Statement Manuela Conte
Statement zum Leitbild erweiterte moderne Beruflichkeit
Wie schätzt du das Leitbild ein? Ist es ein sinnvoller Versuch, die Qualität von Ausbildung und Studium mittels eines übergreifenden Konzepts von Beruflichkeit voranzutreiben? Findest du "Beruflichkeit" ausreichend definiert? Fehlen aus deiner Sicht Aspekte?
Das Leitbild ist eine wichtige Handlungs- und Orientierungshilfe für gewerkschaftliches Handeln im Bereich der beruflichen Bildung. Um Bildung ganzheitlich zu betrachten ist es elementar und richtig die Ausbildung an den Hochschulen ins Leitbild mit aufzunehmen. Im gesellschaftlichen und politischen Diskurs wird Bildung derzeit auf Wissensaneignung, vor allem für ökonomisch verwertbare Qualifikationen, verkürzt. Auch die Ausbildung an den Hochschulen wird ohne Rücksicht auf Verluste immer deutlicher an die Anforderungen der Wirtschaft angepasst. Bei den Bologna-Reformen wurde dem Ziel, junge Menschen schneller aus dem Hörsaal an die Arbeitsplätze zu bekommen, der Umfang und damit die Qualität des Studiums untergeordnet. Die Entwicklung wird ebenfalls bei den vielen unterschiedlichen Studienmöglichkeiten sichtbar. Hier einen Überblick zu behalten oder gar eine vergleichbare Qualität sicherzustellen, ist fast nicht mehr möglich. Mit der Fragestellung nach Zusatzqualifikationen und den betrieblichen sowie praktischen Erfahrungen für Hochschulabsolventen soll die Durchlässigkeit gestärkt und der Zugang von Hochschulabsolventen auf den Arbeitsmarkt verbessert werden.
Das duale Studium hat sich als "hybrides" Studienformat an der Schnittstelle von Betrieben und den Hochschulen etabliert, aber ohne der zunehmenden Verzahnung von akademischer und beruflicher Bildung eine gesetzliche Grundlage zu geben. Das Fehlen von gesetzliche Regelungen ermöglicht Unternehmen, dual Studierende zu beschäftigen, ohne dass entsprechende Schutzbestimmungen oder Rahmenbedingungen greifen. Um die Qualität dieses Ausbildungsformats zu gewährleisten muss eine gesetzliche Grundlage hergestellt werden und das Berufsbildungsgesetz entsprechend erweitert werden.
Prinzipiell hat Bildung für die IG Metall Jugend das Ziel, Menschen zu einem selbstbestimmten Leben zu befähigen. Die Grundsäulen unseres Bildungsbegriffs sind die Fähigkeit zur Selbstbestimmung, zur Mitbestimmung und zur Solidarität. Nur wer seine Umwelt und die Zusammenhänge des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens kennt, ist in der Lage, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese in einem demokratischen Beteiligungsprozess zu formulieren. Es gehört daher zu den unveräußerlichen Rechten jedes Individuums, das eigene Leben durch Bildung in die Hand zu nehmen. Bildung ist dabei als ein kontinuierlicher Prozess zu verstehen, indem Entwicklung und Selbstentfaltung der Einzelnen nie abgeschlossen sind: Bildung muss deshalb immer möglich sein, unabhängig von den Lebensphasen oder den sozialen Bedingungen der Einzelnen.
Daher muss die Durchlässigkeit des Bildungssystems erhöht werden, Zugänge müssen erleichtert und Selektionsmechanismen abgebaut werden. Bildung braucht Rechtssicherheit und eine gute Qualität, um Chancen für die Zukunft zu sichern.
Das Leitbild "erweiterte moderne Beruflichkeit" stellt daher der Praxis der Bildungsverknappung der Wirtschaft aus Profitinteressen eine inhaltliche Vision von guter und gerechter Bildung in gewerkschaftlichem Sinne gegenüber. Die Handlungs- und Umsetzungsebene sollte aber aus meiner Sicht mehr in den Fokus gerückt werden, um Verbesserungen auf der betrieblichen und politischen Ebene durchzusetzen.
Damit sprichst Du einen wichtigen Punkt an: Das Leitbild kann nur wirksam werden, wenn es handlungsleitend wird. Im Text werden dazu auch für unterschiedliche Handlungsebenen Vorschläge gemacht, z. B. Betrieb und Gesellschaft oder Berufsbildung- und Hochschulpolitik. Wie schätzt du diesen Anspruch des Leitbildes ein? Kann es für die Bildungspolitik der IG Metall eine wirkungsvolle Orientierung werden?
Inhaltlich ist das Leitbild eine sehr gute Orientierung. Damit unsere Forderungen gesellschaftspolitisch wirksam werden, sollten wir neben der inhaltlichen Positionierung aktiv neue Wege erarbeiten, wie wir ihre Umsetzung bewerkstelligen können. Leider wiegen vernünftige Argumente meist die Profitinteressen nicht auf. Wäre dem so, dann hätten wir es in vielem leichter.
Die Jugend ist mit einer inhaltlich eng zusammenhängenden Kampagne aktiv. Die Kampagne Revolution Bildung legt aktuell die Schwerpunkte der betrieblichen Umsetzung der Bildungsteilzeit und die Berufliche Bildung. Mit der Fokussierung modern.bilden. begleitet ihr die von der Bundesregierung angekündigte Reform des Berufsbildungsgesetzes. Was macht ihr in der Kampagne? Wo sind da die Schnittstellen zum Leitbild?
Die IG Metall Jugend hat es sich im Rahmen der Bildungskampagne zur Aufgabe gemacht, den Zugang, die Finanzierung, die Qualität und die Zeit für Bildung in unserem Sinne zu verbessern. Jugendliche brauchen eine qualitativ hochwertige Ausbildung und klare, verlässliche Bedingungen. Aus der Sicht der IG Metall Jugend gibt es tiefgreifenden Reformbedarf im Berufsbildungsgesetz. Wir fordern ein Berufsbildungsgesetz (BBiG), das alle Formen der betrieblichen Ausbildung erfasst, das Qualitätsstandards festschreibt, junge Menschen von Kosten befreit, die aufgrund der Ausbildung entstehen, und Mitbestimmung auch an Berufsschulen ermöglicht.
Mit unserer Kampagne modern.bilden. wollen wir aktiv auf die Gestaltung des BBiG einwirken. Was unsere inhaltlichen Forderungen angeht, orientieren wir uns da sehr nahe an dem Leitbild und ich denke, dass wir da sehr viele Schnittstellen haben.
Wir setzen unser Kernthema, die berufliche Bildung wieder prominent auf die Tagesordnung in den Betrieben und der Politik. Wir wollen ein gesetzlich festgeschriebenes Recht auf eine gute Qualität der Ausbildung, auf Chancengleichheit und auf Rechtssicherheit - also Forderungen, für die Gewerkschaften bereits seit 1919 stehen.
Dabei gehen wir neue Wege. Wir haben aus den Kampagnen der IG Metall Jugend der vergangenen Jahre viel gelernt. Wir gehen jetzt einen Schritt weiter und bauen die Kampagne in die örtlichen Strukturen. Kurz gesagt bringen wir die betrieblichen Themen in die Politik und politische Handlungsfelder in den Betrieb. Wir nehmen die politischen Akteure dort in die Verantwortung, wo sie zuhause sind und ihren Wahlkreis haben. Gemeinsam mit ehrenamtlichen Aktiven in unseren Geschäftsstellen und Betrieben entwickeln wir individuelle Ansprache und Aktionskonzepte. Die Jugendlichen gehen mit den verantwortlichen Politikerinnen und Politikern vor Ort in einen direkten inhaltlichen Austausch, um ihnen klar zu machen, worum es bei dieser Novellierung des BBiG geht und wie die betriebliche Realität aussieht. So lernen wir neue Techniken und Methoden der Kampagnenarbeit kennen, die den Aktiven auch in den kommenden Tarifauseinandersetzungen oder in ihrer tagtäglichen Arbeit im Betrieb nutzen. Die Politik lernt so gewerkschaftliche Arbeit anders kennen. Sie erfährt aus erster Hand, was es bedeutet, wenn man an den Bestimmungen zur beruflichen Bildung herumschraubt. Es geht um den Menschen - das wirkt.
Die Vielfalt von modern.bilden in den Bezirken ist groß. Ob mit kreativen, öffentlichen Aktionen, Themensetzung auf Betriebs- sowie Jugend- und Ausbildungsversammlungen, sog. JA-Versammlungen, gemeinsamen JA-Versammlungen mit Gästen aus der Politik, regionalen City-Cards-Aktionen, Berufsschultouren, direkter Ansprache im Wahlkreisbüro, BBiG Wahlplakate zur Landtagswahl oder vielen weiteren Ideen machen wir uns vor Ort stark. Es wird deutlich, dass berufliche Bildung kein langweiliges Thema ist, sondern direkt im Alltag von Auszubildende, dual Studierenden und Jugend- und Auszubildendenvertretungen ansetzt.
So gesehen machen wir der Politik und der Wirtschaft vor, wie gute Bildung geht. Das Motto ist: Wir investieren in unsere Jugend, weil wir damit in die Zukunft investieren. Junge Aktive, die wissen, was sie inhaltlich und politisch wollen und die in der Lage dazu sind, ihre Interessen und Leitbilder auch aktiv und persönlich umzusetzen.
Hinweise zu der Kampagne modern.bilden: http://revolutionbildung.de/
Hinweise zur Person:
Kaufmanische Ausbildung bei der Deutschen Bahn; Mitglied in der betrieblichen Interessenvertretung (JAV/RJAV/und GJAV); anschließend Studium an der Europäischen Akademie der Arbeit; Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrgangsassistenz an der Europäischen Akademie der Arbeit; Trainee bei der IG Metall; Projektsekretärin (Jugend) bei IG Metall Wuppertal und Remscheid-Solingen; politische Sekretärin mit den Schwerpunkten Jugend und Berufliche Bildung in der IG Metall Geschäftsstelle Köln-Leverkusen und seit Ende 2013 als politische Sekretärin im Ressort Junge IG Metall tätig.
Hinweise zur Leitbilddiskussion im wap: https://wap.igmetall.de/leitbild-statements-9280.htm