Schulen während und nach der Corona-Krise
Ein Programm für mehr Chancengleichheit
Um sie aktuellen Mammutaufgaben leisten zu können, brauchen Schulen die Stärkung der Politik. Neben kurzfristigen Maßnahmen für einen sicheren Hygiene- und Gesundheitsschutz benötigen Schulen mittel- und langfristig bessere Rahmen- und Arbeitsbedingungen.
Mit diesen Empfehlungen bekräftigt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) seine Forderungen, Schulen gemäß ihrer gesellschaftlich hoch bedeutungsvollen Aufgaben endlich besser zu stellen. Schu-len sind die Institutionen, die präventiv der sozialen Ungleichheit und damit der sozialen Spaltung in unserem Land entgegenwirken können. Es ist höchste Zeit! Wir brauchen ein Programm für Chancen-gleichheit, um nach der Krise besser voranzugehen und unsere Schulen zukunftsfähig zu machen. Dafür sind aus Sicht des DGB insbesondere folgende bildungspolitischen Maßnahmen zu treffen:
Schulen sind soziale Orte, sie sind Lern- und Lebensumgebungen für Kinder, Jugendliche und die Fachkräfte, die dort arbeiten. Doch in vielen Schulen fällt der Putz von der Decke, Klassenräume sind veraltet, Sanitäranlagen ungenügend, die digitale Ausstattung Mangelware. Das erschwert Bildungserfolge erheblich. Der Investitionsstau für Schulen liegt laut der Förderbank KfW bei knapp 43 Milliarden Euro. Doch nicht nur die Schulgebäude sind vielerorts in bedrückendem Zustand, auch Essensräume, Pausenhöfe und Sportanlagen bedürfen einer Überholung. Der Handlungsbedarf ist immens und weitere Herausforderungen kommen noch hinzu, um den Normalbetrieb nach der Corona-Pandemie aufnehmen zu können. Es ist daher notwendig, dass Bund, Länder und Kommunen der Sanierung und Modernisierung der Schulen mehr Priorität einräumen. Es braucht ein bundesweites Auf- und Ausbauprogramm für die Schulen der Zukunft.
Ab 2025 soll für alle Kinder im Grundschulalter ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung gelten. Dies ist ein wichtiges bildungs- und familienpolitisches Vorhaben, das nur erfolgreich sein kann, wenn die Qualität stimmt. Gute Bildung und Betreuung über den Vormittag hinaus erfordert die Zusammenarbeit von Schule und Sozialarbeit. Sie ermöglicht mehr Zeit für Förderung und die Entwicklung persönlicher und sozialer Kompetenzen. Da gute Ganztagsschulen den Bildungserfolg und die Teilhabechancen insbesondere von bildungsbenachteiligten Kindern erhöhen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern, ist der Ganztagsausbau in den letzten Jahren merklich vorangeschritten. Im Bundesdurchschnitt profitieren bereits etwa 42 Prozent der Grundschüler*innen von einem Ganztagsschulplatz3. Doch der Erfolg ist gefährdet. Die fehlende Ausfinanzierung und der Mangel an Fachkräften im Bereich der Bildung und Betreuung drohen den Ausbau auszubremsen. Ohne gut qualifiziertes und ausreichendes Personal können keine wirksamen Bildungs- und Förderangebote geschaffen werden. Zugleich zeigen die Prognosen deutlich, dass die Bundesbeteiligung in Höhe von zwei Milliarden Euro bei Weitem nicht ausreichen wird, um ab 2025 bundesweit gute Ganztagsangebote zu realisieren. Damit das wichtige bildungs- und familienpolitische Vorhaben nicht scheitert, muss sich der Bund deutlich höher und dauerhaft an den Kosten der Ganztagsbetreuung beteiligen. Sollte der Bund einer dauerhaften Mitfinanzierung eine Absage erteilen, wird dies die Entwicklung von guten Ganztagskonzepten an Grundschulen erheblich erschweren. Darüber hinaus sind Bund und Länder aufgefordert, eine Fachkräfteoffensive für die Frühe Bildung und Betreuung zu starten.
Gute Unterrichtsqualität und individuelle Förderung hängen maßgeblich von der Qualifizierung, den Arbeitsbedingungen und ausreichend pädagogischem Personal ab. Doch bundesweit herrscht an allen Schulen Lehrkräftemangel. Allein an Grundschulen fehlen bis 2025 mindestens 26.300 Lehrer*innen. Zur Kompensation des Mangels setzen immer mehr Bundesländer auf Quer- und Seiten-einsteiger*innen. Diese kommen vor allem an Schulen mit besonderen Anforderungen zum Einsatz. Dort arbeiten doppelt so viele Beschäftigte ohne abgeschlossenes Lehramtsstudium als an Schulen in besseren sozialen Wohnlagen. Dabei ist gerade an Schulen, die mit einer außerordentlichen Heterogenität der Schülerschaft, großen Sprachdefiziten, steigenden sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfen und schwieriger Elternarbeit konfrontiert sind, ein hohes Maß an pädagogischer Kompetenz erforderlich. Sie müssen die besten Lehrkräfte, multiprofessionelle Teams und gute Arbeitsbedingungen bekommen. Zudem müssen Länder die Zahl der Plätze für das Lehramtsstudium erhöhen und Studienbeschränkungen (Numerus clausus) abschaffen. Quer- und Seiteneinsteiger*innen brauchen berufsbegleitende Weiterqualifizierung. Die betreuenden Lehrkräfte müssen eine Pflichtstundenentlastung erhalten.
Schulleitungen und Lehrkräfte geben der digitalen Ausstattung ihrer Schulen keine gute Bewertung. Besonders unzufrieden sind die Grundschulen. Das zeigt die jüngste Umfrage der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). In der Corona-Krise kommen die Nachteile der schlechten digitalen Ausstattung der Schulen noch einmal mehr zum Vorschein. Besonders stark trifft der Mangel die sozioökonomisch benachteiligten Schüler*innen. Sie haben zu Hause selten das notwendige Endgerät, das Lernen ohne pädagogische Anleitung fällt ihnen schwer, Eltern können nicht helfen.
Digitale Lernformen werden den Unterricht auch in Zukunft nicht ersetzen können, auch das zeigt die aktuelle Situation sehr klar. Aber es muss deutlich mehr in Medienbildung, digitale Lernangebote und in die Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte investiert werden. Der Digitalpakt des Bundes mit seinen fünf Milliarden Euro für den Ausbau der digitalen Infrastruktur an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen ist ein guter Schritt. Aber weitere müssen nun zügig folgen, damit die Digitalisierung nicht stagniert. Für die Ausgestaltung und das Pädagogische sind die Länder zuständig. Doch die Corona-Krise offenbart, dass diese ihre Schulen nicht annährend leistungsfähig gemacht haben und auch, dass sie dabei nicht gemeinsam und vergleichbar vorgehen. Umso erforderlicher ist es, dass die KMK-Strategie "Bildung in der digitalen Welt" in die Praxis gebracht wird, wobei die aktuellen Erkenntnisse zu berücksichtigen sind. Unterstützend sollte der Bund den Digitalpakt über Artikel 104 c des Grundgesetzes verstetigen.
Ungleiches muss ungleich behandelt werden. Dies gilt insbesondere für Schulen mit schwieriger Sozialstruktur und besonders anspruchsvollen Aufgaben. Schulen, die in hohem Maße kompensierend und chancenausgleichend wirken müssen, benötigen kleine Klassen, gute Ausstattung und das beste Personal. Die personelle und finanzielle Ausstattung sollte immer den Anforderungen der einzelnen Schule Rechnung tragen. Dies gelingt am besten durch eine schulgenaue datenbasierte Ressourcensteuerung, die die spezifischen Gegebenheiten der einzelnen Schule berücksichtigt. Eine präzise und schnelle Mittelzuweisung nach einem Schulsozialindex kann dazu beitragen, Chancengleichheit zu erhöhen und Bildungsarmut entgegenzuwirken.
In Deutschland tragen die Bundesländer die politische Verantwortung für ihr Bildungssystem. Doch nicht erst die Corona-Krise macht offensichtlich, wie verunsichernd 16 Systeme und Vorgehen für Kitas und Schulen vor allem für Eltern sind. Auch vor der Pandemie war der Föderalismus mit seinen Unterschiedlichkeiten bei der Schulstruktur, dem digitalen Ausbau, den Schulabschlüssen, der Umsetzung der Inklusion oder der Anerkennung von Lehramtsausbildungen ein Flickenteppich. In dieser Zeit zeigen sich die Schwächen unseres Bildungsföderalismus deutlicher denn je. Zu verschieden, zu unübersichtlich, zu wenig: Das Vorgehen der Länder, ihre Schulen für die Zeit während und nach Corona fit zu machen, könnte unübersichtlicher nicht sein. Die Bundesländer sind daher aufgefordert unter Berücksichtigung regionaler Spezifika auf eine länderübergreifende größere Vergleichbarkeit ihrer Bildungssysteme und bildungspolitischen Wege hinzuwirken und damit der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet Rechnung tragen.
Unsere Forderung nach einem Nationalen Bildungsrat in dem Bund, Länder und Kommunen ge-meinsam mit den Sozialpartnern und weiteren Bildungsexpert*innen eine Bildungsstrategie aus einem Guss entwickeln, halten wir trotz der Absage der Länder aufrecht. Dies wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem modernen, kooperativen Bildungsföderalismus.