Statement Prof Uwe Elsholz
Stellungnahme zum Leitbild "Erweiterte moderne Beruflichkeit"
Die im Leitbild zur erweiterten modernen Beruflichkeit vorgestellten Lernprinzipien stellen einen Ansatz dar, die Kluft zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung zu überwinden, die in Deutschland in negativer Weise prägend für das Bildungssystem ist. Diese starke Trennung wird derzeit durch unterschiedliche Entwicklungen in Bildungspolitik und Bildungspraxis aufgeweicht. Stichwortartig zu nennen sind hier die dualen Studiengänge sowie der erleichterte Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte ohne Abitur - und nicht zuletzt die Einflüsse der Europäischen Union, die zur Entwicklung des Deutschen Qualifikationsrahmens geführt haben, in dem die Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung verankert ist. Damit wurde etwas erreicht, was zuvor in jahrzehntelangen sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Reformbemühungen vergeblich angestrebt wurde.
Gleichwohl bedeutet diese bildungspolitische Festlegung und Absichtserklärung keineswegs, dass die bereits im 19. Jahrhundert angelegte Trennung der Bildungsbereiche überwunden wäre - sie ist in den Köpfen insbesondere akademischer Vertreter höchst präsent. Dies sei in Erinnerung gerufen im Hinblick auf die Bewertung des Leitbildes und der genannten Lernprinzipien.
Aus Sicht der beruflichen Bildung stellen die im Leitbild vorgestellten Lernprinzipien zweifellos einen sehr relevanten Ansatz dar, attraktive und anspruchsvolle berufliche Bildung in Zeiten der Wissensarbeit zu gewährleisten. In Rede steht hier jedoch vorrangig eine Bewertung aus hochschulischer Sicht. Hier fällt die Einschätzung ambivalenter aus. So scheinen die Lernprinzipien - und grosso modo auch das gesamte Leitbild - durchaus geeignet für eine Vielzahl von Studienangeboten: für duale Studiengänge oder Studiengänge an Fachhochschulen ebenso wie für viele Studiengänge in professionsorientierten Studienfächern wie den Ingenieurwissenschaften oder auch der BWL. Sie können der Entwicklung "wissenschaftlich reflektierter Handlungsfähigkeit" dienen, zumal die Absolventen dieser Studiengänge in der Regel auf den Arbeitsmarkt drängen.
In Universitäten findet jedoch - anders als in gewerkschaftlichen Kreisen und der beruflichen Bildung - kaum ein Diskurs darüber statt, welches Leitbild im 21. Jahrhundert zeitgemäß wäre. Vielmehr wird der Humboldt-Mythos bemüht und unhinterfragt an der Vorstellung "Bildung durch Wissenschaft" festgehalten. Entwicklungen und Errungenschaften wie die im DQR verankerte Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung werden abgelehnt oder schlicht ignoriert. Für universitäre Vertreter besteht vielfach gar kein Anlass, die eigene Perspektive zu hinterfragen und damit die Höherbewertung akademischer Bildung in Frage zu stellen. Stichworte wie moderne Beruflichkeit oder "berufsqualifizierend" werden hier nicht als Diskussionsangebot, sondern als Angriff auf die hohe Wissenschaftlichkeit bewertet.
Erfreulicherweise weist nun auch der Wissenschaftsrat in einer aktuellen Stellungnahme unter dem Titel "Empfehlungen zum Verhältnis von Hochschulbildung und Arbeitsmarkt" (http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4925-15.pdf) darauf hin, dass es stets Aufgabe hochschulischer Bildung ist, auch für den Arbeitsmarkt außerhalb der Wissenschaft vorzubereiten - auch wenn die Begriffe "Beruf" und berufliche Bildung als solche vermieden werden.
Vor diesem Hintergrund komme ich zu folgender (vorläufigen) Einschätzung:
Das Leitbild stellt einen wichtigen Bezugspunkt als Brückenfunktion zwischen Berufsbildung und dem professionsbezogenen Teil des Hochschulsystems dar. Sinnvoll wäre eine Diskussion darüber, ob und wie das Leitbild und die Lernprinzipien derart erweitert werden können, um auch stark forschungsorientierte universitäre Studienangebote etwa in den Sozial- und Kulturwissenschaften oder den Naturwissenschaften mit abzubilden.
Eine Herausforderung besteht zudem darin, die Idee von Beruflichkeit in akademischen Kontexten weiter zu platzieren und hier diskussionsfähig zu machen. Bis dato überwiegt hier noch eine deutlich ablehnende Haltung von Vertretern der Hochschulen, die sich der realen Aufgabe eines Studiums, eben auch auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten (wie es der Wissenschaftsrat dankenswerterweise anmahnt) nicht stellen. Konkrete Ansatzpunkte für gewerkschaftliches Handeln bieten hier z.B. bildungspolitische Initiativen zur Öffnung der Hochschulen sowie die gewerkschaftliche Mitarbeit im Rahmen von Akkreditierungen von Studiengängen.
zur Person:
- Berufsausbildung zum Industriekaufmann und berufl. Tätigkeit als kaufm. Angestellter
- Studium der Sozial-, Verwaltungs- und Erziehungswissenschaften an den Universitäten Konstanz und Hannover sowie der FernUniversität in Hagen.
- 1997 Abschluss als Diplom-Sozialwissenschaftler (Universität Hannover)
- Jugendbildungsreferent beim DGB Nord in Hamburg
- Wiss. Mitarbeiter an den Universitäten Bremen, der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg, dem Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) in Nürnberg und der TU Hamburg-Harburg
- Vertretungsprofessuren für Berufspädagogik an den Universitäten Paderborn und Hannover
- Promotion 2005 an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg
- Habilitation 2012 an der TU Hamburg-Harburg
- Seit 1. März 2013 Professur für Lebenslanges Lernen an der FernUniversität in Hagen
- Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung
- Mitglied im wissenschaftlichen Beraterkreis von ver.di und IG Metall
zu den anderen Statements zum Leitbild: https://wap.igmetall.de/leitbild-statements-9280.htm