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Statement Andre' Zimmer

Aspekte des Leitbilds aus Sicht eines Betriebsrates

29.02.2016 Ι Andre`Zimmer ist freigestellter Betriebsrat bei John Deere in Mannheim und dort im Betriebsratsausschuss für Aus- und Weiterbildung. Er ist als Betriebsrat für MitarbeiterInnen in den kaufmännischen Bereichen und für die LeiharbeiterInnen verantwortlich. Das Gespräch hatte zum Ziel, die Aussagen zur Handlungsrelevanz des Leitbildes vor dem Hintergrund der verschiedenen Veränderungsprozesse bei John Deere zu finden. John Deere ist ein Traktorenwerk in Mannheim. Im Rahmen der Erarbeitung des Leitbildes hat Andre Zimmer gemeinsam mit seinem Betriebsratskollegen Birol Koca einen Vortrag zum Verhältnis von AkademikerInnen und FacharbeiterInnen bei John Deere gehalten. In seinem Interview kommt er zu folgender Aussage: "Im sogenannten Angestelltenbereichen findet eine kontinuierliche Akademisierung statt. Positionen, die eine kaufmännische Ausbildung erfordern, werden zunehmend durch Personen mit einem akademischen Abschluss besetzt. Diese Entwicklung gilt es als Betriebsräte kritisch zu hinterfragen und wo möglich auch gegenzusteuern."

Frage: Man denkt, John Deere ist ein Facharbeiterbetrieb. Stimmt das? Wie ist das Verhältnis zwischen Arbeitern und Angestellten? Wie hoch ist der Anteil der akademisch ausgebildeten Beschäftigten, wie der Anteil der geringfügig Qualifizierten?

 

AZ: Wir haben mittlerweile fast keine ungelernten Kollegen, schätzungsweise 98% der Belegschaft hat mind. eine Facharbeiterausbildung. Die wenigen Kollegen ohne Ausbildung wurden über die Jahre intern geschult.

John Deere ist weiterhin ein klassischer Facharbeiterbetrieb, auch wenn mittlerweile ein Verhältnis von 50:50 zwischen Arbeitern und Angestellten besteht. Damit hat sich auch der Anteil der akademisch ausgebildeten Beschäftigten in den letzten Jahren signifikant erhöht.

 

Frage: Hat sich nach eurer Einschätzung in den letzten Jahren daran etwas geändert? Gibt es so etwas wie eine Akademisierung am Standort Mannheim durch einen wachsenden Anteil von Ingenieuren oder studierten Betriebswirten?

 


AZ: Die Zahlen belegen eindeutig, dass in den letzten Jahren der Anteil der sog. Angestellten gegenüber den klassischen Arbeiterberufen stark zugenommen hat. Innerhalb der Angestelltengruppe ist zu beobachten, dass auch hier verstärkt auf eine akademische Bildung geachtet wird. Wo früher noch eine kaufmännische Ausbildung gefragt war, findet man heute häufig Kolleginnen und Kollegen mit einem BWL-Studium.
Trotz dieser Akademisierung werden die Arbeitsplätze nicht besser bezahlt, d.h. laut ERA-Beschreibung sind die jüngeren Stelleninhaber eher überqualifiziert. Zu vermuten ist, dass entgegen der Stellenbeschreibung im Laufe der Zeit dann auch höherwertiger Aufgaben von den betroffenen Kolleginnen und Kollegen abverlangt werden.

 

John Deere ist ein großer Ausbildungsbetrieb. Was bildet das Unternehmen aus? Wie viele Auszubildende stellt das Unternehmen etwas in jedem Jahr ein? Wie werden die Azubis ausgewählt? Haben Hauptschülerinnen und Hauptschüler bei John Deere eine Chance?

 


AZ: Wir bilden folgende Ausbildungsberufe aus: Industriemechaniker, Elektroniker, Mechatroniker, KfZ-Mechatroniker und den Produktionstechnologen. Studiengänge haben wir in der BWL mit verschiedenen Fachrichtungen, Messe-, Kongress-  und Eventmanagement sowie in den technischen Bereichen Mechatronik, Maschinenbau, Elektrotechnik, Wirtschaftsinformatik.

Insgesamt schreibt John Deere in Mannheim pro Jahr 20 bis 25 Ausbildungsplätze aus. Dazu kommen ca. 6 bis 15 Studienplätze für Interessenten des dualen Studiums.

Die Bewerber müssen sich bei uns über einen Online-Test bewerben. Hierbei werden die Bewerbungen anonymisiert. Der Test ist maßgeblich für die Auswahl entscheidend. Erst im zweiten Schritt wird auch die schulische Leistung mitbeachtet. Alle geeigneten Bewerber kommen dann über ein Bewerbungsgespräch in die engere Auswahl.

Bislang wurde ein Teil der Ausbildungsplätze auch immer an Hauptschüler vergeben. Zusätzlich zur "normalen Ausbildung" hat John Deere sich für den Tarifvertrag Förderjahr stark gemacht und hier zusätzliche Plätze geschaffen. Aktuell werden leider zwar keine Förderangebote angeboten, man hat aber im letzten positive Erfahrungen sammeln können und möchte das Programm nächstes Jahr wieder aufleben lassen. Das ist uns auch als Betriebsrat sehr wichtig.

 


John Deere ist ein international aufgestellter Betrieb. Spielt das bei der Ausbildung eine Rolle?

 


AZ: Englisch ist die Muttersprache unserer Konzernmutter in den USA. Daher wird auch bei der Auswahl auf die Note im Fach Englisch Wert gelegt. Bei den DHBW-Bewerbern mehr als bei den klassischen Ausbildungsberufen, aber auch dort ist Englisch von Bedeutung.

 

Gibt es auch einen Austauschprogramm etwa zwischen Standorten in Deutschland und USA?

 

AZ: Ein regelrechtes Austauschprogramm gibt es nicht. Hier hängt sehr viel von der Eigeninitiative der Auszubildenden ab.

 

Was passiert nach der Ausbildung? Kommen die jungen Leute an "gescheite" Arbeitsplätze?

 

AZ: In der Regel ja. Wir bemühen uns jedes Jahr die Auslerner an adäquaten Stellen unterzubringen. In Jahren, wo das aufgrund konjunktureller Flaute jedoch nicht immer möglich ist, haben wir die Auslerner auch schon an weniger interessanten Positionen - ich sage mal - geparkt, um so alle übernehmen zu können. Dies ist aber immer mit einer Zusatzvereinbarung geschehen, so dass die "geparkten Auslerner" sobald als möglich in ihrer Qualifikation entsprechende Berufsfelder versetzt wurden.

 

Gilt das auch für Absolventen dualer Studiengänge?

 

AZ: Bei den dual Studierenden stellt sich die Frage meist etwas anders. Zum einen gehen die Interpretationen, was ein geeigneter Arbeitsplatz oder im Extremfall noch zumutbarer Arbeitsplatz ist, zwischen Personalabteilung und Betriebsrat auseinander. Erfordert die Arbeit als Personalsachbearbeiterin ein BWL-Studium mit Schwerpunkt Personalwesen oder reicht eine kaufmännische Ausbildung?


Zum anderen entscheiden die dual Studierenden selbst recht unabhängig, ob die ihnen angebotenen Arbeitsplätze "gescheit" sind. Die gut ausgebildeten Akademiker sind eher bereit auch außerhalb der Firma ihr Glück zu suchen.


Daher möchte ich die Frage, ob die jungen Leute einen gescheiten Arbeitsplatz bekommen, für die dual Studierenden so beantworten, dass in der Regel die Absolventen einen geeigneten, ihren Qualifikationen entsprechenden Arbeitsplatz bekommen. Diejenigen, denen aus ihrer Sicht kein adäquates Angebot gemacht wurde, ziehen die entsprechenden Konsequenzen und verlassen das Unternehmen.

 


Das Unternehmen arbeitet eng mit der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und anderen Hochschulen und Berufsakademien zusammen. Wie viele dual Studierende stellt das Unternehmen ein? Studieren sie betriebswirtschaftliche oder technische Fächer? Hat die Einstellung dual Studierender zu einem Rückgang an Ausbildungsplätzen geführt?

 

AZ: Wir bilden sowohl in technischen als auch betriebswirtschaftlichen Fächern aus. Wir bieten in Kooperation mit der DHBW zwischen 6 und 15 Studienplätze pro Jahr an. Der Schwerpunkt liegt aktuell etwas mehr auf der betriebswirtschaftlichen Seite.

Es ist sehr schwer einen direkten Zusammenhang zwischen dualem Studium und den Ausbildungsberufen festzustellen. Während ich im technischen Bereich keinerlei Verdrängung zu Gunsten der akademischen Ausbildung feststellen kann, würde ich im betriebswirtschaftlichen Bereich sehr wohl eine Akademisierung bescheinigen. Ein Hinweis dafür ist, dass John Deere die kaufmännische Ausbildung für Industriekaufleute komplett eingestellt hat. Wo früher noch die klassische Industriekauffrau oder der Industriekaufmann zum Einsatz kam, findet man heute häufig DHBW-Studentinnen und Studenten der BWL, Fachrichtung Industrie.


Als Betriebsräte habt ihr gerade in Fragen der beruflichen Bildung relativ weitreichende Mitwirkungsrechte. Welchen Einfluss hat der Betriebsrat, was sind eure Themen?

 

AZ: Der Betriebsrat ist im stetigen Kontakt mit der Ausbildungsabteilung. So wird auf der Basis unserer Ergänzungstarifverträge immer ein halbes Jahr vor Ende der Ausbildung oder des Studiums mit uns über die Übernahme gesprochen. Wir haben vereinbart, dass in der Regel alle Auszubildenden und alle dual Studierenden unbefristet übernommen werden. Wenige Ausnahmen, die es natürlich auch gibt, werden in diesen Gesprächen besprochen und verhandelt.

 

Kannst du ein Beispiel für eine Ausnahme nennen: wann kommt es nicht zur Übernahme?

 

AZ: Zur Übernahme kam es bislang immer. Die Frage geht in Richtung unbefristeter Festübernahme oder zeitlich begrenzter Übernahme. Dieses und letztes Jahr wurde aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Lage die unbefristete Übernahme ausgesetzt, d.h. die Absolventen haben keine garantierte unbefristete Übernahme erhalten. Im Einzeltakt wurde bzw. wird dann entschieden, ob dennoch eine unbefristete Übernahme möglich war oder ist.

Sollte es Probleme mit einzelnen Auszubildenden während der Ausbildung geben, und damit eine unbefristete Übernahme aus persönlichen Gründen in Gefahr sein, wird der Betriebsrat sehr frühzeitig informiert. So dass auch wir von unserer Seite Einfluss auf den Auszubildenden oder den Ausbilder nehmen können. So gelingt es uns auch immer wieder eventuelle Probleme mit aus dem Weg zu räumen, so dass die tatsächlichen Fälle der nicht unbefristeten Übernahme aus persönlichen Gründen sehr selten sind.

 

Nehmt ihr auch Einfluss auf die Qualität der beruflichen Bildung? Wie kümmert ihr euch um die dual Studierenden und die Qualität ihrer Ausbildung?

 


AZ: Da wir eine enge Zusammenarbeit mit unserer JAV pflegen und auch mit den Auszubildenden und den Studenten im regen Austausch stehen, bekommen wir das direkte Feedback bzgl. der Qualität der Ausbildung und der einzelnen Versetzungsstationen. In unseren regelmäßigen Treffen mit den Ausbildern und der Ausbildungsleitung nehmen wir dann direkt auf "Qualitätsmängel" Einfluss.

Erst kürzlich hat die IG Metall Geschäftsstelle Mannheim ein Treffen zwischen der Dualen Hochschule Mannheim und Mitarbeitervertretern der Ausbildungsbetriebe ermöglicht. In dieser Runde kamen auch die Qualitätsansprüche der Hochschule zur Sprache, was sehr bereichernd war. Der Betriebsrat wird regelmäßig zu diesen Treffen eingeladen. Bislang gab es nur einen Austausch - ich gehe aber davon aus, dass, wenn zukünftig weitere Treffen geplant sind, wir auch wieder mit dabei sind.

 

Trotz seiner relativ weitreichenden Regelungen sind die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates auch in Bildungsfragen begrenzt.  Wo wären aus eurer Sicht mehr Mitsprachemöglichkeiten sinnvoll? Hat der Betriebsrat Einfluss auf die Kontakte zwischen Unternehmen und Hochschule?

 


AZ: Wir müssen auch selbstkritisch sein. Ehrlich gesagt schöpfen wir heute schon nicht alle Möglichkeiten aus, die uns das BetrVG gibt. So wird z. B. das Initiativrecht zur Ausgestaltung der betrieblichen Bildung so gut wie gar nicht genutzt. Der Grund dafür ist eine Ressourcenfrage. Der Arbeitstag reicht häufig nicht aus, um den vielen Aufgaben als Betriebsrat gerecht zu werden. Somit konzentriert man sich aus meiner Sicht leider häufig auf die Felder, wo man Probleme oder Verbesserungsbedarf sieht. Solange also von Seiten der Auszubildenden keine Verbesserung der betrieblichen Bildung gefordert wird, solange findet für uns das sicher spannende und wichtige Thema zu wenig Beachtung.

 


Betriebsratsarbeit funktioniert nicht, indem man Papiere studiert. Trotzdem möchten wir euch fragen, ob ihr einen Zusammenhang zwischen eurem Handeln als für Bildung zuständige Betriebsräte und dem Leitbild seht. Hat euch das Leitbild Anregungen für eure Arbeit gegeben?

 


AZ: Mein Kollege Birol Koca und ich waren ja direkt an der Tagung zum Leitbild beteiligt. Daher haben wir uns natürlich damit auseinandersetzt. Das führt unweigerlich zur Reflexion der eigenen Arbeit. Die "15 Eckpunkte" der erweiterten modernen Beruflichkeit sind auch die Eckpunkte unserer betriebsrätlichen Arbeit in Sachen Ausbildung geworden. So wird bei uns z.B. der Punkt "Berufliches Lernen ist soziales Lernen" groß geschrieben. Das tägliche Miteinander, die Umgangsformen und -normen sind auch und gerade in der Ausbildung wichtig. Die neuen Azubis und DHBW-Studierenden bemerken immer wieder den freundlichen und kollegialen Umgangston, der zwischen den Kolleginnen und Kollegen aller Abteilungen herrscht. Dies wollen wir auch den Neuen vermitteln und weitergeben.

Ein weiterer wichtiger Punkt, um nur zwei zu nennen, ist "Berufliches Lernen zielt auf die Reflexion und Gestaltung von Arbeit", den wir sehr ernst nehmen und fördern. Schon die Azubis werden dazu angehalten, über ihre eigne Arbeit und Arbeitsmethoden zu reflektieren. Später im Betrieb führt das dann dazu, dass wir auf eine denkende und innovative Belegschaft zurückgreifen können, die in KVP-Projekten sehr gute Vorschläge einbringt und uns in der Interessenvertretung unterstützt.

 

Daten zur Person:

André Zimmer:
Berufsausbildung: Dipl.Ing. Technische Informatik (BA) an der Berufsakademie, jetzt DHBW
47 Jahre alt,
freigestellter Betriebsrat, IG Metall-Mitglied
Verantwortlicher der Bereichsbetreuung der sog. Angestellten,
Ansprechpartner der LeiharbeitnehmerInnen
Ausschuss für Aus- und Weiterbildung

Den Beitrag von Andre Zimmer und Birol Koca auf der Leitbildtagung findet man:

 
http://www.boeckler.de/veranstaltung_52275.htm


Hinweise auf weitere Debattenbeiträge

https://wap.igmetall.de/leitbild-statements-9280.htm

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