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5 Fragen zur Rolle des Betriebsrates in der beruflichen Weiterbildung

Im Interview mit der AgenturQ

02.05.2022 Ι Aus Anlass der aktuellen Betriebsratswahlen hat Stefan Baron, Leiter der AgenturQ mit Daniela Schiermeier, Konzernbetriebsratsvorsitzende bei ABB AG in Mannheim, und Constanze Kurz, Geschäftsführerin des Gesamt- und Konzernbetriebsrats der Robert Bosch GmbH, unterhalten und ihnen fünf Fragen zur Rolle der Betriebsräte in der beruflichen Weiterbildung gestellt.

Die hier wiedergegebene Interviewauszüge findet Ihr in der ganzen Fassung auf der Homepage und als Gesprächsmitschnitt in der Mediathek der AgenturQ.

 

Dr. Stefan Baron: [Wir argumentieren seit längerem ...], dass Betriebsräte beim Thema Berufliche Weiterbildung nicht nur ein Mitbestimmungsrecht haben, sondern auch eine Mitbestimmungspflicht. Kannst Du das nochmal ausführen? Welche Erwartungen dürfen Beschäftigte diesbezüglich denn an ihre neu gewählten Betriebsräte haben?

 

Dr. Constanze Kurz: Betriebsräte haben jetzt sicher keine offizielle oder formell formulierte Pflicht [...]. Ich glaube aber, dass sich eine Mitbestimmungspflicht daraus ergibt, dass die Weiterbildung im Grunde genommen ein Kristallisationspunkt ist für eine ganze Reihe von Anforderungen und essentiellen Prinzipien der Interessenvertretung. Ich glaube sagen zu können, dass Weiterbildung ein ganz grundlegendes Thema ist in Bezug auf die Frage der Sicherung von Arbeitsplätzen und der Beschäftigungsfähigkeit. Weiterbildung und Qualifizierung sind im Grunde genommen auch das, was man neu schwäbisch den "Enabler" nennt, nämlich Möglichmacher für Veränderung und Veränderbarkeit. Und zwar sowohl auf einer persönlichen Ebene wie auf der Ebene des Unternehmens. Das Unternehmen steht ja heute für Richtungswechsel, die wir mit den Themen Transformation und  Digitalisierung bezeichnen. Und hier ist der Betriebsrat Kümmerer und Gestalter. Und selbstverständlich können und sollen Beschäftigte eine kompetente Unterstützung erwarten und auch bekommen. Dann kann man auch von einer Verpflichtung sprechen, die im Grunde genommen auch aus ganz prinzipiellen und sozialen Aspekten des Zusammenwirkens von Beschäftigten, Unternehmen und Betriebsräten heraus erwächst.

 

Dr. Stefan Baron: Daniela, anders als Constanze bist du aktive Betriebsrätin. Wie siehst Du denn Deine Rolle? Lässt Du Dich in die Pflicht nehmen?

 

Daniela Schiermeier: Absolut. Aber ich möchte noch einen Satz vorweg schieben: Pflichten sind auch immer verbunden mit dem, was man bewegen kann und wo man auch Einfluss darauf hat. Und da besteht aus meiner Sicht ein Manko. Wir haben  gerade dieses Jahr 50 Jahre Betriebsverfassungsgesetz. Aus meiner Sicht müssten Betriebsräte beim Thema Qualifikation oder  der Frage, was brauche ich als Unternehmen in der Zukunft, viel mehr mitbestimmen können. Unternehmen befinden sich ja im Wandel und es ist für Betriebsräte ganz essentiell, sich einzubringen. Unsere oberste Maxime ist ja immer die Beschäftigung und damit  unsere Kolleginnen und Kollegen in Lohn und Brot zu halten. Jeder Standort muss sich mit diesen Fragen auseinandersetzen, und das  geschieht gerade bei uns und wir treffen Ableitungen daraus.  Und da schließt sich der Kreis zu der Qualifikation wieder, weil es natürlich so sein wird, dass es einen Weiterbildungsbedarf gibt. Insofern stellen wir uns der Aufgabe und sagen, dass am Anfang immer die Analyse stehen muss, wo man als Unternehmen hin will und wo man hin muss. Und dann muss man sich dem Thema Weiterbildung annehmen.

 

Dr. Stefan Baron: Jetzt hast Du meine zweite Frage im Grunde schon vorweggenommen. Ich wollte nämlich auf den § 80 Abs. 1 Nr.8 des Betriebsverfassungsgesetzes zu sprechen kommen, demnach der Betriebsrat die Aufgabe hat, die Beschäftigung im Betrieb zu fördern und zu sichern.  Und bei der Sicherung sehe ich persönlich jetzt auch die Zukunftsthemen. Gleichzeitig sind viele Betriebsräte im Hier und Jetzt verhaftet und haben viel zu tun. Da gibt es keine Zeit, sich mit der Frage zu beschäftigen, was es braucht, um Beschäftigung in Zukunft zu sichern. Gibt es einen Ratschlag, den du auch kleineren Gremien mit auf den Weg geben willst? Weil Zeit ist ja endlich.

 

Daniela Schiermeier: Es stellt sich natürlich die Frage, was eigentlich wichtiger ist. Das Alltagsgeschäft, oder sich doch strukturiert mit Zukunftsfragen zu beschäftigen. Denn die Zukunftsfragen von heute sind das Tagesgeschäft von übermorgen. Insofern muss man im Gremium abchecken, was man von den Ressourcen her leisten kann. [...] Gerade in Bezug auf die Digitalisierung sehen wir, dass die Weiterbildungsbedarfe eine neue Dynamik annehmen. Früher ist man für eine Woche in ein Seminar gegangen und das hat dann für eine Weile gereicht. Das ist heute gar nicht mehr möglich. Die Weiterbildungsmethoden sind andere, man muss sich kontinuierlich weiterbilden und auch andere Fähigkeiten entwickeln.

 

Dr. Stefan Baron: [...] Mein Eindruck ist [...], dass bis auf ein paar Ausnahmen Betriebsräte beim Thema Weiterbildung bislang nicht gerade zu den Treibern  gehören. Gibt es beim Thema Weiterbildung keinen Blumentopf zu gewinnen, oder woran liegt das? [...]

 

Constanze Kurz: [...] Das Thema der Qualifizierung und Weiterbildung wird an den Standorten bearbeitet. Und es hängt davon ab, wer sich an den Standorten für das Thema Weiterbildung erwärmen kann. Auf zentraler und letztlich strategischer Ebene läuft vieles nicht zusammen. Das sind Dinge, die wir jetzt systematischer angehen wollen [...]. Wir haben da jetzt ein Drei-Punkte-Programm. Der erste Punkt ist, dass wir überhaupt erstmal besser verstehen müssen, was die Leute können. Dazu haben wir mit der AgenturQ das DigiREADY-Kooperationsprojekt gestartet. Der zweite Punkt ist die Orientierung. Wir haben in unserem Unternehmen sehr viele Skills, Profile und Curricula. Und wir sind im Moment dabei, das nicht nur zu konsolidieren, sondern auch eine klare Orientierung für die verschiedenen Beschäftigtengruppen zu schaffen. Was sind jetzt Zukunftsqualifikationen? Und ein dritter Punkt ist die Gründung eines Netzwerks Qualifizierung, in dem Personen mitarbeiten, die mit Qualifizierung zu tun haben, die sich dafür interessieren und die von uns dann so ein Stückchen auch ,ongeboardet' werden. Es ist ein Ansatz, um mehr Leute für Weiterbildungsthemen zu mobilisieren und zu motivieren.

 

Daniela Schiermeier: Da möchte ich kurz ergänzen. [...] Wir haben eine Zukunftskonferenz gemacht und explizit die eingeladen, die auch neuer im Betriebsrat sind. Wir haben uns für die Co-Creation Methode entschieden und über die letzten zwei Jahre sind viele Projekte entstanden, die von Kolleginnen und Kollegen selbst vorangetrieben werden. [...] Dann passiert  auch was. Wenn du das von oben aufgeben willst, dann passiert nichts.

 

Stefan Baron: Aber jetzt muss ich Wasser in den Wein gießen. Das funktioniert doch alles nur, wenn Betriebsrat und Unternehmensseite eng zusammenarbeiten. [...]

 

Constanze Kurz: [...] der Ansatzpunkt ist nicht die Qualifizierung. Sondern der Ansatzpunkt ist, dass der Arbeitgeber meine Zustimmung braucht, wenn er bestimmte Dinge tun will. Und unsere Vereinbarung zur digitalen Qualifizierung haben wir beispielsweise in einer Art "Check and Balance" hinkriegen können. Also: Je stärker und besser meine Mitbestimmungsrechte sind, umso effektiver kann ich da auch sein.

 

Daniela Schiermeier: Ich zitiere da mal einen ganz alten Betriebsrat: "Macht hat, wer macht." Man muss auch manchmal einfach ins Machen kommen und sich was trauen und zutrauen. [...] Man muss natürlich auch als Betriebsrat wissen, wo der Hase hin läuft. Wo laufen die Unternehmensstrategien hin, was sind Zukunftsmärkte? Und da kann man als Wirtschaftsausschuss natürlich auch den Arbeitgeber [kontinuierlich] befragen. [...] Und aus dieser ganzen Bewertung heraus ergibt sich dann letztendlich ein möglicher Weiterbildungsbedarf oder auch nicht. [...]

 

Constanze Kurz: [...] es braucht die Einbettung in die großen Themen Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Zukunftsfähigkeit von Standorten. Und dann kriegt das Thema Weiterbildung auch eine andere Bewertung, als wenn ich da sitze und sage, dass ich es total gut finde und es doch ganz prima wäre, wenn wir hier mehr Leute qualifizieren könnten. Das entwickelt keine Wucht.

 

Stefan Baron: Das war jetzt die perfekte Überleitung zu meiner letzten Frage, wo ich auf den Paragraphen 96 des Betriebsverfassungsgesetzes eingehen möchte. Dort heißt es: "Es gehört zur Aufgabe beider Betriebsparteien, dass unter Berücksichtigung der betrieblichen Notwendigkeiten den Arbeitnehmern die Teilnahme an betrieblichen oder außerbetrieblichen Maßnahmen der Berufsbildung ermöglicht wird. Und dabei sollen sie zum Wohle der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und des Betriebs zusammenarbeiten." Klingt sehr schön. Was wären denn aus Eurer Sicht drei Tipps [...].

 

Daniela Schiermeier: [...] Das ist  sehr abhängig  vom Unternehmen, von der Kultur, von dem, was schon vorhanden ist, von der Größe, von den Herausforderungen, in denen sich das Unternehmen  befindet. Aber ich stelle fest, dass es auch bei den Arbeitgebern ein Stück weit einen Wandel gegeben hat. Natürlich stellen auch die Unternehmen fest, dass sie für neue Beschäftigte und junge Mitarbeiter etwas bereitstellen müssen, um attraktiv zu sein.  Diese haben nämlich ganz andere Anforderungen. Und ich glaube auch, dass Unternehmen viel mehr den Wert der Weiterbildung nach außen tragen müssen. Ich habe vor einigen Jahren mal den guten  Begriff "Return on Education" gehört. Man spricht bei Investitionen betriebswirtschaftlich immer vom Return of Invest. Warum spricht man eigentlich nie vom Return on Education? Eigentlich müsste man doch sagen, dass das Geld, das ich in Mitarbeiter investiere, eigentlich eine ganz hervorragende Investition ist. Und vielleicht muss man auch von Betriebsratsseite mehr in diese Richtung diskutieren.

 

Constanze Kurz: Da kann ich gut anschließen. Als wir unsere Vereinbarung zur digitalen Qualifizierung gemacht haben, hatten wir am Anfang mit so Überzeugungen zu tun, dass aus Sicht der Unternehmensseite Entwickler am liebsten in der S-Bahn lernen  oder unterwegs auf Dienstreisen. Und dann haben wir ein kleines Laboratorium gemacht und dabei kamen interessante Dinge raus. Nämlich, dass die Entwickler teils froh waren und sich gewünscht haben, dass sie Lernräume haben, dass sie Lernzeiten haben und ihre Bedingungen dann ein Stück definiert sind. Und zwar nicht im Sinne, dass wir alles vorgeben. Sondern auch im Sinne von Optionen und Wahlmöglichkeiten. Und damit tun sich natürlich auch Betriebsräte nicht immer ganz leicht. Weil sie verlässliche Regelungen gewöhnt sind, die man monitoren kann, deren  Einhaltung man überprüfen kann. Aber wenn es Wahlmöglichkeiten gibt, dann musst du betrieblich ganz gut aufgestellt sein und auch in solchen Bereichen gut verankert sein, um dann immer wieder auch die Diskussion mit der Belegschaft zu führen. Passt das jetzt? Brauchen wir was anderes? Und meine große Hoffnung ist, dass gerade jetzt die neuen Betriebsratsmitglieder in die Strukturen eingebettet sind und die Diskussion führen können. Und wenn ich eine Empfehlung gebe, dann ist es die, dass sich Betriebsratsgremien öffnen sollten und Personen einbinden sollten, die in keiner AG und in keinem Ausschuss Mitglied sind, denen aber das Thema wichtig. Zum Schluss habe ich noch einen ganz banalen Tipp aus eigener Erfahrung. Es ist immer super, wenn man von den alten Hasen und Häsinnen erklärt kriegt, was man für Vereinbarungen hat und in welchem Geist die zustande gekommen sind. Ein Blick in den Bestand an Vereinbarungen lohnt sich, weil man dann ein bisschen besser einschätzen und beurteilen kann, wo ein Veränderungsbedarf angezeigt ist.

 

Stefan Baron:  Das war noch mal ein wichtiger Tipp. Ich danke Euch beiden ganz herzlich für das Gespräch.

 

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