Verfassungsgerichtsurteil in Baden-Württemberg
Die Demokratiefrage an den Hochschulen neu stellen
Zum Kontext: Bund und Länder haben durch die Exzellenzinitiative und hier insbesondere durch die Begleitung und Evaluation der Initiative durch die Imboden-Kommission auch im Bereich der Hochschulleitung deutliche Akzente gesetzt. Bei der Vorstellung des Abschlussberichts merkte die Kommission kritisch an, dass "es bei der Governance, also der Führung an den deutschen Universitäten, immer noch ein erhebliches ungenutztes Potenzial gebe und ein substanzieller Nachholbedarf bestehe." Imboden trat für eine stärke inhaltliche Differenzierung der Universitäten ein. "Ein erfolgreicher Differenzierungsprozess bedinge eine dafür geeignete Governance der Universität, welche auf Autonomie und starke Führungsstrukturen beruhe."
Diese Form der Hochschulpolitik steht im deutlichen Widerspruch zu den gewerkschaftlichen Vorstellungen einer demokratischen und sozialen Hochschule und führte auch zu deutlicher Kritik aus der Studierendenschaft (WAP berichtete davon 18.02.2016)
Zum Urteil: Der Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg titelt in seiner Pressemeldung vom 14.11, dass die "Regelungen des Landeshochschulgesetzes über die Wahl und Abwahl der haupt- und nebenamtlichen Rektoratsmitglieder mit der Wissenschaftsfreiheit unvereinbar" seien. Der VerfGH bezieht dabei die Wissenschaftsfreiheit auf die Hochschullehrer und sieht diese durch die Kompetenzen des Rektorats einer Hochschule gefährdet. "Das Rektorat verfügt über erhebliche wissenschaftsrelevante Befugnisse, insbesondere bei Personal-, Sach- und Finanzentscheidungen. Die Befugnisse des Rektorats werden nicht durch hinreichende Mitwirkungsrechte der im Senat vertretenen Hochschullehrer bezüglich der Wahl- und Abwahl der Rektoratsmitglieder kompensiert" so der VerfGH.
Die Konsequenz aus dem Urteil, müsste es nun sein, dass die Statusgruppe der Hochschullehre eine gesetzliche Stimmmehrheit in den Findungs- und Abberufungverfahren für die Präsidiumsmitglieder erhält. Nur so wäre es sichergestellt, dass sie sich gegen alle anderen Statusgruppen bzw. gegen den (theoretisch) gemeinsamen Willen aus Senat, Hochschulrat und Wissenschaftsministerium durchsetzen können.
Bis zum 31.03.2018 hat nun Baden-Württemberg Zeit, sein LHG nachzubessern. Da trifft es sich ja gut, dass das zuständige Ministerium ohnehin gerade am Gesetzestext arbeitet, nachdem das BVerfG die rechtliche Regelung der Akkreditierung bemängelt hat. Das Urteil und die Leitsätze sind HIER nachlesbar.
Ein Votum für die Demokratie an Hochschulen?
"Das Urteil atmet den Geist der Ordinarien der 60er Jahre und ist weit davon entfernt, die Hochschulen des 21. Jahrhunderts zu gestalten", so Gabriele Frenzer-Wolf (stellv. DGB-Bezirksvorsitzende Baden-Württemberg). Daher fordert der DGB-Bezirk - wie schon in seiner Stellungnahme zum Landeshochschulgesetz 2014 - weiter die viertelparitätische Besetzung des Senats und die Berücksichtigung der Gewerkschaften in den Hochschulräten.
Wie sich die Verfahren final ausgestalten, wird sich erst mit dem Formulierungsvorschlag für das neue LHG in Baden-Württemberg zeigen. Aus Sicht der Gewerkschaften bleibt die aktuell deutbare Umsetzung jedoch mit einem fahlen Beigeschmack behaftet, denn aus ihrer Sicht ist ,Hochschulautonomie nur als Freiheit der Wissenschaft zum Nutzen und Fortschritt der gesamten Gesellschaft denkbar. Eine Hochschule, die ihre Rolle in der Gesellschaft kritisch reflektieren und zugleich produktiv bleiben soll, braucht nicht nur nach außen eine Balance von sozialer Einbindung und Unabhängigkeit. Ebenso notwendig sind ein hohes Maß an innerer Demokratie und eine gelebte Partizipationskultur. Das Ziel der Gewerkschaften ist daher eine demokratische Hochschule für eine demokratische Gesellschaft.
Die Gewerkschaften fordern in diesem Zusammenhang die bundesweite Verankerung verfasster Studierendenschaften mit verbindlichen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten sowie eigener Beitrags- und Satzungshoheit und dem Recht der politischen Vertretung aller Studierenden (politisches Mandat). Grundsätzlich müssen alle vier Mitgliedsgruppen (Professorinnen/Professoren, wissenschaftlicher Mittelbau, wissenschaftsstützende Beschäftigte, Studierende) an den Hochschulen paritätische Entscheidungsrechte in den Gremien erhalten. Keine Gruppe darf gegen alle anderen entscheiden können. Zur Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte sind für die Mandatsträger/innen geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen.
"Rektorate, die nicht amtsmüde sind, werden zwangsläufig darauf schielen müssen, die gewählten Professorenvertreter nicht zu sehr zu ärgern. Bei Hochschullehrern unpopuläre Entscheidungen, wer soll sie jetzt noch durchziehen? Die Rektorate kaum, wenn auch das Ministerium, der Hochschulrat oder auch die übrigen Senatsmitglieder ihnen keine Rückendeckung mehr geben können. Und ist es wirklich noch zeitgemäß, die Profs auf Kosten der anderen wissenschaftlichen Mitarbeiter so einseitig zu bevorzugen, wenn doch gerade die von allen geforderte Neuausrichtung der Personalstrukturen an den Hochschulen zu Interessenkonflikten der Professoren mit allen anderen Statusgruppen führen könnte?
Um bei dem Beispiel-Senat zu bleiben: Die neue (und ja, mit Blick auf 1973 ganz alte) Machtelite an den Hochschulen im Südwesten (und bald auch anderswo?) sind nicht die sechs Rektoratsmitglieder, nicht die elf Dekane. Nicht die acht Mitarbeitervertreter, nicht die vier Studierendenvertreter. Es sind die acht Hochschullehrer."
(Quelle: Jan-Martin Wiarda)