Studie zur Situation der betrieblichen Ausbilder*innen 2021
AUSBILDUNGSPERSONAL IM FOKUS
Ziel der IG Metall war es, über das Projekt mit den Kolleg*innen, die für die Aus- und Fortbildung in den Betrieben verantwortlich sind, in einen engeren Austausch zu kommen, deren Situation und Bedarfe sichtbar und zu einem interessenspolitisch relevanten Thema zu machen. Ziel der Forschung war es, eine umfassende Studie zum Ausbildungspersonal vorzulegen, das bislang in der Forschung zur Berufsbildung vergleichsweise wenig systematisch berücksichtigt wird. Die Ergebnisse der Studie zeigen auf, wo Handlungsbedarfe bestehen und geben Orientierung für weitere Schritte. Und sie zeigen, welch zentrale Rolle auch hier die Nachwuchssicherung bei den Ausbilder*innen selbst spielt. Denn nur mit genügend und gut aufgestelltem Ausbildungspersonal kann die Qualifizierung des Nachwuchses gelingen.
Mit Hilfe von quantitativen und qualitativen Erhebungen werden Fragen zum Stellenwert der Ausbilder*innen, zu den Bedingungen der Ausbildungstätigkeit (inklusive Mitbestimmung), zur Qualifikation und Professionalisierung der Ausbilder*innen sowie zur Rolle von Ausbilder*innen bei organisationalem und technischem Wandel beleuchtet. Ein Teil dieser Themenfelder wird bisher zwar teils in einzelnen Studien rund um Arbeit, Beruf und Beschäftigung abgedeckt. Allerdings liefert bislang keine Erhebung einen derart ganzheitlichen Blick auf die Bedingungen des Ausbildungspersonals. Da die genannten Aspekte jedoch wechselseitig miteinander verbunden sind, durchbricht diese Studie die bislang isolierten Betrachtungen, bei denen das Ausbildungspersonal oder Aspekte seiner Tätigkeit nur als eine Variable unter vielen gesehen werden. Hier steht die Situation des Ausbildungspersonals im Zentrum der Betrachtung. Daher verbindet die Studie die genannten Felder systematisch miteinander. Die zentralen Ergebnisse sind dabei:
- Mit 1.004 gültigen Fällen zu 220 Variablen stellt die Befragung "Ausbildungspersonal im Fokus 2021" (APIF) eine der umfassendsten Datenquellen zur Situation des betrieblichen Ausbildungspersonals dar. Dabei zeigt die Verteilung der Strukturvariablen unserer Befragung die Hochwertigkeit der erhobenen Daten in Bezug auf die Abbildung der M+E-Branche. Qualitative Interviews rahmen und erden zusätzlich die quantitativen Erhebungen und erlauben in diesem gemeinsamen methodischen Vorgehen tiefere Interpretationen.
- Der durchschnittliche Teilnehmer der Studie ist immer noch der männliche Ausbilder um die 50, der hauptamtlich in die Ausbildung eingebunden ist. Eine Aufschlüsselung nach Alterskohorten zeigt aber auch: Je jünger die Befragten sind, desto mehr finden sich Frauen in der Ausbilder*innenrolle.
- Das Betreuungsverhältnis von Ausbildungspersonal und Auszubildenden zeigt grundsätzliche Unterschiede. Während das befragte hauptamtliche Ausbildungspersonal (HA) im Schnitt für über 20 Auszubildende verantwortlich ist, sind nebenamtliche Ausbilder*innen (NA) und ausbildende Fachkräfte (AFK) für weit weniger Auszubildende zuständig.
- Das Ausbildungspersonal erlebt im Zuge einer sich wandelnden Arbeitswelt eine Potenzierung der Herausforderungen und Ansprüche für die Ausbildungstätigkeiten und das berufliche Ausbildungssystem. Dabei stechen vor allem die pädagogischen Anforderungen hervor: Insgesamt 86 Prozent der Befragten sehen hier gestiegene Anforderungen. Allerdings sind auch bei den anderen Anforderungskategorien steigende Anforderungen erkennbar: Bei Anforderungen inhaltlich-fachlicher Art stimmen 75 Prozent zu, bei den didaktisch-methodischen Anforderungen stimmen 80 Prozent zu und bei den organisatorisch-administrativen sind es sogar 83 Prozent.
- Die strategische Position der Ausbilder*innen ist Resultat und Voraussetzung einer engen Beziehung zu und einer allgemein verstandenen Verantwortung für die Auszubildenden im Betrieb. So stimmen über 95 Prozent der befragten Personen der Aussage zu oder eher zu, dass Ausbilder*innen maßgeblich zur persönlichen Entwicklung der Auszubildenden beitragen, und es kommt bei 80 Prozent der Befragten vor, dass sich die Auszubildenden auch außerhalb der Arbeitszeit an diese wenden.
- Ausbilder*innen erleben einen starken digitalen Wandel in ihren Unternehmen - dabei zeigt sich ein klarer Zusammenhang mit dem Digitalisierungsgrad: In Unternehmen mit hohem Digitalisierungsgrad hat sich bei 25 Prozent der Ausbilder*innen auch deren Arbeit sehr stark verändert, bei niedrigem Digitalisierungsgrad sind das nur noch 5 Prozent.
- Das Ausbildungspersonal versteht die eigene Rolle in der digitalen Transformation als höchst relevant - und zwar abhängig vom Digitalisierungsgrad des Unternehmens: Bei hohem Digitalisierungsgrad positionieren sich fast 80 Prozent der Teilnehmenden als bedeutend für den digitalen Wandel, bei niedrigem Digitalisierungsgrad sind es nicht ganz 45 Prozent.
- Die deutliche Mehrheit von 82 Prozent der Ausbilder*innen sieht daher die eigene Tätigkeit durch Veränderungen in der Zukunft nicht als gefährdet.
- Trotz dieser Bedeutung des Ausbildungspersonals für die digitale Transformation im Unternehmen werden Ausbilder*innen zu gerade einmal knapp über 30 Prozent in Entscheidungsprozesse zur digitalen Entwicklung im Unternehmen einbezogen. Bei hohem Digitalisierungsgrad sind die Werte mit über 40 Prozent etwas besser, hier wird aber dennoch einiges an Potenzial vergeben.
- m den Wandel zu bewältigen, sind oft auch neue Qualifikationen nötig und damit auch eine Weiterbildung des Ausbildungspersonals. 57 Prozent der Befragten haben an Weiterbildungen teilgenommen, die sich spezifisch mit ihrer Tätigkeit als Ausbilder*innen befassten. Bei Unternehmen mit hohem Digitalisierungsgrad ist dieser Wert mit 69 Prozent deutlich höher, bei niedrigem Digitalisierungsgrad mit 48 Prozent hingegen niedriger.
- Eine weit verbreitete qualifikatorische Ressource im Umgang mit den Herausforderungen ist die AEVO, die aber grundsätzlich ambivalent beurteilt wird. Mehr als 60 Prozent der Ausbilder*innen fühlen sich in allen Anforderungsbereichen gerüstet. Allerdings muss umgekehrt auch angemerkt werden, dass auch mindestens ein Drittel des Ausbildungspersonals sich in den Anforderungsbereichen nicht vorbereitet fühlen.
- Neben den qualifikatorischen Ressourcen spielen jedoch auch soziale Ressourcen eine zentrale Rolle, um die Herausforderungen zu bewältigen. Eine zentrale Ressource, um den Anforderungen zu begegnen, liegt für das Ausbildungspersonal intern und dabei vor allem im eigenen Team vor - hier stimmen 87 Prozent zu, dass sie in ihrer Ausbilder*innentätigkeit von ihrem Team unterstützt werden. Bei anderen Betriebsbereichen liegt die erfahrene Unterstützung noch bei 60 Prozent. Von externen Akteuren wie Bildungsträgern, Berufsschulen und Gewerkschaften wünschen sich die Befragten dagegen mehr Unterstützung. Betriebsrat und Gewerkschaft werden insbesondere von AFK nur bedingt als Ansprechpersonen betrachtet.
- Während das hauptamtliche Ausbildungspersonal sich ganz auf die Ausbildung im Betrieb konzentrieren kann, erleben NA und AFK ständig einen Rollenkonflikt zwischen den Ausbildungsanforderungen und ihrer eigentlichen Tätigkeit und müssen mit den unterschiedlichen und widersprüchlichen Anforderungen umgehen. Dies zeigt sich in Mehrarbeit auf Überstunden ebenso wie in steigender emotionaler Belastung und zunehmender Arbeitsintensität. Immerhin 45 Prozent der Ausbilder*innen haben durch gestiegene Anforderungen das Gefühl, nicht mehr nachzukommen.
- Dies wirkt sich auch auf die Qualität der Ausbildung aus. So müssen 45 Prozent der Befragten sehr häufig oder häufig Abstriche machen, um widersprüchliche Anforderungen miteinander zu vereinbaren.
- Wo Rollenkonflikte zwischen der Ausbildungstätigkeit und weiteren betrieblichen Tätigkeiten vorhanden sind, ist auch die empfundene Wertschätzung der Ausbildungstätigkeit geringer ausgeprägt - bei Nebenamtlichen, die besonders von widersprüchlichen Anforderungen betroffen sind (immerhin 51 Prozent), ist die empfundene Wertschätzung ihrer Ausbildungstätigkeit noch geringer.
- Ein wichtiges Vehikel für Wertschätzung scheint dabei darin zu bestehen, das Ausbildungspersonal in Entscheidungen zur Ausbildung einzubeziehen. Mitgestaltungsmöglichkeiten werden als erlebte Wertschätzung verstanden. Gerade die Information zu und der Einbezug in bestimmte Entscheidungen scheint aus Sicht des Ausbildungspersonals jedoch problematisch. So werden ca. 50 Prozent der Befragten nicht rechtzeitig über Entscheidungen, Veränderungen oder Plänen informiert und 55 Prozent nicht in diese einbezogen.
- Diese fehlende Rückmeldung in der Organisation drückt sich auch in der Tatsache aus, dass sich etwa ein Drittel der Ausbilder*innen nicht ernst genommen fühlt, wenn sie Vorschläge einbringen.
- Während also die Wertschätzung aus Richtung der betrieblichen Organisation als teils deutlich defizitär erlebt wird (29 Prozent), erfährt das Ausbildungspersonal von den Auszubildenden sehr große Wertschätzung - 95 Prozent der Befragten erleben Wertschätzung aus dieser Richtung,
Insgesamt lässt sich sagen: Das Ausbildungspersonal zeigt sich angesichts des digitalen Wandels motiviert und weiterbildungsengagiert, erlebt andererseits aber mangelnden Einbezug und geringe Wertschätzung von Unternehmensseite. Steigende und widersprüchliche Anforderungen führen zunehmend zu Belastungen und teils zu Abstrichen bei der Qualität der Ausbildung. Zentrale Ressourcen, um diesen Anforderungen und Belastungen besser zu begegnen, liegen teils in ebenfalls unter Druck stehenden Dimensionen: nämlich dem kollegialen Rückhalt im eigenen Team einerseits und der hohen Wertschätzung durch die Auszubildenden andererseits. Das gestaltende Potenzial der Ausbilder*innen wird von betrieblicher Seite zu wenig genutzt und sie werden in ihrer Rolle zu wenig geschätzt und unterstützt. Eine fragile Ausgangslage, soll eine qualitative Berufsausbildung nachhaltig in und für die digitale Transformation lebendig gehalten werden. Das betriebliche Ausbildungspersonal als ein wesentlicher Dreh- und Angelpunkt des Berufsbildungssystems steht unter enormem Druck - die Motivation ist hoch, kann aber unter den Bedingungen von Wandel, Belastung, mangelndem Einbezug und geringer Wertschätzung schnell erodieren. In einer längeren Liste von Mehrfachnennungen sehen 12 Prozent der Befragten die Motivation als wesentlich für die Zukunft der Ausbildung. Ein dringlicher Handlungsbedarf ist also offensichtlich.
- Die Broschüre ist bestellbar unter berufsbildung@igmetall.de