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DDM-03-21

Denk-doch-Mal.de | Ausgabe 03-21

Wie umgehen mit Künstlicher Intelligenz

09.12.2021 Ι Mit dem Schlagwort der "Künstlichen Intelligenz" erhält die Diskussion über Ursachen und Folgen der Digitalisierung einen neuen Schwung. Auf Betriebe und Gesellschaft kommt eine neue Debatte zu. Dabei wurde schon vor Jahrzehnten über künstliche Intelligenz geschrieben und geforscht. Wir haben in den letzten Jahren allerdings erfahren und gelernt, dass zu unterscheiden ist zwischen dem, was versprochen und angekündigt wird, und dem was tatsächlich an realen Veränderungen zu erwarten ist bzw. sich aufgrund bestimmbarer sozialer und ökonomischer Rahmenbedingungen und Interessen in Betrieben und Gesellschaft durchsetzen wird.

Diese fortlaufende Diskussion, insbesondere zu dem Verhältnis von Digitalisierung, Arbeit und Bildung, hat auch DENK-doch-MAL in einer Reihe von Ausgaben zu einem Schwerpunkt gemacht.

 

Die Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe sind sich einig, dass es keinen Determinismus in die von KI geprägte Zukunft gibt, sondern dass KI im Rahmen der Transformation der Arbeitswelt und der Gesellschaft durch soziale Prozesse, Interessen und Bedürfnisse geformt wird. Dazu ist eine breite Bewegung vonnöten; wir zählen Produzentinnen und Konsumenten, Politik und gewerkschaftliche Interessenvertretung, Forschung und Wissenschaft dazu.

 

Die beiden Wissenschaftler*innen von ISF München, Dr. phil. habil. Tobias Kämpf und Barbara Langes fassen erste Befunde einer empirischen Bestandsaufnahme zusammen und kommen zu dem Schluss, dass es bereits heute notwendig ist, "die Weichen richtig zu stellen. So lassen sich in der Praxis zwei gegenläufige Entwicklungsszenarien identifizieren: Auf der einen Seite steht ein Szenario, das für eine Ausweitung "digitaler Fließbänder" bis weit in die Sphäre der Wissensarbeit und eine neue Qualität der Kontrolle und Beherrschung menschlicher Arbeit steht. Demgegenüber birgt KI jedoch auch - das zeigen nicht zuletzt unsere empirischen Beispiele - neue Potentiale für ein Empowerment von Beschäftigten, der Aufwertung von Tätigkeiten und einer Humanisierung der digitalen Arbeitswelt.

 

Gerade vor dem Hintergrund dieser gegenläufigen Szenarien sind wir überzeugt, dass sich nachhaltige Gestaltungsstrategien nicht im einfachen und zumeist defensiven Credo  "Das Schlimmste verhindern" erschöpfen dürfen. Gerade in deutschen Unternehmen, mit ihrem oft einseitigen Fokus auf bloße Automatisierung, Kostensenkung und der Reduzierung von Personalkapazitäten ist ein Perspektivwechsel dringend notwendig. Gebraucht wird ein alternativer strategischer Leitstern, der an den emanzipativen Potenzialen der digitalen Transformation anknüpft und Menschen von der Vision einer nachhaltigen KI überzeugen oder vielleicht sogar begeistern kann. Zentrale Leitfragen für diesen Perspektivwechsel wären:

  • Wie lassen sich in der Praxis Innovationskulturen von unten aufbauen, die datengetriebene und KI-basierte Innovationen in der Fläche überhaupt erst möglich machen?
  • Wie kann es gelingen, mit KI die Arbeitsbedingungen der Menschen wirklich zu verbessern?
  • Und: Wie kann KI so eingesetzt werden, dass auch in der Arbeitswelt die Handlungsmöglichkeiten der Menschen erweitert werden und den Beschäftigten tragfähige Entwicklungsperspektiven eröffnet werden?

 

Nicht übersehen werden darf dabei, dass solche Fragen heute zunehmend auch von der professionellen KI Community selbst gestellt werden. Auch die ExpertInnen und BeraterInnen, die KI in Unternehmen zum Einsatz bringen, fragen heute nach dem "purpose" (d.h. nach den Zielen und den Zwecken) und den Folgen ihrer Arbeit. Grassroots-Initiativen wie das von IBM BeraterInnen gegründete, mittlerweile unternehmensübergreifende Netzwerk "Human Friendly Automation" (Gergs, Schatilow 2021; Schatilow 2021) und ihre Werte-Charta [s.u.] - deren Entwicklung wir im Projekt "humAIn work lab" wissenschaftlich begleiten - zeigen dass die digitale Arbeitswelt eine nachhaltige und menschenzentrierte Gestaltung von KI dringend braucht."

 

 

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  • Prof- Lutz Bellmann (Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre insbesondere Arbeitsökonomie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) und Prof. Dr. Werner Widuckel (Professur für Personalmanagement und Arbeitsorganisation an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) kommen in Ihrer Analyse zu dem Fazit, dass "die Arbeitsmarktwirkungen digitaler Technologien und von KI sind nicht einfach [prognostizieren lassen]. Es können jedoch mögliche arbeitsmarktwirksame Potenziale und Gestaltungsszenarien analysiert und abgeleitet werden, die eine Orientierung für die betrieblichen und gesellschaftlichen Herausforderungen bieten, die mit deren Einsatz verbunden sind. Im Umgang mit diesen Herausforderungen ist weder ein naiver Fortschrittsoptimismus noch ein resignativer Untergangspessimismus geeignet, um sich mit diesen Herausforderungen auseinanderszusetzen.  In diesem Sinne besteht auch für mögliche Arbeitsmarktwirkungen keine gegebene Unausweichlichkeit, die sich zu Arbeitsplatzverlusten oder -gewinnen aufsummieren ließe. Hierauf wird auch in den in diesem Artikel zitierten Untersuchungen immer wieder mit großer Berechtigung hingewiesen.  Die Arbeitsmarktwirkung digitaler Technologien und von KI ist ein Ergebnis sozialer Gestaltung und ihrer Aushandlungsprozesse."

     

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  • Bei der Tagung "Denken am See" über Künstliche Intelligenz beteiligte sich Professor Dr. Fritz Böhle (Universität Augsburg) an der Diskussion sehr rege. Gerhard Endres von der ddm-Redaktion bat ihn, einige Thesen zu KI in der Arbeitswelt und ihren Auswirkungen auf die Arbeit zu formulieren:

    • Roboter in der Pflege und das autonome Fahren lenken von der KI in der Arbeitswelt ab
    • Die Stärken der KI liegen vor allem bei gut strukturierten Daten
    • Die neuen Schwerpunkte der Technisierung von Arbeit werden nicht wahrgenommen
    • KI verändert nicht nur standardisierte Routinetätigkeit 
    • Die Unterscheidung "Routine versus Anspruchsvoll" ist nicht mehr zeitgemäß

     

  • Alle Thesen gibt es auf Denk-doch-MAL 03-21
  • Die Rolle der künstlichen Intelligenz in der Facharbeit und deren Konsequenzen für die Berufsbildung reflektiert DDM mit  Prof. Dr. Matthias Becker (Professor an der Leibniz Universität Hannover), Prof., Dr. phil., Dr. h. c. Georg Spöttl (Direktor des Zentrums für Technik, Arbeit, Berufsbildung (TAB) an der Uni Bremen) und Prof. Dr. Lars Windelband (Professor für Technik und ihre Didaktik im Institut für Bildung, Beruf und Technik der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd).

     

    Die Professoren stellen dabei ein Modell vor, das eine Hilfestellung für die Beschreibung, Entscheidung und Bewertung von KI gestützter Facharbeit ermöglicht. Mit seiner Hilfe werden Hinweise gegeben, welche Inhalte für die Ausgestaltung von Facharbeitsberufen relevant sind. Dabei kommt es den Wissenschaftlern zufolge nicht nur auf die "Betrachtung technologischer Veränderungen an, sondern auch auf die Verschiebungen der Kommunikations-, Kooperations- und Kollaborationsstrukturen aufgrund der Organisation der Prozessabläufe. Durch die KI beeinflusst entstehen veränderte Kompetenzanforderungen an beruflich Qualifizierte, die in teilweise vollständig veränderten Arbeitsorganisationsstrukturen Aufgaben bearbeiten.

     

    Für die Berufsbildung lassen sich einige offene Fragen ableiten, die zukünftig relevant sein werden:

    • Entstehen durch den Einfluss von KI eigenständige neue, oder eher integrative und veränderte Kompetenzanforderungen?
    • [...] Wenn Kompetenzen, Erfahrungen und Entscheidungsgrundlagen für bestimmte Handlungszusammenhänge in Maschinen "aufgehen", wie können diese dann für Lernprozesse und die Überlieferung an nachfolgende (Fachkräfte)Generationen aufbereitet werden?
    • Entstehen durch den Einfluss von KI-gestützten Technologien neue Berufe oder neue Zuschneidungen wie bspw. Hybridberufe? Nach der Einführung von Produktionstechnologen, die eher aus dem Gedanken einer optimierten Produktionsorganisation heraus entstanden sind, stehen nun Überlegungen zu einer Ablösung von Industriemechaniker/-innen durch Asset-Manager (ein Asset ist im Industrie 4.0-Kontext jeder virtuell abgebildete Gegenstand, der einen Wert für eine Organisation besitzt. Vereinfacht gesagt: Jedes Objekt in der physischen Welt, welches eine Verbindung zum Internet hat) im Raum. Grundlage für ein solches Berufsprofil wäre ein empirisch identifizierbares Aufgabenspektrum, welches den Kriterien für einen Beruf standhalten würde.
    • Zu untersuchen ist, wie die konkreten Veränderungen in der Facharbeit aufgrund veränderter Rolle der Technik und daraus resultierende Qualifikationsanforderungen aussehen? Nur so lassen sich für die Gestaltung der Berufsbilder und Ausbildungsordnungen nutzbare Beschreibungen erstellen."

     

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  • Sophia Roppertz (Universität Bremen, Institut Technik und Bildung) skizziert das doppelte Spannungsverhältnis im Bildungsbereich und eine innovative Idee, wie damit umgegangen werden kann. Im Kern geht es darum, dass "besonders das pädagogische Personal, aber in letzter Konsequenz alle an Bildung Beteiligten geschult sein müssen, um die Risiken und Chancen einer KI-basierten Anwendung abschätzen zu können."

     

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  •  Dr. Norbert Huchler (Arbeitssoziologe und Wissenschaftler, ISF München) stellt das Whitepaper "Kompetenzen für KI" der Plattform Lernende Systeme (BMBF) vor. "Das Whitepaper ist vor allem eine Sensibilisierung und grobe Umsetzungshilfe für Unternehmen zum Thema Kompetenzen und KI. Es greift vordringlich die Perspektive größerer Betriebe auf, bei denen für einen feststehenden Bedarf bzw. in Reaktion auf durch KI veränderte Tätigkeiten qualifiziert werden soll. Durch das Herunterbrechen auf Rollen wird dabei ein enger Praxis- bzw. Gegenstandsbezug hergestellt; was dem Thema Kompetenzentwicklung gerecht wird. Die umgekehrte Herangehensweise, die insbesondere für kleine und mittlere Betriebe (KMU) relevant und gangbar ist, also von den bestehenden Kompetenzen der Beschäftigten und deren Entwicklungspotentialen auszugehen und die Prozesse, Arbeitsorganisation, Technik-Gestaltung daran auszurichten, wird nur angeschnitten - zum Beispiel wenn es um eine systematische Analyse der durch KI veränderten potentialorientierten "Arbeitsteilung" zwischen Mensch und Technik geht oder um eine "erfahrungs- und lernförderliche Arbeits- und Technikgestaltung" (vgl. dazu z.B. Huchler et al. 2020; Huchler 2020). Hierbei handelt es sich um sehr neuralgische Punkte, die nicht übersehen werden sollten. Denn Kompetenzen können nur dann erfolgreich angeeignet und nachhaltig umgesetzt werden, wenn sie passgenau bzw. gebrauchstauglich sind - sowohl für die Anforderungen der Betriebe als auch für die Arbeitspraxis der Beschäftigten. Nicht nur die Kompetenzen müssen zu den Bedarfen der Betriebe passen, sondern auch die Arbeitsstrukturen zu den (aktuellen und künftigen) Kompetenzen. Jedoch werden sowohl die Komplexität der Anforderungen der Arbeitspraxis als auch die Reichhaltigkeit der Potentiale menschlicher Arbeit oft systematisch unterschätzt; zum Beispiel indem allein auf Daten, formale Prozessbeschreibungen bzw. Messbares geblickt wird und informelle, "unsichtbare" Arbeitsanteile, Unsicherheiten und Ungewissheiten, die Relevanz von Erfahrungswissen etc. ausgeblendet werden. Wenn jedoch Arbeitsanforderungen und Arbeitspraxis zu sehr auseinander driften, erzeugt dies erhebliche Belastungen. Eine sozial nachhaltige Kompetenzentwicklung muss daher Kompetenzentwicklung und Arbeits-/ Technikgestaltung systematisch zusammendenken bzw. auch Anforderungen an die Arbeits- und Technikgestaltung formulieren."

     

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  •  Roland Konopac (Betriebsrat und Sprecher des Ausschusses für Datenverarbeitung (DVA) im Gesamtbetriebsrat der Siemens AG) gibt DDM einen tiefen Einblick, wie der Betriebsrat bei Siemens mit diesen neuen Herausforderungen umgeht. Kalr ist für ihn: "Als Betriebsrat dürfen wir nicht aufgeben oder kapitulieren, wenn uns gesagt wird, KI kann uns nicht erklärt werden. Gibt das Unternehmen keine zufriedenstellenden Antworten, braucht es als Betriebsrat ein gewisses Rückgrat, ggfls. müssen wir Spezialisten beauftragen. Wir binden deshalb als Betriebsrat entweder unabhängige Spezialisten ein oder bauen intern entsprechende Kompetenzen auf."

     

     

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  • Thorben Albrecht (Bereichsleiter des FB Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik beim Vorstand der IG Metall) und Julia Görlitz (Politische Sekretärin im Ressort Grundsatzfragen) zeigen auf, warum KI ein Thema für die IG Metall ist: "Jenseits der verheißungsvollen Science-Fiction-Darstellungen wird Künstliche Intelligenz in Unternehmen, Bundesministerien und Digitalverbänden vor allem als Innovationstreiber und Tool für Effizienzsteigerung durch Automatisierung, Prozessoptimierung und letztendlich Rationalisierung insbesondere von Routinetätigkeiten verstanden. Die Auswirkungen von KI-gestützter Software ist bereits in der IKT- und Software-Branche sowie in der Logistik und im Bankwesen augenscheinlich geworden. In diesen Bereichen lässt sich eine massive Schrumpfung der Beschäftigung bei der gleichzeitigen Aufwertung verbliebener Arbeitsplätze durch die Weiterqualifizierung im Umgang mit neuen Technologien beobachten. KI hat aber auch noch nicht ausgeschöpftes Potential, hochqualifizierte Wissensarbeit, beispielsweise Ingenieursarbeit in der Automobilindustrie, aber auch in der digitalen Rechtsdienstleistung (legal technology) und in der Medizin zu verändern. Mit der Digitalisierung und Einführung von KI gehen sowohl im indirekten Bereich wie auch in der Produktion teils massive technologische und arbeitsorganisatorische Veränderungen einher, die eine starke betriebliche Mitbestimmung erfordern."

     

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  • Dr. Nadine Müller (Leiterin Bereich Innovation und Gute Arbeit bei der ver.di-Bundesverwaltung) zeigt auf, wie sich ver.di in diesem Themenfeld engagiert und positioniert: "Ver.di hat erste Digitalisierungstarifverträge erkämpft und mit gesetzlichen Interessenvertretungen auch gute Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene erzielt. Des Weiteren war und ist ver.di an verschiedenen Projekten zur Erforschung guter Gestaltung von KI in der Arbeitswelt beteiligt. Ver.di wird auch in Zukunft nicht nachlassen, sich gemeinsam mit den Erwerbstätigen im Kontext von KI und Digitalisierung für Gute Arbeit einzusetzen."

     

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  •  Welf Schröter (Mitbegründer und ehrenamtlicher Leiter des Personennetzwerkes "Forum Soziale Technikgestaltung") plädiert dafür, den Begriff "KI", der in vielen Debatten wenig hilfreich ist, in bearbeitbare Themenfelder zu zerlegen. Hierzu gehören ihm zufolge u.a. die Inhalte der Begriffe "Nachholende Digitalisierung", "Delegationstechnik", "Algorithmische Steuerungs- und Entscheidungssysteme", "Sich selbst verändernde Software-Werkzeuge", "Antizipierende vorausschauende Arbeitsgestaltung" und "Moderierte Spezifikationsdialoge". Was sich dahinter verbirgt und welche Rolle sein seit 30 Jahren betehendes "Forum Soziale Technikgestaltung" dabei spielt, zeigt er in seinem Beitrag auf. 

     

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