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DENK-doch-MAL analysiert die Vorschläge zur BBiG-Novelle

Neuordnung des Prüfungswesens

12.09.2019 Ι Clive Hewlett analysiert in seinem Beitrag die Vorschläge des BMBFs zur "Verbesserung der Rahmenbedingungen" des Prüfungswesen und legt dabei schonungslos die Beweggründe, die geistigen Mütter und Väter und den damit verbundenen Paradigmenwechsel offen. Sein Fazit

"Zunächst ist festzuhalten, dass die zunehmende Komplexität und damit der zunehmende Aufwand im Prüfungsverfahren nicht auf veraltete Prüfungsstrukturen zurückzuführen sind, sondern auf immer höhere Anforderungen an die Ausbildungsberufsbilder und damit an die Prüfungsinhalte. Dieses Problem verlangt Lösungen, die selbstverständlich auch Änderungen des Prüfungsrechts umfassen können. Allerdings lässt der Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht klar erkennen, wie die Modernisierung des Prüfungsrechts im Einklang mit den einschlägigen Rechtsgrundsätzen gestaltet werden soll. Die in der Vorlage enthaltenen Allgemeinplätze, Worthülsen und Nebelkerzen helfen jedenfalls nicht weiter. Diese Art des Taktierens und die "Entstehungsgeschichte" des Handlungsfelds 3 (Prüfungswesen) lassen darauf schließen, dass das BMBF lediglich als Erfüllungsgehilfe namentlich des DIHK tätig wird. Zum Teil werden Neuerungen als innovativ verkauft, die entweder alte Hüte darstellen oder wirkungslose Wortungetüme. Auch hört sich Vieles noch nicht stringent zu Ende gedacht an. Dies gilt gerade für das Vorhaben, das bewährte Prüfungswesen nachhaltig umzugestalten. Dabei bleiben so wichtige Fragen offen, ob nun die Gesamtverantwortung für die Prüfungsabnahme beim Prüfungsausschuss verbleibt oder nicht. Abgesehen davon, dass eine Aufweichung des bewährten Kollegialprinzips, das die Gesamtverantwortung für die Prüfung dem Gesamtgremium Prüfungsausschuss zuweist, im Lichte von Artikel 12 Grundgesetz (Berufsfreiheit) rechtlich problematisch erscheint, ist sie weder erforderlich noch gar wünschenswert, um das Prüfungsverfahrensrecht ökonomischer als in der Vergangenheit zu gestalten, ohne dass die Prüfungsqualität erkennbar abnimmt. Jedenfalls wird das erklärte Ziel, die "Rahmenbedingungen des BBiG insbesondere für rechtsbeständige und hochwertige Prüfungen sowie für ein attraktives Ehrenamt" zu optimieren, mit diesem Gesetzentwurf deutlich verfehlt.

 

Bemerkenswerterweise entlarvt sich die Bundesregierung selbst, worum es ihr bei den Änderungen im Prüfungsverfahrensrecht tatsächlich geht. Im Besonderen Teil der Gesetzesbegründung (S. 61) bedauert sie, dass das mit dem BBiG 2005 erst neu eingeführte Berichterstatterprinzip bedeutungslos blieb. Die Rechtsprechung hat nämlich klargestellt, dass der Prüfungsausschuss seiner Verantwortung nur dann gerecht wird, wenn er sich selbst ein Bild von den Prüfungsleistungen macht. Die ungeprüfte Übernahme von Vorkorrekturen sei demnach unzulässig. Diese Vorgabe sei - so das BMBF - bei Teilen der "modernen flüchtigen Prüfungsinstrumente nicht praktikabel; daher müsse das Gesetz so geändert werden, dass der Prüfungsausschuss "künftig nicht mehr zwangsläufig selbst die Prüfung abnehmen muss, sondern primär für die Durchführung der Prüfung zuständig ist" (Fassung vom 18.12.2018, S. 57). Da hierin ein Zirkelschluss liegt, hat das BMBF den "Sondern-Satz" in der Version des Gesetzentwurfs getilgt (BT-Drs. 19/10815, S. 61, drittletzter Absatz).

 

Es geht dem BMBF also nicht um Modernisierung des Prüfungsverfahrens, sondern schlicht um den Versuch, alt hergebrachte, gerichtlich bestätigte Prüfungsgrundsätze per Gesetz auszuhebeln, indem u.a. das Prinzip der höchstpersönlichen Wahrnehmung von Prüfungsleistungen durch das Prüfungspersonal unterlaufen wird. Dabei hat das BMBF noch im Dezember 2018 betont, wie wichtig es ihm sei, dass "alles, was bisher möglich war, möglich bleibt. Prüfungsausschüsse können das Verfahren 1:1 nach den bisherigen Regeln durchführen und etwa alle Prüfungsleistungen selbst und gemeinsam abnehmen (Kollegialprinzip)." Seit Inkrafttreten des BBiG 1969 gelten diese Verfahrensgrundsätze, ohne dass sie bzw. deren Qualität in Frage gestellt worden sind. Soweit ersichtlich sind diese Grundsätze auch von der Gerichtsbarkeit nie in Zweifel gezogen oder gar beanstandet worden.

 

Es gehört daher viel Mut dazu, den neuartigen Vorschlag der "Prüferdelegation" als Modernisierung des Prüfungswesens zu verkaufen. Zwangsläufig erhöht sich die Zahl an einer Einzelprüfung beteiligter Personen auf der Prüferseite, da künftig nicht nur der ursprünglich tätige Prüfungsausschuss, sondern auch "Prüferdelegationen" die Möglichkeit erhalten sollen, gutachterliche Stellungnahmen Dritter einzuholen. De facto heißt dies, dass mehrere Prüfungsgremien für die Abnahme einer einzigen Prüfung zuständig sein sollen. Das schafft zusätzlich Verwirrung und verlangt erheblich höhere Anforderungen an die Dokumentationspflichten der an einer Prüfung Beteiligten, da im Falle eines anschließenden gerichtlichen Nachprüfungsverfahrens transparent und eindeutig geklärt sein muss, wer was im Falle einer angefochtenen Bewertung einer Prüfungsleistung zu verantworten hat. Diesen wichtigen Gesichtspunkt hat das BMBF schlicht übersehen. Es hat eher den Anschein, dass mit der Möglichkeit der "Prüferdelegation" lediglich das mit dem BBiG 2005 eingeführte, in der Praxis jedoch gescheiterte Berichterstatterprinzip gleichsam repariert werden soll.

 

Die von der Bundesregierung angestrebte "Stärkung des Ehrenamts" wird nicht dadurch erreicht, dass Prüfungsausschüsse künftig Mehrarbeit übertragen erhalten, wenn sie für andere Prüfungsausschüsse im Wege der Delegation Prüferfunktionen übernehmen müssen. Auch bleibt unklar, wie bei diesen Neuerungen der entlastete Prüfungsausschuss "in jeder Phase Herr des Verfahrens und Herr des Gesamtergebnisses bleiben" soll.

 

Das drängende Problem der zugenommenen Belastung des Prüfungspersonals muss zweifellos gelöst werden. Ein Ansatz besteht darin, die Prüfertätigkeit auf deutlich mehr Schultern zu verteilen als bisher. Anzusetzen wäre bei der Wirtschaft. Die Annahme eines Ehrenamts im Prüfungswesen wird noch viel zu häufig blockiert, indem Beschäftigten Nachteile zumindest unterschwellig angedroht werden. An dieser Stelle ist der Hebel gesetzlich anzusetzen, denn: Ebenso, wie es viel zu wenige Betriebe gibt, die ausbilden, obwohl sie die gesetzlichen Mindestvoraussetzungen erfüllen, gibt es auch viel mehr aufgrund ihres Fachwissens bzw. ihrer Erfahrung prüfungsgeeignete Beschäftigte, die aber daran gehindert werden, ein Prüfungsamt aufzunehmen. Wenn also die Bundesregierung das Ehrenamt wirklich stärken will, muss sie - wie bereits ausgeführt - (endlich) arbeitsrechtlich die Freistellungs- und Vergütungspflichten von Arbeitgebern regeln. Dies wäre ohne weiteres im BBiG möglich, einem Spezialgesetz des Arbeitsrechts. Offenbar ist vielen Arbeitgebern deren Verantwortung für die Heranbildung qualifizierten Fachpersonals nicht bewusst. Daher müssen diese gesetzlichen Regelungen - ggf. sanktionsbewehrt - Arbeitgebern verdeutlichen, dass das Ehrenamt des Prüfers nicht anders zu behandeln ist als das des ehrenamtlichen Richters. Dies hat auch der Bundesrat erkannt und in seiner Stellungnahme vom 28.06.2019 empfohlen, den § 40 Abs. 6 BBiG wie folgt zu ergänzen:

"Niemand darf in der Übernahme oder Ausübung des Amtes als Mitglied oder Stellvertreter eines Prüfungsausschusses oder einer Prüferdelegation beschränkt oder wegen der Übernahme oder Ausübung des Amtes benachteiligt werden. Mitglieder in Prüfungsausschüssen oder Prüferdelegationen und deren Stellvertreter sind für die Zeit ihrer Prüfertätigkeit von ihrem Arbeitgeber von der Arbeitsleistung freizustellen. Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen der Übernahme oder Ausübung des Amtes ist unzulässig."

 

Es wäre wünschenswert, dass wenigstens diese Verbesserung übernommen wird. Im Übrigen dürfte man vergeblich darauf hoffen, dass im weiteren Gesetzgebungsverfahren die gröbsten Mängel des Gesetzentwurfs noch behoben werden. Dazu gehört neben Prüfungsdelegationen im beliebigen Umfang auch die Streichung des unnötigen Hinweises auf den Einsatz der grundsätzlich unbrauchbaren Multiple-Choice-Aufgaben im § 42 Absatz 4 und in  der Gesetzesbegründung. Die ersten Stellungnahmen der Opposition aus der Mitte des Bundestags stimmen pessimistisch. Zu anderen Neuerungen des Berufsbildungsrechts finden sich z.T. ablehnende Äußerungen, nicht jedoch zu den beabsichtigten Eingriffen ins Prüfungsrecht. Möglicherweise hat sich der eine oder die andere von der geschickten Wortwahl in der Gesetzesbegründung täuschen lassen, denn wer will schon Einwände erheben gegen größere Transparenz im Prüfungswesen oder Erleichterungen für das gebeutelten Prüfungspersonal. Damit wird das jahrzehntelang bewährte Kollegialprinzip mit einem Schlag beerdigt. Die möglichen negativen Folgen werden erst andere zu spüren bekommen  - nach mehrjährigen praktischen Erfahrungen."

(Quelle: DENK-doch-MAL.de)

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