde vom Sportkreis Frankfurt am Main bereit gestellt.
Informationen zur Ausstellung:
Unter dem Titel "Vorwärts und nicht vergessen" aus dem Solidaritätslied von Bertolt Brecht blicken wir mit der Ausstellung zurück auf die 1. Internationale Arbeiter-Olympiade 1925 im wenige Wochen zuvor fertiggestellten Frankfurter Stadion. Veranstaltung und Ausstellung knüpfen an die erfolgreiche Ausstellung des Sportkreises Frankfurt e.V. im Eintracht Frankfurt Museum an.
Sie wird zunächst vom 25.11. bis 18.12. in der IG Metall-Vorstandsverwaltung in Frankfurt am Main zu sehen sein. Am 25.11. wird es dazu auch eine Eröffnungsveranstaltung unter dem Titel "Arbeitersport und Arbeiterbewegung" geben.
IG Metall, Hans-Böckler-Stiftung und das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst haben Mittel bereitgestellt.
Die Ausstellung ist das Ergebnis langer Forschungen nach Text- und Bilddokumenten. Sie soll anregen, auch an anderen Orten im Sinne der gewerkschaftlichen und antifaschistischen Erinnerungsarbeit zu forschen, die Kenntnisse zu erweitern und dem Thema Arbeitersport mehr Öffentlichkeit zu geben.
Themenbereiche:
Geschichte des Arbeitersports * Arbeitersport in Frankfurt * Olympiade am Main * Die Eröffnung der Spiele * Sportliche Wettkämpfe * Der große Festzug * Kulturelle Ertüchtigung * Weitere Arbeiter-Olympiaden * Das Ende der Arbeitersportbewegung
Mit der Wanderausstellung ist der Gedanke verbunden, dass die Ausstellung sich durch die jeweils lokale Arbeitersportgeschichte erweitert.
Die Ausstellung steht ab sofort in zwei Formaten für interessierte Institutionen zur Verfügung. Sie ist erhältlich als Hängetafeln mit 28 Tafeln (IG Metall) sowie als Roll Ups mit 10 Ständern (Sportkreis Frankfurt e.V.).
Zusätzlich wurden für die Ausstellung ein ausführlicher Informationsflyer und eine Literaturliste erstellt.
Kontakt über:
1. IG Metall Vorstand
Bianka Huber
069 66 93 24 74
Bianka.Huber@igmetall.de
2. Sportkreis Frankfurt am Main
Helga Roos
069 75 00 38 00
helga.roos@sportkreis-frankfurt.de
3. Eintracht Frankfurt Museum
Matthias Thoma
069 95 50 32 75
m.thoma@eintrachtfrankfurt.de