Tagung von Medico International
Resilienz - ein neuer Schlüsselbegriff in einer marktkonformen Pädagogik?
Medico International hat am 05. und 06. Juni in Frankfurt eine erste interdisziplinäre Tagung zu dem Thema gemacht. Unter der Überschrift "Fit für die Katastrophe" sind die Beiträge auf der Homepage von Medico International dokumentiert.
Resilienz wird der neue "Zauberbegriff" in Pädagogik, Psychologie und Gesellschaftspolitik. Der Zukunftsforscher Matthias Horx kommt zu der Feststellung, dass "Resilienz (...) den schönen Begriff der Nachhaltigkeit ablösen (wird)".
Der Markt als Regulierungsprinzip von Ökonomie und zunehmend auch von Gesellschaft wird dabei nicht mehr in Frage gestellt. Als "marktkonforme Demokratie" dringt er in den Bereich des Politischen. Menschen stehen in diesen Rahmenbedingungen zu einander im Wettbewerb. Sie agieren als "Homo oeconomicus" zu ihrem eigenen individuellen Vorteil. Solidarität ist diesem Denken und Handeln fremd oder wird nur des eigenen Vorteils wegen gelebt. Nicht der Widerstand gegen Verhältnisse, welche Ungleichheit und Armut produzieren, und ihre Gestaltung, sondern die Anpassung an diese Verhältnisse stehen auf der Tagesordnung. Da aber diese Verhältnisse ohne jede weitere soziale Sicherheit jeden Einzelnen treffen können, muss er/sie ein "Stehaufmännchen" werden. Er/sie benötigt Nehmerqualitäten, nicht um schlechte Verhältnisse auszuhalten und zu diese verändern, sondern um das gleichsam Schicksalhafte ertragen zu lernen, um mit noch mehr Kraft den Wettbewerb und Überlebenskampf zu bestreiten.
"Die fast dreißigjährige Phase sozialpolitischer Gegenreform" - führt der Sozialwissenschaftler Thomas von Freyberg auf dieser Tagung aus - hat sich auch dieses kritischen Elements vergangener Reformdebatten bemächtigt und es verkehrt."
Ursprünglich war Resilienz gewissermaßen die Schwester der kritischen Pädagogik. Hier der Ressourcenansatz der kritischen Pädagogik, dort die seelische Widerstandskraft der Individuen. Es sei vor allem die "positive Pädagogik", eine Pädagogik, die nicht nach den gesellschaftlichen Verhältnissen menschlichen Handelns fragt, die der Uminterpretation des Begriffes den Boden bereitete.
Die zunehmende Vermarktlichung der Arbeitsbeziehungen "findet im pädagogischen Jargon ihre Ergänzung in der Rede vom resilienten Kind: einem Stehaufmännchen!", so Thomas Freyberg. "Das Resilienzkonzept legitimiert (...) den Rückzug des Staates aus seiner sozialstaatlichen Selbstverpflichtung, in dem es die sozialen, richtiger: asozialen Folgen neoliberaler Politik und Ökonomie für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zum einen "privatisiert", zum anderen auf die überforderten Systeme öffentlicher Erziehung und Bildung und auf die dort arbeitenden Professionellen abwälzt."
"Selbstverständlich", so Thomas Gebauer, "spricht nichts dagegen, die Widerstandskraft von Menschen zu stärken (...) Absurd wird es aber, wenn das Bemühen um Resilienz zur Rechtfertigung herhalten muss, um nichts mehr gegen die Ursachen von Krisen tun zu müssen."
Weitere Informationen zur Tagung: https://www.medico.de/fit-fuer-die-katastrophe-15981/
Die Zitate sind dem Medico-Rundschreiben 2/15 und den Dokumenten entnommen.