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Digitalisierung und Berufsbildung

Nach der Digitalisierung kommt die Humanisierung

22.12.2015 Ι Für Oliver Burkhard, Arbeitsdirektor im Vorstand der ThyssenKrupp AG in Essen, geht es bei Arbeiten 4.0 um die Frage: Wie wollen wir zukünftig arbeiten? Damit verbunden die Frage, welche Qualifikationen brauchen wir zukünftig? Die Digitalisierung verändert die Fabriken, aber auch die Gesellschaft in all ihren Facetten. Der Metaller entwickelt eine steile These: Nach der Digitalisierung kommt die Zeit der Humanisierung. Unser WAP-Korrespondent Klaus Heimann führte ein Interview mit ihm, zur Digitalisierung bei ThyssenKrupp, zur Zukunft der Arbeit und den notwendigen Qualifikationen.

Gibt es Digitalisierungsprojekte bei ThyssenKrupp?

Oliver Burkhard: Ja, zum Beispiel bei ThyssenKrupp System Engineering. Dort forschen unsere Entwickler im InSA-Projekt mit Hochdruck an der Zusammenarbeit von Mensch und Roboter.

 

 Wie wird diese Zusammenarbeit aussehen?

Die Kollegen in Bremen arbeiten vor allem daran, dass die Zusammenarbeit mit Robotern sicherer wird. In der Regel sind die Roboter in der Produktion noch hinter Laservorhängen oder in Gitterboxen. Hat der Facharbeiter mit ihnen Kontakt, wird die Arbeit unterbrochen - damit keine Verletzungsgefahr besteht. Ich bin mir sicher, dass das in absehbarer Zeit anders aussieht. Da wird es eine richtige Interaktion geben.

 

Es wird also nicht nur noch Roboter geben?

Nein. Natürlich will man mit der gefahrlosen Mensch-Maschine-Interaktion die Produktion auch beschleunigen. Aber es geht darum, Fähigkeiten von Mensch und Maschine optimal zu nutzen. Im Beispiel aus Bremen bedeutet das: In der Kleidung integrierte Mikrochips können vom Roboter genau geortet werden. Zugleich wird dem Mitarbeiter über eine Datenbrille angezeigt, wo sich der Roboter gerade befindet und welchen Arbeitsschritt er erledigt oder erwartet. Das bringt eine neue Arbeitsaufteilung mit sich. Der Roboter übernimmt komplett die gefährliche und schwere Arbeit - der Mensch konzentriert sich auf komplexe Vorgänge, die Geschick erfordern.

 

Wird in der digitalisierten Welt der Kunde König?

Kann ich an unserem Werk in Hohenlimburg verdeutlichen. Hier wird ein warmgewalztes Spezialband hergestellt. Es ist Vormaterial für die Kaltwalzindustrie sowie in der Direktverarbeitung, in der Automobilzulieferindustrie. Der Kunde bestimmt am Morgen, was dann wenige Minuten später produziert wird. Der Kunde steuert unsere Produktion in einem Werk mit knapp 1.000 Menschen. Wir liefern in versprochenen vier Stunden das Material was gebraucht wird. Der Prozess ist voll automatisiert.

 

Ist Digitalisierung eine Variante von Rationalisierung?

Rationalisierung wird eine Folge von Digitalisierung sein. Sie ist aber nicht Sinn und Zweck der Digitalisierung. Nicht Maschine oder Mensch denken und arbeiten, sondern beides zusammen. Kollege Roboter wird zum Normalfall. Mensch und Maschine werden kooperativ und simultan arbeiten.

 

Arbeit wird also agiler und digitaler?

Wir leben in der VUKA Welt: Information in Echtzeit erhöhen die Volatilität (Ausschläge), die zunehmende Dynamisierung geht einher mit Unsicherheit, Digitalisierung schafft mehr Komplexität und die wachsende Vernetzung hat Ambiguität, also Mehrdeutigkeit, als Folge. Das ist eine deutlich andere und sich schneller drehende Arbeitswelt, die uns alle fordert. Die Unternehmen verlangen, dass die Beschäftigen da mithalten. Da muss ich umgekehrt als Arbeitgeber auch meinen Beschäftigten was bieten.

 

Es geht also um die Zukunft der Arbeit?

Gegenüber von Tor 1 in unserem Stahlwerk in Duisburg, wo jeden Tag 4.000 Leute durchlaufen, genau da sehen wir eine untragbare Form von Arbeit. Die Menschen die dort morgens in aller Frühe stehen, denen sieht man an, das sie nichts haben, außer dem was sie am Leib tragen. Und eine schmutzige Matratze, auf der sie irgendwo schlafen. Da fahren die Kleintransporter vor und nehmen die Leute mit zu irgendwelchen Jobs. Und natürlich fragen sich auch die ThyssenKrupp-Mitarbeiter, die da ins Werk gehen: Ist das vielleicht die Zukunft? Die Arbeitswelt von morgen? Muss ich mir Sorgen machen, dass ich vielleicht auch mal da lande, wenn es bei uns im Stahl nicht mehr so gut geht? Ja es geht um die Frage, wie wollen wir zukünftig arbeiten?

 

Machen die Gewerkschaften dabei mit?

Gut ist das die Gewerkschaften, dieses Thema aufgreifen.

 

Gewerkschaften versuchen das Thema in den Griff zu kriegen mit Erfolgen, aber auch mit Niederlagen.

Als Unternehmen kann man mit Werkvertragsunternehmen dann gut zusammenarbeiten, wenn man alle Dienstleister Mindestnormen festlegt und bei Bedarf kontrolliert. An unseren Werkstoren in Duisburg hatten wir vor kurzem Schleusen, wo Zoll und Betrieb gemeinsam kontrolliert haben. Wir haben auf der Hütte einige Subunternehmer. Sie müssen sich  an Mindestlohn und Arbeitsschutz halten. Tun sie das nicht, gibt es keine Zusammenarbeit. Wir wollen mit gutem Beispiel vorangehen. Das machen übrigens nicht nur wir, sondern auch andere Unternehmen.

 

Ein Teil der Fachkräfte verabschiedet sich mit jedem Rationalisierungsschub. Wie nimmt man die Beschäftigten mit?

Veränderungen sind nie einfach. Unser Anspruch muss sein, möglichst viele so aufzustellen, dass sie die Anforderungen erfüllen und die Veränderungen mittragen. Dabei ist ganz wichtig, frühzeitig anzufangen. Das Schlimmste ist doch, wenn den Leuten weiß machen will, über Nacht sei die Fabrik durchgerostet. Wenn Produktzyklen zu Ende gehen, das ist absehbar. Deshalb kann man vorausschauend Maßnahmen einleiten.

 

Aber einfach ist das für die Betroffenen nicht?

Für ältere Beschäftigte ist das nicht einfach, richtig. Aber es gibt sehr gute Möglichkeiten der Weiterqualifizierung. Auch für un- und angelernte Arbeiter. Der Umgang mit der jungen Generation ist vielleicht einfacher. Wichtig ist, früh anzufangen und kontinuierlich Austausch sicherzustellen. Beispiel Stahl:  Wir suchen uns Schichten aus, da treffen junge auf ältere Mitarbeiter, die bald ausscheiden. Es gibt einen moderierten Wissenstransfer. Zeitweise gibt es auch Doppelbesetzung an Anlagen, auch mit der Maßgabe Erfahrungswissen zu erhalten und weiterzugeben.

 

Hat Digitalisierung Auswirkungen auf die Qualifikation?

Es wird in der Tendenz zwei Typen von Mitarbeitern geben: Die einen, die vom Computern gesagt bekommen was sie zu tun haben. Und die anderen, die den Computern sagen was sie zu tun haben. Die Tätigkeitsprofile ändern sich. Es ist Wunschdenken, dass jeder Arbeitnehmer alle neuen Aufgaben übernehmen kann. Wir haben zwei Gruppen, um die wir uns aus beschäftigungspolitischer Sicht besonders kümmern müssen. Das sind diejenigen, die durch Industrie 4.0 ihre Arbeit verlieren und diejenigen, die den notwendigen Schritt zu mehr Qualifikationen nicht schaffen.

 

Brauchen wir für Industrie 4.0 neue Berufe?

Neue Berufe sind so alt, wie die Arbeitswelt. Mit der Zeit entwickeln sich die vorhandenen Berufe sicherlich in Richtung digitalisiertes Arbeiten. Nehmen wir nur den Automatisierungstechniker - da verändert sich das Ausbildungsprofil schon seit Jahren hin zu mehr IT-Kompetenzen.

 

Gibt es noch andere Beispiele?

Ja, die Veränderungen beim Zerspanungsmechaniker. Der bekam bislang seine Vorgaben, Zeichnungen aus der Arbeitsvorbereitung oder Konstruktion. Werkstücke oder Bauteile waren zu bohren, zu honen oder zu fräsen. Mit dem 3D-Drucker können wir aber Bauteile direkt schon mit Löchern, Nuten oder Stegen produzieren. Die Folge liegt auf der Hand: Es ist sinnvoll, dass Zerspanungsmechaniker künftig auch diese Technologien beherrschen.

 

Ist die Wirtschaft mit der dualen Berufsausbildung gut aufgestellt?

Die duale Berufsausbildung ist ein sehr erfolgreiches Modell und wir haben in den Unternehmen und auch in den Berufsschulen sehr viel Wissen - auch im Umgang mit Veränderung. Die jungen Leute haben aus ihrer Nutzerperspektive viel Erfahrung mit der Digitalisierung. Wir müssen hier genauso in Richtung Digitalisierung drehen, wie in der Weiterbildung in den Unternehmen.

 

Globalisierung bekommt auch andere Akzente. Wie sieht das bei Thyssen-Krupp aus?

Wir kaufen nur noch eine Software Lizenz: Die Inder, in Mumbai, starten. Wenn sie fertig sind, machen mexikanische ThyssenKrupp-Mitarbeiter in Mexiko-City weiter. Vor acht kann der Mexikaner seine Arbeit nicht anfangen, weil die Lizenz durch die Arbeiten in Indien noch gesperrt ist. Englisch ist die gemeinsame Sprache, das ist problemlos. Auch die Zusammenarbeit klappt. Die Herausforderung liegt im Diversity-Management. Im Deutschen würden wir sagen Vielfaltsmanagement: unterschiedliche Ethnizität, Altersmix. Habe ich alle richtigen Qualifikationen an Bord? Also viele Diversity-Aufgaben, vielmehr als nur die in Deutschland diskutierte Frage, des Frauenanteils an den Führungskräften.

 

Brauchen wir Standards für digitalisiertes Arbeiten?

Wir haben bei ThyssenKrupp für über 155.000 Mitarbeiter in 80 Ländern internationale Framework Agreements. Wir akzeptieren die Normen der internationalen Arbeitsorganisation ILO, wir lehnen Kinderarbeit ab und bei der Arbeitssicherheit gibt es eine Ausstattung, die wir zur Verfügung stellen. Diese Regeln gelten auch für die 30.000 Subunternehmer. Das Unternehmen, die IG Metall und der Konzernbetriebsrat haben diese Regeln gemeinsam aufgestellt. Die Standards müssen eingehalten werden.

 

Die weitere Automatisierung, schafft sie auch die notwendige Flexibilität?

Flexibilität kann man nicht durch Automatisierung erreichen. Dazu braucht es die Verbindung mit Menschen. Deshalb sage ich: Mensch und Automatisierung, nicht Mensch oder Automatisierung. Der Mensch ist das Wichtigste, bei allen schönen technischen Modellen die wir haben.

 

Also der Mensch bleibt?

Die Digitalisierung ist eine Chance für uns alle Arbeit besser zu machen, der Mensch wird aber weiter gebraucht. Seine Kreativität, seine Intuition, seine Fähigkeit in der Interaktion und Kommunikation einmalige "menschliche" Leistungen zu erbringen. Konzipieren, experimentieren, justieren, die Richtung vorgeben - all das wird weiter die Domäne des Menschen sein. Vielleicht sogar in einem Zeitalter der Humanisierung.

 

 

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Claus Drewes Ι 22.12.2015
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Berufsbezeichnungen scheinen im Betriebsalltag ein "Eigenleben" zu entwickeln und irritieren den Rest der "Welt". So gibt es in der Erstausbildung keinen "Automatisierungstechniker", sondern den Elektroniker für Automatisierungstechnik der 2007u.a. im Rahmen der Neuordnung völlig neu positioniert worden ist. Dabei haben die damaligen Experten bereits durch kluge Weitsicht u.a. die so genannten IT-Kompetenzen als Qualifikationsziele in der Rechtsverordnung verankert. Ein Blick in die Verordnung beim Zerspanungsmechaniker, der ebenso 2007/8 neu aufgestellt wurde, zeigt, dass seine Qualifikationen nicht nur auf Vorgaben, Zeichnungen aus der Arbeitsvorbereitung oder Konstruktion beruhen, sondern sich gewaltig auf die Kompetenzfelder wie Steuerungstechnik, eigenständiges Programmieren, ändern, optimieren, testen und Überwachen von Fertigungs- und Geschäftsprozessen erweitert hat. Vergessen scheint zu sein, dass die IG Metall bereits 2008 mit dem neuen Bildungsansatz einer integrierten Aus- und Fortbildung zum Produktionstechnologen/in und anschließender bundeseinheitlicher Fortbildung zum Prozessmanager/in die strategischen Facharbeiterkompetenzen zum "Feld Industrie 4.0" zusammen mit dem VDMA und dem BIBB aufbereitet und festgeschrieben hat. Ich empfehle den entsprechenden Akteuren auf beiden Seiten die von mir genannten Tatbestände bei der Diskussion um Qualifkationserfordernisse/Kompetenzen im Bereich Industrie 4.0 nicht aus dem Blick zu verlieren.

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