
Bildungspolitik im Koalitionsvertrag
Zentrale Herausforderungen werden adressiert und doch fehlt etwas
Der Koalitionsvertrag will im Bereich der (beruflichen) Bildung bodenständig erscheinen und signalisiert damit eher das Bild "Renovierung" als "Revolution". Dafür darf man den Koalitionären sogar Respekt zollen, denn bevor man im Haus die Lampen aufhängt, sollte es nicht mehr durch das Dach regnen.
Das lässt hoffen
In diesem Sinne adressiert das Sondervermöge explizit die Bildungsinfrastruktur und lässt auf eine Linderung des Sanierungsstaus in Kitas, (Berufs-) Schulen und Hochschulen hoffen. Flankiert wird dies mit dem neuen DigitalPakt, der die digitale Infrastruktur an allgemeinbildenden Schulen auf Vordermann bringen soll und dem Pakt für berufliche Schulen. Auch die überbetrieblichen Bildungsstätten finden Erwähnung. Mit der Weiterentwicklung des Startchancenprogramms sollen Ressourcen an die Schulen fließen, an denen es die größten sozialen Benachteiligungen unter den Schüler*innen und die größten Herausforderungen für das Lehrpersonal gibt. Ein wichtiger Schritt zu mehr Chancengerechtigkeit für Kinder aus einkommensschwachen Familien. Familien und Alleinerziehende dürfen auch auf eine mittelfristige Verbesserung ihrer Betreuungssituation hoffen, denn der Ganztagesausbau soll vorangetrieben und mit einer Qualitätsentwicklung verbunden werden. Hoffentlich wird dieses Mal nicht das Lehrpersonal vergessen, dass man dafür braucht.
Ein besonderes Augenmerk haben die Autoren auf den Übergang von Schule in Ausbildung und die Berufsorientierung gesetzt. Hier besteht auf dem Papier weitgehende Einigkeit mit den Vorstellungen der Gewerkschaften zu einer besseren Systematisierung und der Stärkung der Jugendberufsagenturen. An dem klarformulierten Ziel, die Zahl der Jugendlichen ohne Abschluss zu senken, werden wir die neue Regierung messen!
Grundsätzlich ist es auch zu begrüßen, dass die Regierung die Bedeutung der Demokratiebildung in Schulen und Betrieben wiederentdeckt und die Fortführung der zentralen Förderlinien beschlossen hat. Die IG Metall wird dies mit aller Kraft unterstützen.
Hier bleibt was offen
Im Bereich der beruflichen Ausbildung hätten wir uns für Auszubildenden und Ausbilder*innen jedoch etwas mehr Tatkraft vorgestellt. Wir sind schon gespannt auf die Wirkung einer "WG-Garantie" für Azubis und Studierenden, mehr gefreut hätte uns jedoch eine klare Verbesserung der Ausbildungsgarantie und die Einführung eines umlagefinanzierte Zukunftsfonds Ausbildung! Und sind wir mal ehrlich, in den Betrieben wäre nicht der Putz von den Wänden gefallen, wenn man für das betriebliche Ausbildungspersonal individuelle Weiterbildungsrechte geschaffen hätte, so dass sich die Kolleginnen und Kollegen adäquat auf die wachsenden Herausforderungen einstellen können. Die IG Metall hat hierzu extra eine großangelegte Studie zum Ausbildungspersonal gemacht, um diese Forderung wissenschaftliche zu Untermauern.
Wenig Stringenz lassen die Vorhaben im Bereich der Nachqualifizierung und Weiterbildung erkennen. Auf der einen Seite bekommen die Sozialpartner Unterstützung bei der Systematisierung von Teilqualifikationen und es gibt bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und der Integration Geflüchteter sowie mit der geplanten Förderung von Anerkennungsverfahren zur Feststellung der beruflichen Handlungskompetenz, ambitionierte Ziele und Vorhaben. Auf der anderen Seite soll der Vermittlungsvorrang bei Arbeitslosen wieder eingeführt werden - Arbeit geht nun also wieder vor Bildungsabschluss. Da die gewerkschaftlichen Forderungen nach einem Rechtsanspruch auf Bildungsteilzeit und einem Initiativrecht für Betriebsräte in Fragen der Weiterbildung nicht aufgegriffen wurden, kann nun wieder ein System entstehen, dass Menschen aus prekärer Arbeit in prekäre Arbeit vermittelt, ohne dass sie sich abschlussbezogen Weiterqualifizieren können. Um dem Ganzen wieder eine positive Wendung zu geben, dürfen die Pläne zur Weiterentwicklung von "Meister-BAföG" und BAföG sowie die Verrechtlichung des Deutschen Qualifikationsrahmen nicht unerwähnt bleiben. Wir hoffen auf einen neuen Schub in Puncto Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung!
Das ist schräg
Leider gibt es auch einige Punkte im Koalitionsvertrag die unklar sind und damit verunsichern. Die Evaluierung des Berufsbildungsgesetzes mit dem Fokus auf die Mindestausbildungsvergütung ist ein Relikt aus neoliberalen Zeiten, damals als Drohkulisse formuliert, die MiAV wieder zu kippen. Auch die Analyse der Rahmenbedingungen für praxisintegrierte dual Studierende mit dem Ziel zu prüfen, ob es Tariflösungen geben kann, scheint etwas aus der Realität zu fallen - die IG Metall hat längst Tarifverträge für Dual Studierende dieses Formates abgeschlossen! Auch die geplante Aufspaltung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in zwei separate Ministerien sorgt für Unsicherheit. Die Zuständigkeiten sollen aufgeteilt werden in "Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend" (CDU) und "Forschung, Technologie und Raumfahrt" (CSU). Hier steht die Chance eines Hauses, dass von der Kita bis zum Fortbildungs-/ Studienabschluss alle Prozesse betreut, gegen das Risiko, dass das eine Haus nicht weiß, was das andere macht. Insbesondere für die Hochschulen, bei denen Forschung und Lehre vereint sind. Wo die berufliche Bildung landet, ist dabei auch noch nicht so ganz klar. Landet sie wirklich bei "Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend" oder meldet das Wirtschaftsministerium Ansprüche an?