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Sowohl bei der Ausbildung in den Unternehmen als auch bei der Kooperation von Hoch-schule und Betrieb:

"Defizite im dualen Studium"

13.04.2018 Ι So titelt das Handelsblatt vor Kurzem und greift eine Studie der Helmut-Schmidt-Universität aus dem Januar 2017 auf. Das an dieser Aussage etwas dran ist, wissen auch die Gewerkschaften und haben längst mit politischen Lösungsansätzen aufgewartet. Einzig Bund und Länder scheinen noch nicht ganz bereit für einen Kulturwandel.

Die Arbeitgeberverbände lassen wir mal außen vor, da hier jegliche Form von zusätzlicher Regulierung oder Einflussnahme durch die Arbeitnehmervertretung ohnehin als drohendes Armageddon verstanden wird.

 

Wären Bund und Länder bereit für einen Kulturwandel, hätte die letzte Regierung die Chance und eine zentrale Forderung der IG Metall aufgegriffen und in der Evaluation des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) festgestellt (vgl. auch HIER S. 4), dass die Praxisphasen der dualen Studiengänge im Selbigen geregelt gehören. Stattdessen hat man dem eine Absage erteilt. Aber bis vor wenigen Monaten galt dies auch noch für das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern, dass nun aufgeweicht wird.

Dass eine Integration der Praxisphasen des dualen Studiums in das BBiG eine Win-Win-Situation für das akademische und klassische Berufsbildungssystem sein kann und erhebliche Vorteile für die Studierenden böte, haben sie hier noch nicht verstanden. Nun sind es neben einigen Stimmen aus der Wissenschaft insbesondere wieder die Gewerkschaften, die sich für eine hochwertige betriebliche Ausbildung stark machen und unseren jungen Kolleginnen und Kollegen den Rücken stärken.

 

Jugendliche brauchen eine qualitativ hochwertige Ausbildung und klare, verlässliche Bedingungen. Aus Sicht der IG Metall gibt es daher tief greifenden Reformbedarf im Berufsbildungsgesetz. Dazu zählen u.a. folgende Punkte:

  • Das duale Studium muss auf sichere gesetzliche Grundlagen gestellt werden.  Insbesondere geht es um die Regelung zur Zusammenarbeit zwischen Betrieb, Hochschule und Berufsschule sowie die Ausgestaltung des Ausbildungsvertrages zwischen Studierenden und Betrieb.
  • Berufsschule/Hochschule: Notwendig sind gesicherte Qualitätsstandards und bessere Kooperation zwischen Berufsschule bzw. Hochschule und Betrieb. Grundlage dafür ist auch der Ausbau hin zu mehr Mitbestimmung und Demokratie an Berufs- und Hochschulen.

 

 

Aber hören wir zuvor noch einmal die Stimme der Wissenschaft, wie sie im Handelsblatt-Artikel zusammengefasst wird: "Fast ein Viertel der Studierenden würde nicht noch einmal dual studieren - vor allem aufgrund negativer Erfahrungen in den Unternehmen. Weitere elf Prozent würden zwar erneut die Kombinationsausbildung aus Unternehmen und Hochschule wählen - aber nicht in ihrem Betrieb. "Unterm Strich sind also sogar 37 Prozent unzufrieden", fasst [Prof. Dr.] Hesser zusammen." Und weiter heißt es "Gut jeder fünfte Student kann "keine zeitliche Abstimmung der Lernorte erkennen", weitere 14 Prozent werten diese als mangelhaft oder allenfalls ausreichend. Noch schlechter ist offenbar die inhaltliche Abstimmung: Eine solche können gut 28 Prozent nicht erkennen, acht Prozent finden sie mangelhaft, gut 13 Prozent nur ausreichend. Das sei besonders "besorgniserregend", so Hesser, da ja gerade die Verknüpfung von Theorie und Praxis Wesensmerkmal des dualen Studiums sein sollte."

Und falls an dieser Stelle die Vertreter*ínnen von Bund und Länder mitlesen, wollen wir das beste zum Schluss nicht vorenthalten: "Als zentralen Mangel sehen die Experten, dass die Ausbildung in den Unternehmen "ohne jeglichen gesetzlichen Ordnungsrahmen abläuft - sie ist quasi eine Black Box", so Hesser. Nur diejenigen, die gleichzeitig eine duale Berufsausbildung absolvieren - das ist der kleinere Teil - , profitierten von gesetzlich vorgeschriebenen Ausbildungsplänen. Alle anderen jedoch seien auf den guten Willen der Betriebe angewiesen. Von diesen gab in der Befragung fast die Hälfte an, sie hätten vom Arbeitgeber keinen Ausbildungsplan erhalten. "Hier muss der Gesetzgeber dringend Abhilfe schaffen und nach dem Vorbild der dualen Berufsausbildung für einen Ordnungsrahmen sorgen", fordert Hesser."

 

Kommen wir wieder auf die Aktivitäten der IG Metall zu sprechen. Neben den betriebs- und tarifpolitischen Verbesserungen, die für die dual Studierenden [vgl. z.B. HIER] in betrieblichen Auseinandersetzungen hart erstritten wurden und werden, hat sich die IG Metall den oben skizzierten Problemen angenommen und zusammen mit den anderen DGB-Gewerkschaften über den Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung (kurz: BIBB HA | mehr dazu HIER) eine Empfehlung zum dualen Studium herbeigeführt.

 

INFO: Der BIBB HA ist hier gesetzliches Beratungsorgan der Bundesregierung in grundsätzlichen Fragen der beruflichen Bildung. In ihm wirken mit gleichem Stimmenanteil Beauftragte der Arbeitgeber und Gewerkschaften, der Länder und des Bundes ("Bänke") zusammen.

 

Was alles in der Empfehlung "169" niedergeschrieben wurde, kann  HIER nachgelesen werden. Sie hat zwar keinen unmittelbaren Rechtscharakter, gibt nun aber erstmals einen abgestimmten Bezugsrahmen für die Akteure (Bund, Länder, Arbeitgeber, Gewerkschaften) vor und kann bei einer Novellierung des Berufsbildungsgesetzes als Brückenschlag zur Einbindung der Praxisphasen des dualen Studiums verstanden werden.

 

Folgt man diesem Gedanken, werden auch bestehende Bezüge zwischen dem BBiG und der BIBB HA Empfehlung 169 verständlicher. Hier eine exemplarische Auflistung:

 

 

Qualitätskriterium

Berufsbildungsgesetz

BIBB HA Empf. 169

Ausbildungs-/ 
Betreuungspersonal

§ 28 | "Auszubildende darf nur ausbilden, wer persönlich und fachlich geeignet ist."

S. 5, Punkt 1 | "[.] die jeweiligen Betreuerinnen/ Betreuer [.] über die nötigen fachlichen und persönlichen Kompetenzen verfügen."

Betrieblicher Ausbildungsplan

§ 11 | "Ausbildende haben unverzüglich nach Abschluss des Berufsausbildungsvertrages, spätestens vor Beginn der Berufsausbildung, den wesentlichen Inhalt des Vertrages gemäß [.] niederzulegen; [.] mindestens aufzunehmen

1. Art, sachliche und zeitliche Gliederung [.]."

S. 5 f., Punkt 2 | "Studiengangkonzept und Curriculum dienen bei dualen Studiengängen als Basis der betrieblichen Studien- und Einsatzplanung. Bei ausbildungsintegrierenden dualen Studiengängen liegt eine zeitlich-sachliche Gliederung bzw. ein betrieblicher Ausbildungsplan vor. [.] Die Studierbarkeit ist gesichert."

Vertragliche
Grundlagen

§ 11 | "[.] mindestens aufzunehmen [.] Beginn und Dauer der Berufsausbildung, [.] Dauer der regelmäßigen täglichen Ausbildungszeit,  Dauer der Probezeit,  Zahlung und Höhe der Vergütung, Dauer des Urlaubs, Voraussetzungen, unter denen der Berufsausbildungsvertrag gekündigt werden kann, ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf die Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen, die auf das Berufsausbildungsverhältnis anzuwenden sind."

S. 6, Punkt 3 | "Ebenso liegt zwischen dem Praxispartner und der/dem dual Studierenden ein Vertrag vor, dessen Art abhängig von der jeweiligen Studienform ist. Darin sind mindestens folgende Aspekte geregelt: Rechte und Pflichten der beteiligten Partner, Vergütung, Bereitstellung der erforderlichen Ausbildungsmittel,  Freistellungsregelungen, Urlaubsanspruch, Arbeitszeit, Vertragsdauer, Geheimhaltungsklausel, Probezeit, Vertragsbeendigung, Zeugnispflicht, Regelung zur etwaigen Übernahme von Studiengebühren.

Die beteiligten Akteure halten Muster für alle Vertragsbeziehungen vor."

Überwachung

§ 32 | "Die zuständige Stelle [hier die IHK / HWK] hat darüber zu wachen, dass die Eignung der Ausbildungsstätte sowie die persönliche und fachliche Eignung vorliegen."

S. 5, Abs. 4 | "Zudem empfiehlt der BIBB-Hauptausschuss, bei der [.] Ausgestaltung dualer Studiengänge neben denunmittelbaren Partnern auch weitere regionale Akteure [.] mit einzubeziehen. Dies kann beispielsweise über [.] die Berufsbildungsausschüsse der Zuständigen Stellen, erfolgen."

 

Da dies eine deutliche Verbesserung des Status der dual Studierenden im Betrieb bedeutet, ist vermutlich verständlich. Zumal es der betrieblichen Interessenvertretung durch eine klare Regelung im BBiG in Kombination mit den Mitbestimmungsrechten gem. §§ 92-98 BetrVG einen klaren und insbesondere bekannten Handlungsrahmen gibt. Denn nun kann die Qualität der betrieblichen Ausbildung für dual Studierenden wie für dual Auszubildende nach einem einheitlichen gesetzlichen Standard begleitet werden.

 

Und hier wird nun auch die Win-Win-Situation für die Systeme der akademischen und klassischen Berufsbildung deutlicher. Denn nach dieser Logik kümmern sich die demokratisch legitimierten Akteure um die Qualität der jeweiligen Bildungsphasen in den Lernorten, die dies traditionell am besten können.

Den Hochschulen als Verantwortliche für die gesamte Qualität des dualen Studiengangs wäre es möglich die Qualitätssicherung z. B. an die Instanzen der zuständigen Stelle und hier an die Berufsbildungsausschüsse (kurz: BBAs) zu "delegieren". Damit würde nicht nur die Rolle der Sozialpartner über die BBAs aufgewertet werden, auch die Rolle der traditionell zuständigen Stellen für die Qualität der beruflichen Bildung gewinnt. Und die Akteure in den Hochschulen können sich gemäß ihren Kernkompetenzen wieder auf die Bereiche Forschung und eine qualitativ hochwertige Lehre fokussieren.

 

Dass die BIBB HA Empf. 169 Wirkung entfalten kann, sehen wir bereits in anderen Bereichen. So hat die empfohlene Charakterisierung dualer Studiengänge durch die intensive Lobbyarbeit der Gewerkschaften zum 01.01.2018 Einzug in die landesrechtlichen Regelungen über die Musterrechtsverordnung zum Akkreditierungsstaatsvertrag gefunden. Hier wurde von den Ländern in der Rechtserläuterung zur Verordnung folgender Wortlaut aufgenommen: "Ein Studiengang darf als "dual" bezeichnet und beworben werden, wenn die Lernorte (mindestens Hochschule/Berufsakademie und Betrieb) systematisch sowohl inhaltlich als auch organisatorisch und vertraglich miteinander verzahnt sind." (Vgl. Musterrechtsverordnung, Erläuterung  § 12 Abs. 5)

Dies war ein ganz wesentlicher Schritt für die IG Metall, um nun eine rechtliche Handhabe im Akkreditierungssystem zu haben und die "schwarzen Schafe", also die Studiengänge die nur zum Schein als dual beworben wurden, auszusortieren. Dass dies eine Mammut-Aufgabe wird, wissen die Betroffenen, die als Berufspraxisvertreter*innen im Akkreditierungssystem aktiv sind (mehr auch hier: Gewerkschaftliches Gutachter*innen Netzwerk). Für eine qualitativ hochwertige betriebliche Ausbildung - gleich ob akademischer oder klassisch dualer Natur - ist es  in jedem Fall wert.

 

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